Die juristische Presseschau vom 6. Dezember 2017: Pegida-Galgen straflos / Kappe im Gericht zulässig / "Elek­tro­ni­sche Per­sön­lich­keit" kri­ti­siert

06.12.2017

Recht in der Welt

EuGH  Italien/Taricco II:  Wenn Verjährungsregeln – wie in Italien – zum materiellen Strafrecht gehören, sei die Auffassung des italienischen Verfassungsgerichts zu akzeptieren, dass es zur nationalen Verfassungsidentität gehöre, dass eine Verjährungsregelung nicht nachträglich zuungunsten des Beschuldigten verändert werden darf. Insoweit habe nationales Recht Vorrang vor EU-Recht. Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs stellt der Habilitand Philipp B. Donath auf lto.de dar. Er begrüßt sie als Beitrag für ein "wirkliches Kooperationsverhältnis" zwischen nationalen Verfassungsgerichten und EuGH. Die italienischen Verfassungsrechtler Marco Bassini und Oreste Pollicino stellen auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) das Urteil ebenfalls dar. Sie nennen den Fall, der offiziell als "M.A.S/M.B" firmiert, "Taricco II". Anders als in der Entscheidung "Taricco I" habe der EuGH hier dem italienischen Verfassungsgericht ausreichend Spielraum gelassen, nationale Grundrechte zu beachten.

Österreich  "Ehe für alle": Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass auch homosexuelle Paare spätestens ab 2019 das Recht haben müssen zu heiraten, berichtet lto.de. Die Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft sei angesichts von deren rechtlicher Angleichung nicht mehr zu rechtfertigen und stelle eine Diskriminierung dar.

Spanien  Kataloniens Unabhängigkeit: Das Oberste Gericht Spaniens hat den internationalen Haftbefehl gegen den abgesetzten katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont und vier Minister, die mit ihm nach Brüssel geflohen waren, aufgehoben. Es werde erwartet, dass die Politiker wegen des katalanischen Wahlkampfs nach Spanien zurückkehren. Die nationalen Haftbefehle blieben aber bestehen, berichtet spiegel.de.

USA  Einreisebann: Die taz (Bernd Pickert) analysiert die Entscheidung des US-Supreme Court, zum ersten Mal einen Einreisebann für Staatsangehörige von sechs muslimischen Ländern in Kraft treten zu lassen. In der dritten Version seines Banns argumentiere US-Präsident Trump mit der mangelnden Sicherheitskooperation dieser Staaten. Außerdem gebe es Ausnahmen, zum Beispiel für Studenten, die nach einem Heimaturlaub wieder einreisen wollen. Die Entscheidung des Supreme Court sei aber noch keine Entscheidung in der Sache.

Polen  Justizreform: Die FAZ (Sascha Zoske) berichtet über einen Vortrag von Julia Przylebska, der neuen Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichtshofs, in Frankfurt. Przylebska habe die polnische Justizreform verteidigt, diese sei kein Angriff auf die Gewaltenteilung, sondern der überfällige Versuch, die Rechtsprechung wieder in den Dienst des Bürgers zu stellen. Die Kritik der EU beruhe auf Missverständnissen und Desinformation. Das Publikum blieb laut FAZ skeptisch.

Russland  EGMR: Die Europaabgeordnete Rebecca Harms (Grüne) und der Ex-MdEP Graham Watson (LibDem) behaupten im FAZ-Einspruch, dass Russland mehr als 1.500 Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umgesetzt habe. "Jedes durch Wladimir Putins Russland ignorierte Urteil beschädigt die demokratischen Normen, die wir uns in Europa über Jahrzehnte so mühsam aufgebaut haben." Die Autoren fordern nicht näher benannte "Konsequenzen". Jedenfalls dürfe das nach der Krim-Annektion ausgesetzte Stimmrecht der russischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats nicht wiederhergestellt werden.

Sonstiges

Rechtskritik: Rechtsprofessor Christoph Möllers bespricht in der FAZ das Buch "Juridismus – Konturen einer kritischen Theorie des Rechts" von Daniel Loick. Möllers lobt die gute Einführung in die deutsche Diskussion der Rechtskritik, kritisiert aber, dass sich diese Schule kaum noch mit dem real existierenden Recht auseinandersetze und nur noch "philosophische Selbstbeschäftigung" betreibe.

Roboterrechte: FAZ-Einspruch (Katja Gelinsky) greift den Vorschlag des Europäischen Parlaments auf, dass Roboter als "elektronische Persönlichkeiten" anerkannt werden sollten. Die Rechtswissenschaft und die deutschen Justizminister seien dagegen. Rechtsprofessor Jan Erik Schirmer warne vor einer "Vermenschlichungsfalle". Wenn Roboter einen eigenen Rechtsstatus hätten, müsse man künftig begründen, warum sie bestimmte Rechte nicht haben. Der Mensch gerate "juristisch gegenüber dem Roboter in die Defensive".

Bürgerwehr: Rechtsprofessor Volker Rieble plädiert im FAZ-Einspruch für die Anerkennung von Bürgerwehren. Das staatliche Gewaltmonopol werde durch Individualrechte wie Notwehr, Notstand und Festnahmerechte eingeschränkt. Diese Rechte könnten auch kollektiv ausgeübt werden. Die entscheidende Grenze sei: Nach Abwehr der Gefahr dürfe der Selbstschutz nicht in Selbstjustiz übergehen.

Mäßigungspflicht von Professoren: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Ralf Zimmermann beschreibt auf juwiss.de die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen von inner- und außerdienstlichen Äußerungen beamteter Hochschulprofessoren, ohne dabei auf konkrete Fälle einzugehen.

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lto/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Dezember 2017: Pegida-Galgen straflos / Kappe im Gericht zulässig / "Elektronische Persönlichkeit" kritisiert . In: Legal Tribune Online, 06.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25867/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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