Richter fordern neue Regelung zum Streitwert bei Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH. Außerdem in der Presseschau: Die Staatsanwaltschaft akzeptiert das Schlecker-Urteil und Argumente gegen richterliches Twitterverbot.
Thema des Tages
BGH-Nichtzulassungsbeschwerde: Im Juni 2018 läuft die zivilprozessrechtliche Regelung aus, wonach der Streitwert einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof bei mindestens 20.000 Euro liegen muss. Ab diesem Zeitpunkt können Nichtzulassungsbeschwerden mit jedem noch so geringen Streitwert erhoben werden. Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet, befürchten Bundesrichter und der Deutsche Richterbund dadurch eine Überlastung des Bundesgerichtshofs durch Revisionsverfahren. Dies hätte fatale Folgen für viele Bürger, die bei Rechtsstreitigkeiten im Banken-, Versicherungs-, Miet- oder Verkehrsunfallrecht erst nach vielen Jahren ein Urteil des Bundesgerichtshofs erhalten. Auch auf die Landes- und Oberlandesgerichte käme mehr Arbeit zu, da sie ausführlichere Urteile schreiben müssten, wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde möglich sei. Der Gesetzgeber müsse langfristig eine neue Wertgrenze festsetzen. Angesichts der aktuell schwierigen Regierungsbildung sei von einer geschäftsführenden Bundesregierung jedoch erst einmal nur eine neue Zwischenlösung zu erwarten.
Rechtspolitik
EU-Mehrwertsteuer: Wie die FAZ (Manfred Schäfers) berichtet, wollen die EU-Finanzminister an diesem Dienstag eine Reform der Mehrwertsteuer beschließen, wonach für Unternehmen in jedem Mitgliedstaat eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet werden soll, bei der sie gegenüber allen EU-Mitgliedstaaten ihrer Mehrwertsteuerpflicht nachkommen können. Des Weiteren soll die Bagatellgrenze von 22 Euro im Zollrecht entfallen. Die Reform soll es Unternehmen erleichtern, ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen, sowie Steuerbetrug verhindern.
In einem Kommentar stellt Manfred Schäfers (FAZ) die Frage, ob sich die Steuerreform praktisch gut umsetzen lasse und die zentralen Anlaufstellen in allen EU-Mitgliedstaaten erfolgreich Steuern eintreiben könnten. So seien zum Beispiel die griechischen Behörden schon damit überfordert, die eigenen Steuern nach nationalem Recht einzutreiben.
Lauschangriff: Laut einem Antrag für die am Donnerstag beginnende Innenministerkonferenz will Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine Hilfspflicht für Hersteller von Alarmanlagen und Fahrzeugen einführen, um der Polizei Lauschangriffe in Wohnungen und Autos zu erleichtern. In manchen Fahrzeugen würde die digitiale Sicherheitstechnik den Verdächtigen vor dem Lauschangriff bisher noch warnen. Wie die taz (Christian Rath) beschreibt, sei die konkrete Ausgestaltung der Hilfspflicht noch offen, der Innenminister habe jedoch ein Abhören in Wohnungen und Autos durch eigene Elektrogeräte ausgeschlossen.
Bürgerversicherung: Die SZ (Nikolaus Piper) erörtert die Vor- und Nachteile des gesetzlichen Reformvorhabens um die Einführung einer Bürgerversicherung. Für die Einführung spreche, dass Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten eingeebnet werden könnten. Hingegen könnten Übergangsprobleme auftreten, da der Staat in laufende private Versicherungsverträge nicht eingreifen dürfe und diese somit bestehen blieben. Außerdem lenke das Reformvorhaben von dem eigentlichen Problem der zukünftigen Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems ab.
In einem Gastbeitrag für die Welt stellt der emeritierte Rechtsprofessor Rupert Scholz die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Bürgerversicherung fest. Aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und Nr. 12 GG ergebe sich ein Nebeneinander zwischen dem "privatrechtlichen Versicherungswesen" und der "Sozialversicherung". Zudem stelle die Einführung der Bürgerversicherung nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Eigentumsgarantie sowie die Berufsfreiheit der Unternehmen der privaten Krankenversicherung dar.
Justiz
LG Stuttgart zu Schlecker: Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Revision gegen die Bewährungsstrafe für den früheren Drogerie-Unternehmer Anton Schlecker. Das Landgericht Stuttgart hatte Schlecker am Montag vergangener Woche wegen Bankrotts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft begründet laut FAZ (Marcus Jung) den Verzicht damit, dass "die Strafe nicht in einem offenen Missverhältnis zur Schwere der Tat stehe". Ob auch Schlecker auf Revision verzichtet hat, sei nicht bekannt.
LG Leipzig zu Unister: Das Landgericht Leipzig hat zwei Manager des Internet-Unternehmens Unister zu Haftstrafen auf Bewährung sowie zu einer Geldstrafe verurteilt, wie die SZ (Uwe Ritzer) berichtet. Den Angeklagten wurden Betrug, Steuerhinterziehung und andere Wirtschaftsdelikte vorgeworfen, da sie Kunden bei Flugbuchungen Kostenvorteile vorenthalten hatten.
LG Karlsruhe zu BBBank: Die BBBank in Karlsruhe darf für eine Münzeinzahlung kein Entgelt in Höhe von 7,50 Euro mehr verlangen. Das hat das Landgericht Karlsruhe entschieden, nachdem die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg Klage eingereicht hatte. Die Richter entschieden zugunsten der Verbraucher, da "das vereinbarte Entgelt zur Erfüllung vertraglicher Pflichten nicht über die Kosten hinausgehen dürfe, die dem Unternehmen dadurch tatsächlich entstünden". Die FAZ (Christian Siedenbiedel) fasst den Rechtsstreit zusammen.
VG Koblenz zu Sanifair: Die Erhebung eines Entgelts für die Benutzung von Sanifair-Toiletten an Bundesautobahnen in Rheinland-Pfalz ist rechtmäßig. Einem Bericht von lto.de zufolge hatte der Kabarettist Reinald Grebe gegen die Gebühr geklagt und sich auf die Landesgaststättenverordnung berufen, welche eine kostenlose Benutzung vorschreibe. Die Koblenzer Richter erklärten jedoch, die Landesregelung sei aufgrund einer abschließenden Regelung auf Bundesebene gar nicht erst anwendbar.
EGMR – Sicherungsverwahrung: Auf verfassungsblog.de beschreibt Rechtsprofessor Marten Breuer den Verlauf der mündlichen Verhandlung im Fall Ilnseher gegen Deutschland vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorige Woche und stellt die zentralen Streitpunkte vor. So stünde die Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung im konkreten Fall mit Art. 5 EMRK (Freiheit der Person) und Art. 7 EMRK (Rückwirkungsverbot) zur Diskussion. Fraglich sei zum einen, ob eine psychische Krankheit des Sicherungsverwahrten im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK die Freiheitsentziehung rechtfertigen könne und ob die Sicherungsverwahrung eine Strafe im Sinne von Art. 7 EMRK darstelle. Der Autor prognostiziert, dass das anstehende Urteil für das Kooperationsverhältnis von Karlsruhe und Straßburg von Bedeutung sein werde.
AG Goslar – Hörprothese: Das Amtsgericht in Goslar muss darüber entscheiden, ob einem tauben Kind gehörloser Eltern gegen deren Willen eine Hörprothese eingepflanzt werden soll. Fraglich ist, ob das Familiengericht nach § 1666 BGB vor dem Hintergrund einer "Gefährdung des Kindeswohls" eine solche Maßnahme zur Gesundheitsvorsorge anordnen kann. Jost Müller-Neuhof (Tsp) weist auf das grundrechtlich verankerte Erziehungsrecht der Eltern hin. Außerdem seien "Konflikte dieser Art vor Gericht schlecht aufgehoben und das Ergebnis gescheiterter Kommunikation".
Recht in der Welt
Spanien – Unabhängigkeit Kataloniens: Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat entschieden, dass vier führende katalanische Politiker weiterhin in Untersuchungshaft bleiben sollen, weil Wiederholungsgefahr besteht. Im Kontext der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens sind sie wegen "Rebellion", "Aufstand" und "Veruntreuung öffentlicher Gelder" angeklagt. Sechs weitere Politiker wurden gegen Zahlung einer Kaution von je 100.000 Euro aus der U-Haft entlassen, berichten die FAZ (Hans-Christian Rößler) und die SZ (Thomas Urban). Die belgische Justiz wird am 14. Dezember über die Auslieferung des ehemaligen katalanischen Regierungspräsidenten Carles Puigdemont nach Spanien entscheiden.
USA – Einreisebeschränkungen: Laut spiegel.de hat das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten ein Dekret von US-Präsident Donald Trump vorläufig in Kraft gesetzt, das Einreisebeschränkungen gegenüber den Bürgern von sechs muslimischen Ländern sowie Venezuela und Nordkorea vorsieht. Die Entscheidung gelte nur, bis über die noch laufenden Berufungen gegen das Dekret entschieden sei.
EuGH – Irische Steuern für Apple: Im Rechtsstreit um die Steuernachlässe für Apple hat Irland vor dem Europäischen Gerichtshof teilweise eingelenkt. Irland wird jetzt einen Treuhandfonds einrichten, in den Apple nach und nach die von der Kommission für angemessen erachteten Steuern einzahlen wird. Die Kommission hatte die Steuernachlässe als unzulässige Beihilfe bewertet. Dagegen hatten Irland und Apple geklagt. Irland behält diese Klage auch aufrecht. Die Kommission wiederum hatte Irland verklagt, weil sich das Land zunächst weigerte, die vermeintlich angemessenen Steuern in Höhe von 13 Milliarden Euro einzuziehen. Die FAZ (Werner Mussler) berichtet.
Sonstiges
Weibliche Partner in Großkanzleien: Das Hbl (Kevin Knitterscheidt) stellt eine Umfrage zum Anteil an weiblichen Partnern in großen Wirtschaftskanzleien vor. Trotz Förderung und Teilzeitarbeit ist dieser nach wie vor sehr gering. In dem Artikel wird ein nachhaltiger Kulturwandel thematisiert, damit die Partnerschaft für Frauen attraktiver wird.
Umfrage zu Whistleblowing: Die FAZ (Marcus Jung) stellt eine Umfrage im Auftrag der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer vor, die Vorstände und Topmanager in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten zu ihren Erfahrungen mit dem Thema Whistleblowing befragte. Es sei ein Umdenkprozess in Unternehmen zu konstatieren, da interne Hinweisgeber inzwischen weniger abgelehnt, sondern ihre Hinweise zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten und Gesetzesverstößen im Unternehmen ernst genommen würden.
Twittern aus dem Gerichtssaal: Rechtsanwalt Martin W. Huff beschäftigt sich auf lto.de mit der Frage, ob ein Richter mittels seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse das Twittern aus dem Gerichtssaal verbieten darf. Während das Telefonieren mit der Begründung untersagt werden könne, dass es die Sitzung störe, seien von dem Schreiben von Meldungen keine Störungen zu erwarten. Das Twittern aus dem Gerichtssaal sei zudem mit der Situation zu vergleichen, dass ein Zuhörer während der Gerichtsverhandlung den Saal verlasse und draußen von ihrem Verlauf erzähle, was rechtlich nicht zu beanstanden sei. Für den Autor ist ein derartiges Verbot des Richters daher kaum haltbar.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/man
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. Dezember 2017: Streit um BGH-Nichtzulassungsbeschwerde / StA verzichtet auf Schlecker-Revision / Twittern im Gericht . In: Legal Tribune Online, 05.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25847/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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