Die juristische Presseschau vom 6. April 2018: Puig­de­mont gegen Auflagen frei / Lula da Silva soll ins Gefängnis / EGMR zu Haken­k­reuz-Posts

06.04.2018

Das OLG Schleswig erlässt einen Auslieferungshaftbefehl gegen Puigdemont, setzt aber den Vollzug aus. Außerdem in der Presseschau: Lula da Silva soll ins Gefängnis, Hakenkreuz-Posts vor dem EGMR und Chaos im Amri-Untersuchungsausschuss.

Thema des Tages

OLG Schleswig – Puigdemont: Das Oberlandesgericht Schleswig hat gegen den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, den Vollzug aber gegen Auflagen ausgesetzt. Eine Auslieferung wegen Rebellion hielt das Gericht von vornherein für unzulässig. Die diesbezüglichen Vorwürfe Spaniens erfüllten nicht den deutschen Straftatbestand des Hochverrats, weil es am Merkmal der Gewalt fehle. Im Falle einer Auslieferung nach Spanien könnte Puigdemont somit auch dort nicht wegen Rebellion bestraft werden. Eine Strafbarkeit wegen Korruption in Form der Untreue hielt das OLG Schleswig hingegen für möglich, jedoch nicht so schwerwiegend und ordnete deshalb die Haftverschonung gegen Auflagen an. Puigdemont muss eine Kaution von 75.000 Euro hinterlegen und darf Deutschland nicht ohne Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft verlassen. Einmal wöchentlich muss er sich bei der Polizei in Neumünster melden und jeglichen Wechsel seines Aufenthaltsorts unverzüglich bekanntgeben. Anhaltspunkte für die Gefahr einer politischen Verfolgung Puigdemonts in Spanien sah der Erste Senat nicht. Es berichten spiegel.de (Steffen Lüdke/Johannes Maier), faz.net., sueddeutsche.de, zeit.de,taz.de und Welt.

Für Heribert Prantl (sueddeutsche.de), bricht infolge der Entscheidung das gesamte "Vorwurfs-Konstrukt" gegen Puigdemont zusammen. Er hofft nun auf politische Verhandlungen, denn die spanischen Probleme ließen sich mit dem Strafrecht nicht lösen.

Die taz (Christian Rath) erläutert, warum die Bundesregierung bei der Entscheidung über eine Auslieferung Puigdemonts keinen politischen Spielraum hat. Im Rahmen des 2004 zur Beschleunigung und Entpolitisierung eingeführten EU-Haftbefehls komme es zentral auf die Entscheidung des jeweiligen Gerichts über die rechtliche Zulässigkeit eines Auslieferungsersuchens an. Die Rechtsanwälte Ulrich Karpenstein und Roya Sangi meinen auf verfassungsblog.de, dass die Auslieferungsentscheidung nicht allein der deutschen Justiz überantwortet sei, sondern europarechtliche (Vor-)Fragen aufwerfe, die allein der Gerichtshof der Europäischen Union klären könne. Insofern sei das OLG Schleswig vorlageverpflichtet.

Rechtspolitik

Hartz IV: Heribert Prantl (SZ) betont die Wichtigkeit der Hartz IV Debatte. Es gehe dabei, anders als die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer meine, nicht um Vergangenheitsbewältigung der SPD, sondern um "Zukunftsbewältigung". Das Gesetz über die Grundsicherung für Arbeitssuchende sei ein "Fallgrubengesetz" und bleibe ein Unglück für den Sozialstaat.

Rechtspolitik der AfD: Im Interview mit lto.de (Hasso Suliak) erläutert der rechtspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Roman Reusch, die Vorhaben seiner Fraktion. Auf der rechtspolitischen Agenda stehen u.a. ein beschleunigtes Strafverfahren, die Ausweitung der Untersuchungshaft auch für Jugendliche sowie eine Ausdehnung des Tatbestands der Volksverhetzung in § 130 Strafgesetzbuch.

