Das Bundesverfassungsgericht billigt die Regelung zur Gefährderabschiebung. Außerdem in der Presseschau: Arbeitnehmerüberwachung ins Blaue hinein ist verboten und als Mörder verurteilte Raser gehen in Revision.
Thema des Tages
BVerfG zu Abschiebung von Gefährdern: Ausländer, die als Gefährder eingestuft werden, dürfen in einem beschleunigten Verfahren abgeschoben werden. Die Rechtsgrundlage, § 58a Aufenthaltsgesetz, sei mit dem Grundgesetz vereinbar; der Begriff "Gefährder" auch ausreichend klar definiert, entschied das Bundesverfassungsgericht. Demnach dürfen die Innenminister Ausländer "zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr" ohne Abschiebungsandrohung abschieben. Ein als Gefährder klassifizierter Algerier hatte sich in der Verfassungsbeschwerde gegen seine Abschiebung darauf berufen, dass § 58a Aufenthaltsgesetz formell und materiell verfassungswidrig sei. SZ (Wolfgang Janisch), swr.de (Klaus Hempel) und FAZ (Alexander Haneke) fassen die Entscheidung und die Voraussetzungen einer Gefährderabschiebung zusammen.
Heribert Prantl (SZ) sieht hier seine Auffassung bestätigt, dass es statt ständiger Forderungen nach schärferen Gesetzen einer klugen Anwendung der bestehenden Vorschriften bedürfe. "Nicht die Rechtslage war unzureichend, sondern sie wurde unzureichend genutzt." Niko Busse (FAZ) stellt fest, dass die Gefährderabschiebung zwar ein harter Eingriff in die Grundrechte sei, aber es gebe "keinen vernünftigen Grund, warum eine wehrhafte Demokratie solche Leute auf ihrem Staatsgebiet dulden sollte". Präventive Maßnahmen seien eine Gratwanderung des Rechtsstaats, die hier "im Großen und Ganzen gelungen sei".
Ausnahme der Gefährderabschiebung: focus.de schildert anhand des Falls eines Tunesiers, der trotz Gefährderstatus nicht in sein Heimatland abgeschoben wurde, die Ausnahme des § 58a Aufenthaltsgesetz: Nachdem nicht gewährleistet sei, dass Tunesien die Todesstrafe nicht vollstrecke, setzte das Verwaltungsgericht Frankfurt die Abschiebung aus.
Rechtspolitik
Änderungen im Familienrecht: Der Amtsgerichtsdirektor Hans-Otto Burschel weist in vier Beiträgen auf blog.beck.de auf weitere "zum Teil tiefgreifende" Änderungen im Familienrecht neben der "Ehe für alle" hin. Er referiert unter anderem das Verbot der missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft, das elterliche Recht zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bei Kindern, das kommende Samenspenderregistergesetz sowie die Regelung zur Bekämpfung von Kinderehen.
Justiz
BAG zur Arbeitnehmerüberwachung: Arbeitgeber dürfen nur dann die Computertätigkeit ihrer Mitarbeiter überwachen, wenn konkrete Tatsachen den Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung begründeten. Verwende ein Arbeitgeber in anderen Fällen sogenannte "Keylogger", eine Spähsoftware, welche die Tastatureingaben aufzeichnet, verletzte er das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seines Arbeitnehmers, entschied das Bundesarbeitsgericht und hob damit eine fristlose Kündigung auf. Darüber und über die Hintergründe der Kündigungsschutzklage informieren taz (Christian Rath), FAZ (mj.), die Welt (Stephan Maaß), SZ (Detlef Esslinger) und netzpolitik.org (Markus Reuter). Die Anwälte Wolf-Tassilo Böhm und Lukas Ströbel befassen sich für lto.de ausführlich mit der Argumentation des Gerichts.
LG Berlin zu Rasern: Die Verteidigung der wegen Mordes verurteilten Raser hat beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt, meldet spiegel.de und erinnert an den Fall. Die Anwälte hatten bereits im Verfahren vor dem Landgericht Berlin argumentiert, es liege mangels Tötungsvorsatz eine fahrlässige Tötung vor.
OLG München – NSU: Die Tatsache, dass Zschäpe das NSU-Bekennervideo nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhart veröffentlicht habe, indiziere ihre Mittäterschaft, erläuterte Oberstaatsanwältin Anette Greger in der Fortsetzung des Plädoyers im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Bezüglich möglicher Hintermänner zeigten sich erneut die Differenzen zwischen Anklage und Nebenklage. spiegel.de (Julia Jüttner) und FAZ (Karin Truscheit) berichten. Am kommenden Montag wird das Plädoyer weitergeführt. Die SZ (Annette Ramelsberger) stellt auch das Konzept des Nebenklageplädoyers vor. Die taz (Konrad Litschko) schildert den geplanten Ablauf der Plädoyers – das Verfahren werde noch dauern.
EuGH zu Flüchtlingen: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Ferdinand Weber bespricht auf verfassungsblog.de Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum Thema Flüchtlinge mit besonderem Blick auf die Entscheidungsbegründungen. Er erörtert, ob das Gericht berücksichtige, "mit Blick auf den Gedanken der Gewaltenteilung nicht zu weit zu gehen, aber dennoch den Handlungsdruck auf die verantwortliche politische Ebene zu erhöhen".
BVerfG zu Kanzleidurchsuchung: Auch die taz (Christian Rath) berichtet nun, dass die Staatsanwaltschaft München II die von der Kanzlei Jones Day beschlagnahmten Unterlagen zum Audi-Abgasskandal vorerst nicht auswerten darf. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren. Der Mutterkonzern VW hatte die Kanzlei damit beauftragt, die Hintergründe des Dieselskandals aufzuklären.
OLG Düsseldorf zu Sven Lau: Die Verteidiger des islamistischen Predigers Sven Lau sind gegen das Urteil in Revision gegangen, so die FAZ und spiegel.de. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte Lau als Terrorhelfer zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt.
EuGH zu Fluggastdatenrichtlinie: "Wie oft wollen die EU-Mitgliedstaaten mit ihren Vorratsdatenfantasien eigentlich noch am EuGH scheitern?", fragt Patrick Beuth (zeit.de). Er zeichnet nach, welche Maßnahmen zur Vorratsdatenspeicherung bereits in Luxemburg scheiterten und warum nun die Fluggastdatenrichtlinie folgte. Er prognostiziert einen entsprechenden Ausgang für die Abkommen mit den USA und Australien.
Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) fordert anlässlich der EuGH-Entscheidung, dass die deutsche Rechtslage geändert werde. Es brauche klare Regelungen dazu, wie die Daten von Passagieren während ihres Aufenthalts verwendet werden dürfen und Verfahrenssicherungen, meldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Verdacht des Auto-Kartells: Rechtsprofessor Rupprecht Podszun erklärt auf lto.de, warum es – trotz der Kronzeugenanträge – noch unklar sei, ob tatsächlich ein Kartell vorliege. Er geht zudem auf kartellrechtliche Grundlagen und Besonderheiten bei Auto-Kartellen ein.
Drei US-Kunden wollen in einer Sammelklage gegen die von Kartellvorwürfen betroffenen Autounternehmen Schadensersatz erstreiten, lassen die Welt (Philipp Vetter) und die SZ (Stefan Mayr) wissen. Die Beklagten hätten mit Absprachen zu Preisen und Abgastechnik US-Wettbewerbsrecht verletzt.
BGH – Volker Beck: Der Europäische Gerichtshof wird sich auf Vorlage des Bundesgerichtshofs mit Urheberrechtsfragen um die Klage Volker Becks gegen den Verlag von "Spiegel Online" befassen. Die Nachrichten-Webseite hatte ohne Einverständnis des "Grünen"-Politikers und ohne dessen Hinweis auf Distanzierung das Originalmanuskript eines Buchbeitrags veröffentlicht, in dem Beck gefordert hatte, gewaltfreien Sex mit Kindern teilweise zu entkriminalisieren, schreibt die taz (Christian Rath).
VGH Mannheim – Kachelmann: Die Staatsanwaltschaft Mannheim darf in Zukunft nicht mehr behaupten, DNA-Spuren an einem angeblichen Tatmesser stammten von Jörg Kachelmann. Eine entsprechende Unterlassungserklärung ist das Ergebnis eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim, melden FAZ und spiegel.de.
BVerfG zu Tarifeinheit: Das Bundesverfassungsgericht habe mit seiner jüngsten Entscheidung zur Tarifeinheit nicht nur die Grenzen verfassungsgemäßer Rechtsfortbildung überschritten, sondern auch den Berufsgewerkschaften angemessenen Schutz verwehrt, erläutert Rechtsstudent Jonas Freese auf juwiss.de ausführlich. Er mutmaßt, dass hier politische Einschüchterungsversuche fruchteten.
Recht in der Welt
EGMR zu gekürzten Pensionen: Staaten dürfen Pensionen während einer Finanzkrise kürzen; sie verstießen damit nicht gegen die Eigentumsgarantie, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Geklagt hatte eine Litauerin, da sie zwischen 2010 und 2013 eine um 15 Prozent reduzierte Pension erhielt. focus.de beschreibt auch den Hintergrund des Falls. Auch die SZ bringt eine Meldung dazu.
Türkei – Journalisten vor Gericht: Am heutigen Freitag sei das Urteil gegen die Mitarbeiter der türkischen Zeitung Cumhuriyet zu erwarten. Die taz (Canan Coskun/Ali Çelikkan) resümiert die Verteidigung der Angeklagten.
Die Aussage des Cumhuriyet-Mitarbeiters Ahmet Şık trete hier besonders hervor, nachdem dieser sich weigerte, sich zu verteidigen und stattdessen aufzeigte, wie die Regierung die Meinungs- und Pressefreiheit gefährde. "Ich verteidige mich hier nicht. Ich klage an." Für die taz fassen Doris Akrap und Ali Çelikkan das Protokoll der Erklärung zusammen.
Tunesien – Gewalt gegen Frauen: Das tunesische Parlament hat einstimmig ein Gesetz verabschiedet, das Frauen vor jeglicher Form von Gewalt schützen soll, melden zeit.de und die FAZ. Tunesiens Frauenministerin Naziha Laabidi spricht von einem "historischen Projekt".
Venezuela – Verfassungsreform: Am kommenden Sonntag soll die venezolanische Bevölkerung Delegierte für die umstrittene verfassungsgebende Versammlung wählen. Die Asamblea Nacional Constituyente wird dafür zuständig sein, eine neue Verfassung für ein neues Staatsmodell zu erarbeiten. Dies hatte Präsident Maduro via Dekret bestimmt. Die Opposition geht davon aus, dass er sie damit ausschalten will. Die taz (Jürgen Vogt) beschreibt die Auseinandersetzungen rund um die Verfassungsreform.
Das Letzte zum Schluss
Ehrliches Finden lohnt: Chapeau für den ehrlichen Finder – ein Mann entdeckte unter einem Baum in Berlin-Neukölln eine Mappe mit 22 Goldbarren sowie 3.500 Euro und brachte seinen wertvollen Fund sogleich zur Polizei. Abgesehen vom Vorzug eines reinen Gewissens gehe er auch finanziell nicht leer aus, denn ihm stehe ein Finderlohn zwischen drei und fünf Prozent zu: spiegel.de teilt das Foto des nicht ganz alltäglichen Fundes.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Juli 2017: Gefährdern droht Abschiebung / Arbeitsüberwachung beschränkt / Raserurteil angefochten . In: Legal Tribune Online, 28.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23689/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag