Die juristische Presseschau vom 15. Februar 2018: Zukunft des Straf­rechts / Ver­ge­wal­ti­gung durch Anwalt / Lösung für Yücel?

15.02.2018

Rechtsprofessor Kubiciel skizziert die Entwicklung des Strafrechts in der Wahlperiode. Außerdem in der Presseschau: Landgericht München verurteilt Ex-Linklaters-Anwalt wegen Vergewaltigung, türkischer Ministerpräsident besucht Deutschland.

Thema des Tages

Strafrecht: Der Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel prognostiziert in der FAZ aus Anlaß der Regierungsbildung die weitere Entwicklung des deutschen Strafrechts. Es werde eine weitere Expansion des Strafrechts in bisher weitgehend selbstregulierte Bereiche wie den Sport geben. Es werde mehr sektorspezifische Normen geben, etwa den "Einbruch in Tierställe". Reflexives Strafrecht, das auf zivilrechtliche Vereinbarungen und Compliance-Regelungen Bezug nimmt, werde an Bedeutung gewinnen. Um das Strafrecht der kommenden Koalition zu analysieren, genüge nicht der Blick in den Koalitionsvertrag. Schließlich seien in der vorigen Wahlperiode die meisten der umgesetzen strafrechtlichen Projekte nicht im Koalitionsvertrag vereinbart worden, sondern aus konkreten politischen Debatten entstanden.

Rechtspolitik

Sharing Economy: Im Interview mit lto.de (Hasso Suliak) stellt die Rechtsprofessorin Caroline Meller-Hannich ihr Forschungsprojekt zum Verbraucherschutzniveau in der Sharing Economy vor. "Wir werden uns die Vertragsgestaltungen der einzelnen Anbieter anschauen und in dem Zusammenhang sicher auch deren AGB, vor allem unter dem Aspekt der Rechtsdurchsetzung, überprüfen." Regulierungsbedarf bestehe wohl vor allem bei der Rolle von Online-Plattformen. Ein allgemeines Sharing-Economy-Gesetz sei nicht erforderlich.

Suizidhilfe: Der emeritierte Rechtsprofessor Reinhard Merkel kritisiert in der FAZ das Gutachten von Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio zur Unzulässigkeit staatlicher Suizidhilfe. Wenn das Bundesverwaltungsgericht in Ausnahmefällen das Verbot lockere, Medikamente zur Suizidhilfe einzusetzen, verpflichtet es den Staat nicht generell zur Suizidhilfe, so Merkel. Der Begriff "medizinische Versorgung" in § 5 Betäubungsmittelgesetz könne im Ausnahmefall auch in einer Tötungshandlung bestehen.

Organspende: Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält die Neuregelung der Organspende in den Niederlanden für beispielhaft. Dort gelten künftig alle Bürger als Organspender, die nicht ausdrücklich widersprochen haben. Als Kompromiss könnte in Deutschland ein Vetorecht von Angehörigen vorgesehen werden.

Datenschutz und Öffentlichkeitsarbeit: Der Anwalt Jan Mönikes warnt auf telemedicus.info, dass es ab unmittelbarer Geltung der Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018 zu massiven Beeinträchtigungen von Öffentlichkeitsarbeit kommen werde. Da das Presseprivileg hier nicht gelte, müsse der Gesetzgeber ähnliche Ausnahmeregeln für die Öffentlichkeitsarbeit schaffen.

Verfassungsrichterwahl: Nun berichtet auch swr.de (Gigi Deppe) über die Diskussionen, die das den Grünen versprochene Vorschlagsrecht für einen zweiten Posten am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts auslöste.

Justiz

LG München I zu Vergewaltigung durch Anwalt: Das Landgericht München I hat einen ehemaligen Linklaters-Partner wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, berichtet lto.de. Er habe nach einer Oktoberfestfeier seiner Kanzlei eine studentische Mitarbeiterin zum Sex gezwungen. Im Prozess stand Aussage gegen Aussage, wobei das Gericht der Studentin glaubte.

FG Berlin-Brandenburg zu Mindestlohn: Kontrollen des Mindestlohns sind im Zusammenhang mit Transportdienstleistungen aus dem EU-Ausland unzulässig, entschied das Finanzgericht Berlin-Brandenburg laut FAZ in einem Eilverfahren. Transporteure aus dem EU-Ausland dürfen die Vorlage von Unterlagen verweigern, auch wenn die Finanzverwaltung vermutet, dass es zu Ladearbeiten in Deutschland gekommen ist.

