Die juristische Presseschau vom 27. Juli 2017: EuGH zu Grenz­öff­nung / Flug­gast­da­ten­richt­linie / Sala­fis­ten­p­re­diger in Haft

27.07.2017

Justiz

EuGH/Generalanwalt zu Flüchtlingsverteilung: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Yves Bot hat in seinen Schlussanträgen empfohlen, an der 2015 vom Rat der EU beschlossenen Umverteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union festzuhalten. Dies berichten lto.de, SZ (Thomas Kirchner) und taz (Christian Rath). Ungarn und die Slowakei hatten gegen den Beschluss geklagt, der ursprünglich über einen Zeitraum von zwei Jahren die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen von Griechenland und Italien in andere EU-Mitgliedstaaten vorgesehen hatte. Ungarn und die Slowakei bringen vor, der Beschluss habe nicht über die Notfallklausel des Artikels 78 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erlassen werden dürfen, sondern hätte das reguläre Gesetzgebungsverfahren durchlaufen müssen. Der Generalanwalt hingegen hält den Beschluss für einen "Rechtsakt ohne Gesetzescharakter", für den die Notfallklausel gerade geschaffen sei. Auch stellen die Kläger die Geeignetheit der Maßnahme in Frage, da die intendierte Entlastung der von dem Flüchtlingsstrom am stärksten betroffenen Staaten nicht eingetreten sei. Dies räumt der Generalanwalt zwar ein, hält dies jedoch gerade Staaten wie Ungarn und der Slowakei entgegen: Der fehlende Erfolg der Umverteilung sei auch durch ihre Verweigerungshaltung begründet. Ein Urteil des EuGH wird im Herbst erwartet.

EuGH – Fluggastdatenrichtlinie: Die anlasslose Speicherung von Fluggastdaten durch ein geplantes Abkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada verstößt gegen die europäischen Grundrechte. Dies hat der Europäische Gerichtshof in einem Vorab-Gutachten entschieden, wie spiegel.de, SZ (Ronen Steinke), taz (Christian Rath) und netzpolitik.org (Markus Reuter) berichten. Das Abkommen sieht vor, dass von jedem Reisenden nach Kanada über einen Zeitraum von fünf Jahren verschiedene Daten gespeichert werden, darunter Reiseziel, Reisepartner, Zahlungsmittel und Sonderwünsche beim Essen. Nach Auffassung des Gerichtes dürfen diese Daten zwar vorab nach Kanada übermittelt werden, um die Einreise gefährlicher Personen zu verhindern, sie seien jedoch nach der Rückreise aus Kanada regelmäßig zu löschen. Anderes gelte nur, wenn eine unabhängige Stelle entscheide, dass weiterhin ein konkreter Verdacht einer Gefährdung bestehe.

OLG Düsseldorf – Sven Lau: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Salafistenprediger Sven Lau wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Dies berichten taz (Sabine am Orde), SZ (Matthias Drobinski), spiegel.de (Jörg Diehl) und Welt (Hannelore Crolly). Lau soll zwei Männer für die Terrororganisation Jamwa angeworben und ihre Reise nach Syrien organisiert haben. Überdies habe er für die Organisation Nachtsichtgeräte besorgt und geringe Geldsummen zur Verfügung gestellt. Lau gilt als einer der einflussreichsten Salafistenprediger Deutschlands und war 2014 mit der Bildung der sogenannten "Scharia-Polizei" in Wuppertal zu bundesweiter Bekanntheit gekommen. Hauptbelastungszeuge im Verfahren war einer der von Lau angeworbenen Rekruten, der inzwischen aus der Szene ausgestiegen ist. Seine Glaubwürdigkeit war von Laus Verteidiger scharf in Frage gestellt worden.

