Die Staatsanwaltschaft Chemnitz stellte Ermittlungen wegen Galgen für Merkel und Gabriel ein. Außerdem in der Presseschau: Der EGMR kritisiert Strafe für religiöse Kopfbedeckung im Gericht und Neues zur Diskussion um Rechte für Roboter.
Thema des Tages
StA Chemnitz – Pegida-Galgen: Die Staatsanwaltschaft Sachsen hat das Ermittlungsverfahren gegen einen Mann aus Sachsen eingestellt, der kleine Pegida-Galgen herstellt. Eine Aufforderung zu Straftaten gemäß § 111 Strafgesetzbuch liege nicht vor. Das berichtet die SZ (Ronen Steinke) exklusiv. Die Galgen, die für 15 Euro in einem "heimattreuen" Laden verkauft wurden, waren einem Großgalgen nachempfunden, der im Oktober 2015 bei einer Pegida-Kundgebung in Dresden gezeigt wurde. Die damalige Beschriftung "Reserviert für Angela 'Mutti' Merkel" und "Reserviert für Sigmar 'Das Pack' Gabriel" wurde bei der Miniatur-Nachahmung übernommen. In der vierseitigen Einstellungsverfügung heißt es, die Galgen seien Kunst, nicht ganz ernst zu nehmen. Es sei nicht nachweisbar, dass der Beschuldigte "ernstlich" Leute dazu animieren wolle, Merkel oder Gabriel anzugreifen. Man könne den Galgen auch so interpretieren, dass man Regierungspolitikern lediglich, "quasi symbolisch, den politischen Tod" wünsche. Auch der große Galgen im Jahr 2015 hatte keine Verurteilung zur Folge.
Rechtspolitik
Bürgerversicherung: Corinna Budras (FAZ-Einspruch) lässt Verständnis für die als "Bürgerversicherung" bezeichnete Abschaffung der Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung erkennen, warnt jedoch vor dem großen verfassungsrechtlichen Aufwand. Möglicherweise müsse erst eine Rechtsetzungskompetenz für den Bund geschaffen werden. Auch die Grundrechte von Privatversicherern und angeschlossenen Ärzten müssten beachtet werden. Eine deutsche Regierung sei dem "derzeit kaum gewachsen".
Information über Abtreibungsangebote: Die Rechtsprofessorin Ulrike Lembke begründet im Interview mit der taz (Dinah Riese) erneut, warum sie § 219a Strafgesetzbuch für verfassungswidrig hält. Eine Korrektur durch den Gesetzgeber sei einer Vorlage beim Bundesverfassungsgericht vorzuziehen. Dessen ältere Urteile zum Abtreibungsrecht würden den Interessen von Frauen nicht gerecht.
AGB-Kontrolle: Der Anwalt Werner Müller fordert in der FAZ, dass der Gesetzgeber die immer strenger werdende gerichtliche Kontrolle von AGB bei Verträgen zwischen Unternehmen stoppe. Die Unternehmen müssten frei sein, "Verträge zu schaffen, die nicht vom BGH für unwirksam erklärt werden, weil sie Verpflichtungen enthalten, die im BGB von 1896 nicht verankert waren."
Zukunft der EU: Rechtsprofessor Frank Schorkopf macht im FAZ-Einspruch Vorschläge zur institutionellen Ausgestaltung der EU. Erstens gehe es um "Differenzierung": Der Zugang zu vertiefter Zusammenarbeit müsse auch rückgängig gemacht werden können. EU-Richtlinien sollten den Mitgliedstaaten wieder mehr Gestaltungsspielraum geben. Der EU-Grundrechtsschutz soll sich auf die unmittelbare Anwendung von EU-Recht beschränken. Zweitens gehe es um "Effektuierung": Die geteilte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten soll abgeschafft werden. Vollzugsdefizite in den Mitgliedstaaten führten zu administrativer Zentralisierung. Drittens gehe es um "Demokratisierung": Rat und Parlament sollen Entscheidungen des EuGH für unanwendbar erklären können. Nationale Parlamente sollen ein Initiativrecht erhalten. Das Metaziel einer immer engeren Union soll aufgegeben werden.
Justiz
EGMR zu Kappe im Gericht: Ein Moslem, der im Gericht aus religiösen Gründen seine Kappe aufbehält, ohne sich über das Gericht und die Gesetze lustig zu machen, darf deshalb nicht bestraft werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall aus Bosnien entschieden, wie tagesschau.de (Gigi Deppe) berichtet.
EuG zu Marke "Mi Pad": Das chinesische Unternehmen Xiaomi hat kein Recht, den Namen "Mi Pad" als Marke für elektronische Geräte beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eintragen zu lassen. Dies entschied laut lto.de das Europäische Gericht auf Klage des Unternehmens Apple, das Tabletcomputer unter dem Markennamen iPad herstellt. Das EuG sah eine zu große Ähnlichkeit der Namen, die nur durch den zusätzlichen Buchstaben "M" verschieden seien.
BVerwG zu Jagdsteuer: Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Jagdbezirke innehat, muss keine Jagdsteuer zahlen, wenn sie nur wirtschaftliche Zwecke verfolgt. Das hat nach einer Meldung der FAZ (Hendrik Wieduwilt) jüngst das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, weil es bei einer derartigen Gesellschaft nicht um "besonderen persönlichen Lebensbedarf" gehe.
LG Paderborn – Höxter: Das Landgericht Paderborn muss einen neuen Gutachter für den Hauptangeklagten Wilfried Wagner suchen. Die Verteidigung hatte dem bisherigen Gutachter schwerwiegende Widersprüche zwischen seinen mündlichen Äußerungen und seinem schriftlichen Gutachten vorgeworfen. Inzwischen hat sich der Gutachter "auf nicht absehbare Zeit" krank gemeldet. Damit der Prozess nicht platzt, überlegt das Gericht, die Gutachterin von Wagners mitangeklagter Ehefrau nun auch mit der Begutachtung von Wagner selbst zu betrauen. Laut SZ (Hans Holzhaider) gibt es für diesen Vorschlag unter erfahrenen Gutachtern Kritik, aber auch Lob.
OLG München – NSU: Die Nebenklage-Anwältin Antonia von der Behrens kritisierte, dass die Polizei beim Verfassungsschutz nicht nach rassistischen Motiven der Mordserie nachfragte und es der Behörde daher einfach gemacht habe, ihr Wissen zurückzuhalten. Der Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann macht die gewaltbefürwortende, rassistische Haltung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben für die NSU-Morde mitverantwortlich, berichtet spiegel.de (Julia Jüttner).
LG Duisburg – Loveparade: FAZ-Einspruch (Alexander Haneke/Corinna Budras) geben einen Überblick über das am Freitag am Landgericht Duisburg beginnende Verfahren zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Loveparade 2010, bei der 21 Menschen starben. Ausführlich werden Rahmenbedingung und Vorgeschichte des Prozesses beschrieben. Für die Verteidigung biete es sich an, auf die absolute Verjährung zu spekulieren, die am 23. 7. 2020 eintrete, wenn die Kammer bis dahin zu keinem Urteil komme. In einem ähnlich ausführlichen Vorbericht stellt die FAZ (Reiner Burger) die Abläufe in der Duisburger Verwaltung im Vorfeld der damaligen Loveparade in den Mittelpunkt.
StA Braunschweig – VW-Betriebsrat: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Christian Brand erläutert in der FAZ, unter welchen Bedingungen VW-Manager sich durch die Gewährung einer überhöhten Vergütung des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh wegen Untreue strafbar gemacht haben. Voraussetzung sei, dass in der VW-Satzung oder in den Anstellungsverträgen der Manager ein ausdrückliches Verbot solcher überhöhter Vergütungen für Betriebsräte enthalten war.
Klagen gegen das DFB-Leistungszentrum: FAZ-Einspruch (Helmut Schwan) schildert ausführlich die juristischen Auseinandersetzungen um das in Frankfurt geplante neue Leistungszentrum des Deutschen Fußballbunds, über das an diesem Freitag der DFB-Bundestag abstimmen wird. Das Leistungszentrum soll auf dem Gelände einer verfallenen Pferderennbahn entstehen. Das Gelände hatte die Stadt dem DFB in Erbpacht überlassen. Doch die Pferdefreunde gingen mit zeitweise neun parallelen Prozessen gegen die Kündigung ihres Vertrags und das Räumungsverlangen der Stadt vor.
EuGH-Schlussanträge: Nach einer Auswertung aller 135 Schlussanträgen der EuGH-Generalanwälte aus der zweiten Jahreshälfte 2016 kommt FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) zu dem Ergebnis, dass der Europäische Gerichtshof in 86 Prozent der Fälle den Empfehlungen im Ergebnis gefolgt und in 14 Prozent der Fälle davon abgewichen ist.
BVerwG-Urteile: lto.de (Tanja Podolski) stellt neun wichtige Urteile des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 vor. Dabei geht es um folgende Themen: "Licht aus"-Appell eines OB, Abschiebungsanordnung gegen Gefährder, Medikament für schmerzlose Selbsttötung, Karenzzeit für pensionierten Richter, Tornado-Flug über G8-Camp, verkaufsoffener Sonntag, Entlassung eines rechtsextremen Polizisten, Einbürgerung trotz Identitätstäuschung, MPU für Fahrt unter 1,6 Promille.
Recht in der Welt
EuGH – Italien/Taricco II: Wenn Verjährungsregeln – wie in Italien – zum materiellen Strafrecht gehören, sei die Auffassung des italienischen Verfassungsgerichts zu akzeptieren, dass es zur nationalen Verfassungsidentität gehöre, dass eine Verjährungsregelung nicht nachträglich zuungunsten des Beschuldigten verändert werden darf. Insoweit habe nationales Recht Vorrang vor EU-Recht. Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs stellt der Habilitand Philipp B. Donath auf lto.de dar. Er begrüßt sie als Beitrag für ein "wirkliches Kooperationsverhältnis" zwischen nationalen Verfassungsgerichten und EuGH. Die italienischen Verfassungsrechtler Marco Bassini und Oreste Pollicino stellen auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) das Urteil ebenfalls dar. Sie nennen den Fall, der offiziell als "M.A.S/M.B" firmiert, "Taricco II". Anders als in der Entscheidung "Taricco I" habe der EuGH hier dem italienischen Verfassungsgericht ausreichend Spielraum gelassen, nationale Grundrechte zu beachten.
