Die juristische Presseschau vom 27. März 2018: Aus­lie­fe­rung von Puig­de­mont? / Poli­zei­be­fug­nisse versus Grund­rechte / Wetzlar gegen NPD

27.03.2018

Carles Puigdemonts Zukunft in der Hand der deutschen Strafjustiz – wird er ausgeliefert? Außerdem in der Presseschau: Ausufernde Polizeibefugnisse gefährden Grundrechte und Wetzlar verweigert NPD-Veranstaltung trotz Anordnung des BVerfG.

Thema des Tages

Spanien/Deutschland – Verhaftung von Puigdemont: Nach der Verhaftung von Carles Puigdemont hat das Amtsgericht Neumünster entschieden, ihn weiter festzuhalten. Nun prüft zunächst die schleswig-holsteinische Generalstaatsanwaltschaft, ob der ehemalige katalanische Regionalpräsident auszuliefern ist und beantragt je nach Ergebnis einen Auslieferungshaftbefehl beim Oberlandesgericht in Schleswig – wobei mit der Entscheidung in dieser Woche nicht mehr zu rechnen sei. Im Zentrum der Prüfung stehe wegen des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit die Frage, ob das deutsche Strafrecht eine Entsprechung für den spanischen Straftatbestand der Rebellion kennt und eine etwaige Auslieferung auch darauf gestützt wird – passen könnte der Hochverrat. Eine Auslieferung wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder sei jedenfalls wahrscheinlich. Sollte Puigdemont nicht wegen Rebellion überstellt werden, dürfe die spanische Justiz wegen dieses Tatvorwurfs auch nicht gegen ihn prozessieren. Politisch ist die Festnahme umstritten. Es berichten FAZ (Eckart Lohse/Helene Bubrowski u.a.), SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), Tsp (Jost Müller-Neufhof/Ralph Schulze), Die Welt (Thorsten Jungholt/Ute Müller) und lto.de (Hasso Suliak). tagesschau.de (Christoph Kehlbach) beantwortet die wichtigsten juristischen Fragen rund um die Festnahme. Im Interview mit spiegel.de erklärt der Strafrechtler Martin Heger, warum Carles Puigdemont nach Spanien ausgeliefert werden müsse. focus.de (Joseph Hausner) erwägt vier mögliche Szenarien, wie es im Fall Puigdemont weitergehen könnte.

Heribert Prantl (SZ) fordert, Deutschland müsse "bei aller gebotenen Loyalität zum EU-Mitgliedstaat" hier von der Ausnahme des europäischen Haftbefehls Gebrauch machen und die Auslieferung Puigdemonts verweigern, weil Spanien ihn politisch verfolge. Heike Anger (Hbl) kritisiert, Deutschland habe sich von Spanien in einen politischen Konflikt hineinziehen lassen. Die Staaten, in denen Puigdemont zuvor unterwegs war, hätten mit ihrer Untätigkeit zwar nicht "der reinen Lehre der Legalität" gedient, wohl aber politisch klug gehandelt. 

blog.delegibus.com (Oliver García) erörtert den Fall Puigdemont und die rechtlichen Fragen darum ausführlich – insbesondere, warum die Vorwürfe des spanischen Richters Llarena nicht unter den Tatbestand des Hochverrats fallen. Klaus Hillenbrand (taz) erinnert die Politiker, die die Bundesregierung dazu aufforderten, Puigdemont frei zu lassen, daran, dass in Deutschland die Gewaltenteilung gelte und die Frage der Auslieferung bei der Justiz liege. zeit.de (Lisa Caspari) beleuchtet auch die politische Perspektive des Falls.

Rechtspolitik

Polizeigesetze: Die taz (Sarah Ulrich) spricht mit dem Kriminologen Tobias Singelnstein darüber, dass die Ausweitung der polizeilichen Befugnisse in verschiedenen Bundesländern präventive Interventionen begünstige, welche erhebliche Grundrechtseingriffe nach sich ziehen können. Das Sicherheitsversprechen der Politik sehe er daher kritisch und prognostiziert, dass einige Polizeigesetze vor dem Bundesverfassungsgericht landeten.

§ 219a StGB: Hanna Voß (taz) hält nicht viel von der "Kompromissbereitschaft" des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), die er gegenüber der SZ vom gestrigen Montag erklärt hatte. Voß erkennt es nicht als Kompromiss an, dass Spahn mit Ärzten und Schwangerschaftsberatungsstellen sprechen will – er schraube lediglich an seiner Sprache. Das Problem, § 219a Strafgesetzbuch, bleibe allerdings.

Reform der Riester-Rente: Wie eine standardisierte Riester-Rente aussehen könnte, erörtern der Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht Axel Börsch-Supan, Zivilrechtsprofessor Markus Roth und der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung Gert Wagner für die FAZ. Sie ziehen dazu die schwedischen und britischen Modelle heran und begutachten diese insbesondere mit Blick auf Kapitaldeckung, Abwicklung und Freiwilligkeit.

Interview mit Jürgen Martens: Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion hat im Gespräch mit lto.de (Hasso Suliak) seine Einschätzung zum Facebook-Skandal, zum Datenschutz im Koalitionsvertrag, zur Digitalisierung in der Justiz, zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, zur Musterfeststellungsklage und zur FDP als Bürgerrechtspartei geteilt.

Wettbewerb der sozialen Netzwerke: Anlässlich des Facebook-Skandals setzt sich Britta Weddeling (Hbl) damit auseinander, wie der Marktmacht des sozialen Netzwerks Einhalt geboten werden könne. Mehr Regeln für den Markthalter schafften dies nicht. Stattdessen, meint Weddeling, brauche es hier mehr Wettbewerb – so sollten Technologiefirmen etwa ab einer gewissen Größe Daten mit kleineren Rivalen teilen müssen.