Bayerisches Polizeigesetz: Ronen Steinke (SZ) kritisiert die von der CSU geplante Novelle des bayerischen Polizeigesetzes, nach welcher bei einer Überwachung oder Festnahme im Rahmen der Gefahrenprognose anstelle der bisher erforderlichen "konkreten" Gefahr künftig bereits eine "drohende" Gefahr genügen soll. Die Polizei könne dann "juristisch so freihändig, so wenig überprüfbar" agieren, "wie es hierzulande noch nie gestattet war."

Justiz

EGMR zu Hakenkreuz-Posts: Die Beschwerde eines Münchners gegen seine Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wurde nach Meldung von SZ und lto.de vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als unzulässig zurückgewiesen. Im Zuge eines Streits mit dem Jobcenter hatte der Mann ein Bild von Heinrich Himmler in SS-Uniform gepostet. Obgleich er keine Nazi-Ideologien verbreiten wollte, lehnte er diese nach Ansicht des EGMR nicht "klar und offensichtlich" genug ab. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte greife die strafrechtliche Verurteilung deshalb nicht unzulässig in das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK ein.

OLG Stuttgart zu unlauterer Werbung: "Die besten 5 Rasierer kommen von Gillette", so warb die Firma unter Bezugnahme auf Ergebnisse der Stiftung Warentest. Daraufhin wehrte sich Konkurrent Wilkinson vor dem Oberlandesgericht Stuttgart und machte laut FAZ (Marcus Jung) und lto.de Fehler im Testaufbau geltend. Diese hätte er nach Ansicht des OLG allerdings bereits im Vorhinein bei seiner Beteiligung im Fachbeirat sowie im Rahmen einer Stellungnahme zum vorab übersandten Prüfprogramm rügen müssen. Später könne eine Werbung mit dem Testsieg nicht mehr verhindert werden.

OLG Köln zu Rücktritt bei manipuliertem KFZ: Nun geht auch die FAZ (Marcus Jung/Carsten Germis) ausführlich auf die Ende März ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln ein, derzufolge ein Rücktritt vom Kaufvertrag über ein manipuliertes VW-Dieselfahrzeug auch noch nach Durchführung eines Software Updates und anschließender Weiternutzung des Fahrzeugs durch den Kunden in Betracht kommt.

Marcus Jung (FAZ) stuft diese Entscheidung als "offene Flanke" in der Verteidigungsstrategie von VW ein, die viele unentschlossene Diesel-Fahrer zu einer Klage motivieren könnte.

BVerwG – Indymedia: Über die beim Bundesverwaltungsgericht eingegangene Klagebegründung der Anwälte zweier mutmaßlicher Betreiber der verbotenen Internetplattform linksunten.indymedia.org berichtet nun auch ausführlich die taz (Sebastian Kränzle). Die Prozessbevollmächtigten kritisierten gravierende formelle und inhaltliche Mängel hinsichtlich der gegen die Plattform ergriffenen Maßnahmen.

VG Meiningen – Veranstaltungsverbot: Das Landratsamt Hildburghausen hat die Veranstaltung eines für Anfang Juni geplanten Rechtsrock-Konzerts im thüringischen Themar untersagt, weil dieses in der Umgebung brütende Vogelbestände beeinträchtigen könnte. § 44 Abs. 1 Nr. 2 Bundesnaturschutzgesetz, der wild lebende europäische Vogelarten vor erheblichen Störungen schützt, stehe einer Durchführung des Events entgegen. Nach Meldung von lto.de wollen die Veranstalter nun mit einem Eilantrag gegen das Verbot vorgehen.

Überlastung der Verwaltungsgerichte: Das Hbl (Heike Anger/Moritz Koch/Dietmar Neuerer) berichtet ausführlich und anhand einiger Beispiele von der Überlastung deutscher Verwaltungsgerichte, u.a. durch die hohe Zahl anhängiger Asylverfahren.

