Die juristische Presseschau vom 12. Januar 2018: BGH zu "Sharia-Polizei" / Vor­la­gepf­licht in Aus­lie­fe­rungs­sa­chen / 0-Punkte-Haus­ar­beit wegen Form­fehler

12.01.2018

Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch zur "Sharia Police" aufgehoben. Außerdem in der Presseschau: Karlsruhe beanstandet die unterlassene Vorlage an den EuGH in einem Auslieferungsfall und ein Jura-Student scheitert vor dem VG Ansbach.

Thema des Tages

BGH zu "Sharia Police": Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch von jungen Männern aufgehoben, die 2014 mit Warnwesten, auf denen "Sharia Police" stand, durch Wuppertal gelaufen waren. Das Landgericht habe zwar richtig erkannt, dass ein Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Uniformierungsverbot nur in Betracht komme, wenn die Kleidung geeignet sei, einen einschüchternden Eindruck zu machen. Dabei habe es jedoch verkannt, dass die Aktion junge Muslime als Zielgruppe hatte. Es komme darauf an, ob diese eingeschüchtert werden könnten, was das Landgericht nun klären müsse. Dass andere Passanten eher belustigt sind, sei dann unerheblich. Das Urteil schildern die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Alexander Haneke), die taz (Christian Rath) und swr.de (Gigi Deppe).

Heribert Prantl (SZ) begrüßt das Urteil. Juristische Auslegung gebiete dem Richter nicht, sich dumm zu stellen. Auch Gisela Friedrichsen (Welt) äußert sich positiv: "Für selbsternannte Sitten-, Tugend- oder sonstige Wächter, die sich anmaßen, ohne staatlichen Auftrag und ohne gesetzliche Grundlage auf eigene Faust durchzusetzen, was sie für rechtens halten, ist aus gutem Grund kein Raum." Anders fällt die Einschätzung von Jost Müller-Neuhof (Tsp) aus. Die "Herren mit den Bärten" hätten nur provozieren wollen. Den juristischen Streit mit politischer Bedeutung aufzuladen, stärke Ressentiments und schwäche die Vernunft.

In einem Beitrag für lto.de erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Malte Mennemann, warum er das eigentliche Problem nicht im Versammlungsrecht sieht. Kriminalpolitisch problematisch werde es dann, wenn "Patrouillen" regelmäßig stattfänden. Dann komme es aber nicht darauf an, ob es sich um eine Gruppe oder einen einzelnen Sittenwächter handelt. Der Staat müsse sich fragen lassen, ob er das Verhalten toleriert oder auf andere Weise verhindert.

Rechtspolitik

Schwarzfahren: "Auch Bagatelldelikte sind strafwürdiges Unrecht und in ihrer Masse weder unerheblich noch unschädlich. Wer versucht, auf diese Weise strafwürdiges Verhalten zu relativieren, trägt zu einer Erosion des Rechtsbewusstseins bei." Mit diesen Worten kritisiert die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) in einem Gastbeitrag für die FAZ Vorschläge, das "Schwarzfahren" zu entkriminalisieren. Die Änderung würde die Justiz nicht wesentlich entlasten und sende ein fatales Signal an Gewerbetreibende und ehrliche Kunden.

NetzDG: Die FAZ (Stefan Locke) schildert einen Fall, in dem mit Hilfe des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ein Video, in dem Kinder beleidigt wurden, relativ schnell aus dem Netz genommen werden konnte. lto.de (Maximilian Amos) untersucht verschiedene Behauptungen zum Gesetz auf ihren Wahrheitsgehalt. Die Aussage, das Gesetz beinhalte staatliche Zensur, sei falsch, die Furcht vor dem sogenannten Overblocking jedoch nicht gänzlich unbegründet.

Rechtsstaat und Multikulturalismus: Im Leitartikel behauptet Dirk Schümer (Welt) eine mit "Multikulturalismus" zusammenhängende "Erosion des Rechtsstaats". Als Beispiele führt er den Widerstand gegen die Altersfeststellung bei Flüchtlingen durch Röntgen sowie die "Duldung" der Bigamie in einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim an.

