Das OLG Hamm will Beweise zur Verantwortung von RWE für Klimaschäden in Peru aufnehmen. Außerdem in der Presseschau: Russischer Gefährder durfte abgeschoben werden, Argentiniens Justiz arbeitet Junta auf und NSU-Opfer werden entschädigt.
Thema des Tages
OLG Hamm – peruanischer Bauer: Das Oberlandesgericht Hamm hat im Verfahren des peruanischen Kleinbauers gegen RWE die Beweisaufnahme angeordnet. Ein Sachverständiger solle klären, ob die Emissionen des Energiekonzerns den Klimawandel und damit die Gletscherschmelze in den peruanischen Anden "mess- und berechenbar" mitverursachten. Die Richter in Hamm hielten Saúl Lliuyas Klage nach wie vor für zulässig und schlüssig begründet. Ein "historischer Durchbruch mit weltweiter Relevanz" aus der Sicht der Umweltorganisation German Watch, die Lliuya unterstützt. Die taz (Christian Rath) schreibt über das "Musterverfahren mit weltweiter Vorbildwirkung" und skizziert auch die unterschiedlichen Rechtsauffassungen von RWE und der Vorinstanz. Auch die SZ (Benedikt Müller) schildert das Vorbringen des Bauern.
Christian Rath (BadZ) attestiert der Klage "schräg", aber "rechtlich konsequent" zu sein. RWE als Europas größter Einzelverursacher von CO2-Emissionen solle auch deshalb an den Pranger gestellt werden, damit das Unternehmen den Kohleabbau einstellt. Rath sagt voraus, dass sich letztlich der Bundesgerichtshof mit dem Fall befassen werde. Angesichts der Milliardenhöhe möglicher Entschädigungsforderungen wegen des Klimawandels werde "der BGH vor einem entsprechenden Urteil zurückschrecken".
Rechtspolitik
Direkte Demokratie: Auf juwiss.de schildert Constantin Ladwig, einer der Sieger des Hansemoot, wie Elemente der direkten Demokratie in Deutschland in verfassungsrechtlich sinnvoller Weise etabliert werden könnten. So warnt er davor, der Volksgesetzgebung eine "dem parlamentarischen Gesetzgeber gleichgeordnete Mitgestaltungsfunktion" zuzugestehen. Vielmehr sei sie "als ein neben den Wahlen zusätzliches Instrument zur Kontrolle der Repräsentanten" wünschenswert.
Regierungsbildung: Der Professor für Öffentliches Recht Thorsten Kingreen erinnert in der SZ daran, dass dem Bundespräsidenten in der Republik Deutschland verfassungsrechtlich nur eine Repräsentantenrolle zukommt. Das Parlament solle sich daher von seiner "neomonarchistischen Retroromantik und einem falsch verstandenen Stabilitätsdogma" befreien und selbst die Verantwortung für die Regierungsbildung tragen – so wie es verfassungsrechtlich vorgesehen sei. In einem Leserbrief bringt Jürgen Bussiek in der SZ ein "Plädoyer für mehr Gewaltenteilung": Er betont, der Regierung obliege allein die vollziehende Gewalt, sie dürfe sich nicht darauf verlassen, dass die Parteienmehrheit Gesetze in ihrem Sinne erlasse. Bussiek preist "eine unabhängige Regierung ohne verbriefte Mehrheit im Parlament" als "Urform der Demokratie".
EU-Mehrwertsteuerreform: Der Fachanwalt für Steuerrecht Sandro Nücken zeichnet in der FAZ ausführlich nach, wie die EU-Kommission die Regelungen zur EU-Mehrwertsteuer reformieren will und erklärt die bisherigen Defizite. Der aktuelle Vorschlag für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem solle den Mehrwertsteuerbetrug um 80 Prozent verringern.
Steuerbetrug auf Onlinehandelsplattformen: Die Länderfinanzminister wollen Konzerne wie Amazon dafür haftbar machen, wenn ausländische Händler auf ihren Onlinehandelsplattformen den Fiskus um die Umsatzsteuer betrügen. So sollen entsprechende Schlupflöcher verschwinden. Die SZ (Cerstin Gammelin) präsentiert die geplante Gesetzesinitiative. spiegel.de (David Böcking/Claus Hecking) skizziert auch mögliche Schwächen.
Cashflow-Tax: Die SZ (Nikolaus Piper) stellt die "Destination-Based Cash-Flow Tax" vor, die die Steuertricks von Großkonzernen aushebeln könnte. Die Cashflow-Tax würde sich statt nach dem Gewinn nach den Geldern richten, die in die Kassen der Unternehmen fließen. So könnten Unternehmen nicht dadurch, dass sie Gewinne in andere Staaten verschieben, Steuern umgehen. Allerdings ließe das Konzept noch Fragen offen – unklar sei etwa, ob der Fiskus dadurch letztlich profitiere, da möglicherweise bisher in Deutschland gezahlte Steuern künftig an andere Staaten gingen.
Justiz
EGMR zu russischem Gefährder: Deutschland hat im vergangenen September rechtmäßigerweise einen 18-jährigen Russen, der in Bremen aufwuchs, wegen des Verdachts der Verbindung zum sogenannten Islamischen Staat als Gefährder nach Russland abgeschoben. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die Straßburger Richter erkannten keine ausreichenden Hinweise darauf, dass er in Russland unmenschlich behandelt oder gefoltert werde und wies seine Beschwerde ab. Die SZ (Wolfgang Janisch) skizziert den Fall.
Wolfgang Janisch (SZ) hält mehrere Mahnungen fest: Der Gefährderparagraf zeige, dass zunächst bestehendes Recht angewendet werden müsse, bevor neue Regelungen gefordert werden. "Fragwürdige Abschiebungen" "in die Hände von Folterern" seien auch nach dem aktuellen Fall nicht zulässig. Und schließlich seien rechtsstaatliche Skrupel angebracht, jemanden als Gefährder einzustufen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Tobias Klarmann moniert auf verfassungsblog.de, der EGMR habe sich im Zweifel gegen die Intervention entschieden und sich nicht gegen die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts gestellt, obwohl neue Erkenntnisse dies zuließen. "Wenn sich der EGMR [...] auch bei der Gefahr von massiven Menschenrechtsverletzungen derartig zurücknimmt, demontiert er sich letztlich selbst."
Mit den "Tücken bei der Abschiebung islamistischer Gefährder" befasst sich die Welt (Florian Flade) anhand bekannter Fälle. So sei es schwierig, den mutmaßlichen Gefährdern nach § 58a Aufenthaltsgesetz die nötige Gefährlichkeit nachzuweisen. Und auch wenn eine Person als Gefährder identifiziert sei, könne eine potentielle menschenunwürdige Behandlung im Zielstaat die Abschiebung verhindern.
LG Regensburg zu misshandeltem Sohn: Das Landgericht Regensburg hat die Eltern eines Sechsjährigen zu Freiheitsstrafen wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen verurteilt, weil sie ihren Sohn trotz Verbrennungen dritten Grades nicht zum Arzt brachten. Die Mutter soll für drei Jahre und zwei Monate, der Vater für fünf Jahre in Haft. spiegel.de beschreibt die Bruchstücke des Falls, die im Verfahren geklärt werden konnten.
Recht in der Welt
Argentinien – ehemalige Militärs: Während der Militärdiktatur in Argentinien zwischen 1976 und 1983 sollen 48 ehemalige Militärs 789 Menschen verschleppt, gefoltert und die meisten auch ermordet haben. Ein Gericht in Buenos Aires verhängte nun hohe Haftstrafen gegen sie – 29 erhielten lebenslänglich, 19 müssen zwischen 8 und 25 Jahre ins Gefängnis, sechs wurden freigesprochen. Historisch sei der Prozess insbesondere deswegen, weil erstmals Piloten der sogenannten Todesflüge verurteilt wurden – sie hatten mutmaßliche Regimekritiker über dem Meer abgeworfen, teilt die SZ (Boris Herrmann) mit. Auch die FAZ (Matthias Rüb) und die taz (Jürgen Vogt) berichten.
Eine Katharsis sieht Sebastian Schoepp (SZ) in dem Urteil. Argentinien gebe damit, dass es sich von den Schatten der Verbrechen ohne internationale Gerichte selbst befreit habe, ein Beispiel für die Welt. Die penible juristische Korrektheit habe wirkmächtige und eindrucksvolle Urteile hervorgebracht. Schoepp skizziert den nationalen und internationalen Umgang mit der Junta zur Zeit des Regimes und lobt mit Blick auf das politische Chaos in Lateinamerika das "demokratische Reifezeugnis" Argentiniens.
Praljaks Freitod vor ICTY: Die FAZ (Stephan Löwenstein/Michael Stabenow) und die SZ (Peter Münch/Ronen Steinke) suchen nach möglichen Erklärungen, wie Slobodan Praljak an das Gift kam und es in den Gerichtssaal schmuggeln konnte, obwohl er kontrolliert wurde. Die Den Haager Staatsanwaltschaft ermittele nun. In Kroatien werde der ehemalige General bereits zu einem Märtyrer stilisiert – Ministerpräsident Plenković halte das Urteil für eine "große moralische Ungerechtigkeit". Das kroatische Parlament forderte die Regierung dazu auf, das Urteil anzufechten.
EGMR – Deniz Yücel: Am vergangenen Mittwochabend hat sich Deniz Yücels Rechtsanwalt Veysel Ok mit der Berliner Rechtsanwaltskammer über den Fall des Journalisten ausgetauscht. Ok beanstandet die Defizite des türkischen Rechtsstaats und hofft auf den Erfolg der Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welche sich gegen die "absurden Anschuldigungen" und den Verstoß gegen Verfahrensrechte durch die Türkei richtet. lto.de fasst Oks Schilderungen zusammen.
EuGH – Schächten in Belgien: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Nils Wahl führt in seinem Schlussantrag aus, das Verbot des Schächtens in "temporären Schlachthöfen" verstoße nicht gegen die Religionsfreiheit. Es sei eine neutrale Regelung, dass lediglich zugelassene Schlachthöfe rituell schlachten dürfen. Mehrere islamische Vereinigungen hatten sich dagegen gewehrt, dass dies auch während des islamischen Opferfestes gelte, schreibt zeit.de. Der Lehrbeauftragte Thomas Traub erläutert auf lto.de, warum er die Argumentation des Generalanwalts mit Blick auf die Religionsfreiheit teile. Er geht auch kurz auf das Verbot des Schächtens in Deutschland ein.
Österreich – Datenschutzorganisation: Der Datenschutzaktivist Max Schrems hat in Wien die Datenschutzorganisation "Noyb" – für "none of your business" – gegründet. Mittels privater Datenschutzklagen wolle Noyb Unternehmen abschrecken, die das Recht missbrauchten. Solche, die unzureichend informiert seien, will die Organisation dabei unterstützen, Datenschutzgesetze einzuhalten. Die FAZ (Allegra Pirker) hat mit Schrems gesprochen.
EuG zu Red Bulls Blau/Silber: Die Red Bull GmbH kann die Farbkombination Blau/Silber nicht als Unionsmarke für Energydrinks behalten. Das Europäische Gericht sah es als rechtmäßig an, dass das EU-Amt für Geistiges Eigentum (EUIPO) die beiden im Jahr 2005 und 2011 eingetragenen Farbmarken des Konzerns schließlich auf Antrag eines Konkurrenzunternehmens für nichtig erklärte – die Marken seien nicht "hinreichend präzise und einheitlich". Rechtsanwalt David Ziegelmayer führt auf lto.de aus, welche Anforderungen das Recht an die Markenfähigkeit stellt.
Sonstiges
Entschädigungen für NSU-Opfer: Die Thüringer Landesregierung hat am vergangenen Mittwoch beschlossen, einen Entschädigungsfonds für die Opfer des NSU in Höhe von 1,5 Millionen Euro einzurichten. Thüringen wolle seinen Teil der Verantwortung tragen, so Ministerpräsident Ramelow (Linke). Mehrere Anwälte der NSU-Opferfamilien begrüßten die Entscheidung, so die taz (Konrad Litschko).
Rezension BtMG-Kommentar: Amtsrichter Carsten Krumm widmet sich auf dierezensenten.blogspot.co.at dem am 5. Oktober diesen Jahres in fünfter Auflage erschienenen Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz von Klaus Weber. Sein Fazit: "Insgesamt kann das Buch nur jedem Strafrechtler in der Praxis ans Herz gelegt werden. Es hat durchaus die Klasse, ein Standardwerk für das BtM-Recht zu sein."
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. Dezember 2017: Etappensieg für Bauer gegen RWE / EGMR billigt Gefährderabschiebung / NSU-Opferfonds . In: Legal Tribune Online, 01.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25601/ (abgerufen am: 16.04.2024 )
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