Österreich – "Ehe für alle": Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass auch homosexuelle Paare spätestens ab 2019 das Recht haben müssen zu heiraten, berichtet lto.de. Die Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft sei angesichts von deren rechtlicher Angleichung nicht mehr zu rechtfertigen und stelle eine Diskriminierung dar.
Spanien – Kataloniens Unabhängigkeit: Das Oberste Gericht Spaniens hat den internationalen Haftbefehl gegen den abgesetzten katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont und vier Minister, die mit ihm nach Brüssel geflohen waren, aufgehoben. Es werde erwartet, dass die Politiker wegen des katalanischen Wahlkampfs nach Spanien zurückkehren. Die nationalen Haftbefehle blieben aber bestehen, berichtet spiegel.de.
USA – Einreisebann: Die taz (Bernd Pickert) analysiert die Entscheidung des US-Supreme Court, zum ersten Mal einen Einreisebann für Staatsangehörige von sechs muslimischen Ländern in Kraft treten zu lassen. In der dritten Version seines Banns argumentiere US-Präsident Trump mit der mangelnden Sicherheitskooperation dieser Staaten. Außerdem gebe es Ausnahmen, zum Beispiel für Studenten, die nach einem Heimaturlaub wieder einreisen wollen. Die Entscheidung des Supreme Court sei aber noch keine Entscheidung in der Sache.
Polen – Justizreform: Die FAZ (Sascha Zoske) berichtet über einen Vortrag von Julia Przylebska, der neuen Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichtshofs, in Frankfurt. Przylebska habe die polnische Justizreform verteidigt, diese sei kein Angriff auf die Gewaltenteilung, sondern der überfällige Versuch, die Rechtsprechung wieder in den Dienst des Bürgers zu stellen. Die Kritik der EU beruhe auf Missverständnissen und Desinformation. Das Publikum blieb laut FAZ skeptisch.
Russland – EGMR: Die Europaabgeordnete Rebecca Harms (Grüne) und der Ex-MdEP Graham Watson (LibDem) behaupten im FAZ-Einspruch, dass Russland mehr als 1.500 Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umgesetzt habe. "Jedes durch Wladimir Putins Russland ignorierte Urteil beschädigt die demokratischen Normen, die wir uns in Europa über Jahrzehnte so mühsam aufgebaut haben." Die Autoren fordern nicht näher benannte "Konsequenzen". Jedenfalls dürfe das nach der Krim-Annektion ausgesetzte Stimmrecht der russischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats nicht wiederhergestellt werden.
Sonstiges
Rechtskritik: Rechtsprofessor Christoph Möllers bespricht in der FAZ das Buch "Juridismus – Konturen einer kritischen Theorie des Rechts" von Daniel Loick. Möllers lobt die gute Einführung in die deutsche Diskussion der Rechtskritik, kritisiert aber, dass sich diese Schule kaum noch mit dem real existierenden Recht auseinandersetze und nur noch "philosophische Selbstbeschäftigung" betreibe.
Roboterrechte: FAZ-Einspruch (Katja Gelinsky) greift den Vorschlag des Europäischen Parlaments auf, dass Roboter als "elektronische Persönlichkeiten" anerkannt werden sollten. Die Rechtswissenschaft und die deutschen Justizminister seien dagegen. Rechtsprofessor Jan Erik Schirmer warne vor einer "Vermenschlichungsfalle". Wenn Roboter einen eigenen Rechtsstatus hätten, müsse man künftig begründen, warum sie bestimmte Rechte nicht haben. Der Mensch gerate "juristisch gegenüber dem Roboter in die Defensive".
Bürgerwehr: Rechtsprofessor Volker Rieble plädiert im FAZ-Einspruch für die Anerkennung von Bürgerwehren. Das staatliche Gewaltmonopol werde durch Individualrechte wie Notwehr, Notstand und Festnahmerechte eingeschränkt. Diese Rechte könnten auch kollektiv ausgeübt werden. Die entscheidende Grenze sei: Nach Abwehr der Gefahr dürfe der Selbstschutz nicht in Selbstjustiz übergehen.
Mäßigungspflicht von Professoren: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Ralf Zimmermann beschreibt auf juwiss.de die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen von inner- und außerdienstlichen Äußerungen beamteter Hochschulprofessoren, ohne dabei auf konkrete Fälle einzugehen.
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lto/chr
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Die juristische Presseschau vom 6. Dezember 2017: Pegida-Galgen straflos / Kappe im Gericht zulässig / "Elektronische Persönlichkeit" kritisiert . In: Legal Tribune Online, 06.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25867/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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