Die Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern ist verfassungsgemäß. Außerdem in der Presseschau: Der EGMR verhindert die Abschiebung eines Gefährders und eine Pensionswelle soll den Rechtsstaat gefährden.
Thema des Tages
BVerfG zu IHK-Pflichtmitgliedschaft: Die mit der Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern für Unternehmer verbundene Beitragspflicht ist nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz vereinbar. Nur durch die Pflichtmitgliedschaft könne gewährleistet werden, dass alle Unternehmen mitwirkten und so das unternehmerische Gesamtinteresse abgebildet und vertreten werden könne. Dennoch zwinge die Pflichtmitgliedschaft nicht dazu, die Überschreitung der zugewiesenen Aufgaben durch die Kammern hinzunehmen; insoweit verweise das Gericht aber auf den Rechtsweg, wie die SZ (Wolfgang Janisch) bemerkt. Die Pflichtmitgliedschaft sei aber nur zumutbar, wenn abweichende Interessen innerhalb der Industrie- und Handelskammern sowie grundlegende Interessenkonflikte hinreichend Berücksichtigung fänden. Es berichten auch die taz (Christian Rath), die FAZ (Ina Majewski), lto.de (Marcel Schneider u.a.) und swr.de (Klaus Hempel).
Wolfgang Janisch (SZ) meint, die Entscheidung bedeute einen "kleinen Sieg für die Kritiker" der Industrie- und Handelskammern, denn das Bundesverfassungsgericht mahne ausdrücklich den Minderheitenschutz im Kammerwesen an. Im Grundsatz bekenne sich das Gericht aber zum System der Industrie- und Handelskammern, es plädiere letztlich für eine Umwandlung statt eines Umsturzes.
Rechtspolitik
Vollverschleierung an Schulen: Niedersachsen will als erstes Bundesland die Vollverschleierung an Schulen verbieten. Zwar erwähne der Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes weder Nikab noch Burka explizit, untersage aber das Tragen von Kleidung, die die Kommunikation mit Beteiligten des Schullebens erschwere, wie die taz (Simone Schmollack) berichtet. Die geplante Gesetzesänderung habe bereits einen längeren Vorlauf; Anlass sei der Fall einer Schülerin, die im Unterricht in Nikab erschien, obwohl sie wiederholt dazu aufgefordert worden war, das Kleidungsstück abzulegen.
Justiz
EGMR – Gefährder: Die Abschiebung eines 18-jährigen Gefährders nach Russland ist auf Veranlassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorläufig gestoppt worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Abschiebung noch erlaubt, die nun getroffene Maßnahme bedeute keine Entscheidung in der Sache durch den Gerichtshof, wie die SZ mitteilt. Es berichtet auch lto.de (Tanja Podolski).
Reinhard Müller (FAZ) meint, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe nicht die Kompetenz, in den Vollzug einer "wohlabgewogenen, mehrstufigen Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts einzugreifen. Das Gericht sende ein fatales Signal aus, es spreche sich letztlich selbst die Legitimität ab.
BFH zu Männerverein: Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofes kann ein Verein, der ein Geschlecht von seiner Mitgliedschaft ausschließt, nicht gemeinnützig sein. Das Gericht bezweifele grundsätzlich, ob ein Verein die Allgemeinheit fördern könne, wenn er einen großen Teil der Allgemeinheit ohne sachlichen Grund ausschließe, berichtet die SZ (Stephan Radomsky). Im entschiedenen Fall ging es um eine Freimaurerloge, die in den Genuss der gemeinnützigen Vereinen gewährten Steuervergünstigungen kommen wollte. Es schreibt auch die FAZ.
BGH – DFB-Akademie: Der Frankfurter Renn-Klub legt gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, nach dem das Gelände der Galopprennbahn im Stadtteil Niederrad – auf dem eine DFB-Akademie entstehen soll – geräumt werden muss, Revision beim Bundesgerichtshof ein. Dies bestätigte eine BGH-Sprecherin, wie die SZ meldet.
VerfGH BW zu Eilantrag: Ein Eilantrag des baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Heinrich Fiechtner vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes war nicht erfolgreich. Der Politiker wehrt sich gerichtlich gegen seine Abberufung aus zwei Landtagsausschüssen sowie ein von seiner Fraktion erteiltes Redeverbot, wie die FAZ (Rüdiger Soldt) mitteilt. Mit Blick auf die Parlamentsferien sah das Gericht keine Eilbedürftigkeit.
OLG Brandenburg zu "Pastafaris": Der Verein "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters" ist nach einem Urteil des Oberlandesgerichtes Brandenburg keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft. Es fehle nach Ansicht der Richter an einer gemeinsamen Weltanschauung der "Pastafaris", in Wahrheit gehe es ihnen nämlich um eine satirische Auseinandersetzung mit Religion, wie die FAZ (Helene Bubrowski) und die SZ schreiben. Die unterlegene "Kirche" kündigte an, Revision gegen das Urteil und unter Umständen Verfassungsbeschwerde einzulegen.
LG Aachen – Bausparverträge: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat beim Landgericht Aachen wegen der Kündigung lukrativer Bausparverträge Verbandsklage gegen die Aachener Bausparkasse eingelegt. Vielen Kunden, die vergleichsweise hohe Zinsen auf ihr Guthaben erhielten, war von dem beklagten Geldinstitut unter Hinweis auf eine gestörte Geschäftsgrundlage gekündigt worden. Die Verbraucherschützer gehen hingegen davon aus, dass die Verträge erfüllt werden müssen, wie die SZ (Benedikt Müller) und die FAZ (Ina Majewski) berichten.
LG Düsseldorf zu "Testarossa": Das Landgericht Düsseldorf hat entschieden, dass der Sportwagenhersteller Ferrari in die Löschung seiner Marke "Testarossa" einwilligen muss, melden die SZ und die FAZ. Das Unternehmen habe die Marke nicht mehr hinreichend genutzt.
LG München zu Ticketverkauf: Nach einem Urteil des Landgerichts München I sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der FC Bayern AG, in der die Weitergabe von verkauften Tickets für Fußballspiele in der Allianzarena beschränkt wird, wirksam. Geklagt hatte ein Tickethändler, der sich durch die Klausel in seiner Geschäftstätigkeit beeinträchtigt sah. Das Gericht gab aber dem Interesse des Fußballvereins an der Gewährleistung einer angemessenen Preisstruktur sowie der Sicherheit im Stadion den Vorzug, wie die SZ München (Stephan Handel) schreibt.
LG Nürnberg-Fürth zu Hoffmann: Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat im Streit um einen Vortrag über das Münchner Oktoberfest-Attentat die Klage des als Neonazi bekannt gewordenen Karl-Heinz Hoffmann gegen den Journalisten Ulrich Chaussy abgewiesen. Hoffmann hatte die "Wehrsportgruppe Hoffmann" ins Leben gerufen, die mit dem Attentat sowie dem Mord an einem jüdischen Verlegerpaar in Verbindung gebracht werde, wie die taz mitteilt.
StA Potsdam – Kai Diekmann: Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen "Bild"-Herausgeber Kai Diekmann eingestellt. Eine frühere Kollegin hatte dem Journalisten vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben, wie die FAZ, die SZ, die taz und die Welt melden.
StA Hannover – Oskar Gröning: Der frühere SS-Mann Oskar Gröning muss seine Haftstrafe antreten. Die Staatsanwaltschaft Hannover halte den 96-Jährigen für haftfähig, melden lto.de und spiegel.de. Voraussetzung sei jedoch eine entsprechende medizinische und pflegerische Betreuung.
Recht in der Welt
Türkei – Menschenrechtsverstöße: Der Rechtsprofessor Andreas Zimmermann und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Elisa Freiburg gehen in einem Gastbeitrag in der FAZ der Frage nach, wie Deutschland Menschenrechtsverletzungen in der Türkei durch völkerrechtliche Verfahren klären lassen kann. Insoweit werden die rechtlichen Möglichkeiten aufgeworfen und erörtert; den Autoren erscheint dabei eine Staatenbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am sinnvollsten. Eine Entscheidung durch eine unabhängige Instanz könne der Entpolitisierung der Auseinandersetzung zwischen Deutschland und der Türkei dienen, sie sei angesichts der wert- und regelorientierten Außenpolitik Deutschlands auch ernstlich in Betracht zu ziehen.
Türkei – Putsch-Prozess: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will nach einem Bericht der Welt (Boris Kálnoky) als Nebenkläger in dem Prozess gegen 486 Personen, die als Putsch-Beteiligte angeklagt sind, zugelassen werden. Überdies haben auch die Regierungspartei AKP sowie zwei Oppositionsparteien die Absicht, als Nebenkläger aufzutreten. Das Auftreten als Nebenkläger sei eine Machtdemonstration; alles andere als ein sehr strenger Richterspruch könne nun kaum mehr erwartet werden.
Italien – Seenotretter: Die italienische Küstenwache hat ein Schiff der deutschen Seenotrettungsorganisation "Jugend Rettet" beschlagnahmt. Es bestehe der Verdacht, dass die Besatzung des beschlagnahmten Schiffes "Iuventa" Menschen, die sich nicht in Lebensgefahr befanden, noch in Anwesenheit von Schleppern an Bord genommen habe. Es berichten die FAZ (Jörg Bremer) und die Welt (Constanze Reucher).
Thailand – Ex-Regierungschefs: Zwei frühere thailändische Ministerpräsidenten sind vor einem Gericht in Bangkok vom Vorwurf des Machtmissbrauchs freigesprochen worden. Nach Ansicht des Gerichts haben die Politiker ihre Macht bei der Niederschlagung eines Protestes nicht missbraucht, wie die taz weiß.
Sonstiges
Pensionswelle in der Justiz: Der Deutsche Richterbund und die Gewerkschaft der Polizei befürchten eine Erosion des Rechtsstaats, wie die FAZ (Eckart Lohse) berichtet. Grund dafür sei eine Pensionswelle, die auf Justiz und Polizei zukomme; es müssten dringend neue Juristen und Polizisten eingestellt werden. Äußerst problematisch gestalte sich auch die Nachwuchsgewinnung, denn die Gehälter in der freien Wirtschaft seien meist wesentlich attraktiver. Es berichten auch die Welt (Tobias Heimbach) und die SZ.
Helene Bubrowski (FAZ) meint, der Rechtsstaat wirke letztlich durch die Menschen, die für ihn arbeiteten. Es bleibe zu hoffen, dass die Warnung von Richterbund und Polizeigewerkschaft nicht zu spät komme.
Gesichtserkennung: Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hält den Pilotbetrieb eines Gesichtserkennungssystems am Berliner Bahnhof Südkreuz für unvereinbar mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es reiche nicht aus, Passanten mit Hinweisschildern auf das Gesichtserkennungssystem hinzuweisen, die Beschilderung und damit das Wissen der Betroffenen um die Informationserhebung führe nicht zu einer den Eingriff ausschließenden Einwilligung. Der Pilotbetrieb sei damit rechtlich unzulässig; dies berichtet netzpolitk.org (Constanze Kurz).
Migrationssteuerung: Der Rechtsprofessor Daniel Thym entwickelt in einem Gastbeitrag in der FAZ ein Konzept für eine neue europäische Migrationspolitik. Die Migration könne gesteuert werden, ohne die Menschenrechte zu verraten; umgekehrt sei aber das europäische Wertefundament bedroht, wenn der staatliche Steuerungsanspruch aufgegeben werde.
Rekordbußgeld für Anrufe: Die Bundesnetzagentur hat wegen unerlaubter Telefonwerbung gegen den Stromversorger Energy2day ein Bußgeld in Höhe von 300.000 Euro verhängt. Bei der Summe handelt es sich um eine Rekordsanktion, wie die FAZ (Helmut Bünder) und die SZ melden.
Polizeiliches Fehlverhalten: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Julian Seibert kritisiert auf juwiss.de die unkritische Haltung der Politik gegenüber rechtswidrigem Verhalten von Polizisten. Eine sachliche und ausgewogene Aufarbeitung in der öffentlichen Diskussion werde so wesentlich beeinträchtigt. Ebenso sei die juristische Aufarbeitung polizeilichen Fehlverhaltens oft unzureichend, der Grund hierfür sei systembedingt und liege in dem weit verbreiteten Unwillen der Polizei, gegen Kollegen zu ermitteln. Es sei vor diesem Hintergrund erforderlich, die Ermittlungen gegen Polizeibeamte einer externen, unabhängigen Ermittlungsbehörde zu übertragen.
Gute Gesetze: lto.de (Tanja Podolski) wirft aus Anlass unlängst beschlossener Gesetzesvorhaben, zum Beispiel dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, einen positiven Blick auf Gesetzesänderungen, die als wichtige Errungenschaften gelten können. Gesetzesänderungen seien nämlich nicht immer schlecht gewesen; Erwähnung finden unter anderem das gleichberechtigte Wahlrecht für Mann und Frau, die Abschaffung der Todesstrafe sowie die Beseitigung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter Männern.
Das Letzte zum Schluss
Bewaffnete Braut: Nur wenige Stunden nach der Trauung hat eine 25-jährige Frau im US-amerikanischen Tennessee eine Pistole aus ihrem Brautkleid gezogen und ihren Bräutigam mit der Waffe bedroht. Die alarmierte Polizei führte die Frau noch in ihrem Hochzeitskleid ab – ein frühes und jähes Ende für die gemeinsamen Flitterwochen. Mit dem alles andere als romantischen Fall werde sich nun ein Gericht befassen, berichtet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fs
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. August 2017: BVerfG zu IHK-Pflichtmitgliedschaft / EGMR verhindert Abschiebung / Pensionswelle . In: Legal Tribune Online, 03.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23771/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag