Die juristische Presseschau vom 23. Februar 2018: Fahr­verbot-Urteil ver­schoben / Fischer fer­tigt Plas­berg ab / Tier­schützer frei­ge­spro­chen

23.02.2018

Das Bundesverwaltungsgericht berät noch bis Dienstag über Fahrverbote. Außerdem in der Presseschau: Tierschützer durften Hausfrieden brechen, Thomas Fischer rügt Irrtümer bei "Hart aber fair" und Hells Angels klagen gegen Vereinsgesetz.

Thema des Tages

BVerwG – Fahrverbote: Dürfen Fahrverbote als Maßnahme gegen die Schadstoffbelastung ohne spezielle gesetzliche Grundlage erlassen werden? Diese Frage bleibt voraussichtlich nun doch noch bis zum 27. Februar offen; das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil gestern nach rund vierstündiger Verhandlung verschoben. Die Thematik sei zu komplex für ein schnelles Urteil, so der Vorsitzende Andreas Korbmacher. Der Ausgang des Verfahrens bleibe offen. Der Fokus der Verhandlung habe auf der Verhältnismäßigkeit pauschaler Fahrverbote gelegen und auf der Frage, ob das EU-Recht Fahrverbote für Dieselfahrzeuge fordert, auch wenn das deutsche Recht sie nicht vorschreibt. Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit könnten das Gericht zu einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bewegen. FAZ (Hendrik Wieduwilt), SZ (Markus Balser/Michael Bauchmüller), Tsp (Jost Müller-Neufhof), taz (Christian Rath) und tagesschau.de (Frank Bräutigam) schreiben auch über die diskutierten Rechts- und Umsetzungsfragen zum Fahrverbot.

"Dass sich höchste deutsche Gerichte überhaupt mit diesem Fall befassen müssen, ist Ergebnis eines politischen Versagens, über das leider in Leipzig gerade nicht verhandelt wurde", moniert Michael Bauchmüller (SZ). Die "Hausaufgabe" der neuen Koalition sei klar: Schrittweise die Diesel-Fahrzeuge aus dem Verkehr ziehen, Fahrverbote für die gesamte Bundesrepublik regeln und ein Wirrwarr an Regelungen verhindern.

Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) bringt ein kurzes Porträt über den Vorsitzenden Richter Andreas Korbmacher und skizziert dessen Arbeit. Die taz (Richard Rother) stellt ausführlich die Möglichkeit dar, ein Fahrverbot für Diesel mittels blauer Plaketten umzusetzen.

Rechtspolitik

Legalisierung von Cannabis: Die Grünen sprechen sich in einem Gesetzentwurf, den sie am gestrigen Donnerstagabend einbringen wollten, dafür aus, Cannabis als verbotenes Betäubungsmittel zu streichen und den Verkauf staatlich zu regulieren. Die FDP und die Linke wollen Modellprojekte für den freien Konsum von Cannabis, meldet die FAZ (kbb.).

AfD gegen Vollverschleierung: Die AfD hat im Bundestag einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung dazu bewegen soll, einen Gesetzentwurf gegen die Vollverschleierung im öffentlichen Raum vorzulegen. spiegel.de (Eva Bräth/Mara Kübber) bringt in Frage-Antwort-Form die wichtigsten Informationen zur Vollverschleierung, zur Rechtslage in Deutschland und in anderen EU-Staaten.

Justiz

OLG Naumburg zu Tierschutzaktivisten: Tierschützer dürfen in Zuchtbetriebe eindringen, um dortige Missstände zu dokumentieren. Das Oberlandesgericht Naumburg bestätigte im Revisionsverfahren nun den Freispruch vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs und begründete dies mit dem rechtfertigenden Notstand: Die Behörden wären ohne die Filmaufnahmen der Tierschützer untätig geblieben. zeit.de bringt eine Meldung.

Verfassungsbeschwerde der Hells Angels: Die Hells Angels Stuttgart wollen gegen das im März 2017 verschärfte Verbot von Vereinskennzeichen vorgehen. lto.de (Markus Sehl) interviewt ihren Prozessvertreter Sönke Gerhold, Strafrechtsprofessor an der Universität Bremen, ausführlich darüber, warum er das Verbot für verfassungswidrig erachtet und über die Organisationsstrukturen der Hells Angels.

BVerwG zu Einbürgerungsvoraussetzungen: Neben geringfügigen Straftaten, die das Gericht lediglich mit Geldstrafe ahndete, dürfen bei der Einbürgerung auch Maßnahmen der Besserung und Sicherung nicht berücksichtigt werden, betont das Bundesverwaltungsgericht. Bayern wollte einem Brasilianer die deutsche Staatsbürgerschaft verweigern, weil dieser bei einer Trunkenheitsfahrt nicht nur 30 Tagessätze erhielt, sondern auch zeitweise den Führerschein abgeben musste, meldet die FAZ (Constantin van Lijnden).

AG/LG Freiburg/OLG Karlsruhe – Kindesmissbrauch: Das Landgericht Freiburg reagierte erst nach fünf Monaten auf die Hinweise der Bewährungshelferin im Kindesmissbrauchsfall in Staufen. Das Opfer hätte also bereits früher Schutz erhalten können, erklärt das baden-württembergische Sozialministerium auf eine parlamentarische Anfrage der SPD hin. Die Antwort liegt der FAZ (Rüdiger Soldt) vor. Auch sei fraglich, ob das Jugendamt womöglich seine Beobachtungspflicht verletzt habe.

BGH – Urheberrecht bei Youtube: Der Bundesgerichtshof wird am 9. Mai darüber urteilen, ob Youtube für unberechtigt hochgeladene Inhalte seiner Nutzer haftet. Der Hamburger Musikproduzent Frank Peterson hatte den Plattformbetreiber sowie die Google Inc., als Alleingesellschafterin, verklagt. Urheberrechtsanwalt Marcus Nothhelfer schildert auf lto.de die vorinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg, das eine Verantwortung von Youtube annahm, wenn die Plattform über konkrete Rechtsverletzungen informiert werde.

LG Deggendorf zu Kindesmissbrauch: Das Landgericht Deggendorf hat einen ehemaligen Priester wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs, Körperverletzung, Urkundenfälschung und Besitz jugendpornografischen Materials zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er werde zunächst psychiatrisch untergebracht – eine etwaige Sicherungsverwahrung sei von seinem Therapieverlauf abhängig, so die Meldung auf spiegel.de.

LG Düsseldorf – Wehrhahn-Anschlag: Ein ehemaliger Mithäftling des Angeklagten Ralf S. hat ausgesagt, dieser habe ihm anvertraut, den Anschlag begangen zu haben. S. habe ihm geschildert, dass er die Bombe gebaut und zur Explosion gebracht habe. Der Zeuge hatte dies auch 2014 bei der Polizei gemeldet, nachdem S. mit der Tat vor ihm geprahlt habe, schreiben die SZ (Joachim Käppner) und die FAZ (Reiner Burger).

OLG Düsseldorf – jugendliche Islamisten: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat der Prozess gegen Kevin T. und Amal E. begonnen. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wirft ihnen Mitgliedschaft im sogenannten Islamischen Staat vor. T. soll mit dem in Österreich inhaftierten Lorenz K. einen Anschlag auf die US-amerikanische Militärbasis in Ramstein vorbereitet haben. Wie die FAZ (Reiner Burger) schreibt, werde das Verfahren wegen des jungen Alters der Angeklagten nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlaufen.

StA München II – Abgasskandal: Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt nun auch gegen zwei ehemalige Vorstände von Audi in Ingolstadt, die von den Manipulationen gewusst haben sollen. Am gestrigen Donnerstag wurden die Wohnungen von Ulrich Hackenberg und Stefan Knirsch durchsucht, schreibt die SZ (Klaus Ott).

Nachdem sich erst die vierte Razzia gegen Vorstände richte, betont Heribert Prantl (SZ), es sei "Zeit für ein zupackendes Strafrecht", denn es widerspreche der allgemeinen und der speziellen Lebenserfahrung, dass die Vorstände nichts von den Abgasmanipulationen gewusst haben sollen. Prantl hofft, der Zugriff komme nun nicht zu spät.

LG Detmold – Doppelmord: Thomas T. hat beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Detmold gestanden, seine Nachbarin und deren Kind getötet zu haben. Laut Anklage soll er versucht haben, die Frau zu vergewaltigen, und habe sie getötet, weil sie Widerstand leistete. Ihren Sohn habe er erstochen, weil dieser den Angeklagten beim Verstecken der Leiche überrascht haben soll. Die psychiatrische Sachverständige wird am kommenden Donnerstag ihr Gutachten vorlegen, spreche aber bereits von einer "relevanten intellektuellen Minderbegabung", so spiegel.de.

Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und freiem Mitarbeiter: Der Arbeitsrechtsanwalt Jannis Kamann erläutert in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt-Rechtsboard, wie das Bundesarbeitsgericht zwischen Arbeitnehmer und freiem Mitarbeiter differenziert.

Recht in der Welt

Polen – unabhängige Justiz: Die SZ (Florian Hassel) schildert ausführlich Fälle von polnischen Richtern, die aufgrund ihrer regierungskritischen Einstellung und ihrem Engagement für eine unabhängige Justiz entlassen worden sein sollen.

EuGH/Spanien – Schwangere kündigen: Bei Massenkündigungen dürfen auch Schwangere entlassen werden. Der Europäische Gerichtshof sieht eine entsprechende nationale Regelung Spaniens als europarechtskonform an. Der Arbeitgeber müsse den entlassenen Schwangeren die rechtfertigenden Gründe und die sachlichen Kriterien mitteilen, die zu ihrer Kündigung führten. Die FAZ (Marcus Jung) skizziert die Entscheidung.

Polen – Holocaustgesetz: zeit.de (Shimon Stein/Moshe Zimmermann) erläutert ausführlich, warum das polnische Holocaustgesetz, das die Bezeichnung "polnische Todeslager" verbietet, schädlich sei, wenn es darum gehe, über die Geschichte und die Fakten der Shoah aufzuklären.

Sonstiges

Fischer über "Hart aber fair": "Justiz – überlastet, überfordert, zu lasch?" hieß das "Hart aber fair"-Thema von vergangenem Montag, das mutmaßliche Fehler der Justiz in verschiedenen Strafverfahren anprangerte. Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer nimmt auf meedia.de die Sendung auseinander: "Strafrecht, Prävention, Rechtspolitik sind wichtig und für die meisten BürgerInnen hochinteressant. Man kann mit ihnen differenziert, intelligent und angemessen darüber sprechen, auch ohne kriminologisches Seminar. Plasbergs Format hat diese Aufgabe in jeder Hinsicht verfehlt." Stattdessen attestiert Fischer Moderator Frank Plasberg eine "Konversation am Rande des Wahnsinns".

Deutsche Verfassungsordnung: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) spricht mit Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz über Lücken im deutschen Recht, die die Pfeiler der deutschen Verfassungsordnung, etwa das Bundesverfassungsgericht, die ordentlichen Richter, die Staatsanwaltschaft und das Wahlrecht, gefährden könnten.

Deutscher Rechtsstaat: "Der Leviathan ist müde geworden. Stirbt er oder lässt er sich wecken, bevor der Rechtsstaat gänzlich aufgibt?" Die Welt (Ansgar Graw) erkennt Missstände im Rechtsstaat, die sich etwa in einer steigenden Kriminalitätsrate und in der überlasteten Strafjustiz und Polizei zeigten.

Interview mit Winfried Bausback: juwiss.de führt die Interviews im Rahmen der 58. Assistententagung Öffentliches Recht weiter. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Nico Schröter spricht mit dem Bayerischen Justizminister Winfried Bausback (CSU) über seine Ansichten zur richterlichen Unabhängigkeit, Interdisziplinarität in den Rechtswissenschaften und der rechtswissenschaftlichen Ausbildung, den Einfluss der EU bei Mitgliedstaaten auf dem Weg zur Autokratie und Kritik am Bundesverfassungsgericht.

Ersatzfreiheitsstrafe: zeit.de (Frida Thurm) berichtet über eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion zur Ersatzfreiheitsstrafe. Laut der Antwort der Bundesregierung entstünden dem Staat jährlich Kosten von über 200 Millionen Euro wegen der Inhaftierung von Menschen, die eine verhängte Geldstrafe nicht zahlten. Die Linke fordert mehr Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe, weil diese die sozialen Bindungen der Inhaftierten gefährde.

Amnesty-Jahresbericht: Der nun veröffentlichte Jahresbericht 2017 von Amnesty International thematisiert unter anderem die hasserfüllte Rhetorik führender Staatsleute, den politischen Umgang mit Geflüchteten, wirtschaftliche Beziehungen mit Autokraten und die Zunahme von Gewalt gegen Menschenrechtler, Journalisten, Gewerkschafter und Anwälte. zeit.de (Sybille Klormann) stellt ihn vor.

Das Letzte zum Schluss

Teure Notlüge: Was tun, wenn man sein Taschengeld mir nichts dir nichts verprasst hat und dies verheimlichen will? Klar, man gibt vor, ausgeraubt worden zu sein, lässt die Freundin die Polizei verständigen und die Beamten nach den mutmaßlichen Tätern suchen. Dass das keine sonderlich helle Idee ist, durfte ein 22-jähriger Freiburger nun feststellen: Zu dem verjubelten Geld kommen nun ein Strafverfahren wegen Vortäuschens einer Straftat und möglicherweise die Kosten des Einsatzes hinzu. Wo das Taschengeld, das ihm seine Partnerin ausgezahlt hatte, so schnell hin verschwunden ist, wollte der junge Mann allerdings nicht preisgeben, meldet spiegel.de.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/vb

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Februar 2018: Fahrverbot-Urteil verschoben / Fischer fertigt Plasberg ab / Tierschützer freigesprochen . In: Legal Tribune Online, 23.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27179/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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