Der Islamrat und der Zentralrat der Muslime sind keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes. Außerdem in der Presseschau: Jumiko beschließt höhere Haftentschädigung und EGMR kritisiert Untersuchung von Polizeieinsatz.
Thema des Tages
OVG Münster zu Islamunterricht: Der Islamrat und der Zentralrat der Muslime haben keinen Anspruch auf eigenen islamischen Religionsunterricht. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden. Die Verbände seien keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes, weil sie mit keiner "Sachautorität und -kompetenz für identitätsstiftende religiöse Aufgaben" ausgestattet seien, die "bis hinunter zu den Moscheegemeinden Geltung" habe. Dieses Kriterium hatte das Bundesverwaltungsgericht 2006 aufgestellt und anschließend den Fall zurück an das OVG verwiesen, wo es mehr als zehn Jahre lang ruhte. Nach der Abweisung der Klage bleibt es bei dem bekenntnisorientierten Islamunterricht in Nordrhein-Westfalen, bei dem jedoch ein Beirat die Lehrinhalte bestimmt. Über das Urteil berichten die SZ (Matthias Drobinski), die FAZ (Reiner Burger) und die taz (Sabine am Orde).
Reinhard Müller (FAZ) meint, dass es ein langer Weg bis zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist. Sobald die muslimischen Verbände die Voraussetzungen erfüllen, komme es auf die Verfassungstreue an. Gebe es daran Zweifel, könne der Staat "seine Hand nicht zum Religionsunterricht reichen".
Rechtspolitik
Jumiko – Terrorismusstrafrecht: Die Justizminister der Länder sind sich laut FAZ (Eckart Lohse) uneinig über die Ausweitung des Terrorismusstrafrechts. So fordert der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) die Versuchsstrafbarkeit für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) warnt hingegen vor einer immer weiteren Vorverlagerung des Strafrechts.
Jumiko – Haftentschädigung und weitere Beschlüsse: Die Justizministerkonferenz hat beschlossen, dass die Entschädigung für unschuldig Inhaftierte deutlich erhöht wird. Bisher bekommen sie 25 Euro pro Tag. Wie stark der Betrag erhöht wird, ist noch offen. Die Haftentschädigung greift sowohl bei Verurteilungen, die sich später als falsch herausstellen, als auch bei unrechtmäßiger Untersuchungshaft, erläutert die taz (Christian Rath), die auch auf einen Beschluss zur Post hinweist. Die Deutsche Post AG wird aufgefordert, im Interesse der Justiz weiterhin täglich Briefe zuzustellen. lto.de (Annelie Kaufmann) gibt einen Überblick über weitere Beschlüsse: Im Asylverfahrensrecht soll geprüft werden, die Berufung bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu ermöglichen und für Beiträge von Social Bots soll eine Kennzeichnungspflicht eingeführt werden.
Fluggastdaten: Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder fordert die kommende Regierungskoalition auf, bei der kürzlich eingeführten Fluggastdatenspeicherung nachzubessern. Sie berufen sich dabei auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Fluggastdaten-Abkommen zwischen der EU und Kanada, in dem eine Verletzung der Grundrechtecharta festgestellt wurde. netzpolitik.org (Yannik Lebert) und spiegel.de berichten.
Sichere Herkunftsstaaten: Die Bundesregierung hat eine gesetzlich vorgeschriebene Frist zur Evaluation der Liste sicherer Herkunftsstaaten versäumt. Bis zum 23. Oktober hätte dem Bundestag ein Bericht vorgelegt werden müssen. Der Entwurf finde sich noch in der Abstimmung, erklärte die Bundesregierung in einer Antwort an die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Ulla Jelpke, wie die SZ (Bernd Kastner) schreibt.
Strafkammertag zu StPO-Reform: Die Strafverteidiger Björn Gercke und Helmut Pollähne sowie der Rechtsprofessor Matthias Jahn kritisieren auf lto.de die Reformvorschläge des 2. Strafkammertags zur Strafprozessordnung. Das geforderte Weiterverhandeln bei Befangenheitsanträgen sei schon jetzt möglich, der Ausschluss von Besetzungsrügen im Revisionsverfahren könne zu einer regional zersplitterten Rechtsauslegung führen und das Bundesverfassungsgericht belasten. Die Vorschläge zur Beschleunigung der Hauptverhandlung seien überflüssig und praxisfern. Das Fazit: "Insgesamt stellen sich die Forderungen des 2. Strafkammertages damit als zufällig und eklektisch wirkendes Sammelsurium von Vorschlägen dar, die zur massiven Einschränkung von Beschuldigtenrechten und kurzleiniger Gängelung der Verteidigung im Strafprozess führen würden."
Justiz
EGMR zu Polizeigewalt: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bundesrepublik verurteilt, weil ein Polizeieinsatz nicht hinreichend untersucht worden ist. Die Beschwerde wurde von zwei Fußballfans erhoben, die angaben, 2007 in München Opfer von grundloser Polizeigewalt geworden zu sein. Ermittlungen wurden mehrmals eingestellt. Der EGMR kritisiert in dem Urteil die Lückenhaftigkeit des Videomaterials und legt eine Kennzeichnungspflicht für Beamte nahe. Weil es an einer individuellen Kennzeichnung gefehlt habe, hätten andere Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und Sachverhaltsaufklärung ergriffen werden müssen. Den Fall erläutern die SZ (Susi Wimmer) und lto.de (Maximilian Amos).
EuGH zu Ruhetag: Es ist europarechtlich zulässig, dass Arbeitnehmer bis zu zwölf Tage am Stück arbeiten. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Nach der Arbeitszeitrichtlinie muss jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden gewährt werden. Geregelt sei jedoch nicht, wann innerhalb dieses Zeitraums der Ruhetag zu gewähren sei, so der EuGH. Der Rechtsanwalt Christian Oberwetter stellt auf lto.de die Entscheidung vor und kritisiert, dass sich der Gerichtshof nicht näher mit arbeitsmedizinischen Erkenntnissen und der Europäischen Grundrechtecharta auseinandergesetzt hat.
OLG Frankfurt zu Schweizer Spion: Der Schweizer Spion Daniel M. ist vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Er hatte im Prozess gestanden, im Auftrag des Schweizer Geheimdienstes persönliche Daten von deutschen Finanzbeamten besorgt zu haben, die am Ankauf von Steuer-CDs beteiligt waren. Den Vorwurf, eine Quelle in der deutschen Finanzverwaltung platziert zu haben, habe das Gericht nicht bestätigt, so die FAZ (Helene Bubrowski) und zeit.de.
LG Bielefeld zu Thomas Middelhoff: Der ehemalige Arcandor-Manager Thomas Middelhoff wird am 26. November nach der Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe aus der Haft entlassen. Das hat das Landgericht Bielefeld entschieden, wie die FAZ (Marcus Jung) und spiegel.de melden. Middelhoff war 2014 wegen Veruntreuung und Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
EuGH – Kirchenmitgliedschaft als Einstellungskriterium: Kirchliche Arbeitgeber dürfen nicht frei entscheiden, ob sie die Konfession zur Einstellungsvoraussetzung machen. Vielmehr sei eine Abwägung erforderlich, bei der es maßgeblich auf die Nähe der Tätigkeit zum "Verkündigungsauftrag" der Kirche ankomme. Das vertritt der Generalanwalt Evgeni Tanchev in seinem Schlussantrag in einem Vorabentscheidungsverfahren, das vom Bundesarbeitsgericht eingeleitet wurde. Geklagt hat eine Sozialpädagogin, die sich auf eine Referentenstelle des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche beworben hatte, wie die taz (Christian Rath) schreibt.
BGH zu Grundstückskaufverträgen: Der Rechtsanwalt Jérôme S. Friedrich verdeutlicht in der FAZ anhand von zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs die besondere Bedeutung der notariellen Urkunde beim Grundstückskauf. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 habe der BGH entschieden, dass eine Beschreibung von Eigenschaften, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag findet, in der Regel nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung führt. Laut einer Entscheidung von 2016 beziehe sich ein notariell beurkundeter Haftungsausschluss auch auf Eigenschaften, deren Vorhandensein der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers erwarten könne.
"Kreative Prozessführung": Die taz (Antonia Groß) befasst sich in einer zweiseitigen Reportage mit dem Konzept der "kreativen Prozessführung". Dabei versuchen Aktivisten mit Hilfe von Laienverteidigern und der Strafprozessordnung Gerichtssäle als Bühnen für die Verbreitung ihrer Kritik am Staat, der Gesellschaft und der Justiz zu nutzen. Die Autorin schildert ein Prozesstraining, die Verhandlung im Strafverfahren gegen eine Atomkraftgegnerin und den Prozess gegen einen notorischen Schwarzfahrer.
Roman "Justizpalast": Heribert Prantl (SZ) würdigt in einer gekürzt abgedruckten Laudatio den Roman "Justizpalast" von Petra Morsbach, in dem es um eine Richterin im Münchner Justizpalast geht. Der Roman sei ein "Epos der Wirrungen, Irrungen und Wahrheiten des Justizbetriebs" und biete einen "profunden Blick in den deutschen Justizapparat".
Recht in der Welt
Spanien – Katalanische Parlamentspräsidentin: Die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und fünf weitere Präsidiumsmitglieder haben vor dem Obersten Gerichtshof die Zwangsmaßnahmen der spanischen Zentralregierung anerkannt. Die einseitige Unabhängigkeitserklärung sei laut den Angeklagten nur symbolisch gewesen. Den Politikern wird unter anderem Rebellion und Missbrauch öffentlicher Mittel vorgeworfen, wie die FAZ (Hans-Christian Rößler) und die taz (Reiner Wandler) berichten. spiegel.de meldet, dass das Gericht Untersuchungshaft gegen Forcadell angeordnet und eine vorläufige Freilassung gegen Kaution in Aussicht gestellt hat.
IStGH – Burundi: Der Internationale Strafgerichtshof hat am 25. Oktober das Hauptverfahren wegen mutmaßlicher Verbrechen in Burundi eröffnet. Damit kam das Gericht dem Rücktritt Burundis vom Rom-Statut zuvor, das einen Tag später wirksam wurde, so spiegel.de. In dem zentralafrikanischen Land tobt seit 2015 ein blutiger Konflikt zwischen Regierung und Opposition, in dessen Zuge schätzungsweise 1.200 Menschen getötet wurden.
Sonstiges
Juristische Fachübersetzungen: In einem zweiten Teil einer Serie über juristische Fachübersetzungen erklärt der Übersetzer Peter Wionslow auf community.beck.de den Annäherungstest und den Widerspruchstest, die beide zur Beurteilung der Richtigkeit einer Übersetzung herangezogen werden. Bei dem Annäherungstest werde in den jeweiligen Rechtssystemen nach ähnlichen Fachbegriffen gesucht. Im Widerspruchstest werde geprüft, ob die Übersetzung zu einem Widerspruch bei der Übersetzung eines anderen Fachbegriffs, wie der Autor an den Begriffen Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit, bankruptcy und insolvency veranschaulicht.
Das Letzte zum Schluss
Wasser gegen Gaffer: Das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, das unter anderem die Behinderung von Hilfeleistenden durch Gaffen unter Strafe stellt, ist seit einigen Monaten in Kraft. Bei einer Unfallstelle auf der A3 haben sich die Rettungskräfte auch anders zu helfen gewusst. Die Feuerwehr bespritzte laut einer Meldung auf spiegel.de langsam vorbeifahrende Lkw mit Wasser, "um die Fahrer auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen", so ein Polizeisprecher.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. November 2017: Kein Recht auf Islamunterricht / Höhere Haftentschädigung / EGMR zu Polizeieinsatz . In: Legal Tribune Online, 10.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25469/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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