Die juristische Presseschau vom 16. März 2018: Gesetz­li­cher Zins auf dem Prüf­stand / Achil­les­ferse ZPO? / Diesel-Fahrer gewinnt gegen VW

16.03.2018

Das BVerfG nimmt den gesetzlichen Zins genau unter die Lupe. Außerdem in der Presseschau: Eine auslaufende ZPO-Regelung bedroht den BGH, VW-Käufer bekommt statt "Dieselskandalwagen" einen Neuwagen und Strafrecht als politisches Instrument.

Thema des Tages

BVerfG – gesetzlicher Zins: Das Bundesverfassungsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung des gesetzlichen Zinses Stellungnahmen eingeholt – etwa vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) wertet dies als "wohl unerwarteten Hoffnungsschimmer". Das Vorgehen lasse es unwahrscheinlich erscheinen, dass das BVerfG die Regelung von vornherein für verfassungskonform erachte. Der gesetzliche Zins von sechs Prozent besteht seit 1961 trotz anhaltender niedriger Zinsen am Markt, was einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Gebot der Verhältnismäßigkeit bedeuten könnte. Der Beitrag schildert auch, welche Folgen es für Steuerzahler hätte, kippte Karlsruhe die gesetzliche Zinsregelung. Im vorliegenden Fall klagen Unternehmen gegen zwei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster. Dieses hatte die hohen gesetzlichen Zinsen auf Steuernachzahlungen als rechtmäßig angesehen.

"Sechs Prozent Rendite, das ist ein Phantasiezins.", konstatiert Hendrik Wieduwilt (FAZ) in einem separaten Kommentar. Die Tatsache, dass der Fiskus seit Jahren von der Regelung profitiere, spreche für deren Verfassungswidrigkeit. Wieduwilt hält es für "politisch richtig" die Zinsen zu kürzen: Ein starrer Wert vereinfachte die Verwaltung, ein dynamischer schüfe mehr Gerechtigkeit.

Rechtspolitik

Schwarzfahren: "Soll Schwarzfahren keine Straftat mehr sein?" swr.de (Bernd Wolf/Peggy Fiebig u.a.) beleuchtet ausführlich die Strafbarkeit der Beförderungserschleichung aus Sicht von Juristen und Politikern, aber auch aus Sicht der Betroffenen: der Justiz, der Schwarzfahrer, der zahlenden Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel, der Justizvollzugsanstalten und der Verkehrsbetriebe.

§ 219a StGB: Wie die FAZ meldet, besteht die Unionsfraktion darauf, dass die SPD-Fraktion keinen Gesetzentwurf zum § 219a StGB zur Abstimmung stellt. Stattdessen solle sie abwarten, welche Lösung die Bundesregierung vorschlage – so laute eine Vereinbarung der Fraktionen.

Insolvenzrecht: Gefährden die Pläne der Koalition zum Insolvenzrecht Unternehmen und Gläubiger? Dies sieht zumindest der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht des Deutschen Anwaltvereins, Jörg Weitzmann, so. Die "Aufweichung des Überschuldungstatbestands" ermögliche den Unternehmen die Insolvenz hinauszuschieben und den Schaden zu vergrößern. Zudem erkennt er Fallstricke, die die Digitalisierung in Sachen Insolvenzverfahren berge, schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt).

Betreuungsanteile der Eltern nach Trennung: Die FDP setzt sich dafür ein, dass das sogenannte Wechselmodell nach der Trennung der Eltern zum Regelfall wird; demzufolge wachsen die Kinder zu etwa gleichen Anteilen bei ihren Elternteilen auf. Die Linke will gerichtlichen Zwang in diesen Fragen reduzieren und stattdessen Beratung und Mediation für die Eltern fördern, um freiwillige Entscheidungen zu ermöglichen. deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig) beleuchtet die Vorbringen mit Blick auf Kindeswohl und Realisierungschancen.

Justiz

BGH und Nichtzulassungsbeschwerde: Im kommenden Juni läuft die Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen Revisionen in Zivilverfahren aus. Bisher ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der mit der Revision geltend zu machende Streitwert über 20.000 Euro liegt. Die Präsidentin des Bundesgerichtshof Bettina Limperg mahnt, wenn die Regelung nicht verlängert werde, könne "sich der BGH verabschieden", meldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).

LG Hamburg zu VW-Skandal: Das Landgericht Hamburg hat Volkswagen Hamburg dazu verurteilt, einen Dieselwagen mit gefälschten Abgaswerten gegen einen Neuwagen einzutauschen. Der Käufer habe davon ausgehen dürfen, dass das Fahrzeug die Abgaswerte einhalte. Eine Nachrüstung sei ihm unzumutbar, weil dadurch ein vorzeitiger Verschleiß möglich wäre. Der Anwalt des Klägers spricht von einem "Non-Plus-Ultra-Urteil", wie ndr.de meldet. 

BGH - Gruppe Freital: Sechs der acht Verurteilten aus der rechtsextremen Gruppe Freital haben Revision gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden eingelegt, meldet zeit.de. Sie hatten unter anderem wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung Freiheitsstrafen zwischen fünf und zehn Jahren erhalten.

Ermittlungen gegen Terrorverdächtige: Jörg-Peter Becker, Vorsitzender des
Staatsschutzsenats am Bundesgerichtshof, warnt die Bundesanwaltschaft (BAW) davor, weitere Ermittlungen gegen islamistische Terrorverdächtige an die Generalstaatsanwaltschaften der Länder abzugeben. Viele seien den Staatsschutz-Strafsachen fachlich nicht gewappnet, was zu Fehlern führe. Becker fordert daher, entweder die Kompetenz der StA in den Ländern zu stärken oder eine bessere Vorbereitung der Verfahren durch die BAW, meldet die SZ (Wolfgang Janisch)

LG Rottweil – Dreifachmord: Am heutigen Freitag beginnt vor dem Landgericht Rottweil der Mordprozess gegen Drazen D. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass er vor den Augen seiner ehemaligen Lebensgefährtin den gemeinsamen Sohn, ihren neuen Partner sowie dessen Cousine erschoss. Seine Ex-Partnerin soll er mit dieser Erfahrung absichtlich am Leben gelassen haben, um sie für die Trennung zu bestrafen. Wie spiegel.de (Julia Jüttner) schreibt, wolle D. sich im Laufe der Verhandlungen zum Tatvorwurf äußern.

OLG München zu McFadden: Das Oberlandesgericht München hat die Entscheidung des Landgerichts München I in Sachen McFadden bestätigt. Weil sich der Fall des Piratenpolitikers vor der Reform der Störerhaftung am 12. Oktober 2017 ereignete, müsse er noch für Urheberrechtsverletzungen über sein WLAN haften, meldet spiegel.de. McFadden muss 800 Euro an den Musikkonzern Sony bezahlen.

Abschiebekritik des VG Düsseldorf: Nach der Kritik des Düsseldorfer Verwaltungsgerichtspräsidenten Andreas Heusch sowie der Vizepräsidentin Gabriele Verstegen an mangelnden Abschiebungen, erläutert lto.de (Tanja Podolski) ausführlich den Entscheidungsverlauf vom Asylantrag bis hin zur Abschiebung. Andere Verwaltungsrichter mahnten politische Zurückhaltung an. Der Beitrag schließt damit, dass es gar nicht so viel abzuschieben gebe, wie suggeriert werde.

LG Bremen zu Niels Stolberg: Der ehemalige Reeder Niels Stolberg muss wegen der Fälschung seiner Bilanzen und wegen Kreditbetrugs eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten antreten. Das Gericht nahm zwar seine Kooperation strafmildernd zur Kenntnis, dies habe allerdings nicht für eine Bewährungsstrafe gereicht, so die SZ (Angelika Slavik). Der Beitrag zeichnet Aufstieg und Fall des "Popstars der Reeder" nach. Auch die FAZ (Christian Müßgens) berichtet über den Fall.

StA Köln – Stadtarchiv: Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Rahmen der Ermittlungen zum eingestürzten Kölner Stadtarchiv einen weiteren ranghohen Mitarbeiter eines Bauunternehmens wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung angeklagt. Er habe von Problemen bei den Bauarbeiten für eine neue U-Bahn-Haltestelle gewusst. Fehler bei diesen Bauarbeiten haben, nach Ansicht der StA, zum Einsturz des Stadtarchivs geführt, meldet die FAZ (Reiner Burger).

