Präsident Macron will Deregulierung des französischen Arbeitsrechts vorantreiben. Außerdem in der Presseschau: LG Braunschweig weist Klage gegen VW ab, NSU-Anklage sieht Andre É. als schuldig, Freshfields mischte bei Cum-Ex-Geschäften mit.
Thema des Tages
Frankreich – Reform des Arbeitsrechts: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seine umstrittene Arbeitsmarkt-Reform auf den Weg gebracht. Kernpunkte sind Flexibilisierungsmaßnahmen für Unternehmen mit einer Belegschaft von weniger als 50 Mitarbeitern. Diese dürfen zukünftig mit den Arbeitnehmervertretern die Aussetzung der 35-Stunden-Woche und die Lohnhöhe verhandeln. Daneben sollen die existierenden betrieblichen Interessenvertretungen zusammengelegt, die betriebsbedingte Kündigung erleichtert und die Höhe von Abfindungen auf höchstens 20 Jahresgehälter bei 30 Jahren Betriebszugehörigkeit gedeckelt werden. Die SZ (Leila Al-Serori), die FAZ (Christian Schubert), das Hbl (Tanja Kuchenbecker) und die taz (Eva Oer) stellen die Reform vor. Die linke Gewerkschaft CGT hat zu Protesten gegen die Reform aufgerufen.
Stefan Ulrich (SZ) kommentiert, dass Macron sein Wahlversprechen, soziale Errungenschaften im Arbeitsrecht abzuschaffen, nun konsequent umsetzt. Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) hält die Reform für überfällig, denn das Arbeitsrecht habe bisher wie ein "Beschäftigungsverhinderungsrecht" gewirkt.
Die FAZ (Christian Schubert) porträtiert die Arbeitsministerin Muriel Pénicaud, die als Architektin des Reformpakets großes Verhandlungsgeschick bewiesen und so die gemäßigten Gewerkschaften überzeugt habe.
Rechtspolitik
Privatschulen: Rechtsprofessor Michael Wrase und der Akademische Rat Felix Hanschmann untersuchen auf verfassungsblog.de die Entwicklung von Privatschulen unter verfassungsrechtlichen Aspekten. Dem Phänomen, dass Privatschulen dem Sonderungsverbot aus Art. 7 Grundgesetz nicht mehr hinreichend nachkommen, versuche die baden-württembergische Landesregierung durch klare Vorgaben und Aufsichtsbefugnisse beizukommen, was von den Autoren begrüßt wird. Dagegen lehnen sie ein kritisches Gutachten der Friedrich-Naumann-Stiftung als wenig nachvollziehbar ab.
BKA – Datensammlung: Die SZ (Stefan Braun) und der Tsp (Maria Fiedler/Jost Müller-Neuhof) fassen die Reaktionen auf die bekannt gewordene regelwidrige Datenspeicherpraxis des Bundeskriminalamts zusammen. Politiker der SPD, Grünen und Linken haben eine umfassende Aufklärung des Skandals und eine Überarbeitung der Datenbanken gefordert. Daneben sollen die Kriterien für die Speicherung neu erarbeitet werden. Konstantin von Notz (Grüne) fordert zudem, das neue BKA-Gesetz teilweise auszusetzen, weil es das Problem verstärken könnte.
Justiz
LG Braunschweig zu VW-Abgassoftware: Das Landgericht Braunschweig hat die Klage eines Verbrauchers abgewiesen, die von der amerikanischen Anwaltskanzlei Hausfeld und dem Dienstleister Myright zu einer Art Musterklage im VW-Skandal bestimmt worden war. Darin forderte der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises für sein Dieselfahrzeug und machte geltend, dass die ursprünglich erteilte Genehmigung wegen der Abschaltvorrichtung nicht hätte erteilt und das Auto nicht zum Verkehr zugelassen werden dürfen. Das Gericht verneinte jedoch ein automatisches Erlöschen der Genehmigung und der Zulassung zum öffentlichen Verkehr, berichten die FAZ (Marcus Jung) und lto.de. Zudem legte es den Fall dem Europäischen Gerichtshof, anders als erhofft, nicht vor.
BSG zu EU-Ausländern: Das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung bekräftigt, dass EU-Ausländern ein Anspruch auf Sozialhilfe zusteht, selbst wenn sie erwerbsfähig sind. Im konkreten Fall ging es um den Antrag einer Ungarin, die nach Einreise und zwischenzeitiger Beschäftigung erwerbslos geworden war. Das Urteil betreffe zwar die alte Fassung des SGB XII, da das BSG den Anspruch aber aus der Verfassung ableite, dürfe darin der Wille zum Ausdruck kommen, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, erläutert die FAZ (Dietrich Creutzburg/Hendrik Wieduwilt).
Dietrich Creutzburg (FAZ) stellt heraus, dass das BSG im Urteil nicht nur die Unterinstanzen zurechtweist, sondern auch die neue Gesetzesänderung in Zweifel zieht.
BAG zu Pierre Sanoussi-Bliss: Das Bundesarbeitsgericht hat die Entfristungsklage des Schauspielers Pierre Sanoussi-Bliss abgewiesen. Dieser verkörperte 18 Jahre lang die Figur des Oberkommissars Axel Richter in der Serie "Der Alte" und machte geltend, dass die Befristung in den Schauspielerverträgen unwirksam gewesen sei. Das BAG folgte dagegen der Argumentation der Produktionsfirma und bejahte das Vorliegen einer besonderen Art der Arbeitsleistung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz, erklärt Rechtsprofessor Michael Fuhlrott auf lto.de.
BGH zu Schlemmerblock: Der Herausgeber des Gutscheinheftes "Schlemmerblock" darf keine Vertragsstrafe von 2.500 Euro bei Pflichtverstößen der teilnehmenden Gastwirte verlangen. Das entschied der Bundesgerichtshof, stellt die SZ (Wolfgang Janisch) dar. Der Fall betraf einen Gastwirt, der am Gutscheinsystem teilnahm, aber bei Vorlage lediglich ein kleineres Gericht servieren und ein anderes von der Teilnahme ausschließen wollte. Der BGH sah die Höhe der hierfür vorgesehenen Vertragsstrafe als unverhältnismäßig an, weil sie bereits bei geringen Verstößen greife.
OLG München – NSU: In ihrem Plädoyer sieht die Bundesanwaltschaft nun auch die Vorwürfe gegen den Angeklagten Andre É. als bestätigt an. Dieser sei als überzeugter Neonazi in die Pläne des Terror-Trios eingeweiht gewesen, habe ein einzigartiges Näheverhältnis zu den NSU-Mitgliedern aufgebaut und ihnen immer wieder im Alltag zur Seite gestanden. Unter anderem habe er mehrere Wohnungen angemietet und Zschäpe bei der Polizei als seine Ehefrau bezeichnet. Die taz (Konrad Litschko), die SZ (Wiebke Ramm), und spiegel.de (Julia Jüttner) fassen das Plädoyer zusammen.
BAW – Rechter Terror: Die Welt (Florian Flade) berichtet von neuen Erkenntnissen im Zusammenhang mit den beiden Rechtsextremisten aus dem Großraum Rostock, die einen Anschlag auf linke Politiker geplant haben sollen. Im Zuge der Ermittlungen gegen den terrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten Franco A. sei man auf einen weiteren Ex-Soldaten gestoßen, der den entscheidenden Hinweis auf die Gruppe von sechs Männern gegeben habe, zu denen die beiden Beschuldigten gehörten. Bei den beiden handele es sich um einen Rechtsanwalt und einen Polizisten, die in Social-Media-Kanälen den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung herbeifantasierten.
LG Neubrandenburg – Hubert Zafke: Das Verfahren gegen den früheren SS-Sanitäter Hubert Zafke wird nun voraussichtlich doch wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt, berichtet die Welt (Per Hinrichs). Die taz (Klaus Hillenbrand) bejaht die Entscheidung aus rechtsstaatlicher Sicht. Doch habe die Justizposse rund um das Verfahren gezeigt, dass die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Neubrandenburg noch immer unerwünscht sei.
Landgericht Köln – Kölner Stadtarchiv: Das Landgericht Köln hat die Anklage gegen sechs Männer wegen fahrlässiger Tötung zugelassen. Sie sollen für den Einsturz des Kölner Stadtarchivs im Jahr 2009 verantwortlich gewesen sein, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Ihnen wird vorgeworfen, bei den Bauarbeiten an einer nahen U-Bahn-Station anerkannte Regeln der Technik missachtet zu haben, sodass es zu einem Absinken des Grundes kam, meldet lto.de.
Freshfields und Cum-Ex-Geschäfte: Wie die SZ (Klaus Ott) berichtet, rückt die Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer im Skandal um die Cum-Ex-Geschäfte in den Fokus. Die Sozietät soll für interessierte Banken "Gutachten beinahe wie am Fließband produziert" haben, die auf die Ausnutzung der Gesetzeslücke im Steuerrecht hinwiesen und damit zum Milliardenschaden beim Fiskus beitrugen. Ermittelt werde gegen die verantwortlichen Anwälte bisher nicht.
VW-Affäre: Der VW-Konzern hat neben der US-amerikanischen Kanzlei Jones Day nun auch Freshfields mit der "weltweiten Rechtsverteidigung" in der Abgasaffäre beauftragt, berichtet die SZ (Hans Leyendecker u.a.). Damit könnte den VW-Mitarbeitern eine weitere Fragerunde ins Haus stehen. Dass die ermittelnden Staatsanwaltschaften auch hier die Ergebnisse beschlagnahmen könnten, sei eher ausgeschlossen, da die Kanzlei lediglich mit der Verteidigung und nicht mit einer Untersuchung beauftragt worden sei.
VG Berlin – Rundfunkbeitrag: Die taz (Christian Rath) stellt den Fall eines Berliner Hausprojekts vor, dessen 43 Bewohner insgesamt nur einen Rundfunkbeitrag zahlen wollen und deshalb vor dem Verwaltungsgericht Berlin klagen. Sie machten geltend, dass sie eine einzige Wohngemeinschaft im Sinne des Staatsvertrages seien, da die Gemeinschaftsräume nicht abgetrennt und für alle Bewohner frei zugänglich seien. Damit würde der Beitrag nur einmal anfallen.
AG Hamburg zu G-20: Nun fasst auch spiegel.de (Anna-Sophie Schneider) die zwei Urteile des Amtsgerichts Hamburg gegen G-20-Teilnehmer und die Reaktionen darauf zusammen. Die Anwälte haben bereits angekündigt, gegen die harten Urteile vorzugehen. Auch überlege man, die Strategie für noch laufende Verfahren zu ändern.
Recht in der Welt
Russland – Prozess gegen Regisseur: Reinhard Veser (FAZ) ordnet das Gerichtsverfahren gegen einen der bekanntesten Regisseure Russlands, Kirill Serebrennikow, als eine neue Dimension staatlicher Repressionen ein. Während bisher Medien, potenzielle politische Gegner sowie zivilgesellschaftliche Akteure im Fokus standen, fechte das Regime nun einen ideologischen Kampf um das "Denken der Russen" aus.
Polen – Reparationsansprüche gegen Deutschland: Die FAZ (Reinhard Müller) stellt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zur Frage vor, ob Polen gegen Deutschland Reparationsforderungen zustehen. Das Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass Polen im Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990 stillschweigend auf die Geltendmachung etwaiger Forderungen verzichtet habe und sie im Übrigen verjährt seien.
Reinhard Müller (FAZ) fordert Polen auf, als EU-Partner Deutschlands die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Sonstiges
40 Jahre Deutscher Herbst: Kurz vor dem Jahrestag der Entführung Hanns Martin Schleyers zeichnet die SZ (Heribert Prantl) die Ereignisse bis zu seiner Ermordung nach. Der staatliche Umgang mit der Entführung, der keine echte Verhandlung mit den Terroristen vorsah, werfe auch heute die Frage danach auf, ob der Staat in einer Terrorsituation Nachgiebigkeit oder stählerne Unerbittlichkeit zeigen solle.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. September 2017: Arbeitsrechtsreform in Frankreich / Klageabweisung im Abgasskandal / Sozialhilfe für EU-Ausländer . In: Legal Tribune Online, 01.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23422/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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