Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Mai 2017: Behör­den­ver­sagen im Fall Amri? / NetzDG auf der Kippe / Teil­er­folg für Ass­ange

22.05.2017

Neue Ungereimtheiten aus der Akte Amri bringen die Berliner Behörden in Bedrängnis. Außerdem in der Presseschau: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz droht zu kippen und Schweden stellt die Ermittlungen gegen Julian Assange ein.

Thema des Tages

Anis Amri: Wie die Montags-SZ (Ronen Steinke) unter Berufung auf die Sonntags-Ausgabe der Berliner Morgenpost (Gudrun Mallwitz/Andreas Abel) berichtet, wurden weitere Ungereimtheiten in der Akte von Anis Amri bekannt. Demnach seien nachträglich auch Namen aus seinem Umfeld im Drogenmilieu gelöscht worden. Vergangene Woche hatte bereits der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) Strafanzeige wegen Strafvereitelung gegen Mitarbeiter des Landeskriminalamtes gestellt, wie die FAS (Antje Schmelcher) berichtet. Unterdessen fordert Rechtsanwalt Andreas Schulz, der Angehörige der Opfer des Anschlags vertritt, 100 Millionen Euro Schadensersatz vom Land Berlin. Dabei beruft er sich laut Focus (focus.de-Meldung) auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, nach dem ein Unterlassen der Polizeibehörden einen Amtshaftungsanspruch begründen könne.

Jost Müller-Neuhof (Samstags-Tsp) warnt vor voreiligen Schlüssen. Es könnte Gründe für die Polizei gegeben haben, nicht sofort gegen Amri vorzugehen. Jedenfalls seien die Beamten nicht "für die Toten und Verletzten vom Dezember 2016 unmittelbar verantwortlich".

Rechtspolitik

NetzDG: Der Bundestag hat am Freitag vergangener Woche über das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz diskutiert, mit dem soziale Netzwerke beim Kampf gegen rechtswidrige Inhalte stärker in die Verantwortung genommen werden sollen. Kritiker sehen in dem Vorhaben eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung und befürchten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit durch übereifriges Löschen. Die Kritik kommt inzwischen auch aus den Regierungsfraktionen, so dass es möglich erscheint, dass das Gesetz nicht vor Ende der Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Diskutiert wird etwa noch über einen Richtervorbehalt für die Herausgabe von Bestandsdaten sowie über eine unabhängige Prüfstelle. Über die Diskussion und das Gesetzgebungsverfahren berichten die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt), spiegel.de (Melanie Amann/Fabian Reinbold) und lto.de (Constantin van Lijnden).

Reinhard Müller (Samstags-FAZ) merkt an, dass "zahlreiche Opfer von Diffamierungen sich bisher oft nicht wirksam wehren konnten". Die Abwägung verdiene jedoch kein "gesetzgeberisches Hauruck-Verfahren". Hendrik Wieduwilt (Samstags-FAZ) hofft, dass sich die Union vom "Kontrollwahn" der SPD verabschiedet und auf die erste Lesung keine zweite folgt. Christian Rath (Samstags-BadZ) hält die Befürchtungen, dass das Gesetz zu massenhaftem Löschen von Inhalten führen werde, für unbegründet. Schon jetzt seien die Anbieter verpflichtet, rechtswidrige Inhalte unverzüglich zu löschen. Ein Bußgeld sehe der Gesetzentwurf nur für den Fall vor, dass das Beschwerdemanagement gänzlich untauglich sei.

Ausreisepflicht-Gesetz: Der Bundestag hat das "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" beschlossen. Es beinhaltet unter anderem eine Ausweitung der Abschiebehaft und den Einsatz der elektronischen Fußfessel für ausreisepflichtige Personen, die als gefährlich eingestuft wurden, wie die Samstags-FAZ (Eckart Lohse) schreibt. netzpolitik.org (David Richter) befasst sich eingehend mit dem ebenfalls beschlossenen Auslesen von Datenträgern zum Zweck, die Identität von Asylbewerbern festzustellen.