LG München I zu Internetsperren: Das Landgericht München I hat auf Antrag einer Filmfirma eine einstweilige Verfügung gegen Vodafone erlassen. Danach muss der Zugang zu dem Streaming-Portal Kinox.to für Vodafon-Kabelkunden gesperrt werden, weil dort der Film "Fack Ju Göhte 3" illegal angeboten wird. spiegel.de (Angela Gruber/Patrick Beuth) beantwortet Fragen zu diesem Verfahren.

LG Hamburg  Ahmad A.: Im Fall des islamistischen Messerstechers Ahmad A. hat der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf sein Gutachten erstattet. A. habe einerseits von einem westlichen Lebensstil geträumt, andererseits immer wieder das Leben eines radikalen Islamisten gelebt. Als es ihm nicht gelungen sei, das erste Ziel zu verwirklichen, habe er zur Selbstwertstabilisierung einen Anschlag begangen. Leygraf hält ihn laut spiegel.de für schuldfähig. Das Urteil ist für den 1. März geplant.

LG Bremen  Niels Stolberg: Am Landgericht Bremen beginnt am heutigen Donnerstag das Plädoyer der Staatsanwaltschaft im Prozess gegen den ehemaligen Reeder Niels Stolberg. Diesem wird vorgeworfen, er habe Bilanzen gefälscht, Kreditbetrug und Untreue begangen, um in einer Krise sein Unternehmen zu retten. Die FAZ (Christian Müssgens) geht davon aus, dass Stolberg zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wird. Das Urteil soll am 15. März verkündet werden.

OLG Köln  Maike Kohl-Richter: Am heutigen Donnerstag wird das Oberlandesgericht Köln im Berufungsverfahren über die Frage verhandeln, ob Helmut Kohl von seinem Ghostwriter Heribert Schwan und dessen Verlag Schadensersatz verlangen kann, weil dieser absprachewidrig Zitate von Kohl für ein eigenes Buch verwendete. Das Landgericht Köln hatte Kohl im April 2017 eine Million Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die FAZ (Reiner Burger) geht jedoch unter Hinweis auf BGH-Rechtsprechung davon aus, dass der noch nicht rechtskräftige Anspruch nach Kohls Tod nicht auf Kohls Erbin Maike Kohl-Richter überging.

OLG Hamburg  Jan Böhmermann: Das Oberlandesgericht Hamburg wird am 27. Februar in der Berufung über das Schmähgedicht von Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verhandeln, meldet die FAZ. Das Landgericht Hamburg hatte im Februar 2017 weite Teile des Gedichtes untersagt.

Recht in der Welt

Türkei  politische Justiz: An diesem Donnerstag wird der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in Berlin mit Kanzlerin Angela Merkel zusammentreffen. Laut Welt (Daniel-Dylan Böhmer) antwortete er zuvor in einem Fernseh-Interview auf die Frage, wann der Deutsche Journalist Deniz Yücel freikomme: "Diese Entscheidung treffe nicht ich. Die Gerichte treffen diese Entscheidung. Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird. Ich bin der Meinung, dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird."

Die FAZ (Michael Martens) warnt, dass Yücel in der Türkei derzeit keinen fairen Prozess erwarten könne und verweist auf das konstruierte Verfahren gegen den liberalen Schriftsteller und Journalisten Ahmet Altan.

Israel  Netanjahu: Die israelische Polizei hat die Anklageerhebung gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu empfohlen. Hauptzeuge ist der Politiker Yair Lapid, der als Finanzminister ein Gesetz verhindert haben will, mit dem Netanjahu Steuererleichterungen für seine Gönner durchsetzen wollte, berichtet die SZ (Alexandra Föderl-Schmid).

Schweiz  Globalisierung und Verantwortung: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Elif Askin stellt auf verfassungsblog.de eine Volksinitiative vor, die demnächst in der Schweiz zur Abstimmung gestellt wird. Schweizer Unternehmen sollen verpflichtet werden, internationale Menschenrechte sowie internationale Umweltstandards auch bei unternehmerischen Tätigkeiten im Ausland zu respektieren und für dort begangene Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen vor schweizerischen Gerichten haften. Rechtlich umstritten sei, ob diese Pflicht auch auf ausländische Tochterunternehmen erstreckt werden kann.

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lto/chr

(Hinweis für Journalisten

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Februar 2018: Zukunft des Strafrechts / Vergewaltigung durch Anwalt / Lösung für Yücel? . In: Legal Tribune Online, 15.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27049/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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