Recht in der Welt

EuG zu Mafia als Marke: Die spanische Restaurantkette "La Mafia se sienta a la mesa" (Die Mafia setzt sich an den Tisch) darf sich ihren Leitspruch nicht als Marke schützen lassen, so das Europäische Gericht. Die Eintragung der Marke würde die Taten der Mafia verharmlosen, welche weltweit als kriminelle Organisation gesehen werde. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) analysiert die Urteilsgründe, die sich "wie eine späte Abrechnung mit der 150-jährigen Geschichte krimineller Clans nach sizilianischem Vorbild" läsen.   

Philippinen – Rückzug aus IStGH: "Bye bye, ICC! The Philippines’ farewell put into perspective" – Rechtsdozent Lasse Schuldt analysiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) den Kontext von Präsident Dutertes Ankündigung, die Philippinen werden sich aus dem Internationalen Strafgerichtshof zurückziehen.

EU/Türkei – Flüchtlingsdeal: Ozan Demircan (Hbl) begrüßt es, dass die EU den Flüchtlingsdeal mit der Türkei um zwei Jahre verlängern will. Er hält dies für eine geeignete Maßnahme, um Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten. Diese Flüchtlingspolitik halte zudem die AfD klein. Demircan spricht sich dafür aus, entsprechende weitere Pakte mit nordafrikanischen Staaten zu schließen und das Asylverfahren zu beschleunigen. 

Japan – Urteil wegen Fukushima: Die japanische Regierung und der Betreiberkonzern Tepco müssen wegen der Atom-Katastrophe in Fukushima an 110 Betroffene insgesamt 835.000 Euro Entschädigung zahlen. Ein Gericht in Kyoto hat ihre Mitschuld festgestellt. Die Regierung hätte das Tsunamirisiko erkennen und Tepco zu Schutzmaßnahmen anhalten können. Die Kläger kündigten an, das Urteil anzufechten – sie hatten einen acht Mal höheren Betrag gefordert, meldet zeit.de.

Sonstiges

Strafanzeigen als politisches Mittel: In verschiedenen Situationen haben AfD-Politiker Bundeskanzlerin Merkel (CDU) mit dem Vorwurf diffamiert, sie leiste Beihilfe zur Vergewaltigung in über tausend Fällen und schleuse illegalerweise Flüchtlinge nach Deutschland. Jan Morawitz-Bardenheuer erklärt auf juwiss.de, dass das Strafrecht dem Mythos der "Schleuser-Merkel" aufgrund des umfassenden Schutzes der Meinungsfreiheit insbesondere im politischen Diskurs nur schwerlich beikommen könne. Er spricht sich dafür aus, bei systematischen ehrverletzenden Aussagen dem Rechtsgut der Ehre Vorrang zu gewähren.

Generisches Maskulinum in Arbeitsverträgen: Arbeitnehmerinnen hätten keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber in ihrem Arbeitsvertrag die weibliche Form verwendet, konstatiert Markus Stoffels (community.beck.de). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum generischen Maskulinum in Bankformularen sei hier übertragbar. Er empfiehlt dennoch die geschlechtsspezifische Bezeichnung. Es stünden hier keine "unüberwindbaren Hindernisse" entgegen.

Das Letzte zum Schluss

Aprilscherze auf der Arbeit: Kresse in der Tastatur. Skurrile Bekleidungsvorschriften im Namen der Personalabteilung. Bald kommt der 1. April – eine willkommene Möglichkeit, Kollegen zu foppen. Oder? roland-rechtsschutz.de (Anne) warnt Scherzkekse in spe davor, dass das Arbeits- und Strafrecht manche Streiche so gar nicht witzig finden.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/vb

(Hinweis für Journalisten)   

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. März 2018: Gesetzlicher Zins auf dem Prüfstand / Achillesferse ZPO? / Diesel-Fahrer gewinnt gegen VW . In: Legal Tribune Online, 16.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27569/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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