Die juristische Presseschau vom 30. November 2017: Selbst­mord vor dem ICTY / Haft­be­fehl gegen Franco A. auf­ge­hoben / Vor­würfe gegen Ver­fas­sungs­schutz

30.11.2017

Justiz

EuGH zu Online-Videorekorder: Durch einen Online-Videorekorder in einer "Cloud" aufgezeichnete Fernsehsendungen fallen nicht unter das Recht auf Privatkopie und sind ohne Erlaubnis durch den Sender unzulässig. Die Vervielfältigung stelle eine erneute Veröffentlichung der Inhalte dar, entschied der EuGH am Mittwoch laut FAZ (Hendrik Wieduwilt). Der Anwalt Torsten Kraul geht auf lto.de ausführlich auf die zugrunde liegende EU-Urheberrechtsrichtlinie sowie technische Fragen ein.

EuGH zu Urlaubsansprüchen: Versäumt es ein Arbeitgeber, seinem Arbeitnehmer bezahlten Jahresurlaub zu gewähren, verfällt der Urlaubsanspruch nicht. Dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs lag der Fall eines zu unrecht als "selbständig" beschäftigten britischen Arbeitnehmers zugrunde, der 13 Jahre lang keinen Urlaub genommen hatte. Der EuGH stellte laut FAZ (Markus Jung) und lto.de außerdem klar, dass Arbeitnehmer ihren Erholungsurlaub nicht erst nehmen müssen, bevor sie den Anspruch auf Bezahlung gerichtlich feststellen lassen können.

BGH zu Haftbefehl Franco A.: Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen den terrorverdächtigen Soldaten Franco A. aufgehoben, der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte und dem vorgeworfen wurde, gemeinsam mit zwei weiteren Beschuldigten ein rechtsextremistisches Attentat auf hochrangige Politiker geplant zu haben. Nachdem eine frühere Haftbeschwerde verworfen wurde, besteht laut dem 3. Strafsenat nun kein Haftgrund mehr. Wie SZ (Lena Kampf/Georg Mascolo/Nicolas Richter) und zeit.de berichten, reicht die bisherige Beweislage trotz belastender Ermittlungsergebnisse nicht aus, um den dringenden Tatverdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu begründen.

Reinhard Müller (FAZ) meint, die Bundeswehr sei im Zuge dieses Falles zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt worden.

BFH zu anwaltlicher Schweigepflicht: Bei der Beratung von Unternehmern aus anderen EU-Mitgliedsländern müssen Rechtsanwälte die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ihrer Mandanten in sogenannten "Zusammenfassenden Meldungen" an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) übermitteln und können sich nicht auf die Schweigepflicht gem. § 102 I Nr. 3 lit. b. der Abgabenordnung (AO) berufen. Das entschied der BFH laut Meldung von FAZ (Hendrik Wieduwilt) und lto.de unter Berufung auf das EU-harmonisierte System der Besteuerung, welches auch ausländischen Unternehmern bekannt sei.

BVerfG zu Intersexualität: In einem weiteren Debattenbeitrag zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Anerkennung eines dritten Geschlechts mahnt Senior Lecturer Grietje Baars auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache), dass eine positive Anerkennung im Recht nicht automatisch mit Akzeptanz und Schutz in der Gesellschaft einhergehe. Sie plädiert für einen fundamentalen strukturellen Wandel, bei dem es nicht länger um rechtliche Anerkennung durch den Staatsapparat geht, sondern sich das Menschsein in erster Linie unabhängig vom Geschlecht bestimmt.

OLG Celle zu Haftfähigkeit Grönings: Der wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilte frühere SS-Mann Gröning ist trotz seines Alters von 96 Jahren haftfähig. Besondere Bedürfnisse aufgrund seines Gesundheitszustandes könnten im Vollzug entsprechend berücksichtigt werden, entschied das Oberlandesgericht Celle laut FAZ (Alexander Haneke) und lto.de

OLG Hamm zu Silikonimplantaten: Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm muss ein französischer Haftpflichtversicherer nicht für Schäden aufgrund mangelhafter Silikonimplantate zahlen, sofern die Operation in Deutschland stattgefunden hat, meldet lto.de.

AG Hamburg zu G20-Akkreditierung: Das Amtsgericht Hamburg hat laut taz.de (Peter Weissenburger) entschieden, dass die Beschlagnahme der Akkreditierungskarte von Greenpeace-Kampagnenleiter Karsten Smid beim G20-Gipfel rechtswidrig war. Der Informationsstand der Polizeibeamten, die aufgrund interner Vorgaben davon ausgingen weisungsgemäß zu handeln, sei in solchen Fällen nicht ausschlaggebend.

EGMR – Sicherungsverwahrung: Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhandelte über den Fall des bereits 1999 wegen Mordes verurteilten Daniel I., der in seiner 2012 nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sieht. Wie die taz (Christian Rath) berichtet, steht nun ein Grundsatzurteil des EGMR bevor, der einen nachträglich angeordneten Gewahrsam nur bei psychisch kranken Straftätern zulässt. Während der Klägeranwalt auch die Wirkung der reformierten Sicherungsverwahrung als "zweite Strafe" kritisierte, verteidigte sie ein Vertreter der Bundesregierung als Präventionsmaßnahme mit therapeutischer Intention.

OLG München – NSU-Prozess: Laut sueddeutsche.de (Wiebke Ramm) und spiegel.de (Julia Jütttner/Thomas Hauzenberger), hat die Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens in ihrem Plädoyer im NSU-Prozess schwere Vorwürfe gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und mehrere Landesämter erhoben. Diese hätten die Ermittlungen gezielt behindert und Informationen unterschlagen, mit denen eine Festnahme vermutlich vor dem ersten NSU-Mord möglich gewesen wäre.

OLG Hamm – peruanischer Bauer: Am Donnerstag wird eine Zwischenentscheidung des Oberlandesgerichts Hamm im Verfahren um den peruanischen Landwirt Saúl Lliuya erwartet, der RWE wegen der Bedrohung seines Hauses durch den Klimawandel verklagt hatte. Im Interview mit der taz (Christian Rath) zeigt sich Klägeranwältin Roda Verheyen optimistisch und rechnet mit einer Beweisaufnahme durch das Gericht.

LG Leipzig  Unister: Kurz vor Abschluss des Verfahrens um den Reiseportalbetreiber Unister, der bei Buchungsanfragen Tickets zu günstigeren Preisen erstand, um diese anschließend zum ursprünglichen Preis zu veräußern, sieht es die Staatsanwaltschaft nach Meldung der FAZ (Timo Kotowski) als erwiesen an, dass sich die führenden Manager wegen Computerbetrugs, unerlaubten Verkaufs von Versicherungen und Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben.

Datenschutzklagen: zeit.de (Patrick Beuth) stellt das Projekt "none of your business" (noyb) des Datenschutzaktivisten Max Schrems vor, dessen Ziel es ist, das europäische Datenschutzrecht mit Kooperationspartnern in möglichst vielen Ländern durch Bürgerklagen gegen Unternehmen durchzusetzen.

Gerichtsgutachten: Das "Kompetenzzentrum für Gutachten" will die Qualität familienpsychologischer Gutachten durch anonyme Peer-Reviews verbessern. Als erster Schritt ist ein wissenschaftlich begleiteter Pilotversuch geplant, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. November 2017: Selbstmord vor dem ICTY / Haftbefehl gegen Franco A. aufgehoben / Vorwürfe gegen Verfassungsschutz . In: Legal Tribune Online, 30.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25771/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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