Die juristische Presseschau vom 18. Januar 2018: Streik­verbot vor BVerfG / Kin­des­miss­brauch und Justiz / Keine Gnade für Grö­ning

18.01.2018

Das Streikverbot für Lehrer stößt beim Bundesverfassungsgericht wohl auf keine durchgreifenden Bedenken. Außerdem in der Presseschau: Justiz wird nach Kindesmissbrauch kritisiert und Staatsanwaltschaft lehnt Grönings Gnadengesuch ab.

Thema des Tages

BVerfG – Streikrecht für Lehrer: Das Bundesverfassunsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Streikverbot für Lehrer verhandelt. Dabei hat sich abgezeichnet, dass die geltenden Regeln bestand haben werden. Geklagt hatten vier Mitglieder der GEW, die sich auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beriefen. Dieser hatte 2009 geurteilt, dass das Streikrecht nur ausgeschlossen werden könne, wenn die Beschäftigten staatliche Hoheitsgewalt ausüben. Inwiefern das auf Lehrer in Deutschland zutrifft, ist umstritten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière berief sich auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums und sprach von einem Gesamtpaket, das neben vielen Vorteilen auch das Streikverbot enthalte. Über die Verhandlung berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Hendrik Wieduwilt), FR (Ursula Knapp), Tsp (Jost Müller-Neuhof), taz.de (Christian Rath) und swr.de (Gigi Deppe).

Reinhard Müller (FAZ) meint, das Streikrecht passe nicht zum Verhältnis des Beamten zum Staat. Der Staat müsse sich auch auf die Lehrer verlassen können. Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) ist der Ansicht, die verbeamteten Lehrer könnten ihre Rechte selbstbewusst vertreten – "allerdings nicht im Arbeitskampf, sondern vor Gericht". Laut Jost Müller-Neuhof (Tsp) hat sich der Staat die Diskussion selbst geschaffen, indem er aus Kostengründen Angestellte für den Schuldienst bevorzugte. Die Klagen seien kein Angriff auf den Staat, sondern würden auf seine Modernisierung zielen.

spiegel.de (Julia Köppe) sprach mit betroffenen Lehrern über das Streikrecht und den Beamtenstatus.

Rechtspolitik

Familiennachzug: Der Bundestag diskutiert am Freitag über einen Gesetzentwurf der Union, mit dem die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten verlängert werden soll. Das meldet zeit.de. Zudem liegen Anträge von FDP, AfD und Grünen vor.

In der FAZ befasst sich Rechtsprofessor Daniel Thym näher mit den rechtlichen Grenzen einer solchen Aussetzung. Die Gerichte würden dem Gesetzgeber einen Spielraum belassen, der freilich nicht unbegrenzt ist. Anstelle eines "pauschalisierenden Alles oder Nichts" könne der Gesetzgeber nach Fallgruppen unterscheiden. Denkbar sei auch, an die Sicherung des Lebensunterhalts anzuknüpfen. Die Menschenrechte würden aufgrund der ihnen eigenen Gemengelage von Recht und Moral nicht die politische Auseinandersetzung erübrigen, sondern diese einfordern.

Parteienfinanzierung für NPD: Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der NPD erhält diese weiterhin Geld vom Staat. Zwar ist das Grundgesetz geändert und die Möglichkeit des Ausschlusses von der Parteienfinanzierung geschaffen worden. Ein entsprechender Antrag an das Bundesverfassungsgericht wurde jedoch noch nicht gestellt, so br.de (Birgit Schmeitzner) und lto.de. Stattdessen hat die NPD ein Organstreitverfahren gegen die Grundgesetzänderung eingeleitet.

Minderheitsregierung: In einem Gastbeitrag für die FAZ wirbt Rechtsprofessor Matthias Herdegen für eine Minderheitsregierung. Das Grundgesetz betrachte weder eine festgefügte Koalition als Selbstzweck noch die Minderheitsregierung als Unglücksfall. Eine Minderheitsregierung könne den Parlamentarismus stärken und in der Außen- und Europapolitik freier agieren als eine Koalition mit dem permanenten Zwang zum Konsens.

Unternehmensstrafrecht: Die Rechtsprofessoren Elisa Hoven und Michael Kubiciel sprechen sich in der Zeit für eine Modernisierung des Verbandssanktionenrechts aus. Das gegenwärtige Ordnungswidrigkeitenrecht stelle keine adäquaten Beweis- und Verteidigungsregeln bereit, sei kein effizientes Instrument zur Ahndung von Unternehmenskriminalität und führe zu Wettbewerbsverzerrungen. Stattdessen gelte es, ein Sanktionenrecht zu entwickeln, das Verbände zur Verbesserung ihrer Strukturen und Compliance-Programme anhält. Dazu brauche es auch eine Ermittlungspflicht sowie eine kompetente und gut ausgestattete Justiz.

Feiertage: "Der freiheitliche Rechtsstaat erwartet, dass der Bürger sich regelmäßig aus den werktäglichen Bindungen und Zwängen löst, er in einer Atmosphäre der Ruhe zu sich selbst findet, er sich in Freiheit von Geschäft und Pflicht der Leitgedanken für sein Leben vergewissert." Mit diesen Worten betont der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof in der FAZ die Bedeutung von Feiertagen für das Recht.

Justiz

OLG Dresden – Gruppe Freital: Im Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der "Gruppe Freital" hat die Bundesanwaltschaft mit ihrem Plädoyer begonnen. Sie wirft den acht Angeklagten vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, und fordert Freiheitsstrafen von fünf bis elf Jahren. Durch Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner hätten die Angeklagten ein Klima der Angst schaffen wollen. Die SZ (Antonie Rietzschel) und die taz (Konrad Litschko) berichten.

AG Freiburg/LG Freiburg – Kindesmissbrauch: Im Fall des missbrauchten und online zur Vergewaltigung angebotenen Jungen aus dem Breisgau wird Kritik an Justiz und Behörden laut. Laut SZ (Ralf Wiegand) und spiegel.de (Jean-Pierre Ziegler) hat das Familiengericht am Amtsgericht Freiburg im April 2017 entschieden, dass der Junge zurück zu seiner Mutter darf, unter der Auflage, dass diese sicherstellt, dass ihr Lebensgefährte keinen Kontakt zu dem Jungen hat. Die Befolgung der Auflage sei jedoch nicht kontrolliert worden. Der Mann hatte zudem vom Landgericht Freiburg die Auflage bekommen, keinen Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen. Die SZ (Ronen Steinke) weist in einem gesonderten Beitrag auf die Schwierigkeiten hin, die Bewährungshelfer haben, die Auflagen von Sexualstraftätern zu kontrollieren.

Heike Vowinkel (Welt) sieht das Problem weniger im geltenden Recht als in dessen Anwendung und fordert verpflichtende Fortbildungen für Familienrichter, Jugendamtsmitarbeiter und Lehrer. Ulrike Heidenreich (SZ) nimmt den Fall hingegen zum Anlass, die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz zu fordern.

LG Köln – Einsturz des Stadtarchivs: Vor dem Landgericht Köln hat der Prozess gegen fünf Personen begonnen, denen vorgeworfen wird für den Einsturz des Kölner Stadtarchivs verantwortlich zu sein. Sie sollen Probleme beim Bau nicht ordentlich gemeldet, sondern Aufzeichnungen manipuliert und die Bauarbeiten fortgesetzt haben. Bei dem Einsturz starben zwei Menschen und zahlreiche wertvolle Dokumente wurden zerstört. Drei der Angeklagten gaben am ersten Verhandlungstag an, nichts von den Problemen gewusst zu haben, und belasteten einen Mitangeklagten, der als Polier für die Bauarbeiten zuständig war. Wenn das Gericht nicht bis zum 2. März 2019 ein Urteil fällt, sind die Taten verjährt. Es berichten die SZ (Valentin Dornis), die FAZ (Reiner Burger) sowie spiegel.de (Christian Parth).

LG Frankfurt zu Wohnungslosen: Die FAZ (David Klaubert) schildert den Fall eines Wohnungslosen der trotz Hausverbots öfter auf einer Bank im Frankfurter Flughafen nächtigte und deswegen wegen Hausfriedensbruchs mit Strafvorbehalt verwarnt wurde. Der Wohnungslose hatte sich selbst auf die Hauptverhandlung vorbereitet, die insgesamt neun Tage dauerte. Er machte unter anderem die Unwirksamkeit des Hausverbots geltend. Dies sah das Gericht nicht als "störrische Uneinsichtigkeit" an, sondern als Vornahme einer anderen rechtlichen Würdigung.

StA Lüneburg zu Oskar Gröning: Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hat das Gnadengesuch des verurteilten ehemaligen SS-Wachmanns Oskar Gröning abgelehnt. Das melden die SZ (Robert Probst) und spiegel.de. Der 96-Jährigen muss somit bald seine Haftstrafe antreten. Gröning hatte zuletzt versucht mit einer Verfassungsbeschwerde der Haft zu entgehen.

Heribert Prantl (SZ) meint, es wäre ein "Akt der Menschlichkeit gewesen, den heute 96-jährigen NS-Verbrecher Oskar Gröning gnadenhalber von Haft zu verschonen". Gewicht habe nicht die Durchsetzung des Strafanspruchs sondern der Schuldspruch.

BGH zu Werkswohnungen: Der Vermieter tritt mit der Kündigung in das Untermietverhältnis ein, wenn der Hauptmieter die Räumlichkeiten seinem Arbeitnehmer als Werkswohnung überlassen hatte. Das hat der BGH nach einer Meldung der FAZ (Marcus Jung) entschieden. Eine Immobiliengesellschaft hatte einen Ruheständler auf Räumung verklagt, der die Wohnung einst als Arbeitnehmer der Metallgesellschaft aus Frankfurt erhalten hatte.

BVerwG zu Selbsttötung: Mit dem Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Erwerbserlaubnis für Mittel zur Selbsttötung befasst sich jetzt auch Rechtsanwalt Oliver Tolmein in der FAZ. Di Fabio habe "in einer Debatte, in der gerade Juristen einem Pragmatismus der fraglosen Umsetzung scheinbar evidenter Ratschlüsse des medizinischen Sachverstands das Wort reden, den kulturellen Kontext wieder sichtbar gemacht." Jetzt sei der Gesetzgeber gefordert, "Lösungen zu suchen, die den Interessen der Individuen Rechnung tragen, ohne die ethischen und rechtlichen Grundlagen, aus denen sich auch diese Interessen speisen, zu zerstören."

Fehlerkultur in der Rechtspfelge: Über das Symposium des Deutschen Anwaltvereins zu "Fehlerkultur in der Rechtspflege" berichtet jetzt auch lto.de (Hasso Suliak).

Recht in der Welt

Großbritannien – Brexit: Das britische Unterhaus hat nach 80-stündiger Debatte das Brexit-Gesetz verabschiedet, so zeit.de. Die Rechtsanwälte Ulrich Soltész und Lukas Aberle beleuchten auf lto.de Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Auch bei einem ambitionierten Freihandelsabkommen würden die wirtschaftlichen Beziehungen nicht "annähernd gleiche Qualität haben wie bisher zu Zeiten des gemeinsamen Binnenmarktes". Hinsichtlich der anvisierten Übergangsphase sei fraglich, ob die Briten die weitere Geltung von EU-Recht und die Rechtsprechungshoheit der Unionsgerichte als Preis für den vorläufigen Verbleib im Binnenmarkt akzeptieren werden.

Türkei – Rechtskrise: Der türkische Rechtsanwalt Veysel Ok kommentiert in der taz die jüngsten Entwicklungen im türkischen Justizsystem. Dass die vom Verfassungsgericht angeordnete Freilassung von zwei Journalisten vom Strafgericht ignoriert wird, könne dazu führen, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das türkische Verfassungsgericht nicht mehr als effektiven Rechtsweg anerkennt und unmittelbare Beschwerden akzeptiert. Die Türkei werde sich "allen Krisen zum Trotz nicht vom westlichen System wegreißen" und daher mittelfristig die europäischen Entscheide umsetzen, so der Anwalt, der auch den deutschen Journalisten Deniz Yücel vertritt.

USA – Diskriminierung bei Google: Ein entlassener Programmierer verklagt Google. Er sieht sich als weißer, konservativer Mann diskriminiert. Er ist entlassen worden, nachdem er in einem unternehmensinternen Text unter anderem behauptet hat, dass biologische Unterschiede zu dem geringen Frauenanteil im Konzern führen würden. Neben ihm klagt eine weitere Person, schreibt die FAZ (Winand von Petersdorff).

Sonstiges

Datenschutz-NGO: Der österreichische Datenschützer Max Schrems sammelt Geld für eine NGO, die durch Klagen Großkonzerne zur Einhaltung des Datenschutzrechtes einhalten will. Initialzündung soll das Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung am 25. Mai sein, schreibt netzpolitik.org (Alexander Fanta). Schrems ist durch seine Klagen gegen Facebook bekannt geworden.

Das Letzte zum Schluss

Schmerzhafter Harndrang: Weil er zwei Stunden lang im ICE auf eine Toilette warten musste, hat ein Fahrgast der Bahn Schmerzensgeld zugesprochen bekommen. Die Bahn hatte es versäumt, die Wasserbehälter aufzufüllen, und die Toiletten daher zunächst abgeschlossen. Dies wertete das Amtsgericht Frankfurt als "Organisationsmangel", wie die FAZ im Reiseblatt berichtet.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Januar 2018: Streikverbot vor BVerfG / Kindesmissbrauch und Justiz / Keine Gnade für Gröning . In: Legal Tribune Online, 18.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26545/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen