Vor dem LG Dortmund hat der Prozess zum Bombenanschlag auf den BVB-Mannschaftsbus begonnen. Außerdem in der Presseschau: OLG München gewährt Schadensersatz wegen wrongful life und eine Bilanz zu Arbeit, Akzeptanz und Wirkung des ICTY.
Thema des Tages
LG Dortmund – Anschlag auf BVB-Bus: Vor dem Landgericht Dortmund hat der Prozess gegen Sergej W. begonnen, der am 11. April einen Bombenanschlag auf den Teambus des Fußballvereins Borussia Dortmund verübt haben soll. Der 28-jährige Russlanddeutsche ist wegen Mordversuchs in 28 Fällen an den Spielern, Trainern und sonstigen Insassen des Busses sowie eines eskortierenden Polizisten angeklagt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, Sergej W. habe aus Habgier gehandelt, sei heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln vorgegangen. Das Mordmerkmal der Habgier sieht sie verwirklicht, da der Angeklagte vor dem Attentat mit Put-Optionen auf den Absturz der Aktie des börsennotierten Fußballvereins gewettet hatte. Diesen wollte der Angeklagte angeblich selber herbeiführen. Wären bei dem Anschlag mehrere Spieler verletzt oder gar getötet worden, hätte Borussia Dortmund nämlich nicht mehr an Spielen teilnehmen können und der Aktienkurs wäre eingebrochen. In der Gerichtsverhandlung wies Verteidiger Carl Heydenreich den Vorsitzenden Richter auf die angebliche Befangenheit des Oberstaatsanwalts Dombert hin und warf der Staatsanwaltschaft zudem vor, keine entlastenden Tatsachen zugunsten des Angeklagten zusammengetragen zu haben. Die Richter haben jedoch keinen Einfluss auf die Auswahl des Vertreters der Staatsanwaltschaft in der Gerichtsverhandlung. Die SZ (Annette Ramelsberger) und die FAZ (Reiner Burger) berichten. spiegel.de (Jörg Diehl) analysiert auch das Verhalten der Verteidiger am ersten Prozesstag. Vor dem Verhandlungssaal plusterten sie sich auf, im Saal seien sie freundlich zum Gericht. Möglicherweise hoffe die Verteidigung so auf Verständnis und Milde der Richter, denn an einen Freispruch könne eigentlich kein Beteiligter des Prozesses glauben.
Rechtspolitik
Handelsabkommen EU und Mexiko: Wie die SZ (Alexander Mühlauer) meldet, konnten sich die EU und Mexiko entgegen ihrer Planungen in dieser Woche noch nicht auf ein Handelsabkommen einigen. Während die Verhandlungen zu den Themen Wettbewerb, Transparenz sowie die Vereinbarungen für kleine und mittlere Unternehmen bereits erfolgreich waren, sind der Schutz von geografischen Herkunftsbezeichnungen, Fragen des Marktzugangs, Maßnahmen gegen Korruption und die für europäische Unternehmen zentralen Vergabekritieren für öffentliche Aufträge noch umstritten. Offen ist ferner das Thema Investorenschutz.
Justiz
BAG zu Grippeschutzimpfung: Ein Arbeitnehmer hat infolge der Folgeschäden einer Grippeschutzimpfung, die ihm sein Arbeitgeber anbot, keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehe weder ein Behandlungsvertrag noch ergäben sich Aufklärungspflichten zu den Risiken der Impfung aus dem Arbeitsvertrag. Deshalb könne auch eine Pflichtverletzung der Betriebsärztin dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden. Es berichten Rechtsprofessor Michael Fuhlrott auf lto.de und die BadZ (Christian Rath).
OLG München zu wrongful life: Das Oberlandesgericht München hat einen Arzt zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, weil dieser einen Patienten am Leben gehalten hatte, dessen Gesundheitszustand keine Aussicht auf Besserung hatte. Die Richter sahen die Weiterbehandlung als Behandlungsfehler an und konstatierten, eine Lebensverlängerung könne für den Patienten einen Schaden im Rechtssinne bedeuten. Der Arzt wäre dazu verpflichtet gewesen, die Situation des inzwischen verstorbenen Patienten mit seinem Betreuer gründlich zu erörtern. Nun trage er die Beweislast dafür, dass bei ordnungsgemäßer Aufklärung eine Entscheidung zur Fortsetzung der Lebenserhaltung gefallen wäre, so das Gericht. lto.de (Maximilian Amos) fasst das Urteil zusammen. Beide Seiten wollen in Revision gehen.
OLG Frankfurt a.M. zu waldtypischen Gefahren: Ein Waldbesitzer haftet nicht für waldtypische Gefahren. So hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. einem Bericht von lto.de zufolge entschieden. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass sich der Waldbesucher mit dem Betreten des Waldes bewusst derartigen Gefahren aussetze. Eine Frau hatte das Land Hessen verklagt, weil sie bei einer Radtour auf einem Waldweg gestürzt war.
BGH – Tagesschau-App: Der Bundesgerichtshof hat die Revision zu einem Urteil gegen die Tagesschau-App nicht zugelassen. Geklagt hatten acht Zeitungsverlage – darunter die SZ und die FAZ – gegen das Angebot der Tagesschau-App vom 15. Juni 2011, da dieses zu textlastig sei, wodurch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den Zeitungen unrechtmäßig Konkurrenz machten. Über den Rechtsstreit informiert das Hbl (Catrin Bialek).
BFH – Gemeinnützigkeit von Attac: Im Streit um den Gemeinnützigkeitsstatus des globalisierungskritischen Vereins Attac hat der Bundesfinanzhof die Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts Kassel zugelassen. Dies meldet lto.de. Nachdem das Finanzgericht die Zulassung der Revision 2016 abgelehnt hatte, war die Frankfurter Finanzverwaltung auf Anweisung des Bundesfinanzministeriums dagegen vorgegangen. Konkret geht es um die Frage, ob Attac zu politisch ist, um gemeinnützig zu sein.
OLG Düsseldorf – Wilkinson-Ersatzklingen: In einem Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ist ein Rechtsstreit zwischen Gilette und dem Unternehmen Wilkinson Sword verhandelt worden, da letzteres günstige Ersatzklingen für einen Nassrasierer von Gilette auf den Markt gebracht hatte. Der ursprüngliche Kläger Gilette sieht dadurch Patente verletzt, die er vor Jahren für seine austauschbaren Klingen angemeldet hat. Das Landgericht Düsseldorf hatte der Klägerseite zuvor in einem Eilverfahren Recht gegeben, sodass Wilkinson Sword seitdem seine Ersatzklingen weder produzieren noch vertreiben darf. Wie die SZ (Benedikt Müller) berichtet, ist ein Urteil am 11. Januar zu erwarten.
OLG München – NSU-Verfahren: Die FAZ (Karin Truscheit) beschreibt, welche Entwicklungen der NSU-Prozess im Jahr 2017 genommen hat. Dem Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen beipflichtend schlossen die Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts eine verminderte Schuldfähigkeit Beate Zschäpes aus und forderten für sie eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Nachdem die Beweisaufnahme im Sommer geschlossen worden war, folgten mit Verzögerungen die Plädoyers der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts. Seit einigen Wochen plädieren die Nebenkläger und ihre Vertreter. Vermutlich werde im Jahr 2018 nach fünfjähiger Verhandlungsdauer ein Urteil fallen.
LG Stuttgart – LKW-Kartell: Wie die FAZ (Oliver Schmale) berichtet, hat der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (Elvis) eine Schadensersatzklage über 176 Millionen Euro gegen Daimler erhoben. Die Lastwagen-Kunden monieren, sie hätten wegen der jahrelangen Absprachen von Herstellern wie Daimler zu hohe Preise bezahlt. Zuvor hatte die EU-Kommission den Daimler-Konzern und andere Hersteller wegen der Preisabsprachen bereits zu hohen Bußgeldern verurteilt.
LG Duisburg – Loveparade: Im Prozess um die Aufarbeitung der Duisburger Loveparade 2010 hat die Verteidigung massive Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft sowie den früheren NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) erhoben. Die Ermittler hätten ein mögliches Versagen der Polizei bei der Loveparade zu wenig in den Blick genommen. Ferner hätte Jäger durch Äußerungen zum Schutze der eingesetzten Polizisten die Ermittlungen beeinflusst. Die Strafverteidiger fordern, den Prozess bis März auszusetzen, während die Opferanwälte dies als Versuch werten, den Prozess zu verzögern. Die SZ (Christian Wernicke) berichtet.
StA Hamburg – G 20-Fotos: Laut einem Bericht der SZ wird an der Öffentlichkeitsfahndung mit Fotos von mutmaßlichen G 20-Randalierern weiterhin Kritik laut. Nachdem auch schon eine 17-jährige Jugendliche durch die Fotos identifiziert werden konnte, stellte der Jurist Bernd Maelicke infrage, ob bei der Fahndung der Schutzgedanke des Jugendstrafrechts im Interesse der Erziehung jugendlicher Angeklagter erkannt und geprüft wurde.
Thomas Hahn (SZ) kommentiert, eine 17-Jährige falle unter das Jugendstrafrecht und müsse deshalb vor der Öffentlichkeit geschützt werden.
Recht in der Welt
Schweden – Vergewaltigung: Julia Bähr (FAZ) beschreibt und lobt im Feuilleton die geplante Verschärfung des schwedischen Vergewaltigungs-Strafparagraphen. Künftig sei es strafbar mit einer anderen Person Sex zu haben, wenn diese nicht ausdrücklich zustimmt. Diese Zustimmung müsse aber nicht schriftlich erfolgen und die Beweislast für die Tat bleibe beim mutmaßlichen Opfer. Wichtig sei aber der Perspektivenwechsel.
Mazedonien – Staatsnamen: Auf verfassungsblog.de erörtern die mazedonischen Rechtsprofessoren Julija Brsakoska Bazerkoska und Toni Deskoski (in englischer Sprache), wie der Streit zwischen Mazedonien und Griechenland um den Namen Mazedonien die Chancen des mazedonischen Staates beeinflusst, der EU und der Nato beizutreten. Griechenland habe als Mitglied der Nato und der EU die Beitrittsbestrebungen Mazedoniens bisher blockiert, da es aufgrund seiner innerstaatlichen Region Mazedonien einen gleichnamigen unabhängigen Staat nicht akzeptiere. Die Autoren fordern die übrigen Mitgliedstaaten von EU und Nato auf, in diesem Streit zu vermitteln, um auch zu einer politischen Stabilisierung des gesamten Balkangebiets beizutragen.
Polen – Krise des Rechtsstaats: Vor dem Hintergrund der rechtsstaatsgefährdenden Entwicklungen in Polen spricht sich der polnische Doktorand Jakub Jaraczewski auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) dafür aus, dass Rechtswissenschaftler ihre Forschungsergebnisse zur aktuellen Krise des Rechtsstaats mit modernen Kommunikationsmitteln unter Nicht-Akademikern verbreiten sollten. Als Musterbeispiel verweist der Autor auf die Facebook-Seite "Ceiling Sejm", die regelmäßig auf humoristische Art und Weise über aktuelle Nachrichten aus dem polnischen Parlament berichtet.
ICTY: Zum Ende der Tätigkeit des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien zieht Reinhard Müller (FAZ) zu dessen Arbeit, Akzeptanz und Wirkung Bilanz. Der Autor betont die Fernwirkung des ICTY auf alle Staaten und ihre Bürger, auf die Veränderung der nationalen Strafgesetze und auf die Bereitschaft der Staaten, mitzuwirken und Beschuldigte an Den Haag auszuliefern. Zum Ende des Jugoslawien-Tribunals würde zudem die internationale Strafgerichtsbarkeit mit der Einführung des Straftatbestands der "Aggression" eine neue Schwelle überschreiten.
Sonstiges
Streik bei Amazon: Den Aufruf der Gewerkschaft Verdi an die bei Amazon tätigen Arbeitnehmer, in der Vorweihnachtszeit ihre Arbeit niederzulegen, nimmt Rechtsanwalt Hans-Hermann Aldenhoff auf Handelsblatt-Rechtsboard zum Anlass, um die Verhältnismäßigkeit des Streiks zu erörtern. Demnach dürften Streiks nur durchgeführt werden, wenn sie zur Erreichung rechtmäßiger Ziele geeignet, erforderlich und angemessen seien. Von einer Unangemessenheit sei auszugehen, wenn der Streik für den Arbeitgeber unmittelbar existenzgefährdend sei oder unbeteiligte Dritte bzw. die Allgemeinheit übermäßig beeinträchtigt seien. Nach der Auffassung des Autors sind diese Kriterien im Falle des Streiks bei Amazon jedoch nicht erfüllt, weshalb dieser als fragwürdig jedoch nicht als unverhältnismäßig anzusehen sei.
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Am Mittwoch nach Weihnachten erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/man
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 22. Dezember 2017: Prozessbeginn zum Anschlag auf BVB-Bus / OLG München zu wrongful life / Bilanz zum ICTY . In: Legal Tribune Online, 22.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26169/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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