Justiz

EuGH – Freizügigkeit für homosexuelle Partner: Wenn es nach dem Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Melchior Wathelet geht, können sich Eheleute aus einer gleichgeschlechtlichen Ehe auf die Freizügigkeit für Ehepartner berufen, auch wenn in dem Land, in das sie ziehen, die gleichgeschlechtliche Ehe nicht anerkannt sei. Angesichts des gesellschaftlichen und rechtlichen Wandels in einer Vielzahl der Mitgliedstaaten sei nicht mehr an dem bisherigen Begriff der Ehe festzuhalten. Zum Urteil berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und die FAZ (Constantin van Lijnden).

BVerfG zu EuGH-Vorlagepflicht bei Auslieferung: Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg stattgegeben, das die Auslieferung eines Rumänen in sein Heimatland bestätigte, obwohl Zweifel bestehen, dass die dortigen Haftbedingungen menschenrechtlichen Standards entsprechen. Das Oberlandesgericht habe kein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof angestrengt, obwohl dieser bisher nicht hinreichend konkret geklärt habe, welche Mindestanforderungen die Grundrechtecharta an Haftbedingungen stellt. Damit habe das Oberlandesgericht das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, bemängelte Karlsruhe und verwies die Entscheidung zurück. Die Entscheidung wird von der FAZ (Helene Bubrowski) und lto.de zusammengefasst.

Laut Reinhard Veser (FAZ) stand das Bundesverfassungsgericht vor einer schwierigen Entscheidung. Niemand könne in Frage stellen, dass ein Krimineller, der in Rumänien zu einer Haftstrafe verurteilt wird, diese auch dort verbüßen muss. Um solche Konflikte zukünftig zu vermeiden, müsse die EU Standards für Haftbedingungen setzen und dafür sorgen, dass sie eingehalten werden.

BVerfG – Vorratsdatenspeicherung: Dem Bundesverfassungsgericht kommt es bei seiner Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung darauf an, ob das deutsche Gesetz mit dem EU-Recht vereinbar ist. Das hat der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, nach Informationen von faz.net (Hendrik Wieduwilt) den Beteiligten mitgeteilt. Die Mitteilung wird als Hinweis dafür gesehen, dass Karlsruhe die Regelung kippen wird, weil der Europäische Gerichtshof 2016 hohe Anforderungen an Speicherpflichten aufgestellt hat.

VerfGH Bayern zu Privatdozent: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat eine Klage des Privatdozenten Günter Fröhlich abgewiesen, mit der dieser gegen eine Norm im Bayerischen Hochschulpersonalgesetz vorgegangen ist, nach der außerplanmäßige Professoren zur unentgeltlichen Lehrtätigkeit verpflichtet sind. Die Richter sehen in der Privatdozentur keinen Beruf, die zeitliche Belastung betrachten sie als "im Regelfall gering". Der Philosoph will laut SZ (Rudolf Neumaier) nun vor dem Verwaltungsgericht gegen die Universität Regensburg klagen. Auf diese Möglichkeit habe der Verfassungsgerichtshof hingewiesen.

LAG Schleswig-Holstein zu Männern als Gleichstellungsbeauftragte: Der Ausschluss von Männern von der Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten verstößt nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden. Zwar stelle der Ausschluss eine Ungleichbehandlung dar, diese sei jedoch durch eine Regelung in der Kreisordnung gerechtfertigt, die auch nicht gegen die Verfassung verstoße. spiegel.de und lto.de erläutern das Urteil.

OLG Düsseldorf zu Gilette-Patent: Der Rasierklingen-Hersteller Wilkinson darf weiterhin vorerst keine Klingen auf den Markt bringen, die auf den Nassrasierer "Mach 3" von Gillette passen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat eine entsprechende einstweilige Verfügung erlassen. Die SZ (Benedikt Müller) weist darauf hin, dass das Urteil nur für fünf Wochen relevant sei, weil dann das möglicherweise rechtswidrig eingetragene Patent ohnehin auslaufe.