OLG München – NSU: Die Staatsanwaltschaft hat im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München ihr Abschlussplädoyer fortgesetzt, wie spiegel.de (Julia Jüttner), SZ (Wiebke Ramm) und taz (Konrad Litschko) berichten. Oberstaatsanwältin Anette Greger zeichnete auch am zweiten Tag ein Bild der Hauptangeklagten Beate Zschäpe als Zentralfigur der Organisation des "Nationalsozialistischen Untergrundes". Sie sei in alle Pläne eingeweiht gewesen, die Planung der Anschläge sei arbeitsteilig verlaufen. Zschäpe habe insbesondere die gemeinsame Wohnung "gesichert", einen Großteil der bei Raubüberfällen erbeuteten Gelder verwaltet und gegenüber Nachbarn die Tarnung der Untergetauchten aufrecht erhalten. Sie habe sich zu einer "Meisterin im Verschleiern" entwickelt. Konrad Litschko kritisiert in der taz, dass noch immer nicht alle Hintermänner bekannt seien. So hätten mehrere Zeugen beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter mehr als zwei Täter gesehen, die im Prozess bis jetzt nicht identifiziert wurden.

EuGH/Generalanwalt – Luxusartikel: Hersteller von Markenartikeln sollen ihren Vertragshändlern verbieten können, die Produkte über Internetplattformen wie Amazon oder Ebay zu vertreiben. Dies forderte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Nils Wahl in seinen Schlussanträgen in einem Verfahren des Luxuskosmetikherstellers Coty Germany gegen die Parfümerie Akzente. Hersteller hätten ein legitimes Interesse daran, das Luxus- und Prestige-Image ihrer Produkte durch selektive Vertriebssysteme zu wahren. Rechtsanwalt Christoph Naendrup fasst die Schlussanträge auf lto.de zusammen, der Wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Telle erläutert ebenfalls die Hintergründe auf telemedicus.info

EuGH – Hamas: Die radikalislamische Organisation Hamas bleibt auf der Liste terroristischer Organisationen der Europäischen Union. Dies melden u.a. FAZ und taz. Mit dieser Entscheidung hob der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung des Gerichtes der Europäischen Union auf, welches noch eine unzureichende Beweislage für eine entsprechende Klassifizierung der Hamas bemängelt hatte. Somit dürfen EU-Staaten auch weiterhin Konten der Organisation einfrieren lassen.

BVerfG zu Kanzleidurchsuchung: Die Staatsanwaltschaft München II darf Unterlagen, die im Zuge einer Durchsuchung in den Büroräumen der Anwaltskanzlei Jones Day beschlagnahmt wurden, vorerst nicht auswerten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag im Rahmen einer einstweiligen Anordnung entschieden, wie lto.de (Pia Lorenz) berichtet. Jones Day war im September 2015 von der Volkswagen AG anlässlich eines in den USA eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wegen der Abgasmanipulationen mit internen Ermittlungen beauftragt worden. Im Rahmen eines deutschen Ermittlungsverfahrens griff die Staatsanwaltschaft München dann im März 2017 auf die betreffenden Dokumente zu. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun im Rahmen einer Folgenabwägung, dass bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Sache der Schutz des anwaltlichen Vertrauensverhältnisses den Interessen der Strafrechtspflege vorzugehen habe. Bis zur Klärung der Sachfrage sind die Dokumente nun beim Amtsgericht zu hinterlegen. 

BVerfG zu Rechtsschutz im Presserecht: Die Praxis der Zivilgerichte, in Verfahren zu Medienveröffentlichungen regelmäßig ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, kann das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf ein faires Verfahren verletzen. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht, wie nun auch die SZ (Karoline Meta Beisel) meldet. Die betreffenden zwei Verfassungsbeschwerden des "Spiegel" wurden allerdings trotzdem nicht zur Entscheidung angenommen, da sie verfristet waren.

ArbG Mannheim – Bagatellkündigung: Vor dem Arbeitsgericht Heidelberg wurde am Mittwoch über die Kündigung einer Heilerziehungspflegerin wegen mehrerer Pflichtverletzungen mit Bagatellcharakter verhandelt, wie FAZ und lto.de melden.  Der Frau, die mehr als 30 Dienstjahre in der Hilfseinrichtung tätig gewesen war, wurde unter anderem der Verzehr einer Tafel Schokolade aus dem Eigentum einer Kollegin vorgeworfen. Nach einem Vergleich wurde die fristlose Kündigung in eine Abmahnung umgewandelt, die Frau bleibt weiter beschäftigt.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. Juli 2017: EuGH zu Grenzöffnung / Fluggastdatenrichtlinie / Salafistenprediger in Haft . In: Legal Tribune Online, 27.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23651/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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