Das BVerfG lässt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Studienplatzvergabe im Fach Medizin erkennen. Außerdem in der Presseschau: StA Dresden klagt Frauke Petry wegen Meineid an und Justiz-Reform passiert ukrainisches Parlament.
Thema des Tages
BVerfG – Numerus clausus: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Studienplatzvergabe im Fach Medizin und den "Numerus clausus" verhandelt. An den meisten Universitäten werden Studienfächer nach Noten und Wartezeit vergeben. Teilweise ist ein Abiturschnitt von 1,0 oder eine Wartezeit erforderlich, die länger ist als das Studium selbst. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen sah darin eine Verletzung der Berufsfreiheit und legte die Regelung dem Bundesverfassungsgericht vor. Dieses ließ nun Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit erkennen. Insbesondere äußerten sich die Richter kritisch zu den langen Wartezeiten. Außerdem ist es möglich, dass sie entgegen der Auffassung der Länder, die sich auf die Hochschulautonomie berufen, den Gesetzgeber verpflichten, das Auswahlverfahren detaillierter zu regeln. Von der Verhandlung berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Hendrik Wieduwilt), taz (Christian Rath), Tsp (Jost Müller-Neuhof) und swr.de (Gigi Deppe).
Paul Munzinger (SZ) wünscht sich, dass im Auswahlverfahren weniger auf die Abiturnote und mehr auf Berufserfahrung, Vorwissen und Motivation geschaut wird. Andreas Mihm (FAZ) gibt dagegen zu bedenken, dass individuelle Auswahlverfahren aufwendig und kostenintensiv seien. Zudem habe das Land seit Jahrzehnten gute Erfahrungen mit Einser-Abiturienten als Ärzten.
Im Interview mit dem Tsp (Tilmann Warnecke) erläutert Cort-Denis Hachmeister vom Centrum für Hochschulentwicklung die verschiedenen Auswahlverfahren sowie deren Vor- und Nachteile.
Rechtspolitik
Trojaner für hessischen Verfassungsschutz: Die hessische Landesregierung will dem Landesamt für Verfassungsschutz den Einsatz von Staatstrojanern ermöglichen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat Innenminister Peter Beuth (CDU) vorgestellt. Das Gesetz soll sowohl die Quellen-Telekommunikationsüberwachung als auch die Onlinedurchsuchung ermöglichen und sieht einen doppelten Richtervorbehalt für Erhebung und Verwertung der Daten vor. netzpolitik.org (Anna Biselli) zeigt sich überrascht, dass die in Hessen mitregierenden Grünen bei dem Vorhaben mitmachten.
Umgang mit AfD im Bundestag: Unter dem Titel "Vorhang auf für Maestro Schäuble" beschäftigt sich die Zeit (Martin Klingst u.a., zeit.de-Zusammenfassung) mit dem Umgang mit der AfD im neuen Bundestag. In dem Beitrag kommt auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier zu Wort, der einen umsichtigen Umgang anmahnt. Sollte der neue Bundestagspräsident seine Ordnungsmacht überziehen, drohe eine Niederlage in Karlsruhe.
Wahlsystem: Der ehemalige Rechtsprofessor und Politiker Hans Peter Bull kritisiert das aktuelle Wahlsystem, das bei der Bundestagswahl durch 46 Überhang- und 65 Ausgleichsmandate zu einer starken Vergrößerung des Parlaments geführt hat. Er stellt zwei alternative Modelle vor, die dieses Problem vermeiden: Die Abschaffung der derzeitigen Erststimme und das "Grabensystem", bei dem die Wahlkreissitze nicht mit den Listen verrechnet werden.
Justiz
StA Dresden zu Petry: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Anklage wegen Meineids gegen die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry erhoben. Sie wirft ihr vor, vor dem Wahlprüfungsausschuss des sächsischen Landtags unter Eid falsch ausgesagt zu haben. In der Befragung ging es um Darlehen, die von AfD-Kandidaten verlangt wurden. Petry, die inzwischen in den Bundestag gewählt wurde, sich aber von der AfD abgewandt hat, gibt zu, dass ihre Aussage falsch war, bestreitet aber eine entsprechende Absicht. Es berichten die SZ (Jens Schneider), die Welt (Philip Kuhn) und lto.de.
Heribert Prantl (SZ) sieht den Ruf von Frauke Petry erodieren. Neben dem Meineid könne auch die Wählertäuschung diskutiert werden. Diese sei zwar nicht vom Strafrecht erfasst, aber dennoch eine "Sauerei".
OLG München – Verzögerung im NSU-Prozess: Weil die Verteidiger der Mitangeklagten André E. und Ralf Wohlleben innerhalb weniger Stunden insgesamt zehn Befangenheitsanträge gestellt haben, verzögert sich der Beginn der Plädoyers durch die Nebenkläger im NSU-Prozess. Nach der Erteilung von Hinweisen unterbrach der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Hauptverhandlung bis zum 24. Oktober. Damit wird es wahrscheinlich in diesem Jahr nicht mehr zur Urteilsverkündung kommen, wie die SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm) und blog.zeit.de (Tom Sundermann) berichten.
LG Augsburg – Mord an lesbischen Paar: Vor dem Landgericht Augsburg ist ein Mann angeklagt, dem vorgeworfen wird, ein lesbisches Paar getötet zu haben. Im Verlauf der Tat soll er die Geheimzahlen eines Bankkontos verlangt und eine Handtasche entwendet haben. Laut der Welt (Gisela Friedrichsen) wirft das brutale Vorgehen der mit einem Messer ausgeführten Tötungen Fragen nach den Gründen auf.
LG Magdeburg – Tierrechtsaktivisten: Am kommenden Mittwoch findet am Landgericht Magdeburg die Berufungsverhandlung im Strafverfahren gegen drei Tierrechtsaktivisten statt, die in eine Schweinemastanlage eingebrochen sind und massive Verstöße gegen das Tierschutzrecht aufgedeckt haben. Das Amtsgericht Haldensleben hatte die Tierrechtler auf Grundlage des rechtfertigenden Notstands freigesprochen, da die staatlichen Stellen ohne Videobeweise nicht eingeschritten wären. Die Zeit (Fritz Zimmermann) widmet dem Fall eine einseitige Reportage.
LG Wiesbaden – Cum-Ex-Deals: Über die Anklage gegen mehrere Aktienhändler der Hypo-Vereinsbank und den Rechtsanwalt Hanno Berger wegen der Cum-Ex-Geschäfte berichten jetzt auch die FAZ (Marcus Jung), das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) und die taz (Hannes Koch). Laut SZ (Klaus Ott) ist unklar, ob Berger, der aktuell in der Schweiz lebt, überhaupt zu dem Prozess erscheinen will. Als Verteidiger habe er unter anderem den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki beauftragt.
Marcus Jung (FAZ) geht davon aus, dass der Prozess von den Anklägern mit größter Akribie und mit Härte betrieben werden wird. Die Botschaft müsse sein, "dass sich eine Steuerhinterziehung dieser Dimension in Deutschland nicht wiederholen darf".
EuGH – Steuervorteile für Apple und Amazon: Die Europäische Kommission verklagt Irland vor dem Europäischen Gerichtshof, weil Irland sich weigert, 13 Milliarden Euro an aus Sicht der Kommission unrechtmäßigen Steuervorteilen vom US-Konzern Apple einzutreiben. Gleichzeitig verlangt die Kommission von Luxemburg, 250 Millionen Euro von Amazon zu fordern. Sie sieht in den Steuervergünstigungen illegale staatliche Beihilfen, wie die SZ (Alexander Mühlauer), das Hbl (Till Hoppe) und die taz (Eric Bonse) schreiben.
In einem gesonderten Beitrag begrüßt Alexander Mühlauer (SZ), "dass die Europäische Kommission den Druck auf all jene Mitgliedstaaten erhöht, die ein organisiertes System der Steuervermeidung geschaffen haben."
BVerwG zu Beamtenbesoldung in Berlin: Die FAZ (Constantin van Lijnden) befasst sich jetzt auch mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Berliner Beamtenbesoldung. Das Gericht sieht in der Besoldung von Polizisten, Feuerwehrleuten und Richtern eine verfassungswidrige Unteralimentation und hat die Regelungen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Strategische Prozessführung: Die BadZ (Christian Rath) und lto.de (Annelie Kaufmann) berichten von einer Tagung zu "Perspektiven der gemeinnützigen strategischen Prozessführung", die an der Humboldt Universität in Berlin stattgefunden hat. Dort ging es unter anderem um die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die Verfassungsbeschwerden gegen Überwachungsgesetze anstrengt, und um das European Center for Constitutional and Human Rights, das momentan Klagen von pakistanischen Arbeitern gegen das Textilunternehmen KiK unterstützt.
Recht in der Welt
EGMR zu Kollektivausweisung: verfassungsblog.de (Dana Schmalz) analysiert das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Rückschiebungen in der Grenzzone der spanischen Enklave Melilla. Indem die beiden Beschwerdeführer ohne Kenntnis der individuellen Umstände nach Marokko zurückgeführt wurden, sei das Verbot der Kollektivausweisung verletzt worden. Das Urteil sei, so die Autorin, bedeutsam für die zentrale Frage nach dem Ausgleich zwischen staatlichem Souveränitätsinteresse und den Rechten der Migranten. Bemerkenswert sei, dass der Gerichtshof nicht auf die die behauptete Möglichkeit eingegangen ist, an einem Grenzposten Asyl zu beantragen.
Ukraine – Justizreform: Das ukrainische Parlament hat eine umfassende Justizreform verabschiedet. Kritiker bemängeln nicht nur das sorgfaltswidrige Gesetzgebungsverfahren, sondern auch die Inhalte. Das Gesetz sieht ein neues Oberstes Gericht vor, das als nicht unabhängig gilt. Zudem wurden kurze Fristen für Ermittlungsverfahren eingeführt. Diese könnten dazu führen, dass Korruption und Wirtschaftsverbrechen nicht aufgeklärt werden, kritisiert der Leiter des Anti-Korruptions-Aktionszentrums laut SZ (Florian Hassel).
Ungarn – NGO-Gesetz: Im Streit um ein ungarisches Gesetz, das Auflagen für aus dem Ausland unterstützte Nichtregierungsorganisationen vorsieht, hat die Europäische Kommission erklärt, dass ihre Bedenken durch die bisherigen Äußerungen Ungarns nicht beseitigt worden seien. Das meldet die FAZ (Stephan Löwenstein). Damit wird ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlicher.
Sonstiges
Verpasste Flüge: Anlässlich von Verzögerungen bei der Sicherheitskontrolle am Düsseldorfer Flughafen befasst sich der Rechtsreferendar Tim Jülicher auf lto.de mit Ersatzansprüchen von Passagieren, die ihren Flug verpasst haben. In Betracht komme eine Haftung des Staates, dem nach dem Luftsicherheitsgesetz die Kontrollen obliegen und der dafür Beliehene einsetzt. Wenn organisatorische Fehler im Vorfeld der Kontrolle für den verpassten Flug ursächlich seien, könne sich ein Anspruch gegen den Flughafenbetreiber aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergeben. Um eine Anspruchskürzung wegen Mitverschulden zu vermeiden, sollten Passagiere rechtzeitig eintreffen und dies nach Möglichkeit dokumentieren.
Das Letzte zum Schluss
Fahrrad ohne Eigentumsnachweis: Die Polizei hat in Haldensleben bei Magdeburg einen Fahrradfahrer angehalten und das Fahrrad beschlagnahmt. Begründung: Der Fahrer könne sein Eigentum nicht nachweisen. lawblog.de (Udo Vetter) hält das Vorgehen für ausbaufähig und sieht schon gut gefüllte Asservatenkammern.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. Oktober 2017: Numerus clausus vor BVerfG / Frauke Petry angeklagt / Justiz-Reform in Ukraine . In: Legal Tribune Online, 05.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24845/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag