Die juristische Presseschau vom 23. Januar 2018: Mehr Rechte für unver­hei­ra­tete Paare / Keine Rechts­beu­gung im Ausch­witz-Pro­zess / Gericht lädt Auba­meyang

23.01.2018

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen stärkt die Rechte unverheirateter Paare beim Arbeitslosengeldbezug. Außerdem in der Presseschau: Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen gegen Richter ab und Fußballstar muss vor Gericht erscheinen.

Thema des Tages

LSG Niedersachsen-Bremen zu unverheirateten Paaren: Wer seinen Job kündigt, um mit seinem unverheirateten Partner zusammenzuziehen, kann sofort einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Abweichung zur bisherigen Rechtsprechung entschieden, die einen "wichtigen Grund" für die Kündigung nur bei verheirateten Paaren annahm. Die Sperrzeit diene nicht der "Durchsetzung von gesellschaftspolitischen, religiösen oder moralischen Vorstellungen", so die Richter. Die SZ (Wolfgang Janisch) und die FAZ (Marcus Jung) schildern den Fall.

Rechtspolitik

GroKo-Verhandlungen: Der SPD-Parteitag hat beschlossen, dass im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit der Union vor allem in drei Punkten nachverhandelt werden müsse. Die Sachgründe für befristete Arbeitsverhältnisse sollen eingeschränkt werden, ein "Ende der Zweiklassenmedizin" durch eine "gerechtere Honorarordnung" eingeleitet und die Härtefallregelung für den Familiennachzug soll ausgeweitet werden. Die SZ (Henrike Roßbach u.a.), die FAZ (Dietrich Creutzburg u.a.) und die taz (Tobias Schulze) befassen sich mit den Forderungen und deren Durchsetzbarkeit.

Familiennachzug: Laut FAZ (Eckart Lohse) stellt die SPD zwei Bedingungen für eine Zustimmung zur verlängerten Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten. Erstens soll fest vereinbart werden, dass ab dem 31. Juli eine neue Lösung gilt, zweitens sollen Familien schon von März an Anträge im Hinblick auf die spätere Regelung stellen dürfen.

Upload-Filter: Die Europäische Kommission will Online-Plattformen verpflichten, sogenannte Upload-Filter zu verwenden, mit denen illegale Inhalte schon beim Hochladen unterdrückt werden sollen. Kritiker sehen darin eine Zensurmaschine und bemängeln, dass Programme nicht die Rechtmäßigkeit von Inhalten bestimmen könnten. Die SZ (Jannis Brühl) stellt die Diskussion dar.

Justiz

BVerfG zu beschlagnahmten Audi-Akten: Die Staatsanwaltschaft München II darf weiterhin nicht die bei der Anwaltskanzlei Jones Day beschlagnahmten Akten und Dateien im Hinblick auf die Verwicklung von Audi-Mitarbeitern in den VW-Abgasskandal auswerten. Das hat das Bundesverfassungsgericht verfügt. Die ursprüngliche einstweilige Anordnung wäre diese Woche abgelaufen und wurde um weitere sechs Monate verlängert, verliert jedoch ihre Gültigkeit mit einer Entscheidung in der Hauptsache, so die SZ (Klaus Ott).

OVG Koblenz zu Auswahlverfahren der Landesmedienanstalt: Die Wahl des Leiters der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Das hat das Oberverwaltungsgericht Koblenz entschieden und die Beschwerde der Landesmedienanstalt abgewiesen. Geklagt hatte ein Bewerber, der sich durch die umstrittene Wahl des SPD-Politikers Marc Jan Eumann zum neuen Direktor benachteiligt sah. Das Gericht stellte darauf ab, dass die Medienanstalt eine hoheitliche Tätigkeit ausübe. Dass das Arbeitsverhältnis privatrechtlich ausgestaltet ist, sei unerheblich. Die FAZ (Michael Hanfeld) fasst das Urteil zusammen.

BGH zu gegenseitigen Beleidigungen: internet-law.de (Thomas Stadler) weist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs hin, nach der der Rechtsgedanke des § 199 Srafgesetzbuch (StGB) auch auf das Zivilrecht angewendet werden kann. Bei gegenseitigen Beleidigungen kann danach der Anspruch auf Geldentschädigung entfallen.

StA Stralsund zu Rechtsbeugung im Auschwitz-Prozess: Die Staatsanwaltschaft Stralsund leitet kein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung gegen einen Richter am Landgericht Neubrandenburg ein. Ein Nebenkläger hatte Strafanzeige erstattet, nachdem das Gericht ihn nicht zum Prozess zulassen wollte, obwohl das Oberlandesgericht zuvor anderer Auffassung war. In dem Prozess ging es um einen jetzt 97 Jahre alten ehemaligen SS-Sanitäter, dessen Verfahren inzwischen eingestellt wurde, weil er verhandlungsunfähig ist. Über den Fall berichten die FAZ (Alexander Haneke) und lto.de.

AGH Baden-Württemberg zu Syndikusanwälten in Elternzeit: Auch während der Elternzeit können Syndikusanwälte zugelassen werden. Das hat der Anwaltsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden. Die Deutsche Rentenversicherung hatte gegen die Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer Stuttgart geklagt und sich darauf berufen, dass nach dem Gesetz die Tätigkeit "ausgeübt" werden müsse. Der Anwaltsgerichtshof hielt dem entgegen, dass die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führen dürfe und die Elternzeit nicht zwingend mit einem Wechsel der beruflichen Tätigkeit einhergehe. Der Rechtsanwalt Martin W. Huff erläutert auf lto.de das Urteil.

BGH – Bewertungsportale für Ärzte: Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich am heutigen Dienstag mit dem Portal Jameda, auf dem Ärzte bewertet werden können. Geklagt hat eine Ärztin aus Köln, die die Löschung ihres ungefragt angelegten Profils verlangt. Sie kritisiert, dass nicht zahlende Ärzte schlecht dargestellt und Patienten umgeleitet würden. Jameda beruft sich auf das Recht der Patienten auf freie Arztwahl, schreibt die FAZ (Kim Björn Becker).

OLG München – NSU-Prozess: Die Welt (Gisela Friedrichsen) schildert die Rolle der Nebenkläger im NSU-Prozess und erklärt, warum das Leid der Opfer rechtlich wahrscheinlich nicht bedeutend ist für die Strafe für Beate Zschäpe: "Mehr als ein besonders langes 'Lebenslänglich', das ihr schon wegen der Zahl der Opfer droht, kann gegen sie nicht verhängt werden."

LG Köln – Stadtarchiv: Laut FAZ (Andreas Rossmann) leidet der Prozess vor dem Landgericht Köln zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs unter vielen offenen Fragen. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft würden über individuelle Schuldfragen hinausgehen und Mängel in der Organisation der Baustelle, in den Arbeits- und Kontrollabläufen ansprechen.

StA Hamburg – G-20-Ausschreitungen: Im Interview mit spiegel.de (Ansgar Siemens) weist der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich Behauptungen zurück, seine Behörde sei einem hohen Druck ausgesetzt, Randalierer zu bestrafen, und bezeichnet die Arbeitsweise als "vollkommen unpolitisch". Er äußert sich auch zu einem Vorfall mit dem sogenannten schwarzen Block sowie zu Ermittlungsverfahren gegen Polizisten.

Insolvenz von Air Berlin: Die Gläubiger von Air Berlin erwägen eine Klage gegen den Air-Berlin-Großaktionär Etihad. Sie werfen ihm vor, die Insolvenz herbeigeführt zu haben, indem er im August 2017 Air Berlin jegliche weitere Geldzufuhr versagte, obwohl er vorher Finanzierungszusagen gemacht habe. Ein Vergleichsangebot hätten die Gläubigervertreter abgelehnt, so die FAZ (Timo Kotowski/Eckart Lohse). Unklar sei jedoch noch, wo die Klage einzureichen wäre. In Frage kämen Abu Dhabi, Berlin und Großbritannien.

BGH zu Patientenverfügungen: Die Rechtsanwälte Wolfgang Putz und Tanja Unger beleuchten auf lto.de zwei jüngere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Anforderungen an Patientenverfügungen. Danach müsse der Patient umschreibend festlegen, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will bzw. nicht will. Das sei bei den Patientenverfügungen aus dem Jahr 1989 teilweise nicht der Fall gewesen.

