Die juristische Presseschau vom 9. November 2017: BVerfG zu drittem Gesch­lecht / Fischer zum Deut­schen Straf­kam­mertag / Frei­spruch in Ster­be­hil­fe­pro­zess

09.11.2017

Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Existenz eines dritten Geschlechts an. Außerdem in der Presseschau: Thomas Fischer kritisiert die Ergebnisse des Deutschen Strafkammertages, Hamburger Sterbehilfe-Arzt freigesprochen.

Thema des Tages

BVerfG zu Intersexualität: Intersexuelle Menschen haben ein Recht darauf, unter einer eigenen Kategorie im Geburtsregister eingetragen zu werden. So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss entschieden. Die bisherige gesetzliche Regelung, wonach Intersexuelle die Rubrik Geschlecht im Geburtsregister leer lassen können, verletze sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, denn sie seien nicht geschlechtslos. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze auch die sexuelle Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Das Grundgesetz schreibe keineswegs die ausschließliche Existenz zweier Geschlechter vor. Des weiteren verstoße die bisherige Regelung gegen das Verbot der Diskriminierung nach dem Geschlecht, das auch für ein "weiteres Geschlecht" gelte. Anlass des Beschlusses war die Verfassungsbeschwerde einer 27-jährigen intersexuellen Person aus Leipzig namens Vanja, die zuvor in allen Instanzen gescheitert war. Der Gesetzgeber muss nun bis Ende 2018 das Personenstandsgesetz ändern. Er kann entweder eine neue Kategorie wie „inter“ oder „divers“ in den Geburtsregistern einführen oder auf geschlechtsbezogene Einträge vollständig verzichten. Es berichten u.a. die FAZ (Constantin van Lijnden), die taz (Christian Rath) und lto.de. Laut der SZ (Wolfgang Janisch) blieben offene Fragen: Kann für einen Eintrag im Geburtsregister als intersexuell ein ärztliches Gutachten verlangt werden oder genügt das Empfinden der Person? Werden Intersexuelle als Eltern dann Mutter oder Vater oder etwas anderes?

Reinhard Müller (FAZ) spricht sich gegen die Handlungsalternative des Gesetzgebers aus, gänzlich auf eine geschlechtliche Unterscheidung im Geburtsregister zu verzichten, denn Unterschiede zwischen den Geschlechtern lägen der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes zugrunde. Heribert Prantl (SZ) bezeichnet den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als „bahnbrechend“ und kommentiert, die bisherige „sprachliche Zweigeschlechtlichkeit der Rechtsordnung“ müsse reformiert werden. Auch Klaus Hempel (tagesschau.de) begrüßt den Beschluss: Den Schutz ihrer Persönlichkeit dürfe man auch Intersexuellen nicht verwehren, "nur weil sie sich in der Minderheit befinden oder wir uns mit ihnen schwer tun".

Rechtspolitik

Jumiko – Zentrale Diskussionspunkte: lto.de (Annelie Kaufmann) stellt die zentralen Diskussionsthemen auf der Herbstkonferenz der Justizminister vor. Hierzu gehöre die Einführung einer zweiten Instanz in asylrechtlichen Eilverfahren, sodass in der Asylrechtsprechung schneller einheitliche Linien geschäffen werden könnten. Des weiteren stehen die Kennzeichnungspflicht für Social Bots sowie Änderungen des Straf- und Strafprozessrechts zur Diskusison.

Wirtschaftsstrafprozesse: Anlässlich der bevorstehenden Justizministerkonferenz erörtert Andreas Mosbacher, Strafrichter am Bundesgerichtshof, auf lto.de den besonderen Reformbedarf bei Wirtschaftsstrafverfahren. Der Autor ist dafür, dass die Schöffen in Wirtschaftsstrafverfahren wirtschaftlich vorgebildete Laienrichter sein müssten oder dass auf diese gänzlich verzichtet werde. Die anspruchsvolle Arbeit als Richter im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts müsse außerdem durch Gehaltserhöhungen und die Investition in Fortbildungsmaßnahmen attraktiver gemacht werden. Das Thema wurde allerdings kurzfristig von der Tagesordnung der Justiministerkonferenz gestrichen.

Fischer zum Deutschen Strafkammertag: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer (Die Zeit) kritisiert die inhaltichen Ergebnisse des deutschen Strafkammertages. Der Autor warnt vor dem schnellen und unproblematischen Aburteilen zulasten der Rechte des Beschuldigten im Strafprozess. Die Reformvorschläge der teilnehmenden Richter zur Effektivierung des Strafverfahrens trügen zu einer Stimmung bei, die zum Rechtsmissbrauch einlade.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. November 2017: BVerfG zu drittem Geschlecht / Fischer zum Deutschen Strafkammertag / Freispruch in Sterbehilfeprozess . In: Legal Tribune Online, 09.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25447/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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