Der Europäische Gerichtshof hat Klagen gegen die EU-interne Umverteilung von Flüchtlingen abgewiesen. Außerdem in der Presseschau: Intel erringt Etappensieg im Kampf gegen Rekordbußgeld und ein Furz vor Polizisten bleibt straflos.
Thema des Tages
EuGH zu Umverteilung von Flüchtlingen: Der Beschluss der Europäischen Union, nach dem Flüchtlinge entgegen den Dublin-Regeln auf verschiedene Mitgliedstaaten verteilt werden, ist rechtmäßig. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Der Beschluss finde seine rechtliche Grundlage in Art. 78 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen erlassen kann, um Mitgliedstaaten bei einem plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen zu helfen. Geklagt hatten Ungarn und die Slowakei. Während die Slowakei ankündigte, das Urteil zu akzeptieren, kündigte Ungarns Regierung Widerstand an. Das Urteil und seine Vorgeschichte stellen die FAZ (Helene Bubrowski), die taz (Christian Rath) und lto.de (Tanja Podolski) vor. Die Reaktionen werden in gesonderten Beiträgen der FAZ (Stephan Löwenstein), der taz (Eric Bonse) und spiegel.de (Markus Becker) zusammengestellt.
Reinhard Müller (FAZ) kommentiert, Ungarn dürfe zwar die Flüchtlingspolitik der EU kritisch sehen, müsse sich jedoch an Urteile halten. Laut Steffen Dobbert (zeit.de) belegen das Urteil und die Reaktionen darauf die antieuropäische Haltung von Viktor Orbán. Für Stefan Ulrich (SZ) zeigt der Fall, dass nicht alle Staaten in eine Union passen. Es müsse über zwei verschiedene Modelle des Zusammenschlusses nachgedacht werden.
Die SZ (Peter Münch) schildert in einem gesonderten Beitrag Ungarns Abschottungspolitik und sagt voraus, dass sich durch das Urteil wenig daran ändern werde.
Rechtspolitik
Kampfdrohnen: netzpolitik.org (Constanze Kurz) weist auf ein Positionspapier des European Centers for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zum Einsatz von bewaffneten Drohnen hin. Darin fordern die Autoren von der Bundesregierung eine enge, restriktive Auslegung des Völkerrechts, die sowohl bei der Anschaffung von Drohnen durch die Bundeswehr als auch beim Umgang mit Verbündeten wie den USA berücksichtigt werden müsste.
Flughafen Tegel: Der Weiterbetrieb des Flughafens in Tegel nach Eröffnung von "BER", über den in Berlin in Kürze abgestimmt wird, ist rechtlich ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis kommt ein im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Justiz erstelltes Gutachten des Verwaltungsjuristen Reiner Geulen, über das die FAZ (Mechthild Küpper) berichtet. Es würde Jahre dauern, alle gemeinsam mit Brandenburg und dem Bund getroffenen Entscheidungen rückgängig zu machen. Zudem würden strengere Lärmschutzvorschriften gelten als zum Zeitpunkt des Flughafenbaus.
Europäische "Bill of Rights": Die ehemalige Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft Viviane Reding fordert in einem Beitrag für die Welt die Schaffung einer europäischen "Bill of Rights". Da sich die bisherigen Instrumente zum Schutz der europäischen Grundwerte als unwirksam erwiesen hätten, müsse Art. 51 der Grundrechtecharta abgeschafft werden. Dann wäre die Charta nicht nur bei der Durchführung von Unionsrecht anwendbar und würde zu einer echten "Bill of Rights".
Demokratie vs. Verfassung: Auf verfassungsblog.de analyisiert Mattias Kumm, Managing Director of the Center for Global Constitutionalism, wie populistisch-autoritäre Nationalisten einen überspannten Demokratiebegriff gegen Errungenschaften des Verfassungsstaates, wie die Grund- und Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, in Stellung bringen. Die Idee eines einheitlichen Volkswillens erkläre die Ablehnung legitimer Opposition, Probleme mit der Legitimation durch rechtliche Verfahren, die Diskreditierung der Beteiligung von Bürgern anderer Länder oder internationaler Institutionen als "ungerechtfertigte Einmischung" sowie die Ausgrenzung von Minderheiten.
