Der Bundestag verabschiedet eine umfassende Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Außerdem in der Presseschau: BGH legt Urheberrechtsfragen dem EuGH vor, Richterbesoldung wird dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Thema des Tages
Bund-Länder-Finanzreform: Der Bundestag hat ein umfassendes Reformpaket zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen verabschiedet, Kernstück der insgesamt 13 Grundgesetzänderungen ist die Abschaffung des bisherigen Finanzausgleichs unter den Ländern und die erhöhte Unterstützung finanzschwacher Länder durch den Bund. Dieser erhält im Gegenzug hierfür erhöhte Eingriffsrechte, etwa bei Fernstraßen, der Steuerverwaltung und bei Schul-Investitionen. Außerdem wird eine Infrastrukturgesellschaft für Planung, Bau und Erhaltung der Autobahnen eingeführt, eine Privatisierung dabei jedoch ausgeschlossen. Einen Überblick über die Neuerungen geben die FAZ (Manfred Schäfers), zeit.de und lto.de.
Heike Schmoll (FAZ) kritisiert im Leitartikel, die "käuflichen Länder" ließen sich in ihre ureigensten Angelegenheit hineinregieren. Auch das von der Union noch verteidigte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Schulpolitik werde wohl bald fallen. Cerstin Gammelin (SZ) sieht zwar im Ende des Länderfinanzausgleiches auch ein Ende der gegenseitigen Solidarität, betont aber die Vorteile einer Finanzierung von Schulaufgaben durch den Bund zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Niveaus. Jasper von Altenbockum (FAZ) bemängelt, die Verfassungsänderung ließe die finanziellen Belange der Kommunen außer Acht.
Rechtspolitik
Staatstrojaner: Vor dem Rechtsausschuss des Bundestages hat die Sachverständigenanhörung zur Einführung des Staatstrojaners stattgefunden. Hierüber berichtet lto.de (Diana Nadeborn). Die Strafverfolgungsbehörden sollen künftig Online-Durchsuchungen und Quellen-Telekommunikationsüberwachungen (Quellen-TKÜ) durchführen können. Die Behörden halten die Einräumung dieser Ermittlungsbefugnisse für notwendig, da anderenfalls große Bereiche etwa der organisierten Kriminalität im Dunkeln bleiben würden. Kritisiert wird am Einsatz des Staatstrojaners, dass dieser bestehende Sicherheitslücken in informationstechnischen Systemen voraussetze, die auch von Kriminellen genutzt werden könnten. Andre Meister (netzpolitik.org) bemängelt überdies, die Bundesregierung habe Bundestag, Bundesrat und Öffentlichkeit übergangen, indem sie den Vorschlag nur als "Formulierungshilfe" in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren zum Fahrverbot als Nebenstrafe einbrachte.
UrhWissG: Ebenfalls Gegenstand einer Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss war der Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechtes an die Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz). Dies berichtet die taz (Manfred Ronzheimer). Das Gesetz sieht eine Wissenschaftsschranke vor, mit der ermöglicht wird, dass an Bildungseinrichtungen bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt oder sonst wiedergegeben werden können. Verlage und Buchhandel warnen vor Umsatzeinbußen im Fachbuchhandel.
Schlachthofgesetz: Ein neues Gesetz soll zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischproduktion beitragen, berichten die SZ (Markus Balser) und die taz. Durch die Einführung einer Generalunternehmerhaftung soll verhindert werden, dass sich Schlachthofbetreiber durch Einschaltung von Subunternehmern ihren gesetzlichen Verpflichtungen entziehen können.
NetzDG: Der Deutsche Richterbund setzt sich für eine rasche Umsetzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ein, wie lto.de meldet. Die Justiz begrüße das Ziel, strafbare Inhalte schnell zu löschen. Zudem sollten private Anbieter verpflichtet werden, auf Auskunftsersuchen der Ermittlungsbehörden binnen 48 Stunden zu reagieren und Auskunftsverweigerungen hinreichend zu begründen.
Justiz
BGH – Urheberrecht und Geheimhaltung: Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob sich der Staat auf das Urheberrecht berufen kann, um Journalisten die Veröffentlichung brisanter Dokumente zu verbieten. Dies berichten die taz (Christian Rath) und der Anwalt Ansgar Koreng auf lto.de. Die Vorlage erfolgte, weil das Urheberrecht seit 2001 durch die InfoSoc-Richtlinie harmonisiert sei. Im konkreten Fall ging es um die Veröffentlichung der sogenannten "Afghanistan Papers" durch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Die Bundesregierung hatte gegen diese Veröffentlichung unter Berufung auf ihr Urheberrecht geklagt. Thomas Stadler (internet-law.de) sieht hierin einen Missbrauch des Urheberrechtes, welches von der Bundesregierung als "Vehikel zur Informationsunterdrückung" verwendet werde.
BGH – Sampling: Der Bundesgerichtshof hat den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die Vereinbarkeit der Sampling-Praxis mit dem europäischen Urheberrecht zu prüfen. Dies berichten SZ (Jan Kedves), netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) und spiegel.de. In dem Rechtsstreit geht es um die Verwendung eines Ausschnitts aus dem Stück "Metall auf Metall" der Gruppe Kraftwerk, welchen Produzent Moses Pelham ohne Erlaubnis der Gruppe als Endlosschleife unter den Song "Nur mir" der Rapperin Sabrina Setlur gelegt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies 2016 als von der Kunstfreiheit gedeckt angesehen, da es sich beim Sampling um einen Grundpfeiler des Hip-Hops handele. Der Bundesgerichtshof hält indes das Urheberrecht für europarechtlich vereinheitlicht, sodass eine abschließende Entscheidung nur vom Europäischen Gerichtshof getroffen werden könne.
VG Köln – Richterbesoldung: Das Verwaltungsgericht Köln hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Höhe der Gehälter von Richtern der Besoldungsgruppe R 2 mit drei oder mehr Kindern vereinbar ist mit dem in Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz verankerten Alimentationsprinzip. Dies berichtet lto.de. Bereits 1998 hatte das Verfassungsgericht die Höhe der Besoldung bemängelt und die Fachgerichte im Wege einer Vollstreckungsanordnung ermächtigt, den Richtern erhöhte Besoldungen zuzuerkennen. Das Verwaltungsgericht hält diese Vollstreckungsanordnung zwar für inzwischen nicht mehr bindend, die Besoldung der betreffenden Richter jedoch für zu gering.
OLG Hamm – Intimfoto: Das Oberlandesgericht Hamm hat einen Mann zur Zahlung von 7.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, weil er ein intimes Foto seiner Ex-Freundin ohne deren Einverständnis im Internet veröffentlicht hatte. Dies berichten lto.de und lawblog.de (Udo Vetter). Das Bild der Frau, welche zum Zeitpunkt der Aufnahme 16 Jahre alt war, hatte sich auch im Bekanntenkreis der Frau verbreitet, was zu einer "massiven Bloßstellung" und zu schweren psychischen Erkrankungen geführt habe. Das Oberlandesgericht reduzierte dennoch das ursprünglich verhängte Schmerzensgeld der Vorinstanz in Höhe von 20.000 Euro. Der Mann habe beim Hochladen des Fotos eine "unreflektierte Spontanhandlung" begangen und sei überdies alkoholisiert gewesen.
LG Bochum – "Satanist von Witten": Das Landgericht Bochum hat einen als "Satanist von Witten" bekannt gewordenen Häftling vom Vorwurf des Mordkomplotts freigesprochen, melden spiegel.de und focus.de. Der wegen eines sogenannten Ritualmordes verurteilte Mann soll aus der Haft den Auftrag zur Tötung seiner Ex-Frau gegeben haben. Das Gericht hielt indes die Hauptbelastungszeugin für unglaubwürdig und sprach den Mann frei.
LAG Düsseldorf – Befristung: community.beck.de (Markus Stoffels) berichtet über eine Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf über Befristungen von Arbeitsverträgen im Kunstbetrieb. Das Gericht habe in einer vorläufigen rechtlichen Einschätzung die Befristung mit Blick auf die Eigenheiten des Kunstgeschäftes und die verfassungsrechtliche Stellung der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz als gerechtfertigt angesehen. Das Publikum habe ein Abwechslungsbedürfnis, dem Rechnung getragen werden müsse, weshalb die Befristung in der Eigenart der Tätigkeit (§ 14 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 TzBfG) begründet sei. Ein Urteil steht indes noch aus.
BGH – Auschwitz-Wachmann: Der vom Landgericht Detmold 2016 wegen Beihilfe zum Mord verurteilte frühere Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning ist im Alter von 95 Jahren verstorben, meldet zeit.de. Hanning hatte gegen seine Verurteilung Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt, über die nun nicht entschieden wird. spiegel.de (Benjamin Schulz) analysiert den Paradigmenwechsel der Rechtsprechung bezüglich der Strafbarkeit von KZ-Wärtern.
Recht in der Welt
Türkei – Verfassungsreferendum: In einem englischsprachigen Beitrag befasst sich Ali Acar auf verfassungsblog.de mit den Erfolgsaussichten einer möglichen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Unregelmäßigkeiten beim türkischen Verfassungsreferendum am 16. April. Gerügt wird die Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht gekennzeichnete Wahlzettel als gültig anzuerkennen, als Verstoß gegen Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (Recht auf freie Wahlen). Hierbei sei jedoch bereits fraglich, ob der Schutzbereich dieser Garantie überhaupt Verfassungsreferenden umfasst oder ob sich dieser nur auf Wahlen eines Legislativorgans beschränkt.
Russland – Völkerrecht: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Aiste Mickonyte beleuchtet auf juwiss.de (in englischer Sprache) das schwierige Verhältnis Russlands zum Völkerrecht. So würden Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht umgesetzt und eigene Völkerrechtsverstöße wie etwa die Annexion der Krim mit dem Verweis auf ähnliche Verstöße anderer Länder gerechtfertigt.
Dänemark – Blasphemie: Das dänische Parlament schafft den Straftatbestand der Blasphemie ab, berichtet die taz (Reinhard Wolf). Anlass war ein Strafverfahren gegen einen Internetnutzer, der Weihnachten 2015 ein Video einer Koranverbrennung auf einer islamfeindlichen Facebook-Seite gepostet hatte. Befürworter der Streichung sehen hierin ein Signal an autoritäre Staaten, die sich der Blasphemie-Paragraphen bedienten, um Dissidenten zu verfolgen.
Das Letzte zum Schluss
Kondomdiebstahl: Zwei Diebe sind in eine Lagerhalle in Las Vegas eingebrochen und haben neben diversem Sexspielzeug auch insgesamt 30.000 Kondome erbeutet. Dies meldet spiegel.de. Der Gesamtwert der Beute liegt bei etwa 10.000 Dollar.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage
Die juristische Presseschau vom 2. Juni 2017: Bund-Länder-Reform beschlossen / Urheberrecht vor EuGH / Richterbesoldung vor BVerfG . In: Legal Tribune Online, 02.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23097/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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