Reinhard Müller (Samstags-FAZ) sieht in den "nun verabschiedeten sogenannten Verschärfungen nur Selbstverständliches". Wer rechtlich zur Ausreise verpflichtet wurde, der müsse auch ausreisen.

Ausschluss von Parteienfinanzierung: Union und SPD haben einen Gesetzentwurf für eine Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, mit dem der Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung ermöglicht werden soll, so die Samstags-FAZ (Günter Bannas). Zuvor habe bereits der Bundesrat entsprechende Gesetzentwürfe beschlossen. Auch für den Ausschluss aus der Parteienfinanzierung soll das Bundesverfassungsgericht zuständig sein. Während Union, SPD und Linkspartei sich für die Änderung aussprachen, kritisierten die Grünen den Entwurf als symbolisch und nicht sorgfältig ausgearbeitet.

Bund-Länder-Finanzbeziehungen: Heribert Prantl (Samstags-SZ) kritisiert die geplante Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern. Das Solidaritätsprinzip zwischen den Bundesländern werde abgeschafft und das Bund-Länder-Verhältnis gerate außer Balance. Dafür sind laut Heike Göbel (Samstags-FAZ) auch die "verantwortungsscheuen" Länder verantwortlich: "Bereitwillig tauschen sie restliche Zuständigkeiten gegen Bundesgeld, nicht ohne die Spur dieser Selbstaufgabe zu verwischen."

Autonomes Fahren: Rechtsprofessor Volker Lüdemann kritisiert in der Samstags-FAZ das vom Bundestag beschlossene Gesetz zum autonomen Fahren. Es regele nicht präzise genug, was die Autofahrer beim Einsatz von automatisierten Systemen tun dürften oder lassen müssten. Auch seien eine Gefährdungshaftung der Hersteller und genauere Regeln zum Datenschutz angezeigt.

Bundesdatenschutzgesetz: Rechtsanwalt Tim Wybitul erläutert in der FAZ Änderungen, die am Bundesdatenschutzgesetz zur Anpassung an die Datenschutz-Grundverordnung vorgenommen wurden. Personenbezogene Daten dürften nur noch an Betriebsräte herausgegeben werden, wenn das neue Gesetz oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung das erlaube.

Geheimdienste: In einem Kommentar kritisiert Anna Biselli (netzpolitik.org) den Ausbau der Befugnisse und Möglichkeiten von Geheimdiensten. Dieser erfolge auch durch Änderungen am Archivgesetz, die Geheimdiensten Ausnahmen von der Archivierungspflicht gestatteten, am Datenschutzgesetz, wo die Kontrolle der Geheimdienste durch den Bundesdatenschutzbeauftragten geschwächt werde, oder durch das Datenaustauschverbesserungsgesetz.

Speicherung von Grenzübertritten: Eine von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Expertengruppe schlägt die Speicherung von Daten über Grenzübertritte von EU-Bürgern vor. Das geht aus dem Abschlussbericht hervor, mit dem sich netzpolitik.org (Matthias Monroy) befasst. Demnach sollen neben biografischen Daten auch Zeitpunkt und Richtung des Grenzübertritts protokolliert werden.

Portabilitätsverordnung: Rechtsassessor Philipp Roos stellt auf lto.de die Portabilitätsverordnung vor, mit der Streamingdienste europaweit einheitlich nutzbar gemacht werden sollen. Danach sind Streaminganbieter verpflichtet, ihre Leistungen auch bei einem vorübergehenden Aufenthalt im EU-Ausland unter den gleichen Bedingungen zu erbringen. Um einen Missbrauch zu verhindern, muss bei Vertragsschluss und Vertragsverlängerung der Wohnsitz des Kunden überprüft werden.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Mai 2017: Behördenversagen im Fall Amri? / NetzDG auf der Kippe / Teilerfolg für Assange . In: Legal Tribune Online, 22.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22995/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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