Der Prozess gegen sieben junge Flüchtlinge, die einen Obdachlosen verletzten, hat begonnen. Außerdem in der Presseschau: BGH urteilt zu Gebühren von Bausparverträgen und ein indonesischer Gouverneur ist wegen Blasphemie verurteilt worden.
Thema des Tages
LG Berlin – verletzter Obdachloser: Der Prozess zum Fall eines Obdachlosen, der von sieben geflüchteten jungen Männern im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße in Brand gesetzt worden war, hat vor dem Landgericht Berlin begonnen. Die Tat, die von Überwachungskameras dokumentiert wurde und bei der Schlimmeres durch das Einschreiten von Passanten verhindert werden konnte, hatte ein großes Medienecho erfahren. Sechs der Männer müssen sich nun wegen versuchten Mordes, einer wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten, wie die FAZ (Julia Schaaf) und die SZ (Verena Mayer) berichten. Die Staatsanwaltschaft vermutet als Tatmotiv schlichte "Langeweile".
Rechtspolitik
NetzDG: Der stellvertretende Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses, Maram Stern, verteidigt in einem Gastbeitrag für die SZ den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur verbesserten Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken: "In einem demokratischen Rechtsstaat haben auch Unternehmen die Pflicht, zur Durchsetzung des Rechts beizutragen." Er wirft den Kritikern geschäftliche Interessen sowie Bequemlichkeit vor.
Automatisiertes Fahren: Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar warnt die Länder davor, dem Gesetz zum autonomen Fahren an diesem Freitag im Bundesrat zuzustimmen. Danach bestehe die Gefahr, dass sich die auf Grundlage des neuen Gesetzes gesammelten Standortdaten zu Bewegungsprofilen verdichten ließen – auch wenn die Gesetzesbegründung dies ausschließen wolle. Dies würde laut Caspar einen erheblichen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Fahrers darstellen, wie das Hbl (Heike Anger u.a.) schreibt.
Urheberrecht in der Wissensgesellschaft: Der Verleger Thedel von Wallmoden kritisiert in einem Gastbeitrag für die Welt das geplante Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Zwar gebe es durchaus Regelungsbedarf, die anstehende Regelung sei aber überhastet und dilettantisch. Der Autor thematisiert dabei insbesondere das Fehlen eines gesetzlichen Beteiligungsanspruchs der Verlage an den Ausschüttungen der VG Wort und sieht sowohl die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 als auch die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Grundgesetz verletzt.
Pflegekinder: Die Welt (Sabine Menkens) beschäftigt sich mit der von Manuela Schwesig (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, auf den Weg gebrachten Reform des Sozialgesetzbuchs VIII, dem "Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen", das am 18. Mai beschlossen werden soll. Der Entwurf sieht vor, dass Familiengerichte den dauerhaften Verbleib eines Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim gegen den Willen der leiblichen Eltern anordnen können. In dem Beitrag kommen sowohl positive Stimmen zu Wort, die eine Verbesserung der Lebenssituation betroffener Kinder erwarten, als auch Kritiker, die eine Erosion der Elternrechte befürchten.
Justiz
BVerfG – Abgeordnetenrechte: Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über die Klage von Abgeordneten der Grünen wegen unzureichender Beantwortung von Kleinen Anfragen durch die Bundesregierung. In Streit steht zum einen die Frage, ob die Bundesregierung über das operative Geschäft der bundeseigenen, aber privat-rechtlich organisierten Bahn AG Auskunft geben muss. Außerdem ist umstritten, ob die Regierung über die Tätigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) mit Verweis auf die Wettbewerbsposition und Grundrechte der betroffenen privaten Banken nur nichtöffentlich antworten durfte. Es berichtet die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath), die vermutet, die Kläger dürften zumindest teilweise Erfolg haben.
BGH zu Bauspardarlehen: Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes dürfen Bausparkassen keine Gebühren für das Darlehenskonto erheben. Der Kunde müsse – ebenso wie bei Konsumentenkrediten und Baufinanzierungen – lediglich den Zins zahlen; darüber hinausgehende Leistungen seien nicht geschuldet. Damit werde einer Jahrzehnte andauernden Praxis ein Ende bereitet, wie die SZ (Benedikt Müller) und die FAZ (Christian Siedenbiedel) berichten. Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen die Bausparkasse Badenia.
LG Berlin – Leistungsschutzrecht: Das Landgericht Berlin hat dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen des Rechtsstreits der VG Media gegen Google um sogenannte "Snippets" – Textausschnitte, die die Suchmaschine in ihren Ergebnissen anzeigt – ein Verfahren vorgelegt. Konkret geht es darum, ob das deutsche Leistungsschutzrecht überhaupt korrekt zustande kam; das vorlegende Gericht geht davon aus, dass der Gesetzentwurf vor seinem Beschluss gegenüber der EU-Kommission hätte notifiziert werden müssen. Beide Seiten werten die Vorlage als Erfolg, wie die SZ (Karoline Meta Beisel) berichtet.
LSG Niedersachsen zu Schwerbehinderten: Das Landessozialgericht Niedersachsen hat entschieden, dass Krankenkassen die Kosten für die Hilfe eines schwerbehinderten Schülers bei der Bewältigung des Schulweges tragen müssen. Dies gelte auch, wenn es sich tatsächlich um eine Leistung des Sozialhilfeträgers handele, wie die FAZ (Markus Jung) meldet.
AG Erkelenz zu Tagebau-Besetzer: Das Amtsgericht Erkelenz hat vier Aktivisten, die an Demonstrationen im nordrhein-westfälischen Braunkohle-Tagebau Garzweiler teilnahmen, vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Mangels einer Sicherung des Geländes habe es sich bei dem Areal nicht um ein befriedetes Eigentum gehandelt, wie die taz (Malte Kreutzfeldt) schreibt.
Dieter Grimm: Die FAZ (Patrick Bahners) rezensiert anlässlich des achtzigsten Geburtstags von Dieter Grimm "Ich bin ein Freund der Verfassung", ein autobiographisches Interview mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter, das die Rechtsprofessoren Oliver Lepsius und Christian Waldhoff geführt haben. Der Rezensent verbindet die positive Besprechung mit einer kurzen Biographie des Richters.
Andreas Tilp: In der SZ (Max Hägler u.a.) wird der Anwalt Andreas Tilp porträtiert, der den VW-Großaktionär Deka Investment GmbH sowie weitere 2.500 Anleger in einer Musterklage gegen die Volkswagen AG wegen der Abgasmanipulationen vertritt. Der 54-Jährige hatte bereits an der Reform des Kapital-Musterverfahrensgesetzes beratend mitgewirkt. Über den Vorwurf, er sei ein "Krisengewinnler“ ärgere er sich.
Islamische Justiz in Europa: Die FAZ (Thomas Thiel) berichtet von einer Frankfurter Konferenz zu den Folgen islamischer Justiz in Europa. Die sogenannten Scharia-Richter entschieden nach Gutdünken und es sei eine Fehlvorstellung, dass Scharia und Grundgesetz "mehr oder weniger das Gleiche" seien. Insbesondere die Politikwissenschaftlerin Elham Manea wird hervorgehoben, die sich mit dem Rechtspluralismus wissenschaftlich auseinandersetzt und vor dessen Folgen, unter anderem für die Rechte der Frauen, warnt.
Recht in der Welt
Österreich – Facebook: Das Oberlandesgericht Wien hat entschieden, dass Facebook ein strafbares Hassposting weltweit löschen muss. Maßgeblich sei das Recht am Wohnort des Opfers, also österreichisches Recht. Das Gericht stützte sich in seiner Beurteilung des anwendbaren Rechts auf Art. 4 Abs. 1 der Rom II-Verordnung, wie lto.de (Pia Lorenz u.a.) berichtet. Geklagt hatte die österreichische Vorsitzende der Grünen, Eva Glawischnig, die in dem sozialen Netzwerk beleidigt worden war. Auch auf das sogenannte Provider-Privileg konnte sich Facebook nicht stützen und unterlag damit in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Vereinigtes Königreich – Investorenschutz: Der in England lehrende Dozent Ioannis Glinavos setzt sich anlässlich des Brexits auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit der Möglichkeit von schiedsgerichtlichen Klagen ausländischer Unternehmen auseinander, die sich auf bilaterale Investitionsabkommen zwischen Großbritannien und dritten Staaten stützen. Er benennt Präzedenzfälle, beurteilt die Erfolgsaussichten solcher Klagen gegen das Vereinigte Königreich und kommt zu dem Schluss, dass bereits die Aussicht auf eine Vielzahl schiedsgerichtlicher Verfahren ein politisches Druckmittel für Investoren gegen die britische Regierung darstelle.
