Die Bundesanwaltschaft fordert hohe Haftstrafen im NSU-Prozess. Außerdem in der Presseschau: Streit um freien Zugang zur Natur, Verfahren gegen SS-Sanitäter eingestellt und greift polizeiliche Abschreckung in das Versammlungsrecht ein?
Thema des Tages
OLG München – NSU: Die Bundesanwaltschaft hat ihr Plädoyer im NSU-Prozess abgeschlossen und sich zum geforderten Strafmaß erklärt. Beate Zschäpe solle eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung erhalten. Sie habe sich der Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen schuldig gemacht. Das Gericht solle die besondere Schwere der Schuld feststellen. Wegen Beihilfe zum versuchten Mord solle André E. für zwölf Jahre in Haft – er sei der "verlässliche Anker, ein Stein in der Brandung des NSU" gewesen. Die Bundesanwaltschaft beantragte zudem Haftbefehl gegen ihn. Für Ralf Wohlleben sieht die Anklage eine zwölfjährige Haftstrafe wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor. Holger G. solle für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung für fünf Jahre in Haft und Carsten S. eine Jugendstrafe von drei Jahren antreten, weil er die Tatwaffe des NSU besorgt habe. Die SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm), spiegel.de (Julia Jüttner/Thomas Hauzenberger), die FAZ (Karin Truscheit), die taz (Konrad Litschko), die Welt (Per Hinrichs) und zeit.de (Tom Sundermann) resümieren die Argumentation der Anklage insbesondere bezüglich Zschäpe.
"Das sieht so aus, als wolle eine Krähe der anderen kein Auge aushacken", stellt Annette Ramelsberger (SZ) mit Blick darauf fest, dass Bundesanwalt Herbert Diemer die Polizei und den Verfassungsschutz von Versäumnissen in Sachen NSU freigesprochen habe. Es sei fraglich, ob er damit Recht behalte, dass alle Schuldigen auf der Anklagebank säßen. Auch Reinhard Müller (FAZ) meint, es müsse weiterhin nach der Verantwortung des Staates gefragt werden. Jedoch könne man dem "gern kritisierten Rechtsstaat" nicht "die Bereitschaft, aus einzelnen und strukturellen Fehlern zu lernen", absprechen. Konrad Litschko (taz) findet die für Zschäpe geforderte Strafe "gewiss gerechtfertigt, nicht nur als Symbol". Er bedauert, dass die Angeklagte es geschafft habe, "die Mauer des Schweigens über die Unterstützer" bestehen zu lassen.
Im Interview mit Rechtsanwalt Sebastian Scharmer beleuchtet die SZ (Annette Ramelsberger), was eine lebenslange Haft, die besondere Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung rechtlich bedeuten. Dies erklären auch die taz (Christian Rath), die FAZ (Constantin van Lijnden) und tagesschau.de (Kolja Schwartz/Frank Bräutigam). spiegel.de (Almut Cieschinger/Julia Jüttner u.a.) beantwortet ausführlich die wichtigsten Fragen zum NSU-Prozess.
Rechtspolitik
Innere Sicherheit: Auf focus.de stellt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), ehemalige Bundesjustizministerin, ihre Forderungen für Sicherheit im Inneren vor. Sie warnt vor "gesetzgeberischem Wildwuchs" in Form von Sicherheitsgesetzen, bei dem die Freiheitsrechte "auf der Strecke" blieben. Es brauche vielmehr "klare Regeln und genau definierte Verantwortlichkeiten" bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden.
Solidarische Steuerpolitik: Laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und der Gewerkschaft Verdi wollen die Menschen "in ganz großer, parteiübergreifender Mehrheit eine solidarische Steuerpolitik, die Reiche stärker zur Verantwortung für dieses Gemeinwesen heranzieht", so die SZ.
Einziehung: Die Rechtsanwälte Christian Schoop und Wolfgang Jäger erörtern in der FAZ die Konsequenzen für Unternehmen durch die seit dem 1. Juli diesen Jahres geltende verschärfte Regelung zur Einziehung aller aus Straftaten erworbenen Erträge.
Justiz
BVerwG – Nordseestrand: Gibt es ein Recht auf freien Zugang zur Natur? Diese Frage wird das Bundesverwaltungsgericht am heutigen Mittwoch verhandeln. Die Bewohner der Nachbargemeinden eines Nordseestrands haben dagegen geklagt, dass eine Tourismus-GmbH nur Kurkarteninhabern und Gemeindeeinwohnern kostenlosen Zugang zum Strand gewährt. Die SZ (Wolfgang Janisch) erinnert auch daran, in welchen Fällen das Recht der Allgemeinheit an der Natur bereits die Justiz beschäftigt hat. Die Welt (Ulrich Exner) zeichnet den Fall und insbesondere das Engagement des Klägers Janto Just nach.
BVerfG zu Schlecker-Prozess: Bildaufnahmen im Schlecker-Prozess sind nur zum Prozessauftakt und bei der Urteilsverkündung zulässig. Für andere Zeitpunkte bedarf es einer Entscheidung im Einzelfall. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte damit die Sitzungsverfügung des Landgerichts Stuttgart und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Springer-Verlag ab. lto.de (Martin W. Huff) erklärt die Karlsruher Entscheidung. Auch die FAZ (Hendrik Wieduwilt) bringt eine Meldung.
LG Neubrandenburg zu SS-Sanitäter: Das Landgericht Neubrandenburg hat das Strafverfahren gegen den ehemaligen SS-Sanitäter Hubert Z. eingestellt, weil der Angeklagte wegen seiner Demenz nicht mehr verhandlungsfähig sei. Die Anklage warf ihm Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen vor. Die SZ (Oliver Das Gupta) resümiert das Verfahren.
BGH zu Bankgebühren: Banken dürfen für Kundenbenachrichtigungen nur solche Entgelte verrechnen, die angemessen und tatsächlich angefallen sind. Verwaltungs- und Personalaufwand hat die Bank selbst zu tragen. Dies entschied der Bundesgerichtshof und gab damit der Klage der Schutzgemeinschaft für Bankkunden statt, die sich gegen überhöhte Gebühren der Sparkasse Freiburg/Nördlicher Breisgau gewehrt hatte. Die SZ (Wolfgang Janisch) und die Welt (Karsten Seibel - erweiterte Onlinefassung) fassen die Argumente des Gerichts zusammen. swr.de (Klaus Hempel) betont, das Urteil gelte für alle Bankkunden.
Anlässlich der Entscheidung fasst focus.de die bereits als rechtswidrig abgeurteilten Bankgebühren zusammen.
BGH zu Kinderlärm: Andauernder Kinderlärm kann Mieter zur Mietminderung berechtigen. Es bedürfe zwar einer erhöhten Toleranz, aber diese kenne Grenzen, so der Bundesgerichtshof in einem nun veröffentlichten Beschluss. Um die Mietminderung durchzusetzen, reiche statt eines detaillierten Lärmprotokolls auch eine Beschreibung des Lärms, meldet die SZ.
OVG Berlin-Brandenburg zu Merkels Abendessen: Bundeskanzlerin Merkel muss vor der Bundestagswahl keine Auskunft über nichtprivate Abendessen im Bundeskanzleramt geben. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Eilverfahren. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte zuvor dem Auskunftsanspruch eines Bloggers stattgegeben, meldet die FAZ.
LG Freiburg – Fall Maria L.: Für focus.de erklärt ein Profiler, was Hussein K. dazu veranlasst haben mag, Maria L. zu vergewaltigen und bewusstlos in einen Fluss zu legen.
EuG zu BMW-Beihilfe: Deutschland darf dem Autokonzern BMW die geplante Beihilfe für Elektroautos nicht in voller Höhe auszahlen, dagegen spreche der Anreizeffekt. Das Europäische Gericht bestätigte diese Entscheidung der Europäischen Kommission und ihr weites Ermessen in Sachen Beihilfen. Rechtsanwalt Ulrich Soltész schildert auf lto.de die Urteilsgründe und die Konsequenzen der weiten Befugnisse der EU-Kommission für die Rechtssicherheit.
LG Paderborn – Höxter: Die Auswertung von Sprachnachrichten habe ergeben, dass im Höxter-Fall der Ehemann Wilfried W. "tonangebend" gewesen sei. Dies sagte die mit der Auswertung betraute Polizeibeamtin aus, meldet spiegel.de. W. sei "hochgradig manipulativ, intrigant und sexistisch gegenüber den Opfern".
LG Berlin – verweigerte Fluggastbeförderung: Die staatliche Fluggesellschaft Kuwait Airways hat einem israelischen Staatsbürger mit Wohnsitz in Berlin verwehrt, ihn über Kuwait nach Bangkok zu fliegen. Israelis sei es verboten, das Emirat zu betreten. Welche Argumente dafür sprechen, dem Betroffenen die Beförderung zu gewähren, erörtert Rechtsanwältin Eva Ghazari-Arndt auf lto.de ausführlich.
AG Hamburg-St. Georg zu G-20-Ausschreitungen: Das Amtsgericht im Hamburger Stadtteil St. Georg hat einen 19-Jährigen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Er habe an den Ausschreitungen rund um die G-20-Proteste teilgenommen und sich der versuchten gefährlichen Körperverletzung, des schweren Landfriedensbruchs und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht, meldet focus.de.
EGMR zu privater Internetnutzung: swr.de (Gigi Deppe/Bernd Wolf u.a.) erörtert im "RadioReportRecht" ausführlich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Überwachung der privaten Kommunikation von Arbeitnehmern.
Recht in der Welt
Großbritannien – Brexit: Das britische Parlament hat für das von der Regierung vorgeschlagene EU-Austrittsgesetz gestimmt. Nun gehe das Gesetz in die Ausschüsse. Diese beraten ab Oktober und sehen sich bereits mit 136 Änderungsanträgen konfrontiert, wie die taz (Dominic Johnson) schreibt.
Polen – Verfassungsgerichtspräsidentin: Ist die Verfassungsgerichtspräsidentin Julia Przyłębska rechtmäßig im Amt? Sind die Urteile des polnischen Verfassungsgerichts überhaupt gültig? Dies sind die Fragen, die das Oberste Gericht Polens zu beantworten abgelehnt hat. Wie das Gericht der Entscheidung auswich, beschreibt die SZ (Florian Hassel).
Florian Hassel (SZ) zeigt sich erstaunt über das Vorgehen des Obersten Gerichts. Zwar vermieden die Richter des Obersten Gerichts damit eine "volle Konfrontation" mit der Regierungspartei PiS, diese arbeite allerdings bereits daran, das Gericht mit Gefolgsleuten zu besetzen.
USA – Affen-Bild: Die Tierrechtsorganisation Peta und der Fotograf David Slater haben wegen der Urheberrechte an der vom Tier ausgelösten Bildaufnahme eines Makaken einen Vergleich geschlossen. Slater wird 25 Prozent der künftigen Einnahmen von dem mit seiner Kamera aufgenommenen Affen-Foto an gemeinnützige Organisationen spenden, die sich für den Schutz der Affen in Indonesien einsetzen. Peta vertrat die Position, die Urheberrechte stünden dem Tier zu. zeit.de (Friedhelm Greis), SZ (Laura Hertreiter) und FAZ (klau) berichten über das Verfahren, das den Fotografen in finanzielle Nöte brachte.
Spanien – katalanische Unabhängigkeit: Das spanische Verfassungsgericht hat das katalanische Abspaltungsgesetz ausgesetzt und für verfassungswidrig erklärt, meldet deutschlandfunk.de. In der vergangenen Woche kassierte das Gericht bereits das Gesetz zum geplanten Unabhängigkeitsreferendum.
Irak – kurdische Unabhängigkeit: Mit eindeutiger Mehrheit hat das irakische Parlament das Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Norden des Landes abgelehnt. Sie wollten am 25. September über ihre Separation abstimmen, meldet die SZ.
Sonstiges
Polizeiliche Aufrüstung bei Versammlungen: Welche Mittel darf die Polizei rechtmäßigerweise zum Schutz vor und von Demonstranten einsetzen? Mit dieser Frage befasst sich Johannes Franke auf juwiss.de ausführlich. Anlass bot die Anwesenheit einer SEK-Einheit bei einer linken Demonstration im sächsischen Wurzen am vorvergangenen Samstag. Die Anwesenheit von Polizisten, erst recht besonders bewaffneter Beamter, könne Versammlungsteilnehmer abschrecken und somit einen faktischen Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedeuten.
Krankmeldungen als Streik: Anlässlich der zahlreichen Krankmeldungen von Air-Berlin-Piloten am vergangenen Montagabend und Dienstagmorgen erläutert spiegel.de, wie dieses Vorgehen im Sinne einer Arbeitskampfmaßnahme rechtlich zu werten ist.
Politische Meinungsforschung: Unter dem Titel "Die Idee der Freiheit gewinnt wieder an Boden" teilt die FAZ (Hendrik Wieduwilt) die Ergebnisse einer aktuellen politischen Meinungsforschung in Deutschland mit. So sei etwa der populistische Zeitgeist im Abklingen begriffen, der Freiheitsindex auf dem höchsten Wert seit 2011.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. September 2017: Sicherungsverwahrung für Zschäpe? / Recht auf Natur / Polizei auf Demos . In: Legal Tribune Online, 13.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24465/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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