Kindsmörder Magnus Gäfgen kann nicht mit baldiger Haftentlassung rechnen. Außerdem in der Presseschau: Zwei Drittel aller VG-Fälle betreffen Asylverfahren. In Frankreich soll der Ausnahmezustand abgeschwächt werden.
Thema des Tages
LG Kassel – Gäfgen/Mindestverbüßungsdauer: Der Kindsmörder und Entführer Magnus Gäfgen hat inzwischen fast 15 Jahre Haftzeit abgesessen. Die Vollstreckungskammer am Landgericht Kassel wird deshalb in diesem Herbst die Mindestverbüßungszeit festlegen. Da Gäfgen zu lebenslanger Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt wurde, wird die Mindestverbüßungszeit wohl deutlich über 15 Jahren liegen. Nach Erreichen dieser Zeit kann Gäfgen dann beantragen, dass er auf Bewährung entlassen wird. Dies erläutern SZ (Hans Holzhaider), FAZ (Constantin van Lijnden), lto.de (Pia Lorenz) und BadZ (Christian Rath).
Gisela Friedrichsen (Welt) kommentiert: "Bei einem derart unverfrorenen Straftäter gibt es Gründe genug, mit einer vorzeitigen Entlassung noch eine ganze Weile zu warten."
Heribert Prantl (SZ) findet, dass auch das Verhalten von Gäfgen in der Haft gegen eine baldige Entlassung spreche: "Er hat, weil ihm Folter angedroht worden war, auf Schmerzensgeld geklagt; er verhöhnte so den Schmerz der Angehörigen seines Opfers."
Rechtspolitik
VW-Gesetz: Rechtsprofessor Ulrich Noack weist auf dem Handelsblatt-Rechtsboard darauf hin, dass eine Abschaffung des VW-Gesetzes am Landeseinfluss auf VW nichts ändern würde. Denn entsprechende Regeln seien inzwischen auch in der VW-Satzung enthalten und dort auch zulässig.
Bundespräsident/Ehrensold: Der emeritierte Staatsrechtsprofessor Christoph Degenhart glaubt, dass Einkünfte eines Ex-Bundespräsidenten heute schon auf dessen Ehrensold angerechnet werden können, weshalb eine vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht nötig wäre, so lto.de (Pia Lorenz).
Präventivhaft: Die am 1. August in Kraft getretene Streichung der 14-Tages-Obergrenze für Präventiv-Gewahrsam im bayerischen Polizeiaufgabengesetz verändere in der Praxis wenig, erläutert die BadZ (Christian Rath). Mehrmonatige Sicherungshaft wäre zwar nach dem ursprünglichen Plan möglich gewesen, weil zunächst eine "drohende Gefahr" für die Verhängung von Gewahrsam genügen sollte. Diese abgesenkte Schwelle wurde aber wieder gestrichen, weshalb nun doch wieder eine konkrete Gefahr erforderlich ist.
Digitaler Hausfriedensbruch: Die Justizminister und -Staatssekretäre von neun Bundesländern fordern die Einführung des Straftatbestandes "unbefugte Benutzung informationstechnischer Systeme", berichtet netzpolitik.org (Anna Biselli). Die Strafvorschrift solle gegen die Aktivitäten von Botnetzen schützen. Allerdings sei deren Nutzung jetzt schon strafbar, weshalb auch die Bundesregierung keine Schutzlücke sehe.
Justiz
Überlastete Verwaltungsgerichte: Die Welt (Tobias Heimbach) schildert, dass heute zwei Drittel aller Fälle an Verwaltungsgerichten aus Klagen gegen Asyl-Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bestehen. Dass in den Verhandlungen alles übersetzt werden müsse, mache diese schwerfällig. Erleichterung bringe nur die inzwischen zugelassene Sprungrevision.
BFH zu Besteuerung von Pflichtteilsverzicht: Wenn jemand gegenüber seinen Geschwistern auf den Pflichtteil verzichtet, ist für die Besteuerung der ausgehandelten Entschädigung der Steuersatz und der Freibetrag einer Zuwendung unter Geschwistern heranzuziehen. Das hat laut lto.de der Bundesfinanzhof entschieden und dabei seine Rechtsprechung geändert. Nunmehr sei ein Pflichtteilsverzicht zu Lebzeiten der erblassenden Eltern steuerlich ungünstiger als ein Verzicht nach deren Tod.
BVerfG – Numerus clausus: Nun gibt auch die Welt (Thomas Vitzthum) einen Ausblick auf die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts am 4. Oktober. Dort geht es um zwei Richtervorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, das glaubt, dass zu viele Medizinstudienplätze über den Notenschnitt vergeben und zu wenige über andere Kriterien.
