Repräsentantinnen der Justiz vorerst ohne Kopftuch. Außerdem in der Presseschau: Ein Gutachten belegt die Gefährdung der Demokratie durch Ceta, der Start des Love-Parade-Prozesses steht fest und der Verfassungsschutzbericht 2016 liegt vor.
Thema des Tages
BVerfG zu Referendarin mit Kopftuch: Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag einer muslimischen Rechtsreferendarin abgelehnt, die auch bei ihrer Tätigkeit in der Justiz ein Kopftuch tragen will. Vorerst dürfe sie die Justiz vor den Bürgern nicht mit Kopftuch repräsentieren – das Hauptsacheverfahren steht noch aus. Die Karlsruher Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass die nötige Folgenabwägung zugunsten des staatlichen Neutralitätsgebots und der negativen Religionsfreiheit von Prozessbeteiligten ausfalle. Diese wögen schwerer als die Glaubensfreiheit der Muslimin, deren Eingriff zeitlich und örtlich begrenzt sei. SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), Tsp (Jost Müller-Neuhof) und FAZ (Alexander Haneke) geben die Argumentation wieder.
Christian Rath (taz) hält die Begründung des Gerichts für "nicht im Ansatz überzeugend". Die Neutralität der Justiz sei nicht dadurch eingeschränkt, dass eine Richterin als Muslimin erkennbar sei. Rath findet es zudem bedenklich, dass die Senate sich in Sachen Kopftuch nicht einig seien und der Grundrechtsschutz daher davon abhänge, zu welchem Senat man komme. Patrick Bahners (FAZ) befürchtet, die Hauptsache werde entsprechend entschieden. Er konstatiert: "Die Annahme, besonders fromme Individuen täten sich besonders schwer mit neutraler Anwendung des Rechts, ist normativ und bodenlos." Er sieht es als unausweichlich an, dass Bürger mit kopftuchtragenden Amtsträgern konfrontiert werden. Jost Müller-Neuhof (Tsp) wünscht sich eine einheitliche Linie der Politik zur Kopftuchfrage.
Rechtspolitik
Ceta versus Parlamente: Ein Gutachten des Staatsrechtlers Martin Nettesheim, das verschiedene Nichtregierungsorganisationen in Auftrag gegeben haben, sieht den "demokratisch-parlamentarischen Gestaltungsspielraum" durch Handelsabkommen wie Ceta gefährdet. Die FAZ (Helene Bubrowski), der das Gutachten vorliegt, stellt die Argumentation vor.
Wirkung der G-20-Beschlüsse: Im Hinblick auf die G20-Beschlüsse beleuchtet spiegel.de (Severin Weiland) die Frage: "Was bringen die wolkigen Erklärungen am Ende wirklich?" Sie seien nicht nur "Papiertiger", allerdings stelle sich die Umsetzung teilweise als schwierig dar.
"Ehe für alle": Der wissenschaftliche Mitarbeiter Matthias Friehe schildert auf juwiss.de seine verfassungs- und familienrechtliche Kritik an der jüngsten Ausweitung der Ehe auf homosexuelle Paare. Er fordert statt eines "Hau-Ruck-Verfahrens" eine der "gründlichen deutschen Kodifikationstradition" entsprechende "breite, ernsthafte und offene gesellschaftliche Debatte". Der Strafrechtsprofessor Tonio Walter erläutert in einem spiegel.de-Gastbeitrag, warum das Grundgesetz nicht homophob sei. Es gebiete dem Staat, die Ehe zwischen Mann und Frau besonders zu schützen; dies hindere es allerdings nicht daran, anderen Paaren die gleichen Rechte zu gewähren. Rechtsprofessor Kai Möller befasst sich in der SZ mit den der "Ehe für alle"-Debatte zugrunde liegenden verschiedenen Auslegungsmethoden der Verfassungsrechtler. Er erläutert seine Auflösung der Auslegungsdifferenzen und schließt daraus: "Wer die Werte des Grundgesetzes ernst nimmt, muss die Ehe für alle akzeptieren." Christian Geyer (FAZ) betont, "Verfassung als Auslegungssache ist unentrinnbar auf Aktualität bezogen." Geyer weiter: "Aversionen und Stammtischaffekte müssen chancenlos bleiben, wenn die Verfassungskonformität des neuen Ehegesetzes geprüft werden wird."
Richtlinie zur Steuertransparenz: In der EU tätige multinationale Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro sollen künftig offenlegen, in welchem Staat sie wie viel Steuern zahlen. So sieht es die Richtlinie für Steuertransparenz des EU-Parlaments vor, für die sich die Abgeordneten in erster Lesung aussprachen, wie die FAZ (Werner Mussler) schreibt.
Abstammung: Die FAZ (Johannes Leithäuser) und die Welt (Sabine Menkens) fassen die am gestrigen Dienstag vorgestellte Empfehlung des Arbeitskreises Abstammungsrecht zusammen. Dieser unterstützt unter anderem die Stärkung des Auskunftsrechts von Kindern über ihren genetischen Vater und eine "Mit-Mutterschaft". Heiko Maas (SPD), Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, sieht die Empfehlungen als Beitrag "für den Prozess des Umdenkens", da sie in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt würden.
NetzDG: "Wie setzen soziale Netzwerke die Rechtslage um?", fragt Rechtsprofessor Tobias Gostomzyk in einem FAZ-Gastbeitrag. Er zeigt die verschiedenen Optionen der sozialen Netzwerke und damit einhergehende rechtliche Schwierigkeiten auf.
Verbotene Kraftfahrzeugrennen: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kritisiert das vergangene Woche verabschiedete Gesetz zum Verbot von Kraftfahrzeugrennen: Es bliebe auf halber Strecke stehen und hätte "die Raserei auf breiterer Front erfassen müssen".
Studiengebühren für Ausländer: Sind Studiengebühren für Ausländer verfassungs- und völkerrechtskonform? Dieser Frage geht der akademische Rat a.Z. Armin von Weschpfennig auf juwiss.de am Beispiel der baden-württembergischen Regelung nach.
Justiz
LG Duisburg – Love-Parade: Am 8. Dezember diesen Jahres beginnt das Strafverfahren um die Love-Parade-Katastrophe. Das Gericht hatte einen Prozess wegen des tödlichen Gedränges am Festival zunächst abgelehnt. Diese Entscheidung hob das Oberlandesgericht Düsseldorf allerdings im April wieder auf – eine Verurteilung der zehn Angeklagten sei hinreichend wahrscheinlich, melden spiegel.de und die SZ.
Gerichte zu G-20-Protestcamp: Der akademische Rat a.Z. Benjamin Rusteberg beleuchtet auf verfassungsblog.de die rechtliche Situation um das G-20-Protestcamp und zeichnet akribisch den bisherigen Gang der gerichtlichen Entscheidungen nach. Er konstatiert, der einstweilige Rechtsschutz sei "nur sehr eingeschränkt in der Lage, die vorliegende Problematik angemessen zu bewältigen", und kritisiert die Argumentation der Polizei gegen das Camp.
BGH zu Bearbeitungsgebühren: Banken dürfen auch von Unternehmen keine zusätzlichen Bearbeitungsgebühren verlangen, wenn sie ein Darlehen abschließen. Entsprechende vorformulierte Klauseln in Verträgen seien unwirksam, entschied der Bundesgerichtshof. Wie lto.de schreibt, dürfen die Unternehmen bereits bezahlte Kreditbearbeitungsgebühren zurückfordern.
OLG Düsseldorf – versuchter IS-Anschlag: Am heutigen Mittwoch beginnt vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Strafprozess gegen drei Männer, die im Namen des IS einen Anschlag in der Düsseldorfer Innenstadt geplant haben sollen. focus.de (Axel Spilcker) fasst die Anklagepunkte gegen den mutmaßlichen Chef der Gruppe, Saleh A., zusammen.
BGH zu Organspendeskandal: swr.de (Gigi Deppe/Klaus Hempel) erörtert ausführlich die Hintergründe des Organspendeskandals an der Universitätsklinik Göttingen und zeichnet das Strafverfahren gegen den ehemaligen Leiter der dortigen Transplantationschirurgie nach.
BKA – "Panama Papers": Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet, hat das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr die "Panama Papers" gekauft. Die Sichtung werde mehrere Monate in Anspruch nehmen, so die Behörde.
Recht in der Welt
EGMR/Türkei – Beschwerde gegen Referendum: Die türkische Oppositionspartei CHP hat Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen des türkischen Referendums eingereicht. Sie wirft der Regierung Wahlbetrug vor. Das türkische Recht gewähre allerdings keine Rechtsmittel gegen die Wahl, meldet zeit.de.
Venezuela – Generalstaatsanwältin: Am heutigen Mittwoch wird der Oberste Gerichtshof Venezuelas darüber entscheiden, ob die derzeitige Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz ihr Amt behalten darf. Sie hat Ermittlungen gegen einige der Obersten Richter eingeleitet, nachdem das Gericht die Nationalversammlung entmachtet hatte, und kritisiert nach wie vor die Menschenrechtssituation im Land, wie die taz (Jürgen Vogt) schreibt.
Sonstiges
Verfassungsschutzbericht: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen haben den Verfassungsschutzbericht 2016 vorgestellt. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten berichten die Welt (Martin Lutz), FAZ (Eckart Lohse), taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde) zu Rechtsextremen und taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde) zu Islamisten.
Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) behandelt den Verfassungsschutzbericht in Sachen Hackerangriffe und Industriespionage. Deutschland sei Ziel geheimdienstlicher Aktivitäten unter anderem aus Russland und der Volksrepublik China.
Menschenrechte in den G-20-Staaten: Christiane Grefe (zeit.de) erörtert, wie auch G-20-Staaten Menschenrechte, namentlich Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, und die Möglichkeiten demokratischer Teilhabe beschnitten. Sie sieht dadurch den Frieden in der Welt bedroht.
Legal Tech: Das Hbl (Maike Freund) legt ausführlich dar, wie Legal Tech die Arbeit der Anwälte verändere und weiterhin verändern werde, welche neuen "Legal Tech Tools" es bereits gebe und wie Kanzleien damit arbeiteten. Dabei wird die Frage touchiert, ob Anwälte künftig noch gebraucht werden.
Detektive gegen Arbeitnehmer: Welche Maßnahmen dürfen Unternehmen ergreifen, um Informationen über ihre Arbeitnehmer zu sammeln? Diese Frage beantwortet Arbeitsrechtsprofessorin Claudia Schubert im Interview mit der SZ (Uwe Ritzer). Sie geht dabei auch auf die Besonderheiten von Arbeitnehmervertretern ein.
Das Letzte zum Schluss
Tanz um den Baum: Es mag merkwürdig anmuten, aber ein Fall für die Polizei ist es wohl nicht: Ein Mann im baden-württembergischen Steinen wurde an die Polizei gemeldet, weil er einen Baum angesungen und angetanzt habe. Den Beamten erklärte er, dass es sich um eine Entspannungsübung und Selbstverteidigungtechnik handele, meldet die taz in ihrem Ressort die Wahrheit.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. Juli 2017: BVerfG gegen Kopftuch / Demokratie gefährdendes Ceta? / Termin für Love-Parade-Prozess . In: Legal Tribune Online, 05.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23355/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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