Die Beschäftigten von Air Berlin stehen vor einer schwierigen arbeitsrechtlichen Situation. Außerdem in der Presseschau: Schonfrist auch bei ordentlicher Kündigung und Haftbefehl gegen Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regierung.
Thema des Tages
Arbeitnehmer von Air Berlin: Die Vermögensmasse der insolventen Fluglinie Air Berlin ist kleiner als gedacht. Der Insolvenzverwalter gab bekannt, dass Air Berlin "zahlungsunfähig und zugleich überschuldet" ist. Derweil hat das Unternehmen zahlreiche Mitarbeiter widerruflich von der Arbeit freigestellt. Die SZ (Cerstin Gammelin/Stephan Radomsky) beschreibt die schwierige Situation, in der sich die Beschäftigten befinden. Ob ihre Gehälter jemals ausgezahlt werden, sei angesichts der knappen Gelder offen. Wenn sie kündigten, könnten sie sich jedoch nicht mehr auf einen möglichen Betriebsübergang auf die Lufthansa berufen.
Die FAZ (Timo Kotowski/Marcus Jung) befasst sich ebenfalls mit der drohenden "Insolvenz in der Insolvenz" und geht auf einen Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin ein, mit dem der Antrag der Personalvertretung Kabine auf eine einstweilige Anordnung abgelehnt wurde. Die Antragstellerin forderte Informationen über Kaufangebote sowie zu Start- und Landerechten, um sich eine bessere Position für die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu verschaffen. Das Gericht sah jedoch weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund.
Rechtspolitik
Schutzsuchende in Deutschland: Das Statistische Bundesamt hat Zahlen zu Schutzsuchenden in Deutschland veröffentlicht. Aktuell würden etwa 1,6 Millionen Schutzsuchende in Deutschland leben. Etwa eine halbe Millionen Menschen befinde sich noch im Asylverfahren. 872.000 Menschen hätten nach einer Anerkennung eine Aufenthaltserlaubnis. 158.000 Personen seien abgelehnt worden und ausreisepflichtig. Die taz (Christian Jakob) und spiegel.de stellen die Zahlen vor.
Laut Reinhard Müller (FAZ) sagen die Zahlen viel aus über einen "Staat, der an seine Grenzen gelangt". Es sei nicht unmenschlich, in Europa dort Schutz zu gewähren, wo ein Fliehender zunächst ankommt und in Sicherheit ist. Dass er dort würdig behandelt wird, dafür müsse Deutschland einstehen.
Sexuelle Belästigung: Helene Bubrowski (FAZ) kommentiert die aktuelle Debatte über sexuelle Übergriffe. Straftaten müssten ausnahmslos angezeigt und abgeurteilt werden und die jüngste Verschärfung des Sexualstrafrechts sei richtig gewesen. Gegen "Anzüglichkeiten des täglichen Lebens" würden jedoch auch keine schärferen Gesetze helfen. Hier seien die Frauen gefragt, sich aktiv zur Wehr zu setzen.
Justiz
BGH zu Terrorverdächtigen: Die FAZ (Reinhard Müller) nimmt die Festnahme von Yamen A., der einen Anschlag geplant haben soll, zum Anlass, sich mit dem Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung auseinanderzusetzen. Da es keine Anhaltspunkte für die Einbindung in eine Vereinigung gebe, habe der Ermittlungsrichter den Haftbefehl auf den Tatverdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gestützt. Entscheidend für die Strafbarkeit als Terrorist im Sinne des Strafrechts sei die Organisationsstruktur. Der Fall zeige, dass das "rechtliche Instrumentarium handhabbar" ist und das Recht "keineswegs jedes Mal auf den Kopf gestellt werden" muss, wenn sich die Bedrohungslage ändert.
LG Berlin zu Schonfrist für Mieter: Wenn Mieter nach ihrer Kündigung kurzfristig ihre Mietrückstände begleichen, dann wird nach einer Entscheidung des Landgerichts Berlin von Mitte Oktober nicht nur die fristlose Kündigung wirkungslos, sondern auch die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung. Da das Mietverhältnis durch die fristlose Kündigung bereits beendet worden sei, gehe die ordentliche Kündigung ins Leere, urteilte das Gericht in Abweichung zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die taz (Christian Rath) erläutert das Urteil und merkt an, dass es auch politische Initiativen zur Ausweitung der Schonfristregelung gebe. Eine Änderung der Rechtslage oder der Rechtsprechung könne Anreize für die Sozialbehörden schaffen, zur Vermeidung von Obdachlosigkeit einzuspringen.
LG Duisburg – Loveparade-Verfahren: Das Landgericht Duisburg hat eine für das Loveparade-Verfahren vorgesehene Schöffin als befangen abgelehnt. Das bestätigte ein Gerichtssprecher gegenüber focus.de (Axel Spilcker). Die Schöffin ist als städtische Bedienstete der angeklagten Bauamtsleiterin unterstellt und hat auch mit anderen Angeklagten zusammengearbeitet.
LG Stade – Massenrausch: Der Psychotherapeut Stefan S. hat am ersten Tag seines Prozesses gestanden, den Teilnehmern des von ihm geleiten Seminars verbotene Substanzen verabreicht zu haben. Die 27 Teilnehmer mussten bei dem Vorfall mit Krämpfen und Halluzinationen in verschiedene Krankenhäuser gebracht werden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Therapeuten illegalen Besitz und Weitergabe von Betäubungsmitteln vor. Es berichten die SZ (Peter Burghardt) und spiegel.de (Jean-Pierre Ziegler).
LG Frankfurt – Englischsprachige Handelskammer: Am Landgericht Frankfurt wird eine Kammer für Handelssachen eingerichtet, vor der bei Einverständnis beider Parteien in englischer Sprache verhandelt werden kann. Das melden die FAZ (Marcus Jung) und lto.de. Mit der Einrichtung der Kammer soll der Gerichtsstandort Frankfurt gestärkt werden, auch im Hinblick auf den kommenden Brexit.
Frauen beim IS: Obwohl nach Verfassungsschutzangaben rund ein Fünftel der Dschihadisten, die seit 2013 aus Deutschland nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, weiblich sind, wurden in den letzten Jahren nur zwei Rückkehrerinnen verurteilt. Die Welt (Florian Flade) beschäftigt sich mit möglichen Ursachen. So würden über Frauen kaum Informationen vom IS gesammelt und verbreitet, die in Strafverfahren verwendet werden könnten. Außerdem bestehe deren Alltag oft aus "Putzen, Kochen und Sex", was nach Ansicht der Strafverfolger nicht für eine konkrete Unterstützung der Terrororganisation ausreiche. Kritiker warnen dagegen vor einem "sexistischen Strafrechtsverständnis".
Überwachungsanordnungen: Die Anzahl der Anordnungen zur Inhaltsüberwachung von Internetkommunikation ist im Jahr 2016 um 43 Prozent gestiegen, während die Zahl der Telekommunikationsüberwachung weitgehend gleich geblieben ist. Das geht aus der jährlichen Statistik des Bundesjustizamtes hervor. Als häufigster Überwachungsgrund dient weiterhin der Verdacht auf Betäubungsmitteldelikte. netzpolitik.org (Anna Biselli) stellt die Zahlen vor, und kritisiert, dass die Statistik keine Auskunft über die Anzahl der betroffenen Personen gibt.
Asylgerichtsverfahren: Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) kommentiert die Meldung von gestiegenen Asylgerichtsverfahren. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter Robert Seegmüller habe darauf hingewiesen, dass dafür auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verantwortlich sei. Gegen ablehnende Bescheide vorzugehen sei zudem das gute Recht eines jeden Menschen. Der Rechtsstaat müsse dann die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen.
Recht in der Welt
Spanien – Haftbefehle gegen Regierungsmitglieder: Der Oberste Strafgerichtshof Spaniens hat Untersuchungshaft für mehrere Minister der abgesetzten Regionalregierung Kataloniens angeordnet. Gegen den abgesetzten Regierungschef Carles Puigdemont, der sich weiterhin in Belgien aufhält, ist ein EU-Haftbefehl beantragt worden. Allen Angeklagten wird Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Es berichten die FAZ (Hans-Christian Rößler) und die taz (Reiner Wandler).
Für Nikolas Busse (FAZ) blieb dem Gericht wegen der drohenden Fluchtgefahr nichts anderes übrig als die Untersuchungshaft anzuordnen. Eine "knifflige juristische Frage" sei jedoch, ob Belgien Puigdemont ausliefern dürfe, da bei Verfolgung politischer Überzeugungen der EU-Haftbefehl nicht vollzogen werden dürfe.
USA – Trump und der Rechtsstaat: Nach dem Anschlag in Manhattan hat US-Präsident Donald Trump über Twitter die Todesstrafe für den Täter gefordert. Die US-Justiz, die seiner Ansicht nach nicht streng genug urteile, bezeichnete er als "Witz" und "Lachnummer", wie unter anderem die SZ (Sacha Batthyany) berichtet.
Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) kommentiert, Trump wolle das Prinzip der Gewaltenteilung einfach nicht begreifen. Er sei zwar Oberbefehlshaber der Nation aber nicht ihr "Oberrichter". Ludwig Greven (zeit.de) sieht Trump auf dem besten Weg zum Autokraten. Noch könnten wir auf die Unabhängigkeit und das Selbstbewusstsein der amerikanischen Justiz hoffen, aber der Präsident habe bereits mit Neubesetzungen begonnen.
Sonstiges
Verbraucherbauvertragsrecht: Der Rechtsanwalt Friedrich-Karl Scholtissek stellt im Immobilienteil der FAZ die Änderungen zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Bauvertragsrecht vor. Diese sehen unter anderem eine Pflicht zur Überlassung einer Baubeschreibung, ein Widerrufsrecht für den Verbraucher, die stärkere Regulierung von Abschlagszahlungen sowie einen Anspruch auf Herausgabe von Planungsunterlagen vor.
Influencer-Marketing: internet-law.de (Thomas Stadler) nimmt zwei Gerichtsentscheidungen zu versteckter Werbung in sozialen Medien zum Anlass, sich mit dem rechtlichen Rahmen von Influencer-Marketing zu beschäftigen. Dieser ergebe sich im Internet aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, dem Telemediengesetz und dem Rundfunkstaatsvertrag. Wer als Unternehmer rechtskonformes Influencer-Marekting betreiben will, müsse den Influencer verpflichten, die Werbung klar als solche zu kennzeichnen und auch deutlich von redaktionellen Inhalten zu trennen.
Beschlagnahmtes Vereinsvermögen: Nach dem Verbot von zwei Rockervereinen hat die Polizei unter anderem neun Motorräder beschlagnahmt. Der Oberregierungsrat und Dozent Florian Albrecht schätzt auf lto.de ein rechtliches Vorgehen gegen die Beschlagnahme als erfolgversprechend ein. Zwar werde der vereinsrechtliche Vermögensbegriff weit ausgelegt, jedoch dürfe nicht unverhältnismäßig in das Eigentumsrecht von Mitgliedern eingegriffen werden. Bei Motorrädern in Gewahrsam von Mitgliedern dürfte eine Zuordnung zum Verein schwer fallen, da nach der jüngsten Verschärfung des Vereinsgesetzes die Verwendungen von Kennzeichen in der Öffentlichkeit untersagt sind.
Juristische Fachübersetzungen: Der Übersetzer Peter Winslow schildert auf community.beck.de die Anforderungen an eine "richtige" Übersetzung nach der Qualitätsnorm DIN ISO EN 17100. Danach habe der Übersetzer bestimmte Kompetenzen vorzuweisen. Zudem seien im Prozess die Schritte Übersetzung, Kontrolle und Revision vorzunehmen, wobei letzteres durch eine andere Person durchzuführen sei. Diese Vorgaben würden zu einer "Wahrscheinlichkeitsfeststellung über die kompetenz- und prozessbezogene Richtigkeit" führen, träfen jedoch keine Aussage im Hinblick auf konkrete Übersetzungsfragen.
Transparenzregister: Seit dem 1. Oktober sollen Unternehmen und Stiftungen im neuen Transparenzregister eingetragen sein. Die Rechtsanwälte Hans Christian Blum und Dirk Schauer erläutern auf lto.de die zahlreichen Auslegungsfragen und Probleme, die die Anwendung des neuen Gesetzes erschweren. Es sei teilweise unklar, wann die sogenannte Meldefiktion greife und wer als wirtschaftlich Berechtigter einzutragen sei. Das zuständige Bundesverwaltungsamt führe eine FAQ-Übersicht und habe angedeutet, anfangs zurückhaltend mit Bußgeldbescheiden zu sein.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. November 2017: Schwierige Situation für Air Berlin-Beschäftigte / LG Berlin zu Schonfrist für Mieter / Haftbefehl gegen Puigdemont . In: Legal Tribune Online, 03.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25363/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag