Die juristische Presseschau vom 14. November 2017: Pro­zess um mani­pu­lierte Medi­ka­mente / Scha­dens­er­satz wegen CO2-Aus­stoßes / Carles Puig­de­mont im Inter­view

14.11.2017

Justiz

OLG Hamm – peruanischer Bauer: Nach Berichten der FAZ (Marcus Jung) und lto.de sieht das Oberlandesgericht Hamm im Fall des peruanischen Landwirts Saúl Lliuya, der den Energiekonzern RWE wegen der Bedrohung seines Hauses durch eine mögliche vom Klimawandel verursachte Überflutung verklagt hatte, einen zivilrechtlichen Anspruch als grundsätzlich möglich an. Die Vorinstanz hatte abweisend entschieden, da eine individuelle Zuordnung der Flutgefahr zu RWE als Störerin nicht möglich sei. Laut zeit.de wird der Prozessauftakt von der Klägeranwältin als Teilerfolg eingestuft.

EuGH zu Ruhetag: Die Rechtsanwältin Amelie Bernardi setzt sich auf dem Handelsblatt-Rechtsboard mit der Anfang November ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht auseinander, nach welcher es europarechtlich zulässig ist, einen Arbeitnehmer bis zu zwölf Tage am Stück zu beschäftigen. Die Aufregung in den Medien sei unbegründet, denn auch das deutsche Arbeitszeitgesetz sehe bereits Regelungen vor, die der Entscheidung des EuGH entsprechen. So bestimme § 10 Arbeitszeitgesetz für die Sonn-und Feiertagsarbeit branchenspezifische Ausnahmen, etwa für Krankenhäuser, und § 11 Arbeitszeitgesetz gewähre im Ausgleich einen innerhalb von zwei Wochen zu gewährenden Ersatzruhetag. Ein Siebentages-Rhythmus sei in einigen Branchen "schlichtweg nicht möglich" und "unrealistisch".

BVerfG zu Intersexualität: Auf einem von verfassungsblog.de eingerichteten Online-Symposium debattieren Autorinnen über den jüngst ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Anerkennung eines dritten Geschlechts. Anna Katharina Mangoldt (verfassungsblog.de) begrüßt die Entscheidung des BVerfG als "bahnbrechenden Beschluss", der die "binäre rechtliche Geschlechterordnung kräftig durcheinander wirbeln" werde und betont die "besondere Relevanz für die demokratische Gesellschaft insgesamt". In ihrem Beitrag zeichnet sie die rechtliche Entwicklung bis hin zur Entscheidung nach und geht auf Neuregelungsoptionen wie die gänzliche Aufgabe des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister oder das Hinzufügen einer dritten Option ein, wobei sie letzteres lediglich als Weg des geringsten Widerstands einstuft.
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ulrike Klöppel setzt sich auf verfassungsblog.de mit Leitlinien und Praxis kosmetischer Genitaloperationen auseinander, die gravierende Menschenrechtsverletzungen an Kindern darstellten, deren Geschlecht nicht eindeutig zugeordnet werden könne. Der Beschluss des BVerfG bekräftige erneut, dass derartige Operationen nicht mit "rechtlich vorgegebener Geschlechterbinarität" begründet werden könnten, wobei eine generelle Abschaffung der Geschlechtseintragung angestrebt werden sollte.
Die Assoziierte Professorin Elisabeth Greif erörtert auf verfassungsblog.de den Einfluss der Entscheidung des BVerfG auf Österreich, wo die Entscheidung in einem ähnlichen Fall bevorsteht und geht auf die dortige Rechtslage ein.

LG Nürnberg-Fürth zu Verkehrssicherungspflichten: Laut einer Meldung von lto.de hat das LG Nürnberg-Fürth entschieden, dass die Stadt im Rahmen von Laubbläserarbeiten Sicherungsmaßnahmen wie das Aufstellen von Hinweisschildern treffen muss. Die Schadensersatzklage des Ehemannes einer Autofahrerin, die infolge der Arbeiten erschrak und einen Unfall verursachte, wurde jedoch aufgrund mangelnder Beweise abgewiesen.

LG Magdeburg zu Hausfriedensbruch durch Tierschützer: Das Landgericht Magdeburg begründete nun sein Urteil, in dem es Anfang Oktober Tierschützer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freisprach, die 2013 in einen Schweinemastbetrieb eindrangen, um Missstände per Video zu dokumentieren. Die taz (Christian Rath) erläutert, das Gericht sehe die Rechtfertigungsgründe der Nothilfe und des rechtfertigenden Notstands als erfüllt an. So gehe es, entgegen der gängigen juristischen Auffassung, unter Bezugnahme auf den Tierschutz als Staatsziel von einer Gleichstellung von Menschen und Tieren aus. Das Gericht lasse für die Annahme eines Notstands ausnahmsweise die bloße Vermutung einer Gefahr genügen, akzeptiere aufgrund von Erfahrungswissen der Tierschützer, dass diese nicht zuvor die Behörden einschalteten, und hielt es für ausreichend, dass die Aktivisten erst vier Monate nach dem Hausfriedensbruch die Behörden informierten. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.

LG Saarbrücken zu Messerangriff: Wie die SZ (Susanne Höll) meldet, hat das Landgericht Saarbrücken den 27-jährigen syrischen Flüchtling, der einen Therapeuten in einer DRK-Beratungsstelle mit einem Messer erstochen hatte, zu 13 Jahren Haft verurteilt. Die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt wurde mangels Feststellung einer dauerhaften psychischen Störung abgelehnt.

LG Stuttgart – Schlecker-Prozess: Kurz vor Ende des Schlecker-Prozesses hat die Familie weitere vier Millionen Euro an den Insolvenzverwalter überwiesen und von "Schadenswiedergutmachung" gesprochen, wobei ein Schuldeingeständnis nicht erfolgt ist. Das berichtet die SZ (Stefan Mayr/Klaus Ott) und mutmaßt, dass das Geld dazu dienen sollte, die Wirtschaftsstrafkammer milde zu stimmen. Auch die FAZ (Oliver Schmale) nimmt an, dass die Zahlung wertungsmäßig in die Ende November erwartete Urteilsfindung einfließen wird.

AG Gießen – Abtreibungen: Die ehemalige Direktorin des Kriminologischen Instituts der Uni Kiel Monika Frommel setzt sich in der SZ mit der Anklage einer Gynäkologin vor dem Amtsgericht Gießen auseinander, die auf ihrer Website ein Beratungsangebot zu Schwangerschaftsabbrüchen bereitgestellt hatte. Sie erläutert, wie § 219a Strafgesetzbuch, der die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, von Abtreibungsgegnern zur Durchsetzung ihrer Interessen genutzt wird, erörtert den nationalsozialistischen Hintergrund der Vorschrift und fordert von der künftigen Bundesregierung, das Merkmal des "Anbietens" endlich aus dem Straftatbestand zu streichen.

Roman "Justizpalast": Ex-Bundesrichter Thomas Fischer rezensiert auf zeit.de ausführlich den Roman "Justizpalast" von Petra Morsbach, in dem es um die fiktive Biografie einer bayerischen Richterin geht. Im Gegensatz zu Heribert Prantl, auf dessen vorangegangene Laudatio er sich bezieht, kann Fischer dem Roman kaum Positives abgewinnen. Er bemängelt die Unübersichtlichkeit des Werks sowie den Umgang der Autorin mit juristischer Sprache und meint, ein Roman über Gerechtigkeit solle zeigen: "wie Justiz im Inneren funktioniert". Stattdessen "jammere" das Buch über die "Vergeblichkeit des Rechts im Angesicht der Menschen."

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. November 2017: Prozess um manipulierte Medikamente / Schadensersatz wegen CO2-Ausstoßes / Carles Puigdemont im Interview . In: Legal Tribune Online, 14.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25509/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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