In Freiburg beginnt der Prozess um die getötete Studentin Maria L. Außerdem in der Presseschau: Der EGMR stärkt die Rechte von Arbeitnehmern und die Stadt Nürnberg versucht, einen Auftritt von Alexander Gauland (AfD) zu verhindern.
Thema des Tages
EGMR – Private Internetnutzung: Arbeitgeber dürfen private Kommunikation am Arbeitsplatz nur eingeschränkt kontrollieren. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, wie SZ (Wolfgang Janisch), Tsp (Jost Müller-Neuhof), Welt (Hannelore Crolly, BadZ (Christian Rath) und tagesschau.de (Gigi Deppe) berichten. Geklagt hatte ein rumänischer Verkaufsleiter, der trotz eines strikten Verbots am Arbeitsplatz heimlich mit seiner Freundin und seinem Bruder über teils intime Details geschrieben hatte. Ihm war deshalb 2007 unter Vorlage eines 45 Seiten starken Protokolls über die private Kommunikation gekündigt worden, das der Arbeitgeber angefertigt hatte. Das Straßburger Gericht befand nun, der Anspruch auf Achtung des Privatlebens bestehe auch am Arbeitsplatz fort und dürfe nur so weit eingeschränkt werden wie nötig. Arbeitgeber müssten daher über die Möglichkeit und das Ausmaß einer Überwachung vorab informieren und dabei einen legitimen Grund für die Maßnahme angeben. Ein pauschaler Hinweis auf "mögliche illegale Aktivitäten" reiche insoweit nicht. Mehrere Richter gaben eine abweichende Meinung zu der Entscheidung ab.
Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) betont die Bedeutung des Arbeitgeberinteresses, private Kommunikation am Arbeitsplatz zu unterbinden. Die Vorgaben des Gerichtes zu Überwachungen seien "kleinteilig" und würden das europäische Arbeitsrecht "unübersichtlich" machen.
Rechtsanwalt Jörn Kuhn erläutert in der FAZ eine ähnlich gelagerte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes aus dem Juli, in der es um die Verwendung eines sogenannten Keyloggers ging. Mit diesem hatte ein Arbeitgeber die Eingaben eines Arbeitnehmers an der Tastatur protokolliert. Das Gericht hatte in dieser Totalüberwachung einen massiven Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gesehen, der ein Verwertungsverbot der so erhobenen Daten für eine Kündigung zur Folge habe.
Rechtspolitik
Ehe für alle – Rechtsgutachten: Die Bayerische Staatsregierung hat ein Rechtsgutachten zur Einführung der "Ehe für alle" in Auftrag gegeben. Dies melden FAZ und SZ. Der Augsburger Rechtsprofessor Ferdinand Wollenschläger soll dabei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesänderung nachgehen, die Göttinger Rechtsprofessorin Dagmar Coester-Waltjen eine vergleichende Prüfung der internationalen Rechtslage vornehmen. Auf Grundlage dieses Gutachtens wolle die Staatsregierung entscheiden, ob sie das Bundesverfassungsgericht anruft.
Justiz
LG Freiburg – Mordfall Maria L.: Vor dem Landgericht Freiburg hat der Prozess um die getötete Studentin Maria L. begonnen. Hierüber berichten SZ (Anette Rammelsberger), taz (Benno Stieber), FAZ (Marlene Grunert), Welt (Philip Kuhn) und spiegel.de (Julia Jüttner). Angeklagt ist Hussein K., der die junge Frau im Oktober 2016 vergewaltigt und getötet haben soll. Der Prozess findet zwar öffentlich, jedoch vor einer Jugendstrafkammer statt. Das genaue Alter des Angeklagten bleibt unklar. Der Fall hatte überregional für Aufsehen gesorgt, nachdem bekannt wurde, dass der Tatverdächtige als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich AfD-Anhänger zu einer Kundgebung ebenso wie zahlreiche Gegendemonstranten der linken Szene.
BGH – Richterliches Arbeitstempo: Der Bundesgerichtshof befasst sich am morgigen Donnerstag mit der Frage, ob eine förmliche Ermahnung eines Richters zu höheren Erledigungszahlen mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar ist. Den Fall schildert lto.de (Annelie Kaufmann). Der betroffene Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, Thomas Schulte-Kellinghaus, war 2012 von der damaligen Gerichtspräsidentin ermahnt worden, da er in den Jahren 2008 bis 2010 nur etwa 68 Prozent der durchschnittlichen Erledigungsleistung erreicht habe. Der Richter sieht in der Aufforderung zu höheren Erledigungszahlen einen Aufruf zu einer "Rechtsprechung light", wodurch die nötige Gründlichkeit verloren gehe.
VG Stuttgart – Fahrverbot: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die schriftlichen Urteilsgründe seiner Entscheidung zu Fahrverboten aus dem Juli veröffentlicht, wie die taz (Christan Rath) berichtet. In dem Verfahren ging es um die nötigen Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte für Stickoxide in Stuttgart. Nur ganzjährige Fahrverbote für Diesel unterhalb der Schadstoffklasse 6 seien hierfür geeignet, eine Software-Nachrüstung reiche hingegen nicht aus.
LG Tübingen – Rundfunkbeitrag: Das Landgericht Tübingen hat beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) angefragt, ob der Rundfunkbeitrag europarechtlich zulässig ist. Über den Vorlagebeschluss berichtet lto.de (Maximilian Amos). Hintergrund des Verfahrens sind mehrere Zwangsvollstreckungsbescheide, gegen die sich die Betroffenen in zweiter Instanz vor dem Landgericht wehren. Das Gericht führt in dem Beschluss aus, der Rundfunkbeitrag sei eine europarechtlich unzulässige Beihilfe zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. In jedem Fall aber hätte vor seiner Einführung die Kommission um Zustimmung ersucht werden müssen.
LG Bochum – Werner Mauss: Im Prozess gegen den ehemaligen Agenten Werner Mauss vor dem Landgericht Bochum hat die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten gefordert. Dies berichtet u.a. die SZ (Ralf Wiegand). Mauss soll über zehn Jahre hinweg insgesamt 14 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Seine Einlassung, es habe sich bei dem vermeintlich zu versteuernden Geld nicht um sein eigenes Vermögen, sondern um das ihm überlassene Geld eines Geheimbundes gehandelt, hält die Staatsanwaltschaft für widerlegt.
LG Frankfurt – Beförderungsverbot für Israelis: Das Landgericht Frankfurt befasst sich mit der Weigerung der Fluggesellschaft Kuwait Airways, israelische Staatsbürger zu befördern. Dies berichtet SZ (Markus Zydra). Die Fluglinie bringe vor, sie würde mit der Beförderung von Israelis gegen kuwaitische Gesetze verstoßen, was ihr unzumutbar sei.
BVerfG – Länderfinanzausgleich: Hessen und Bayern haben ihre Klage gegen den Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht zurückgezogen, wie u.a. Welt meldet. Durch die Anfang Juni von Bundestag und Bundesrat beschlossene Neuordnung sei die Klage sei nunmehr hinfällig, erklärten die Ministerpräsidenten Seehofer (CSU) und Bouffier (CDU) in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Recht in der Welt
Frankreich – Schadensersatz für Herzogin Catherine: Verantwortliche der französischen Zeitschrift "Closer" müssen der Herzogin von Cambridge und ihrem Ehemann Prinz William wegen der Veröffentlichung von Privatfotos im Jahr 2012 insgesamt mehr als 100.000 Euro Schadensersatz zahlen. Dies entschied ein Gericht in Nanterre bei Paris, wie FAZ meldet. Die Fotos zeigten das Paar mit nacktem Oberkörper beim Sonnenbaden auf einem Privatanwesen und waren wohl per Teleobjektiv aufgenommen worden.
Sonstiges
Gauland in Nürnberg: Die Stadt Nürnberg ist vom Mietvertrag mit der AfD über die Meistersingerhalle zurückgetreten, wo am Samstag im Rahmen einer Parteiveranstaltung auch AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland auftreten sollte. Dies berichten u.a. SZ (Olaf Przybilla) und Welt. Grund waren die Äußerungen Gaulands über die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), diese solle "in Anatolien entsorgt" werden. Durch einen Auftritt Gaulands sei eine Schädigung des Ansehens Nürnbergs als Stadt des Friedens und der Menschenrechte zu befürchten. Die Allgemeinen Mietvertragsbedingungen würden für einen solchen Fall eine Rücktrittsmöglichkeit nach vorheriger Abmahnung und angemessener Fristsetzung vorsehen. Die AfD sieht in der Kündigung einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht der Stadt und kündigte eine Klage beim Verwaltungsgericht an.
Die SZ (Wolfgang Janisch) kritisiert das Vorgehen der Stadt. Ein pauschaler Verweis auf die Position Nürnbergs als Friedensstadt reiche für eine Kündigung nicht aus, wie in einem ähnlich gelagerten Fall in Augsburg bereits gerichtlich entschieden worden sei.
Böhmermann-Affäre: Der Satiriker Jan Böhmermann hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Klage angedroht, sollte diese ihre öffentliche Bewertung seines umstrittenen Erdoğan-Gedichts "Schmähkritik" nicht zurücknehmen. Dies meldet Tsp (Jost Müller-Neuhof). Böhmermanns Anwalt Christian Schertz führte in einem Schreiben an das Kanzleramt aus, Merkel habe mit ihrer Aussage, das Gedicht sei "bewusst verletzend" gewesen, eine juristische Bewertung vorgenommen, die einer Vorverurteilung gleichkomme. Dies sei rechtswidrig gewesen, da sie als Vertreterin der Exekutive hierfür nicht zuständig gewesen sei. Schertz forderte Merkel auf, binnen einer Woche eine Erklärung abzugeben, in der sie ihre Äußerung in der Rückschau als rechtswidrig einstufe. Komme sie dieser Aufforderung nicht nach, werde er seinem Mandanten den Gang vor das Verwaltungsgericht empfehlen.
LG-Frankfurt-Präsident im Interview: Die Welt (Karsten Seibel) interviewt den Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main, Wilhelm Wolf, über die Chancen des Vorgehens von Kunden gegen Banken. Die Anzahl der entsprechenden Verfahren sei stark gestiegen, eine Entlastung der Gerichte erfolge über häufigere Vergleiche. Klageschriften könnten indes "häufig auch dünner" sein, so Wolf.
"Widerruf-Joker": Die Rechtsanwälte Christian Nordholtz und Eike Bleckwenn warnen in der FAZ vor einer drohenden Widerrufswelle durch ein Geschäftsmodell von Verbraucheranwälten. Diese würden gezielt nach Belehrungsfehlern bei Verbraucherdarlehen suchen, um damit nicht nur eine Rückabwicklung des Darlehens zu erreichen, sondern auch der damit verbundenen Autokaufverträge. Den Mandanten würde dabei fälschlicherweise suggeriert, dass keine Wertersatzpflicht für die Nutzungsmöglichkeit anfalle und man daher das Auto bis zur Rückabwicklung "zu traumhaft günstigen Konditionen" gefahren sei.
Mietrechtsanwalt im Interview: Die Welt (Michael Fabricius) interviewt den Mitgründer des Start-Ups "wenigermiete.de", Daniel Halmer, welches für Mandanten die Miethöhe auf deren Rechtmäßigkeit überprüft. Sollte die Miete nach dem Gesetz zur Mietpreisbremse zu hoch sein, versuche das Online-Portal, beim Vermieter eine Senkung durchzusetzen. Kosten für die Rechtsverfolgung entstünden dabei nur im Erfolgsfalle und beliefen sich auf ein Drittel der erreichten Mietsenkung.
Das Letzte zum Schluss
Cannabis im Garten – Junge zeigt Mutter an: Nachdem ein 15-jähriger Junge aus St. Leon-Rot (Baden-Württemberg) die Cannabisplantage seiner Mutter im Garten entdeckt und sich im Internet über die Pflanzen schlau gemacht hatte, meldete er den Fund bei der Polizei. Dies berichtet u.a. focus.de. Diese erntete daraufhin die 19 Pflanzen von bis zu 1,5 Meter Höhe ab und ermittelt nun wegen Drogenbesitzes gegen die Mutter.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. September 2017: EGMR zu Überwachung am Arbeitsplatz / Prozessbeginn im Fall Maria L. / Streit um Gauland-Auftritt . In: Legal Tribune Online, 06.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24341/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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