Der Bundestag hat laut dem Landessozialgericht Berlin jahrelang Scheinselbständige beschäftigt. Außerdem in der Presseschau: Kritik am Fraktionswechsel von Elke Twesten und Russland spioniert Washington aus.
Thema des Tages
LSG Berlin zu Scheinselbständigkeit im Bundestag: Der Bundestag hat jahrelang Mitarbeiter als Scheinselbständige beschäftigt. Das hat das Landessozialgericht Berlin entschieden. Geklagt hat ein ehemaliger Öffentlichkeitsarbeiter, der auf Messen und Ausstellungen das Parlament vorstellte. Laut Landessozialgericht habe er dabei kein eigenes Risiko getragen und keine eigenen Mittel eingesetzt. Zudem seien Details der Tätigkeit einseitig vorgegeben worden, sodass der Mitarbeiter als Arbeitnehmer einzustufen sei. Nach Informationen der SZ (Thomas Öchsner) geht es um mehr als 100 Fälle. Die Bundestagsverwaltung habe bereits 3,5 Millionen Euro an Sozialbeiträgen an die Deutsche Rentenversicherung nachzahlen müssen.
In einem gesonderten Kommentar schreibt Thomas Öchsner (SZ), der Bundestag habe seine Vorbildfunktion verletzt. Wenn sich das Parlament nicht an die eigenen Gesetze halte, mache es sich unglaubwürdig. Statt sich einsichtig zu zeigen und die Mitarbeiter anzustellen, führe der Bundestag einen juristischen Kleinkrieg, die Abgeordneten sollten einschreiten.
Rechtspolitik
Vermögensabschöpfung: Der Rechtsanwalt Philip von der Meden kritisiert in der SZ die jüngst in Kraft getretene Reform der Vermögensabschöpfung. Danach könne in Zukunft schon der Verdacht einer Vermögensstraftat die Einziehung des Vermögens rechtfertigen. Dies stelle eine "deutliche Abkehr von der Unschuldsvermutung, rechtsstaatlichen Beweislastregeln und dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung" dar. Die Vermögensabschöpfung werde jedenfalls dann zu einer Strafe, wenn sie an Unschuldigen vollzogen würde.
Krankenhausfinanzierung: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anika Klafki befasst sich auf juwiss.de mit verschiedenen Modellen der Krankenhausfinanzierung. Die derzeitige duale Finanzierung, bei der die Investitionen von den Ländern und die Behandlungskosten von den Krankenkassen getragen werden, führe zu einem Investitionsstau einerseits und Anreizen zu Übertherapie andererseits. Die alleinige Finanzierung durch die Krankenkassen würde einen "völligen Rückzug des Politischen aus der stationären Gesundheitsversorgung" bedeuten. Die Finanzierung nur durch die Länder sei nicht vorstellbar. Denkbar sei jedoch eine Beteiligung der Länder an den Betriebskosten.
Gesichtserkennung: Neben dem Probebetrieb von Überwachungskameras mit Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz-Bahnhof hat das Bundeskriminalamt den Abgleich von Bildern mit Staatsschutzdateien geprobt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage hervor, über die netzpolitik.org (Matthias Monroy) berichtet. Die Ergebnisse würden noch ausgewertet.
Justiz
VG Berlin – Entzogene Akkreditierungen bei G-20: Neun Journalisten haben beim Berliner Verwaltungsgericht Klage gegen die nachträgliche Entziehung ihrer Akkreditierungen für den G-20-Gipfel eingereicht. Die Regierung hatte ihr Vorgehen mit Sicherheitsbedenken begründet. Die taz (Amna Franzke) und spiegel.de berichten.
LG Saarbrücken – IS-Betrüger?: Am heutigen Freitag will das Landgericht Saarbrücken sein Urteil über den Fall eines Mannes treffen, der im Dezember 2016 einen vermeintlichen IS-Kontaktmann um Geld für einen Sprengstoffanschlag gebeten haben soll. Im Prozess behauptet er, niemals einen Anschlag geplant zu haben. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, den sogenannten Islamischen Staat zu betrügen. Die taz (Jörg Fischer) berichtet.
LG München I – Allianz-Renten: Eine ehemalige Vertreterin verklagt die Allianz vor dem Landgericht München I. Sie wirft dem Konzern vor, sie und viele andere Vertreter seit Jahren um einen Teil ihrer Renten zu bringen. In der Berechnung seien zahlreiche Fehler aufgetreten; das Management versuche, die Mängel zu vertuschen. Bewahrheiten sich die Vorwürfe, könnten auf die Allianz Forderungen im dreistelligen Millionenbereich zukommen, so die SZ (Uwe Ritzer).
BVerfG – Numerus clausus: spiegel.de (Matthias Kaufmann) beantwortet die wichtigsten Fragen zum Numerus clausus und zum jüngsten NC-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in dem am 4. Oktober mündlich verhandelt werden soll. Die Kläger sehen sich durch das Zulassungsverfahren der Stiftung für Hochschulzulassung in ihrem Grundrecht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte verletzt.
BGH zu Organtransplantationen: Anlässlich zurückgehender Organspendezahlen befasst sich die SZ (Christina Berndt) mit dem Urteil des Bundesgerichtshof von Juni diesen Jahres, mit dem nicht nur ein Freispruch für einen Göttinger Mediziner bestätigt wurde, sondern auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der geltenden Richtlinien geäußert wurden. Dass Alkoholkranke sechs Monate trocken sein müssten, um eine gespendete Leber zu erhalten, verstoße gegen den Gleichheitssatz, so die Richter. Das Urteil sorgt für Verunsicherung unter Ärzten.
Nebentätigkeiten von Richtern: Die Forderung des Berliner FDP-Politikers Marcel Luthe, Nebentätigkeiten von Richtern stärker zu unterbinden, ist auf Kritik aus Justizkreisen gestoßen. Der Sprecher des Berliner Justizsenators, Sebastian Brux, erklärte, dass viele Richter in der Ausbildung von Referendaren tätig seien. Auch wissenschaftliche Tätigkeiten seien erwünscht. Eine Beeinträchtigung der Arbeit bei Gericht sei ausgeschlossen. lto.de (Annelie Kaufmann) schildert die Diskussion, auch in anderen Bundesländern und mit Blick auf die Nebentätigkeiten von Bundesrichtern.
Recht in der Welt
Türkei/Spanien – Festgenommener Journalist: In Spanien ist auf Grundlage eines türkischen Fahndungsersuchens ein regimekritischer Journalist festgenommen worden. Ihm wird "terroristische Propaganda" vorgeworfen. Die FAZ (Hans-Christian Rößler) schildert den Fall und weist auf die Situation in Deutschland hin. Hier prüfe das Bundeskriminalamt vor einer Festnahme, ob die Voraussetzungen einer Auslieferung vorliegen.
USA – Russischer Spionageflug: Am Mittwoch hat ein russisches Spionageflugzeug Washington überflogen. Der Vorgang war völlig legal, wie die SZ (Hubert Wetzel) erläutert. Grundlage sei der einst von NATO-Staaten und Parteien des Warschauer Paktes geschlossene Open-Skies-Vertrag. Dieser erlaube Aufklärungsflüge über das Territorium des jeweils anderen Staates. Der Flug müsse lediglich angemeldet werden.
Sonstiges
Fraktionswechsel im niedersächsischen Landtag: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Franz X. Berger befasst sich auf lto.de mit dem Fall der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Elke Twesten, die von den Grünen zur CDU-Fraktion übergetreten ist. Der Wechsel bedeute eine "Verzerrung des durch die Zweitstimme manifestierten Wählerwillens". Neuwahlen seien daher das einzig probate Mittel.
Heribert Prantl (SZ) meint, Twesten hätte ihr Mandat niederlegen sollen. Der Wechsel sei zwar legal, aber "selbstsüchtig und rachsüchtig". Sanktionen seien jedoch mit dem freien Mandat nicht vereinbar.
Das Letzte zum Schluss
Selten subsumiert – Kiffender Lokführer: Ein Lokführer soll am Mittwochmorgen unter Cannabis-Einfluss einen Güterzug mit 40 Waggons rangiert haben. Ein Zeuge will beobachtet haben, wie er einen Joint geraucht und anschließend ein Haltesignal überfahren und fast eine Barriere gerammt hat. Jetzt wird wegen des Verdachts der Gefährdung des Bahnverkehrs und eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt, so spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. August 2017: Scheinselbständigkeit im Bundestag / Umstrittener Fraktionswechsel / Legaler Spionageflug . In: Legal Tribune Online, 11.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23909/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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