Das Berliner Beamtenrecht diskriminiert Eltern. Außerdem: Langsame Richter dürfen gerügt werden, auch alte Gutachten können Sicherungsverwahrung bedingen, Dashcam-Aufnahmen können als Beweis zulässig sein und türkischer Spion gesteht.
Thema des Tages
EuGH zu Elterndiskriminierung: Die Inanspruchnahme von Elternzeit darf keine beruflichen Nachteile bedingen. Auch dann nicht, wenn sie während der Probezeit erfolgt. Dies entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Berlin und stellte fest, dass die entsprechende Bestimmung des Berliner Beamtenrechts gegen die EU-Richtlinie über Erziehungsurlaub verstößt. Im vorliegenden Fall hatte eine Frau die Probezeit für eine Führungsposition in der Berliner Senatsverwaltung wegen ihrer schwangerschaftsbedingten Abwesenheit nicht antreten können. Bei ihrer Rückkehr war die betreffende Stelle besetzt und der Senat gab ihr ihren vorherigen Posten mit niedrigerer Besoldungsstufe zurück, wogegen sie klagte. Die taz (Christian Rath) erläutert den Fall und diskriminierungsfreie Lösungen. Auch die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und die SZ (Matthias Kohlmaier) berichten.
Rechtspolitik
Steuerschlupflöcher: Wie die SZ (Lena Kampf) aus internen Protokollen weiß, beschweren sich Beamte des Bundesfinanzministeriums darüber, dass große EU-Staaten das Schließen von Steuerschlupflöchern für Unternehmen blockierten: "Das Ausmaß der Beteiligung anderer Mitgliedstaaten an den Diskussionen zur Eindämmung schädlichen Steuerwettbewerbs hat einen neuen Tiefpunkt erreicht."
Steuerrecht im Wahlkampf: "Wenn die Parteien mit ihren Steuerplänen Ernst machen, kommt auf Staat, Wirtschaft und Steuerzahler ein erheblicher Mehraufwand zu." Das Hbl (Martin Greive) unterzieht die Steuerpläne aus den Wahlprogrammen einer kritischen Würdigung.
Justiz
BGH zu richterlichem Arbeitstempo: Richter dürfen grundsätzlich zu "ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung" ihrer Amtsgeschäfte ermahnt werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof im Verfahren des Richters Thomas Schulte-Kellinghaus in der Fragen des richterlichen Arbeitstempos. Unzulässig wäre die Rüge nur, wenn sie ein nicht mehr sachgerechtes Pensum verlange. Um zu klären, was sachgerecht ist, wird nun der Dienstgerichtshof in Stuttgart die durchschnittliche Arbeitsleistung eines Richters ermitteln müssen. lto.de (Christian Rath) erläutert die Entscheidung.
Die FAZ (Marlene Grunert/Constantin van Lijnden) schildert ausführlich die Hintergründe des Falls. Auch spiegel.de nimmt sich dem Thema an.
EGMR zu Sicherungsverwahrung: Psychiatrische Gutachten, die mehrere Jahre alt sind, können zu einer Sicherungsverwahrung berechtigen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Es hänge vom Einzelfall ab, ob das Gutachten auch Jahre später die Gefährlichkeit des Straftäters belegen könne. Den vorliegenden Fall beschreibt spiegel.de.
OLG Nürnberg zu Dashcam-Aufnahmen: Wenn sich der Unfallhergang nicht anders aufklären lässt, sind Dashcam-Aufnahmen als Beweis im Zivilprozess zulässig, so das Oberlandesgericht Nürnberg. lto.de und die FAZ (cvl.) berichten.
OLG Hamburg – türkischer Spion: Am ersten Prozesstag des Strafverfahrens wegen geheimdienstlicher Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland hat der Angeklagte Mehmet Fatih S. zugegeben, Kontakt mit der türkischen Polizei gehabt zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, hiesige kurdische Politiker für den türkischen Geheimdienst ausgeforscht zu haben. Es berichtet ausführlich die taz (Christian Jakob).
zeit.de (Hasan Gökkaya) erläutert die Vorwürfe und beleuchtet insbesondere das Vorgehen Deutschlands gegen die PKK.
VG Ansbach zu AfD-Veranstaltung: Die AfD darf ihre Wahlkampfveranstaltung am morgigen Samstag in Nürnberg wie geplant abhalten. Dies entschied das Verwaltungsgericht Ansbach und gab damit dem Eilantrag gegen die Kündigung des Mietvertrags für den städtischen Veranstaltungsort statt. Es liege keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass etwa die Menschenwürde Dritter verletzt werde oder mit Straftaten wie Volksverhetzung zu rechnen sei, so focus.de.
VG Berlin – Neuköllner Begegnungsstätte: Die Berliner Moschee Neuköllner Begegnungsstätte klagt vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen das Landesamt für Verfassungsschutz, weil sie im Verfassungsschutzbericht benannt wird. Sie fordert, dass die Behörde sie aus den Berichten von 2015 und 2016 streicht und sieht sich als "dialogbereite Gemeinschaft friedliebender Muslime". Die Welt (Marcel Leubecher) informiert über Hintergründe der Moschee.
LG Leipzig zu Mord an Ehepaar: Das Landgericht Leipzig hat einen Mann wegen Mordes an einem Ehepaar zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte seine Opfer aufgrund eines Streits wegen ausstehender Lohnschulden getötet, so der Verurteilte. Dies meldet spiegel.de.
OLG Frankfurt a.M. zu Paartanz: Ein Tanzpartner haftet nicht für die Folgen eines Sturzes seiner Tanzpartnerin beim Paartanz. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Die Klägerin verlangte Schadensersatz, da sie sich zum Tanz überredet fühlte und klar gemacht habe, dass der Tanz für sie zu schnell sei. Laut Gericht wäre eine "klar artikulierte Absage" notwendig gewesen, meldet Amtsgerichtsdirektor Hans-Otto Burschel auf community.beck.de.
LG Augsburg – Ursula Herrmann: Der Bruder der im Jahr 1981 im Zuge ihrer Entführung verstorbenen Ursula Herrmann klagt gegen den für die Tat verurteilten Werner M. auf Schmerzensgeld. Dieser bestreitet seine Täterschaft nach wie vor; sein Anwalt verfolgt nun im Zivilverfahren mögliche Fehler in den polizeilichen Ermittlungen sowie in der Beweisführung des Gerichts, die auf eine Fehlverurteilung schließen lassen. spiegel.de (Julia Jüttner) fasst die Zweifel an der Schuld des M. zusammen. Einer der damals ermittelnden Polizisten hat sich zu den Auffälligkeiten bei den Ermittlungen geäußert, wie spiegel.de in einem weiteren Beitrag meldet.
EuGH zu Intel: Kartellrechtsanwalt Christian Karbaum stellt für lto.de die Hintergründe des Intel-Urteils des Europäischen Gerichtshofs zusammen.
Recht in der Welt
Spanien – Kataloniens Unabhängigkeitsreferendum: Das spanische Verfassungsgericht hat das katalanische Gesetz über ein Unabhängigkeitsreferendum in einem Eilverfahren am Abend des gestrigen Donnerstags aufgehoben, meldet spiegel.de. Ein Beitrag in der FAZ (Hans-Christian Rößler), deren Redaktion bereits vor der Entscheidung schloss, berichtet noch von den Klageplänen der spanischen Zentralregierung. Zudem ermittelt der spanische Generalstaatsanwalt gegen katalanische Abgeordnete wegen des Gesetzes.
Thomas Urban (SZ) moniert, dass die Madrider Regierung etwas falsch mache, wenn sie mit "Peitsche ohne Zuckerbrot" auf die Unabhängigkeitsbestrebungen reagiere. Die nächsten Regionalwahlen dürften einen "Erdrutschsieg" für die "Verfechter der Sezession" bringen. Jost Maurin (taz) befürchtet, die Separationsbestrebungen gefährdeten den Zusammenhalt in der EU.
Türkei – Deutsche unter Terrorverdacht: Vor einem türkischen Gericht in Karaman hat das Strafverfahren gegen eine Deutsche wegen Terrorverdachts begonnen. Sie soll der als Terrororganisation eingestuften Gülen-Bewegung angehören. Die SZ (Katja Riedel/Andreas Spinrath) resümiert die Vorwürfe.
Ungarn – Umverteilung von Flüchtlingen: "Die Reaktion Viktor Orbáns auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Flüchtlingsverteilung ist eine Todsünde, ein europarechtliches Verbrechen", zeigt sich Heribert Prantl (SZ) entrüstet und fordert ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn.
Sonstiges
BKA und Datenschutz: Wie die taz (Tobias Schulze) recherchiert hat, bleibt nach Ansicht des Bundeskriminalamts bei einem "Freispruch zweiter Klasse" ein Restverdacht bestehen, der dazu berechtigen könne, die Daten des Betroffenen weiterhin zu speichern. Es sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Grunddaten gelöscht werden müssten. Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) betont, es brauche eine Negativprognose, um eine weitere Speicherung zu rechtfertigen.
Unionsrechtliches Subsidiaritätsprinzip: Auf juwiss.de erläutert Fabian Bünnemann, warum und wie das unionsrechtliche Subsidiaritätsprinzip weiterentwickelt werden sollte.
Reiserechte: Anlässlich des Hurrikans in der Karibik klärt die SZ (Monika Maier-Albang) über die Rechte der Reisenden auf.
Das Letzte zum Schluss
Zeuge ≠ Beschuldigter: Versehen oder Absicht? Jedenfalls nicht ganz koscher ist es, wenn die Polizei ein und dieselbe Person sowohl als Zeugen zur Vernehmung und gleichzeitig zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorlädt. Seine Verwunderung über das – hoffentlich nur versehentliche – Vorgehen der Polizei gegenüber seinem Mandaten bringt Rechtsanwalt Udo Vetter (lawblog.de) zum Ausdruck.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. September 2017: Unzulässige Eltern-Diskriminierung / Zulässiger Dashcambeweis / Zulässige Richterrüge . In: Legal Tribune Online, 08.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24253/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag