Carla Del Ponte, Sonderermittlerin der UN-Untersuchungskommission zu Syrien, legt ihr Amt nieder. Außerdem in der Presseschau: der Gesetzentwurf zu Sammelklagen und die Diskussion um den Ehrensold von Alt-Bundespräsidenten.
Thema des Tages
Syrien – UN-Untersuchungskommission: Carla Del Ponte, Sonderermittlerin für Syrien, hat angekündigt, die von den Vereinten Nationen eingesetzte Untersuchungskommission zu Syrien zu verlassen. Dies berichten taz (Andreas Zumach), SZ (Moritz Baumstieger) und Hbl (Thomas Jahn). Solange der UN-Sicherheitsrat kein Sondertribunal einrichte oder den Internationalen Strafgerichtshof mit der Untersuchung der in Syrien verübten Verbrechen beauftrage, seien die Berichte der Untersuchungskommission "sinnlos". Sie wolle keine "Alibi-Ermittlerin" sein. Del Ponte kritisierte darüber hinaus alle Konfliktparteien in Syrien scharf. Die Regierungsseite habe Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt und Chemiewaffen eingesetzt, die Opposition bestehe nur noch aus Extremisten und Terroristen.
Andrea Backhaus (zeit.de) sieht den Rückzug Del Pontes als Ausdruck des Versagens der Weltgemeinschaft angesichts der Verbrechen in Syrien. Ein Sicherheitsrat, in dem Russland und China mit einem kontinuierlichen Veto die juristische Aufarbeitung verhinderten, müsse sich fragen, welchen Nutzen er noch habe.
Moritz Baumstieger (SZ) kann die Frustration Del Pontes nachvollziehen und verweist angesichts des Stillstands im UN-Sicherheitsrat auf die Möglichkeit, Völkerstrafrechtsverbrechen nach dem Weltrechtsprinzip auch vor nationalen Gerichten anzuklagen.
Rechtspolitik
Musterverfahren: Das Hbl (Dietmar Neuerer/Volker Votsmeier) befasst sich anlässlich des Gesetzentwurfes zu Sammelklagen mit deren Für und Wider. Wirtschaftsvertreter fürchteten hierbei das Entstehen einer Klageindustrie und betonten das Erpressungspotenzial, das Sammelklagen aufgrund der hohen Kosten und der Prangerwirkung entfalten könnten. Der Deutsche Anwaltverein hingegen begrüße Sammelklagen als Möglichkeit für Verbraucher, gegenüber übermächtigen Unternehmen kostengünstig an ihr Recht zu kommen. Auch Amtsrichter Benedikt Windau spricht sich in einem separaten Interview (Volker Votsmeier) für ihre Einführung aus. Niemand müsse "amerikanische Verhältnisse" fürchten, da die tatsächlich problematischen Institute wie der Strafschadensersatz oder das Discovery-Verfahren in Deutschland auch weiterhin nicht drohten. Indes bemängelt Windau die unzureichenden Regelungen des Gesetzentwurfes zu Vergleichen.
Arbeitszeitgesetz: Die Welt (Alina Leimbach) berichtet über Vorstöße, das Arbeitszeitgesetz zu ändern. Insbesondere das Festhalten am Acht-Stunden-Tag und die obligatorische Ruhezeit von elf Stunden würden als unflexibel und unrealistisch kritisiert angesichts der zunehmenden Verbreitung von mobilem Arbeiten. Vorbild einer neuen Regelung solle die europäische Arbeitszeitrichtlinie sein, welche dieselbe maximale Wochenarbeitszeit wie das geltende deutsche Recht vorsehe, jedoch keine strikte Verteilung über die einzelnen Tage. Kritiker verweisen auf erhöhte Unfallrisiken bei längeren Arbeitszeiten und steigenden Druck auf Arbeitnehmer, der mit einer Gesetzesänderung einhergehen könne.
Netzpolitische Forderungen: netzpolitik.org analysiert die Wahlprogramme der großen politischen Parteien hinsichtlich ihrer netzpolitischen Forderungen. Schwerpunkt des Vergleichs sind die unterschiedlichen Stellungnahmen zu Transparenzgesetzen und die teilweise formulierten Forderungen nach einer "exekutiven Fußspur", die den Beitrag von Lobbyisten zur Verabschiedung von Gesetzen nachvollziehbar machen solle.
EEG-Änderung: Über eine Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) berichtet das Hbl (Klaus Stratmann). Gegenstand ist die Privilegierung von Bürgergesellschaften bei Ausschreibungsverfahren für Windenergieanlagen an Land. Bisher durften Bürgergesellschaften auch solche Projekte einbringen, für die sie noch keine entsprechende immissionsschutzrechtliche Genehmigung hatten. Überdies hatten sie eine verlängerte Realisierungsfrist. Die Privilegierung sollte die Bürgerinitiative stärken, wurde jedoch durch professionelle Projektentwickler missbraucht. Mit der Streichung der Privilegierung soll der Missstand behoben werden. Indes greife die Änderung erst ab 2018, was eine erhebliche Planungsunsicherheit hinsichtlich der Ausschreibungen des laufenden Jahres zur Folge habe.
Justiz
LG Mannheim – Haushaltsuntreue: Vor dem Landgericht Mannheim hat der Prozess gegen die ehemalige Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein (FDP), begonnen. Hierüber berichtet die SZ (Josef Kelnberger). Augenstein wird vorgeworfen, die Stadt durch Spekulationsgeschäfte um Millionenbeträge geschädigt zu haben. Sie habe hochriskante Zinswetten ohne das Wissen des Gemeinderates durchgeführt und damit gegen das Spekulationsverbot für Kommunen verstoßen. Zu ihren Verteidigern in dem Verfahren gehört auch der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki.
BVerfG – Informationsanspruch: netzpolitik.org (Constanze Kurz) erläutert einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juni bezüglich einer Informationsfreiheitsanfrage der Journalistin Gaby Weber gegen das Bundesarchiv. Das Archiv hatte einen Herausgabeanspruch abgewiesen mit dem Hinweis, die fraglichen Dokumente befänden sich nicht im Bundesarchiv, sondern im Privatbesitz der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das Gericht verwarf die Verfassungsbeschwerde als unzulässig und verwies Weber auf den fachgerichtlichen Rechtsweg gegenüber dem Bundeskanzleramt. Bemerkenswert an dem Verfahren sei, dass die Lagerung von Dokumenten des Bundesarchivs bei politischen Stiftungen sehr häufig sei. Sechs von ihnen hätten im Rahmen der Verfassungsbeschwerde inhaltlich übereinstimmende Stellungnahmen abgegeben, in denen sie einen Herausgabeanspruch verneinten. Die Journalistin Weber sieht hierin eine "geschlossene Front gegen die Bürger" und ihre Informationsrechte.
LSG Niedersachsen-Bremen – Scheindarlehen: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass familiäre Zuwendungen auch dann bei der Ermittlung des Grundsicherungsbetrags durch das Jobcenter berücksichtigt werden dürfen, wenn diese als Darlehen deklariert werden. Dies melden lto.de und taz. Der Antragsteller hatte neben den Grundsicherungsleistungen auch regelmäßige Zahlungen seiner Mutter erhalten. Das Jobcenter hatte die Zahlungen bei der Ermittlung des Bedarfssatz berücksichtigt und diesen gekürzt. Da weder Vertragslaufzeit, Rückzahlungspflichten noch Zinsen festgelegt worden seien, stelle das "Darlehen" vielmehr ein Scheingeschäft ohne ernstgemeinte Rückzahlungspflicht dar. Dieser Auffassung des Jobcenters schloss sich in zweiter Instanz das Landessozialgericht an.
OLG Hamm – Versicherungsschutz: Eine Versicherung muss nicht für einen Diebstahlsverlust aufkommen, den der Versicherungsnehmer durch fahrlässiges Verhalten selbst mit verursacht hat. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden, wie lto.de meldet. Im zugrunde liegenden Fall hatte eine Frau ihre Handtasche, in der sie ihren Wohnungsschlüssel aufbewahrte, einige Minuten aus den Augen gelassen. In dieser Zeit nahmen Diebe den Schlüssel an sich, gelangten in die Wohnung und entwendeten unter anderem Schmuck und Laptops im Wert von 17.500 Euro. Indem sie die Tasche dem uneingeschränkten Zugriff Dritter ausgesetzt habe, habe sie fahrlässig gehandelt, was nach den Versicherungsbedingungen eine Haftung ausschließe, befand das Gericht.
StA Hamburg – G-20-Ermittlungen: Nach den Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel hat die Staatsanwaltschaft Hamburg mehr als 160 Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung eingeleitet. Dies melden spiegel.de und taz. Allerdings seien nur in 109 der Fälle die Beschuldigten namentlich bekannt, in 53 Fällen werde gegen unbekannt ermittelt. 33 Personen sitzen weiterhin in Untersuchungshaft.
AG Wolfratshausen – Alltag eines Amtsrichters: In einem ausführlichen Porträt schildert die SZ (Pia Ratzesberger) den Alltag des Amtsrichters Helmut Berger im bayrischen Wolfratshausen. Berger verhandle zahlreiche Fälle aus dem Bereich der Kleinkriminalität sowohl als rechtliche wie auch als moralische Instanz und verbinde Urteile oft mit dem eindringlichen Appell an die Täter, nicht rückfällig zu werden.
Recht in der Welt
Türkei – Putsch-Prozess: Die taz (Hayri Demir) berichtet über den fortgesetzten Prozess gegen 486 angebliche Putschisten in der Türkei. Verschiedene Angeklagte hätten angegeben, in der Untersuchungshaft gefoltert worden zu sein. Das Verfahren sei geprägt durch vermehrte Rufe nach der Todesstrafe oder Forderungen wie der von Seiten des Staatspräsidenten Erdoğan nach Sträflingskleidung für die Angeklagten. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich regierungstreue Demonstranten, die in Zelten der Regierungspartei AKP mit Essen und Trinken versorgt würden.
Die Welt (Boris Kalnoky) berichtet insbesondere über die Aussage des ehemaligen Generals Akin Öztürk, der vor Gericht angab, der Putsch sei von ausländischen Mächten unterstützt worden, die neidisch auf die Stärke der Türkei seien. Hierzu könne auch Deutschland gehört haben.
Jürgen Gottschlich (taz) kritisiert eine Vorverurteilung der Angeklagten durch eine parteiische Justiz. Es sei nicht zu erwarten, dass die wahren Hintergründe des Putsches in dem Massenprozess aufgeklärt würden.
Südkorea – Samsung-Prozess: Im Strafprozess gegen Lee Jae-yong, den Vize-Chef von Samsung und Sohn des Unternehmensgründers, hat die Staatsanwaltschaft zwölf Jahre Haft wegen Bestechung, Unterschlagung und Meineid gefordert. Dies berichtet die SZ (Christoph Neidhart), focus.de, FAZ und Welt. Lee habe der inzwischen abgesetzten Staatspräsidentin Park Geun-hye umgerechnet 32,5 Millionen Euro geboten, um im Gegenzug politische Unterstützung für die Fusion zweier Konzerntöchter zu erhalten.
Sonstiges
Christian Wulff – Ehrensold: Nachdem die Beschäftigung von Bundespräsident a.D. Christian Wulff (CDU) für ein türkisches Mode-Unternehmen bekannt geworden ist, wurde Kritik am Ehrensold laut. Hierüber berichten u.a. Tsp und faz.net. Staatsrechtsprofessor Hans Herbert von Arnim nannte den Ehrensold in Höhe der vollen Bezüge ein "überholtes, nicht zu rechtfertigendes Privileg".
Das Letzte zum Schluss
Brandstiftende Feuerwehrmänner: Über ein besonderes Geschäftsmodell von Angehörigen der freiwilligen Feuerwehr auf Sizilien berichten spiegel.de und taz. Die Feuerwehrmänner hätten Brände selbst gelegt, diese dann gelöscht und im Anschluss die Aufwandsentschädigung vom Staat erhalten. Ihr Vorgehen kam ans Licht, nachdem die Feuerwehrleitung auf die ungewöhnlich vielen Einsätze des Teams aufmerksam geworden war und Ermittlungen eingeleitet hatte. 15 Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr wurden nun wegen des Verdachts der Brandstiftung festgenommen worden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. August 2017: Syrien-Sonderermittlerin tritt zurück / Gesetzentwurf zu Sammelklagen / Diskussion um Ehrensold . In: Legal Tribune Online, 08.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23843/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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