Die juristische Presseschau vom 25. Oktober 2017: EU-Ent­sen­de­richt­linie / Zensus vor BVerfG / Keine Ken­geter-Ein­stel­lung

25.10.2017

Justiz

BVerfG – Zensus 2011: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Volkszählung von 2011 verhandelt, wie SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski), Tsp (Jost Müller-Neuhof), spiegel.de und lto.de berichten. Bei der Zählung waren nur zehn Prozent der Einwohner tatsächlich befragt worden, im Übrigen wurde auf bestehende Datenregister von Einwohnermeldeämtern und Geburtenregister zurückgegriffen. Da durch sogenannte "Karteileichen" und unangemeldete Personen Unrichtigkeiten in den Registern zu befürchten waren, wurden in Gemeinden mit mindesten 10.000 Einwohnern Stichproben vorgenommen, deren Ergebnisse hochgerechnet wurden. In diesem Vorgehen sahen die Stadtstaaten Hamburg und Berlin einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot und klagten gegen die Volkszählung. Flächenstaaten würden privilegiert, da viele kleine Gemeinden dort die nachteiligen Zählungen in den Großstädten kompensierten. Die Einwohnerzahl der beiden Städte wurde nach dem Zensus 2011 deutlich niedriger angegeben als zuvor, wodurch beide erheblich niedrigere Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich erhielten. Vor Gericht erklärten verschiedene Statistiker nun die verwendete Methode des Zensus und merkten an, dass bei jeder Volkszählung stets nur ein ungefähres Ergebnis ermittelt werden könne. Das verwendete Verfahren 2011 sei das beste gewesen, das damals zur Verfügung gestanden habe.

AG Frankfurt – Kengeter-Prozess: Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat es abgelehnt, das Verfahren gegen Carsten Kengeter, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse AG, gegen eine Geldzahlung von 500.000 Euro einzustellen. Dies berichten SZ (Jan Willmroth) und FAZ (Daniel Mohr). Kengeter wird Insiderhandel vorgeworfen, weil er am 14. Dezember 2015 privat Aktien der Deutschen Börse für 4,5 Millionen Euro gekauft hatte. Zwei Monate später gab diese ihr Fusionsvorhaben mit der Londoner Börse LSE bekannt, worauf die Aktienkurse deutlich stiegen. Nach Ansicht des Gerichtes stehe die Bedeutung des Falles, die besondere Verantwortung und die berufliche Stellung des Betroffenen einer Einstellung entgegen. Die Staatsanwaltschaft hatte aus prozessökonomischen Gründen die Einstellung angeregt und auf umfangreiche Ermittlungsarbeiten verwiesen. Die FAZ (Daniel Mohr) nennt die Entscheidung eine "Ohrfeige" auch für die Staatsanwaltschaft, deren Beweise wohl trotz monatelanger Ermittlungen nicht für eine Anklage ausreichten. Andreas Kröner vergleicht im Leitartikel des Hbl die Vorwürfe des Insiderhandels gegen Kengeter als Vorstandschef der Börse mit einem Verfahren gegen einen Feuerwehrmann wegen Brandstiftung.

OLG München – NSU: Das Oberlandesgericht München hat weitere Befangenheitsanträge im NSU-Verfahren zurückgewiesen, wie spiegel.de meldet. Auslöser für die Serie der Anträge war der Haftbefehl gegen André E., den das Gericht am 13. September verhängt hatte. Durch die Anträge verzögerte sich das Verfahren weiter, die Plädoyers der Nebenklage wurden ein weiteres Mal verschoben.

EGMR – Deniz Yücel: Am Dienstag endete die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gesetzte Frist für die türkische Regierung, sich zum Fall Deniz Yücel zu äußern. Dies berichtet taz.de (Christian Rath). Yücel ist seit Februar 2017 inhaftiert und hatte am 6. April Beschwerde gegen seine Untersuchungshaft eingereicht. Fraglich ist in dem Verfahren insbesondere, ob der Straßburger Gerichtshof Yücel auf den türkischen Rechtsweg verweisen wird. Vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung weicht der Gerichtshof nur dann ab, wenn die nationale gerichtliche Kontrolle nicht mehr funktioniert. Zwei türkische Klagen vermeintlicher Gülen-Anhänger wegen Entlassung und Inhaftierung nach dem Putschversuch hatte das Gericht bereits nicht zur Entscheidung angenommen und auf den türkischen Rechtsweg verwiesen.

EuGH – Subsidiärer Schutz: Fehlende psychologische Betreuung nach Traumatisierung soll keinen Anspruch auf subsidiären Schutz begründen. Dies forderte der EU-Generalanwalt in seinem Schlussplädoyer im Fall eines Sri Lankers, der in seiner Heimat gefoltert worden war, berichtet lto.de. Der britische Supreme Court hatte den Fall des Mannes vorgelegt und den Europäischen Gerichtshof um Beantwortung der Frage ersucht, ob die Richtlinie 2004/83/EG in einem solchen Fall einen Anspruch auf subsidiären Schutz stützt. Zwar drohe dem Sri Lanker nach einer Rückkehr keine Gefahr mehr, jedoch sei er durch die erlittene Folter traumatisiert worden und in Sri Lanka sei keine adäquate psychologische Betreuung gewährleistet. Dies reicht nach Ansicht des EU-Generalanwaltes jedoch nicht aus. Andernfalls würde die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des subsidiären Schutzes über das Ausmaß hinausgehen, das mit dem Erlass der Richtlinie intendiert gewesen sei.

EuGH – Ausweisung von EU-Bürgern: EU-Bürger, die lange in einem anderen EU-Land gelebt haben, sollen auch dann nicht ohne Weiteres ausgewiesen werden können, wenn sie straffällig geworden sind. Dies forderte der EU-Generalanwalt in seinem Schlussantrag in dem Fall eines in Deutschland aufgewachsenen Griechen, wie lto.de meldet. Dem Mann war nach einem Überfall auf eine Spielhalle die Aufenthaltserlaubnis entzogen worden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte den Fall vorgelegt und gefragt, ob eine Ausweisung nach der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG zulässig sei. Diese erlaubt eine Ausweisung von EU-Bürgern, die mindestens fünf Jahre in einem EU-Land gelebt haben, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Nach Ansicht des Generalanwalts sei bei dieser Beurteilung neben dem Daueraufenthaltsrecht auch der Grad der Integration im Aufnahmeland entscheidend, wobei alle im Einzelfall relevanten Umstände zu ermitteln seien. 

AG Herzberg – "Reichsbürgerin": Das Amtsgericht Herzberg hat eine "Reichsbürgerin" wegen eines Säureangriffs auf einen Polizisten zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Dies melden spiegel.de und taz. Die ebenfalls angeklagte Mutter der Verurteilten wurde freigesprochen. Der verletzte Polizist war vom Bezirksschornsteinfeger zur Hilfe gerufen worden, der anlässlich einer Heizungsinspektion nicht ins Haus gelassen worden war. Beide Frauen waren während der Verhandlung stehengeblieben und hatten das Gericht als "Lügengewalt" bezeichnet. 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. Oktober 2017: EU-Entsenderichtlinie / Zensus vor BVerfG / Keine Kengeter-Einstellung . In: Legal Tribune Online, 25.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25211/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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