Justiz
EuGH zu Intel: Der Europäische Gerichtshof hat einer Klage des Chipherstellers Intel stattgegeben und an das Europäische Gericht zurückverwiesen. Die Kommission hatte 2009 ein Rekordbußgeld gegen den Elektronikkonzern angeordnet, weil dieser den Konkurrenten AMD durch Rabatte für Computerhersteller vom Markt gedrängt haben soll. Der EuGH stellte zwar nicht die Rabatte in Frage, bemängelte jedoch, dass das erstinstanzlich zuständige EuG die Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht hinreichend geprüft habe. Das Urteil wird von der SZ (Alexander Hagelüken u.a.) und der FAZ (Werner Mussler) zusammengefasst.
Till Hoppe (Hbl) begrüßt das Urteil. Starke Wettbewerbshüter seien wichtig, aber eine gerichtliche Kontrolle müsse gewährleistet sein. Werner Mussler (FAZ) meint, das Urteil richte sich in erster Linie gegen die oberflächliche Prüfung durch das Europäische Gericht. Daher müssten die Wettbewerbshüter ihre Praxis nicht grundlegend ändern.
EGMR zu Überwachung am Arbeitsplatz: Im Interview mit spiegel.de (Armin Himmelrath) erläutert Rechtsanwalt Tobias Neufeld die Konsequenzen aus dem gestrigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Überwachung von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz. In Zukunft müsse es immer eine Einzelfallprüfung geben, bevor Arbeitnehmer überwacht werden. Zudem müssten Anlass und Umfang der Überwachung im Vorhinein deutlich gemacht werden.
BGH zu Compliance-Systemen bei der Bußgeldbemessung: Der Rechtsanwalt Sebastian Hack befasst sich auf dem Handelsblatt-Rechtsboard mit möglichen Folgen eines Urteils des Bundesgerichtshofs zur Bedeutung von Compliance-Systemen bei der Bußgeldbemessung von Mai dieses Jahres. Darin habe der Bundesgerichtshof ein Compliance-Programm strafmildernd berücksichtigt. Dies sei auch auf das Kartellrecht übertragbar.
BGH – Richterliches Arbeitstempo: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath) stellen jetzt den Fall Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, vor, der vor dem Bundesgerichtshof gegen seine damalige Gerichtspräsidentin Christine Hügel klagt. Diese hatte den Richter wegen seiner wenigen Verfahrenserledigungen ermahnt, worin dieser eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit sieht.
Die Professoren Michael Berlemann und Robin Christmann nehmen den Fall auf lto.de zum Anlass, um eine Studie zu Einflüssen auf die Verfahrensdauer vorzustellen. Danach würden anwaltlich vertretene Parteien sowie umfangreiche Schriftsätze das Verfahren tendenziell verlängern. Kürzere Verfahren seien jedoch bei einer größeren Berufserfahrung der Richter sowie bei der Existenz von Leitentscheidungen zu beobachten. Die Auswirkung von Vergleichen auf die Verfahrensdauer sei ambivalent.
OLG München – Türkische Medien über NSU-Prozess: blog.zeit.de (Zia Weise) schildert, wie türkische Medien über den NSU-Prozess berichten. Anfangs hätte ein reges Interesse bestanden. Dabei hätten regierungsnahe Medien oft auf eine tief gehende Verschwörung angespielt. Inzwischen sei das Interesse verflogen, weil die Menschen in der Türkei andere Probleme hätten.
AG Augsburg – Eizellspende: Die Zeit (Martin Spiewak) schildert einen Prozess vor dem Amtsgericht Augsburg, in dem die sogenannte Kinderwunschberaterin Christine B. wegen Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz angeklagt ist. Sie hat Paare bei der Inanspruchnahme von Eizellspenden in ausländischen Kliniken beraten. Das Verbot der Eizellspende ist inzwischen heftig umstritten.
Böhmermann vs. Merkel: spiegel.de (Tobias Hausdorf) sprach mit dem Medienrechtler Jonas Kahl über die von Jan Böhmermanns Anwalt angedrohte Klage gegen Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin wird aufgefordert, ihre Bewertung von Böhmermanns "Schmähgedicht" als "bewusst verletzend" zurückzunehmen. Die Klage könne sich im Wesentlichen auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Sachlichkeitsgebot stützen, habe jedoch kaum Aussicht auf Erfolg, da sich die Bundeskanzlerin auf die außenpolitische Dimension des Falls berufen könne.
Middelhoff kritisiert Justiz: Die FAZ (Marcus Jung/Carsten Knop) und die Zeit (Marcus Rohwetter) stellen das neu erschienene Buch von Thomas Middelhoff vor, der 2014 wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt worden war. Darin rechnet der ehemalige Arcondor-Chef mit der Justiz ab, insbesondere mit dem Vorsitzenden Richter der Großen Strafkammer am Landgericht Essen und dem Strafvollzug, der nach Ansicht des Autors dringend der Reform bedarf.
Recht in der Welt
USA – Daca: Mehrere US-Bundesstaaten klagen gegen das von US-Präsident Donald Trump verfügte Ende des Ende Daca-Programms, mit dem minderjährige Einwanderer vor einer Abschiebung geschützt wurden. Das meldet zeit.de. Hubert Wetzel (SZ) bezeichnet das Vorgehen Trumps als "puren nationalistischen Populismus". Sein in dieser Sache bekundeter "Respekt vor dem Recht" habe sich zuletzt gezeigt, als er "einen sadistischen, wegen rassistischer Übergriffe verurteilten Sheriff" begnadigte.
Vereinigtes Königreich – Einwanderung: Die FAZ (Marcus Theurer) und die SZ (Cathrin Kahlweit) analysieren die jüngst bekannt gewordenen Pläne der britischen Regierung, die Einwanderung von EU-Bürgern nach dem Brexit zu beschränken. Danach sollen nur noch zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden. Auch ein Mindesteinkommen für EU-Ausländer sei denkbar.
Katalonien – Unabhängigkeitsreferendum: Wie spiegel.de meldet, hat das Parlament von Katalonien ein Gesetz verabschiedet, das den Weg für ein Referendum über die Unabhängigkeit ebnen soll. Es wird damit gerechnet, dass das spanische Verfassungsgericht das Gesetz innerhalb weniger Stunden für verfassungswidrig erklären wird, so die FAZ (Hans-Christian Rößler).
Frankreich – Arbeitsrechtsreform: Die Rechtsanwältin Sandra Hundsdörfer analyisert auf lto.de die Vorschläge der französischen Regierung zur Reform des Arbeitsrechts. Sie enthalten unter anderem eine Neuregelung des Verhältnisses von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, eine Deckelung des Schadensersatzes für unbegründete Kündigungen sowie die Verschmelzung verschiedener Arbeitnehmergremien. Ziel sei es, den französischen Mittelstand zu entlasten und ausländische Investoren anzulocken.
Juristische Ausbildung
Benotung im Staatsexamen: Über die jüngst erschienenen Studie zu regionalen Unterschieden in der Benotung im juristischen Staatsexamen berichtet jetzt auch spiegel.de (Armin Himmelrath).
Sonstiges
Mossad-Fahndung nach Mengele: In der Zeit schreibt Investigativ-Reporter Ronen Bergman (zeit.de-Zusammenfassung) über die Fahndung des israelischen Auslandsgeheimdienstes nach dem Auschwitz-Arzt Josef Mengele. Bei den Recherchen konnte der Autor auf die bisher verschlossene Akte des Mossad zurückgreifen. Daraus geht auch hervor, dass 1961 der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Kontakte vermittelte und eine Entführung vorschlug, da er keinen legalen Weg für Mengeles Auslieferung sah.
Das Letzte zum Schluss
Beleidigung durch Flatulenz: Weil er während einer Personenkontrolle gefurzt haben soll, wurde ein Berliner vom Gruppenleiter der Polizei wegen Beleidigung angezeigt. Das Amtsgericht Tiergarten stellte am Dienstag das Verfahren nach wenigen Minuten ein und kam damit auch der Forderung aus Berlins linker Szene nach, die unter dem Motto "Viel heißer Wind um nichts" zu dem Prozess mobilisiert hatte, wie taz.de (Peter Nowak) schreibt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. September 2017: Flüchtlingsumverteilung rechtmäßig / EuGH kippt Bußgeld gegen Intel / Beleidigung durch Flatulenz? . In: Legal Tribune Online, 07.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24361/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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