Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2018: Junge wurde nicht ange­hört / 10 Jahre Unter­halts­re­form / Ver­let­zung der Marke "Öko-Test"

19.01.2018

Neue Versäumnisse im Kindesmissbrauchsfall. Außerdem in der Presseschau: Bilanz nach 10 Jahren Unterhaltsrechtsreform und BGH setzt Verfahren wegen Markenverletzungen durch Nutzung von Öko-Test-Siegeln aus.

Thema des Tages

OLG Karlsruhe – Kindesmissbrauch: Rund um die Aufdeckung des im Breisgau von seiner Mutter und ihrem pädophilen Lebenspartner im Darknet zur Vergewaltigung angebotenen Jungen berichtet die FAZ (Rüdiger Soldt) auf der Titelseite von weiteren Versäumnissen. So bestellte das Familiengericht keinen Verfahrensbeistand für den Jungen, als seine staatliche Inobhutnahme abgelehnt wurde.

In einem Kommentar gibt Reinhard Müller (FAZ) eine offizielle Mitteilung des OLG Karlsruhe wieder. Danach macht das Schicksal des Jungen "jeden Menschen und erst recht die unmittelbar mit der Fallbearbeitung in Berührung kommenden Personen bei Justiz und Landratsamt betroffen und belastet sie schwer". Der Autor stellt dar, dass das Grundgesetz die Trennung eines Kindes von seiner Familie nur als ultima ratio vorsieht. Eine Trennung kommt dem Grundgesetz nach bei Versagen der Erziehungsberechtigten oder der drohenden Verwahrlosung des Kindes in Betracht. Jedoch meint der Autor, dass auch wenn den Behörden keine Anhaltspunkte für eine Verwicklung der Mutter in den Kindesmissbrauch vorgelegen hätten, bereits das Zusammenleben der Mutter mit ihrem bekanntermaßen pädophilen Lebensgefährten ein deutliches Indiz sei.

Einen separaten ausführlichen Hintergrundbericht liefert die FAZ (Helene Bubrowski/Rüdiger Soldt). Sie untersuchen die Lebensumstände des Paares, das von Staufen im Breisgau aus einen Pädophilen-Ring betrieb, insbesondere die des mehrfach vorbestraften Hauptverdächtigen Christian L. Sie werfen die Frage auf, warum sich dieser nicht in Sicherheitsverwahrung befand. Zudem setzen sie sich mit dem Thema Verantwortung auseinander. Hier machen sie drei Ebenen aus: Zunächst die Ebene der Familiengerichte, welche letztlich über die Kindeswohlgefährdung entscheiden, dann die Straf- und Strafvollzugsgerichte, die über Sicherungsverwahrung oder Führungsaufsicht für Christian L. entschieden und zuletzt das Jugendamt. Als problematisch stellt sich das Vertrauen der Gerichte und des Landratsamts in die Mutter heraus, der zugetraut wurde, ihr Kind vor dem als gefährlich eingeschätzten Christian L. zu schützen.

Rechtspolitik

Unterhaltsrecht: Die taz (Heide Oestreich) zieht anlässlich des zehnjährigen Bestehens des reformierten Unterhaltsrechts eine ausführliche Bilanz. Die Unterhaltsrechtsreform sollte die sogenannte Versorgerehe als Leitmodell ablösen. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes verfolgten jedoch nur wenige Familien eine moderne Rollenverteilung, so arbeiteten 70 % der in Deutschland lebenden Mütter nicht voll. Geschiedene und Alleinerziehende finden sich nun auf der Seite der Verlierer wieder. Trotz Nachbesserungen des Gesetzgebers im Jahre 2013 sei es an den geschiedenen Frauen, nachzuweisen, dass sie alles getan hätten, um sich selbst zu versorgen. Die Autorin hält fest, dass die Familienpolitik reformbedürftig ist. Solange dies nicht geschehe, bleibe das neue Unterhaltsrecht ungerecht.

Obergrenze: Die SZ (Heribert Prantl) zitiert Boris Pistorius, SPD-Innenminister von Niedersachsen, zum Flüchtlings- und Migrationskapitel des Sondierungspapiers von CDU, CSU und SPD. Der im Papier "von uns bewusst verschwurbelt formulierte Satz" sei dahingehend auszulegen, dass eine Obergrenze darin lediglich für sonstige Migranten, nicht jedoch für Asylbewerber vorgesehen sei.

Antisemitismus: Der Bundestag hat einschließlich der AfD der Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten zugestimmt, meldet taz.de. Klaus Hillenbrand (taz) kommentiert, dass dies zwar ehrenwert sei, jedoch zur Bekämpfung von Judenhass in Deutschland nicht genüge.

Justiz

EGMR zu Doping-Kontrollverfahren für Sportler: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass das Doping-Kontrollsystem der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) keine ungerechtfertigte Beschränkung des Rechts auf Privatleben gemäß Art. 8 EMRK darstellt. Das "Whereabouts"-System soll ermöglichen, dass unangekündigte Doping-Kontrollen abseits von Sport- und anderen beruflichen Veranstaltungen durchgeführt werden können, wofür Sportler jedoch schon Monate im Voraus angeben müssen, wo sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhalten werden. Geklagt hatten mehrere Sportler und französische Sportverbände. Der EGMR stellte primär auf Gründe der Gesundheit ab. Darüber berichtet lto.de.

BVerfG – Streikrecht für Lehrer: Auf verfassungsblog.de analysiert die wissenschaftliche Assistentin Gabriele Buchholtz das am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelte Beamtenstreikverbot. Ihrer Meinung nach kann der von manchen befürchteten "Überprivilegierung" der beamteten Lehrer – sollten diese neben ihren Vorzügen auch streiken dürfen – mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begegnet werden, der ja auch im Streik gelte. Es müsse ein zeitgemäßer und europarechtskonformer Ausgleich zwischen Beamtenrechten und -pflichten geschaffen werden.