StA Saarbrücken – Islambeschimpfung: Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ermittelt gegen die iranstämmige AfD-Bundestagskandidatin Laleh Hadjimohamadvali wegen Beschimpfung religiöser Bekenntnisse und Volksverhetzung. Sie soll laut zeit.de gesagt haben, der Islam sei "schlimmer als die Pest".
ArbGe Heilbronn und Ingolstadt – Audi/Dieselskandal: Das Hbl (Martin Buchenau) schildert, wie Audi versucht, Arbeitsgerichtsprozesse mit Mitarbeitern, denen wegen Dieselmanipulationen gekündigt worden war, außergerichtlich zu beenden. So solle wohl verhindert werden, dass unangenehme Details des Dieselskandals öffentlich bekannt werden.
OLG München – NSU: swr.de (Gigi Deppe) nutzt die wohl letzte Sommerpause im NSU-Prozess zu einer Zwischenbilanz und befragt hierzu Prozessbeobachter. Die Anklage der Bundesanwaltschaft, die Beate Zschäpe als Mittäterin der NSU-Morde sieht, habe sich im Wesentlichen bestätigt.
Recht in der Welt
Türkei – Rechtsstaat: focus.de berichtet über die Bemühungen von Deutschem Anwaltverein und Deutschem Richterbund, bedrängten Juristen in der Türkei zu helfen. Rund 1.200 Zugriffe aus der Türkei habe es auf eine Helpdesk-Seite im Internet gegeben. 60 Juristen würden gezielt unterstützt. DAV-Sprecher Swen Walentowski berichtet über Delegationsreisen in die Türkei: "Ein Rechtsstaat sieht anders aus."
Frankreich – Ausnahmezustand: Die Rechtsprofessorin Catherine Haguenau-Moizard schildert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) einen Gesetzentwurf der französischen Regierung, der den seit Ende 2015 geltenden Ausnahmezustand beenden und durch eine Art "Ausnahmezustand light" ersetzen soll.
Venezuela – Verfassungsgebende Versammlung: In Venezuela verdrängt die weitgehend oppositionsfreie verfassungsgebende Versammlung immer mehr das von der Opposition dominierte reguläre Parlament. Letzteres durfte zuletzt gar nicht mehr das Parlamentsgebäude betreten, berichtet die taz (Bernd Pickert/Jürgen Vogt).
Israel – Netanjahu: Die SZ (Moritz Baumstieger) gibt einen Überblick über die Korruptionsverfahren, bei denen Premierminister Netanjahu als Verdächtiger oder Zeuge beteiligt ist. Mit einem schnellen Rücktritt Netanjahus sei aber nicht zu rechnen, da dieser auch bei Erhebung einer Anklage gegen ihn im Amt bleiben will.
Vereinigtes Königreich – Missbrauch in Newcastle: Eine 18-köpfige Bande, die sozial gefährdete Mädchen unter Drogen setzte und bei "Sexparties" zum Missbrauch anbot, wurde schuldig gesprochen, meldet spiegel.de. Im Zuge der Ermittlungen hatte die Polizei einen verurteilten Vergewaltiger als Informant in die Szene eingeschleust, der wichtige Hinweise geliefert habe.
Russland – usbekischer Journalist: Ein russisches Berufungsgericht hat die Ausweisung des usbekischen Journalisten Hudoberdi Nurmatow nach Usbekistan gestoppt. Dies hatte vorige Woche der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angeordnet, bis über den Fall in Straßburg entschieden ist. Nurmatow ist als Regierungskritiker und Homosexueller in Usbekistan gefährdet. Es berichtet die FAZ (Friedrich Schmidt).
Sonstiges
Eigenverantwortung und Krankenversicherung: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sina Nienhaus schildert auf juwiss.de, wie in der Geschichte des Sozialgesetzbuchs V die Eigenverantwortung vor allem als Instrument der Kostendämpfung berücksichtigt wurde.
Das Letzte zum Schluss
OLG Düsseldorf zu Unfall mit Kehrmaschine: Wer innerorts mit einer großen Kehrmaschine bei einer Geschwindigkeit von 6 km/h unterwegs ist, hat keinen Freibrief für riskante Fahrmanöver. Das stellte jetzt das Oberlandesgericht Düsseldorf fest. Die blinkende gelbe Warnleuchte auf dem Dach der Kehrmaschine weise nur auf die rotierenden Bürsten hin. Der Fahrer einer Kehrmaschine ist daher allein für einen Unfall verantwortlich, den er verursachte, als er ohne nach hinten zu schauen, eine Wende einleitete und dabei ein überholendes Auto rammte. Das Urteil schildert der Blog verkehrsrecht.gfu.com (Alexander Gratz).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. August 2017: Strafvollzug Gäfgen / Überlastete Verwaltungsgerichte / Ausnahmezustand in Frankreich . In: Legal Tribune Online, 10.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23887/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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