OLG Hamm/OLG Köln – VW-Abgasskandal: VW-Händler haben nach einer Meldung der FAZ (Marcus Jung) juristische Niederlagen vor zwei Oberlandesgerichten erlitten. Das Oberlandesgericht Hamm habe in einem Hinweisbeschluss erklärt, dass die Abschalteinrichtung des Fahrzeugmotors einen Sachmangel darstellt. Das Oberlandesgericht Köln habe bereits vor Weihnachten angekündigt, die Berufung eines VW-Händlers zurückzuweisen. Der Kläger könne dann sein Fahrzeug zurückgeben.

LG München – Cum-Ex: Vor dem Landgericht München hat ein Prozess begonnen, in dem es um die sogenannten Cum-Ex-Deals geht. Die Hypovereinsbank will drei ehemalige Vorstände in Regress nehmen, weil diese nichts gegen den rechtswidrigen Aktienhandel unternommen hätten. Die Bank habe daraufhin rund 200 Millionen Euro zurückzahlen müssen. Über den Prozess und die jüngsten Zahlen über das Ausmaß des Steuerskandals schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt/Henning Peitsmeier).

OLG Hamburg – Messerattacke: Am Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht Hamburg der Prozess gegen Ahmad A., der im Juli letzten Jahres in einem Hamburger Supermarkt auf Menschen eingestochen hatte. Laut FAZ (Matthias Wyssuwa, faz.net-Zusammenfassung) geht das Hamburger Landeskriminalamt von einem neuen Tätertyp aus, bei dem "neben extremistisch motivierten auch andere, psychische Gründe mit eine Rolle spielen". Das Phänomen, dass psychisch auffällige Menschen Anschläge verüben und zum Teil bewusst rekrutiert werden, beschreibt auch die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke). In einem gesonderten Beitrag fasst die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion zusammen, in der Statistiken über die Staatsangehörigkeit von Terrorverdächtigen genannt werden.

LG Bochum – Doppelmord von Herne: Gutachterinnen halten Marcel H., der sich wegen eines Doppelmordes vor dem Landgericht Bochum behaupten muss, für voll schuldfähig, so die FAZ (Reiner Burger) und focus.de (Axel Spilcker). Die Gutachterinnen hätten in der Verhandlung das Bild eines Besserwissers, Wichtigtuers und Fantasten gezeichnet, der jedoch in der Lage sei, sein Verhalten zu kontrollieren.

GBA – Iranischer Justizchef: Der ehemalige Chef der iranischen Justiz, Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi, ist am Donnerstag von Hamburg aus nach Teheran zurückgeflogen. Das meldet die FAZ (Rainer Hermann). Gegen den ehemaligen Richter, der sich für einen Krankenhausaufenthalt in Deutschland befand, waren mehrere Strafanzeigen eingegangen. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft erklärte laut der taz (Jean-Philipp Baeck), dass die Erkenntnisse nicht für einen Haftbefehl ausgereicht hätten.

Recht in der Welt

Luxemburg – Lux-Leaks: Das oberste Berufungsgericht Luxemburgs hat die Bewährungsstrafe gegen Antoine Deltour aufgehoben, der mit seinen Hinweisen zu Steuerdeals zwischen Unternehmen und luxemburgischen Finanzbehörden die Lux-Leaks-Affäre ins Rollen gebracht hatte. Das Gericht entschied, dass der besondere Schutz von Whistleblowern einer Strafbarkeit wegen Datendiebstahl entgegenstehe. Über den Fall schreiben die SZ (Alexander Mühlauer) und lto.de.

Ungarn – Aufruf zu Grenzübertritt: Die taz (Christian Jakob) schildert den Prozess gegen einen Mann, der 2015 eine Gruppe von Flüchtlingen dazu aufgerufen haben soll, die Grenze zu Ungarn zu übertreten. In einem ersten Prozess war der Mann, der selbst kein Flüchtling ist, sondern seinen Eltern helfen wollte, zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Beobachter kritisieren den Prozess als politisch motiviert.

Ungarn – Verbotene Symbole: Die Promovendin Marina Bán setzt sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit Plänen der ungarischen Regierung auseinander, auch die kommerzielle Verwendung von bestimmten Symbolen zu verbieten, darunter der fünfzackige rote Stern, der unter anderem von Heineken verwendet wird. Die Autorin sieht darin nicht nur eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit, sondern auch den Ausdruck einer bedenklichen Entwicklung der ungarischen Erinnerungspolitik hin zu einem einseitigen Antikommunismus.

Türkei – Freilassung von Journalisten: Das türkische Verfassungsgericht hat laut zeit.de die Freilassung von zwei Journalisten angeordnet. Nach einer Meldung von spiegel.de hat jedoch das zuständige Strafgericht bereits der Freilassung widersprochen. Das Urteil des Verfassungsgerichts könnte auch Auswirkungen auf den Fall des inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel haben.

EuGH – Flüchtlingsaufnahme durch Polen: Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki lässt offen, ob Polen ein Urteil des Europäischen Gerichtshof, nach dem das Land Flüchtlinge entsprechend der beschlossenen Quote aufnehmen muss, akzeptieren werde. Die Kommission hat im Dezember Klage erhoben, nachdem mehrere osteuropäische Länder mit ihren Klagen gegen die Umverteilungsbeschlüsse gescheitert waren, aber sich weiter weigerten, sie umzusetzen. Die FAZ (Konrad Schuller) berichtet.

Juristische Ausbildung

VG Ansbach zu juristischer Hausarbeit: Das Verwaltungsgericht Ansbach hat die Klage eines Jurastudenten gegen die Bewertung seiner Hausarbeit mit null Punkten abgewiesen. Der Student hatte in einer Hausarbeit im Bürgerlichen Recht den vorgeschriebenen Korrekturrand nicht eingehalten, woraufhin der Dozent für jede umgerechnet zu viel geschriebene halbe Seite einen Punkt abzog. Das Verwaltungsgericht sah in dem Urteil von Oktober letzten Jahres, das jetzt bekannt wurde, den Beurteilungsspielraum des Dozenten nicht überschritten, da Studenten zeigen müssten, dass sie "auch die formalen Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens" beherrschten. spiegel.de schildert den Fall.

Sonstiges

Polizei auf Twitter: netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet über die Antwort der Hamburger Polizei auf eine Informationsfreiheitsanfrage über das Sperren von Twitter-Nutzern für den Account der Polizei. Die Polizei hatte mehrfach Nutzer gesperrt, die nach Ansicht der Behörde gegen die von ihr aufgestellte Netiquette verstoßen hatten. Eine Rechtsgrundlage hält sie nicht für erforderlich. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte sucht nach möglichen Klägern.

Datenübermittlung an Russland: Die Bundespolizei hat im Rahmen des FIFA-Confederations-Cup 2017 in Russland Daten aus der Datei "Gewalttäter Sport" an russische Behörden übermittelt. Das geht aus der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Monika Lazar hervor, mit der sich netzpolitik.org (Markus Reuter) befasst. Die Politikerin hält die Übermittlung für rechtswidrig, weil Russland keinen mit Deutschland vergleichbaren Datenschutz gewährleiste.

Das Letzte zum Schluss

Crystal oder Pfefferminz? Netter Versuch: Auf eine kristaline Substanz in seinem Besitz angesprochen, behauptete ein 39-Jähriger, es handele sich um ein zerdrücktes Pfefferminzbonbon. Eine Untersuchung überzeugte die Bundespolizei schließlich davon, dass es sich doch um 0,7 Gramm Crystal handelte, so die Welt.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Januar 2018: BGH zu "Sharia-Polizei" / Vorlagepflicht in Auslieferungssachen / 0-Punkte-Hausarbeit wegen Formfehler . In: Legal Tribune Online, 12.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26441/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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