Recht in der Welt

Brasilien – "Lula" da Silva: Der frühere brasilianische Präsident und Linkspolitiker Luiz Inácio da Silva ("Lula") könnte mutmaßlich im Laufe der kommenden Woche ins Gefängnis kommen. Der 72-Jährige war im Januar wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Er gilt als der bislang aussichtsreichste Kandidat für die im Oktober anstehende Präsidentschaftswahl. Sein Antrag, bis zur Ausschöpfung aller Rechtsmittel auf freiem Fuß zu bleiben, wurde von den Richtern des Obersten Gerichtshofs mit 6:5 Stimmen abgelehnt. Über einen Ausschluss von der Wahl muss in den folgenden Monaten das oberste Wahlgericht entscheiden. Es berichten u.a. SZ (Benedikt Peters), FAZ und taz (Andreas Behn).

Boris Herrmann (SZ) stuft die Entscheidung als "historischen Vorgang" und "Zäsur" ein. Daniel Deckers (FAZ) meint, die Judikative sei die einzige Gewalt, der die Brasilianer noch vertrauen könnten, was sie eindrucksvoll durch diese Entscheidung rechtfertige. Jens Glüsing (spiegel.de) findet, die Richter hätten vor der Macht der rechten Ex-Generäle und einer aufgeheizten Öffentlichkeit gekniffen.

Südafrika – Jacob Zuma: Die taz (Martina Schwikowski) erläutert ausführlich die Hintergründe des am heutigen Freitag beginnenden Gerichtsverfahrens gegen den ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma, der wegen Korruption und Betruges angeklagt ist.

Frankreich – Wahlrechtsreform: Die FAZ (Michaela Wiegel) bringt nun einen ausführlicheren Beitrag zu den Wahlrechtsreformplänen der französischen Regierung, im Zuge derer die Sitze des Parlaments bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2022 um 30% reduziert werden sowie 15% der Abgeordneten nunmehr über das Verhältniswahlrecht gewählt werden sollen.

Polen/EU – Justizreform: Vor dem Hintergrund der umstrittenen Justizreform in Polen betont der polnische Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) in zwei Beiträgen, Part I und Part II, die Wichtigkeit eines gemeinsamen europäischen Konsenses über die Rechtsstaatlichkeit. Unter Bezugnahme auf John Rawls Theorie des "overlapping consensus" legt er dar, dass die europäische Gemeinschaft auf stetigen Verhandlungen, nie endender Anpassung und gemeinsamem Lernen basiert. Ihre Grundidentität aber, in Form eines klaren, nicht verhandelbaren Minimums von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Gewaltenteilung und der Einhaltung von Menschenrechten, müsse konsequent verteidigt werden. Wenn es um fundamentale Werte gehe, sei für Verhandlungen kein Raum.

Sonstiges

Amri-Untersuchungsausschuss: Zwischen der Berliner Justizbehörde und dem CDU-Vorsitzenden des Amri-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, ist ein Konflikt über Ermittlungsakten entbrannt. Diese seien dem Ermittlungsausschuss zur Verfügung gestellt und anschließend verändert zurückgegeben worden, wodurch möglicherweise der Beweiswert gemindert sei. Die Berliner Parlamentsverwaltung räumte gegenüber lto.de (Hasso Suliak) den teilweise unsachgemäßen Umgang mit den Akten ein.

Wortmarke "Black Friday": Wie lto.de (Maximilian Amos) berichtet, ist die Wortmarke "Black Friday" vom Deutschen Patent- und Markenamt aufgrund mangelnder Unterscheidungskraft i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 Markengesetz gelöscht worden. Die Super Union Holdings Ltd mit Sitz in Hong Kong hatte zuvor unter Berufung auf ihre Markenrechte mehrere Unternehmen abgemahnt, die mit "Black-Friday"-Rabatten geworben hatten. Sie will die noch nicht rechtskräftige Entscheidung nun anfechten.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/lmr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. April 2018: Puigdemont gegen Auflagen frei / Lula da Silva soll ins Gefängnis / EGMR zu Hakenkreuz-Posts . In: Legal Tribune Online, 06.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27903/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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