AG/LG Freiburg/OLG Karlsruhe – Kindesmissbrauch: Helene Bubrowski (FAZ) sieht in der von der Justiz angekündigten Aufarbeitung des Breisgauer Missbrauchsfalls "Fortschritte in der Fehlerkultur der Justiz". Es würden jedoch Zweifel bleiben, da der Fall auf einem "fatalen Zusammentreffen von Fehlern Einzelner beruht". Helfen könnte möglicherweise die symbolische Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz sowie eine frühzeitige Sensibilisierung von Juristen.

Prozessrisikoanalyse: Der Rechtsanwalt Jörg Risse befasst sich im Hbl mit der Prozesskostenanalyse, bei der eine Fragestellung zunächst in einem Entscheidungsbaum umgesetzt wird und Einzelrisiken bewertet werden, um anschließend den Wert der Prozesschance oder des -risikos in Geld zu bemessen. Das Verfahren habe das Potenzial, den Rechtsberatungsmarkt zu verändern, indem es die Voraussetzung biete, Entscheidungsprozesse als Algorithmus auszudrücken.

Recht in der Welt

Vietnam – Entführter Geschäftsmann: Der vietnamesische Ex-Funktionär und Geschäftsmann Trinh Xuân Thanh ist von einem Gericht in Hanoi zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. In dem Verfahren ging es um Unterschlagung und Missmanagement im staatlichen Ölsektor. Der Fall sorgte für Aufsehen, da Thanh nach Erkenntnissen der Bundesregierung im Sommer 2017 in Deutschland von Agenten entführt wurde. Seither belastet der Fall das Verhältnis zwischen Berlin und Hanoi. Auch an dem Verfahren äußerte die Bundesregierung Kritik. SZ (Nico Fried/Arne Perras), FAZ (Till Fähnders), taz (Marina Mai) und spiegel.de (Vanessa Steinmetz) berichten.

Arne Perras (SZ) spricht von einer "politisch gelenkten Justiz" und "einem äußerst fragwürdigen Verfahren", das die Beziehungen zu Deutschland belaste. "Will Deutschland den Rechtsstaat schützen, ist Härte gegenüber Hanoi immer noch Pflicht."

Türkei – Rechtskrise: Die Rechtsprofessorin Başak Çalı analysiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) den Konflikt zwischen dem türkischen Verfassungsgericht und zwei erstinstanzlichen Gerichten, die sich weigern, die vom Verfassungsgericht verlangte Freilassung von zwei Journalisten anzuordnen. Die neuen Rebellen gegen den türkischen Konstitutionalismus seien normale Richter.

Sonstiges

beA: lto.de (Annelie Kaufmann) berichtet von einer Diskussionsveranstaltung des Deutschen Anwaltvereins zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach. Dabei habe ein Vertreter des Chaos Computer Clubs kritisiert, die Bundesrechtsanwaltskammer habe nicht oder zu spät auf Kritik reagiert. Die IT-Rechtlerin Nina Diercks betonte, das Ergebnis der jetzt anstehenden Prüfungen müsse auch dahin gehen können, dass das beA nicht zu reparieren sei. Auch die NJW-Nachrichten (Joachim Jahn) berichten.

Das Letzte zum Schluss

Aubameyang vor Gericht: Die Wechselambitionen von Dortmunds Fußballstar Pierre-Emerick Aubameyang sind auch Gesprächsgegenstand am Landgericht Dortmund, wo seit einigen Wochen der Anschlag auf den Dortmunder Mannschaftsbus verhandelt wird. Der Richter kündigte laut bild.de an, den Sportler für nächste Woche zu laden, damit ein etwaiger Wechsel zu Arsenal London nicht dazwischenkommt. Aubameyang hatte sich bei dem Anschlag verletzt.

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lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Januar 2018: Mehr Rechte für unverheiratete Paare / Keine Rechtsbeugung im Auschwitz-Prozess / Gericht lädt Aubameyang . In: Legal Tribune Online, 23.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26625/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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