Justiz

BVerfG zu NPD-Veranstaltung in Wetzlar: Am vergangenen Samstag hatte das Bundesverfassungsgericht in einer einstweiligen Anordnung die Stadt Wetzlar dazu bestimmt, der NPD die Stadthalle für eine Wahlkampfveranstaltung zu vermieten. Nachdem sich Wetzlar weigerte, dieser Anordnung nachzukommen – unter Verweis auf nicht erfüllte Auflagen, hat das BVerfG nun die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde dazu aufgefordert, aufsichtsrechtlich einzuschreiten und das Gericht darüber zu informieren, schreibt lto.de (Tanja Podolski).

LG Stuttgart*  Osmanen Germania: Aufgrund einer Bedrohungslage begann der Prozess gegen acht ehemalige Mitglieder der türkisch-nationalistischen Gang "Osmanen Germania BC" vor dem Landgericht Stuttgart unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem versuchten Mord, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vor. Besonders hervorsteche der Vorwurf der Folter an Ex-Mitglied Celal S. Die FAZ (Rüdiger Soldt) bringt Auszüge der vorgeworfenen Taten und erklärt den politischen Hintergrund des Vereins. Auch die SZ (Anna Fischhaber/Oliver Klasen) berichtet.

LG Stade – Auto in Menschengruppe: Vor dem Landgericht Stade hat der Prozess gegen einen 29-Jährigen wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung begonnen. Nach den bisherigen Zeugenaussagen soll der Angeklagte nach einem Diskobesuch im November mit rund 50 Stundenkilometern auf eine Personengruppe zugesteuert sein und einige von ihnen schwer verletzt haben, so spiegel.de.

BGH zu Kudamm-Rasern: Jost Müller-Neuhof (Tsp) sieht es als Zeichen, dass der Bundesgerichtshof das Urteil des Berliner Landgerichts zu den Kudamm-Rasern derart dekonstruiert habe. Nach den nun veröffentlichten schriftlichen Gründen seien die Feststellungen des Landgerichts "falsch, widersprüchlich und vor allem voller laienpsychologischer Schablonen" gewesen. Müller-Neuhof ärgert sich darüber, dass das LG mit seinem Urteil den Eindruck verstärkt habe, die Justiz hätte keine Handhabe in solchen Fällen. Dass dies nicht stimme, zeige das Urteil im Kölner Raserfall. 

BAW – Yamen A.: Die SZ (Lena Kampf/Georg Mascolo) berichtet anlässlich des Falls Yamen A., der wegen eines geplanten Sprengstoffanschlags vor dem Oberlandesgericht Hamburg angeklagt ist, welche Rolle der Onlineversandhändler Amazon beim Bau von Sprengsätzen spielt. Wie die Zeitung schreibt, sei es insbesondere wegen der Kaufempfehlungen einfach für Bombenbastler über Amazon die nötigen Bauteile und Chemikalien zu kaufen.

Recht in der Welt

Neuseeland – Kim Dotcom: Das neuseeländische Menschenrechtsgericht hat Neuseeland dazu verurteilt, Kim Dotcom Schadensersatz in Höhe von umgerechnet knapp 53.000 Euro zu zahlen. Die Regierung habe gegen das Datenschutzgesetz verstoßen, indem sie ein Auskunftsersuchen des umstrittenen Internetunternehmers zu den über ihn erhobenen Daten abgelehnt habe, meldet spiegel.de.

Sonstiges

Facebook: Justizministerin Katarina Barley (SPD) hat mit dem europäischen Cheflobbyist von Facebook Richard Allan bezüglich der Datenleaks gesprochen. Facebook wolle "wohlwollend prüfen" ob es seinen Algorithmus offenlegt. Betroffene in Deutschland sollen über den Missbrauch ihrer Daten informiert werden. Tabea Rößner, Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, kritisiert die Einladung als "Show-Termin". Manuel Höferlin (FDP) begrüßt das Gespräch. Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) schreibt, bringe die kommende Datenschutzgrundverordnung eine neue Handhabe, indem die hier betroffene Datenschutzbehörde dann die für Facebook zuständige irische Behörde zum Tätigwerden bewegen könne.

Zeit-Kolumne von Thomas Fischer: Die Zeit trennt sich nach einer Kontroverse über die Berichterstattung im Fall Dieter Wedel auf meedia.de vom ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer als Kolumnisten, meldet die FAZ (Marlene Grunert).

Handelskriege: "Was Sie schon immer über Handelskriege wissen wollten" erklärt der Völkerrechtler Markus Krajewski im Interview mit der taz (Hannes Koch). Er spricht über den Handelskonflikt zwischen EU und USA, Nachteile von Importsteuern, Protektionismus in der EU, Freihandelsabkommen und Kritik an diesen.

Polizeiliche Rückführbegleitung: In der Welt (Carla Baum) schildert eine Bundespolizistin ausführlich ihre Erfahrungen als polizeiliche Begleitperson auf Abschiebeflügen – eine "absolute Extremsituation".

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/vb

(Hinweis für Journalisten)

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*Korrektur am 27.03.2018, 12.15 Uhr: In einer früheren Version hieß es, der Prozess finde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart statt. Tatsächlich ist es das Landgericht.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. März 2018: Auslieferung von Puigdemont? / Polizeibefugnisse versus Grundrechte / Wetzlar gegen NPD . In: Legal Tribune Online, 27.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27737/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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