BGH  Öko-Test-Siegel: Der Bundesgerichtshof hat zwei Verfahren ausgesetzt, in denen es um eine mögliche Verletzung der eingetragenen Unionsmarke "Öko-Test" geht. Zu entscheiden war die Frage, ob Unternehmen Öko-Test-Siegel benutzen dürfen, obwohl gar nicht das konkrete, sondern ein ähnliches Produkt getestet wurde. Abgewartet werden soll die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem vergleichbaren Fall, so die SZ (Wolfgang Janisch). Nach der Verhandlung sähe es so aus, als ob sich Öko-Test – dem es im Verfahren nicht um die Lizenzgebühr, sondern um Glaubwürdigkeit geht – durchsetzen werde.

LG Dresden – Frauke Petry: Der Bundestag hat einer auf Aufhebung der Immunität von Frauke Petry gerichteten Empfehlung des Immunitätsausschusses zugestimmt. Vor dem Landgericht Dresden ist gegen die frühere AfD-Politikerin eine Anklage wegen Meineids anhängig. Petry soll als Zeugin falsch vor dem Wahlprüfungsausschuss des sächsischen Landtags ausgesagt habe. Die Aussage hatte sie beeidet. Es berichtet lto.de.

Air-Berlin-Insolvenz: Laut focus.de (Tatjana Grassl) will ein Berliner Anwalt hinsichtlich der Air Berlin-Insolvenz gegen das Luftfahrtbundesamt mit einer Sammelklage bei einem nicht genannten Gericht vorgehen. Das Amt habe seine Amtspflicht verletzt, indem es nach Veröffentlichung der ersten Air Berlin-Quartalszahlen für 2017 im Frühjahr nicht einschritt.

Recht in der Welt

EGMR - französischer Vaterschaftsurlaub: Laut lto.de liegt dem EGMR zufolge in einer französischen Regelung, die Vaterschaftsurlaub ausschließlich für Männer vorsieht, keine Verletzung des Diskriminierungsverbotes aus Art. 14 i.V.m. dem Schutz des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK. Es sei keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts bzw. der sexuellen Orientierung gegeben, da das Gesetz gerade daran anknüpft, wer der rechtliche Vater des Kindes ist. Vor den EGMR war eine lesbische Frau gezogen, die nach der Geburt ihres Sohnes durch ihre Partnerin Vaterschaftsurlaub nehmen wollte. Sie kann jedoch nach einem anderen Gesetz Elternzeit nehmen, das für die nicht-rechtlichen Eltern des Kindes gilt.

EGMR - Schweizer Sexualkunde: Laut der SZ (Charlotte Theile) hat der EGMR ein Urteil veröffentlicht, indem er Schweizer Recht bestätigt, wonach es Eltern nicht gestattet ist, ihre Kinder vom Sexualkunde-Unterricht abzumelden. Das Urteil könne auch in Deutschland interessant sein. Ein Beispiel für die widerstreitenden Interessen stellt der baden-württembergische Lehrplan dar. Es stehen sich auf der einen Seite Vermittlung von Selbstbewusstsein für die Kinder und alltagstauglicher Aufklärung und auf der anderen Seite Schutz der Kinder vor möglicherweise verstörenden Inhalten gegenüber.

Indien – Richterrevolte: Wie die SZ (Arne Perras) berichtet, hielten vier Richter des indischen Verfassungsgerichts eine Pressekonferenz zur Balance zwischen Exekutive und Judikative ab. Sie kritisierten den regierungsnahen Gerichtspräsidenten, es habe Unstimmigkeiten bei der Verteilung der Verfahren gegeben. Dem Thema widmet sich auch der Rechtsreferendar Adeel Hussain auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache).

Brasilien – Lula-Prozess: Nach Angaben der FAZ (Matthias Rüb) wird am Dienstag ein Berufungsgericht darüber entscheiden, ob die Verurteilung des früheren brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche aufrechterhalten wird. Hintergrund ist der Skandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, in den Politiker aller Parteien verwickelt sind.

Sonstiges

beA: Wie lto.de (Pia Lorenz) berichtet, sollen Anwälte der BRAK zufolge die Umlage für das beA für 2018 trotz des Umstandes zahlen, dass das beA nicht funktioniert. Entsprechende Anträge regionaler Kammern scheinen abgelehnt worden zu sein. Die BRAK sehe sich nicht in der Verantwortung, so habe sie es sich nicht ausgesucht, für das beA zuständig zu sein.

Das Letzte zum Schluss

Unfall auf dem Arbeitsweg: Die SZ (Ulrike Heidenreich) beschäftigt sich mit Versicherungsfragen, die in Zeiten von Orkantiefs und Glatteis auf dem Arbeitsweg relevant werden. Bei größeren Umwegen drohe ein Verlust des Schutzes durch die gesetzliche Unfallversicherung. Bei Glatteis solle man sich deshalb auf dem gewohnten Arbeitsweg im "Pinguingang" fortbewegen: "Gewicht über das vordere Bein schieben und mit ganzer Sohle auftreten. Der Fuß zeigt leicht nach außen. Sieht schräg aus, stabilisiert den Körper aber ungemein."

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/hd

(Hinweis für Journalisten)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Januar 2018: Junge wurde nicht angehört / 10 Jahre Unterhaltsreform / Verletzung der Marke "Öko-Test" . In: Legal Tribune Online, 19.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26567/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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