Spanien – Brandstiftung durch Deutschen: Ein deutscher Aussteiger, der einen Waldbrand auf der Kanareninsel La Palma verursacht hat, ist wegen grob fahrlässiger Brandstiftung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Der 27-Jährige hatte nach Verrichten seiner Notdurft Klopapier angezündet und den Brand nicht mehr löschen können. Auf den nach eigenem Bekunden vermögenslosen Mann werden zudem zivilrechtliche Ansprüche zukommen, wie die SZ (Thomas Urban) berichtet.
Indonesien – "Gotteslästerung": Der kürzlich abgewählte christliche Gouverneur der indonesischen Hauptstadt Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, ist wegen Blasphemie zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Politiker während des Wahlkampfs den Koran beleidigt habe. Die SZ (Arne Perras) ordnet das Urteil als "Sieg für die Radikalen" ein; die FAZ (Till Fähnders) vermutet, die Entscheidung gebe einen Vorgeschmack auf die Zukunft Indonesiens.
USA – Studentenverbindung: Achtzehn amerikanische Studenten der Pennsylvania State University müssen sich wegen des Todes eines jungen Studenten vor Gericht verantworten – acht von ihnen wegen fahrlässiger Tötung. Das Opfer Timothy Piazza hatte an einem Aufnahmeritual teilgenommen und sich in volltrunkenem Zustand eine Kopfverletzung zugezogen. Anstatt Hilfe herbeizurufen, versuchten einige Mitglieder der Verbindung, Beweismittel für das Alkoholgelage zu beseitigen, wie die SZ (Jürgen Schmieder) schreibt.
Sonstiges
Todesstrafen-Referendum: Der Privatdozent Michael Lysander Fremuth erklärt auf lto.de, weshalb die Bundesregierung verpflichtet sei, ein türkisches Referendum über die Todesstrafe in Deutschland zu verbieten. Der Autor geht davon aus, dass die Bundesregierung sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich – insbesondere mit Blick auf Art. 102 Grundgesetz – daran gehindert sei, eine solche Abstimmung zuzulassen. Es stünden jedoch kaum Mittel zur Durchsetzung einer solchen Untersagung bereit.
Digitaler Nachlass: Der Rechtsanwalt Gerd Seeliger befasst sich in der FAZ mit der Vererblichkeit des digitalen Nachlasses. Er bezieht in seine Betrachtung die aktuelle Rechtsprechung des Landgerichts Berlin ein und kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dem Themenkomplex um eine Grauzone handele. Auch künftig bestünde erhebliche Rechtsunsicherheit, eine Klärung durch die Gesetzgebung sowie die Rechtsprechung sei wünschenswert.
Das Letzte zum Schluss
Geh nach Hause: Der Blog fachanwalt-fuer-it-recht (Ralf Möbius) untersucht die strafrechtliche Relevanz von Schmähgesängen Braunschweiger Fußballfans. Die Zuschauer hatten bei dem Zweitligaspiel gegen Union Berlin den Berliner Abwehrspieler Roberto Puncec nach seinem Platzverweis deutlich vernehmbar als "Hurensohn" bezeichnet. Leider sei nicht davon auszugehen, dass der Fall die Strafverfolgungsbehörden beschäftigen werde, denn Puncec werde kaum einen Strafantrag stellen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fs
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Mai 2017: Prozess um brandverletzten Mann / BGH zu Bausparverträgen / Indonesischer Blasphemie-Prozess . In: Legal Tribune Online, 10.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22871/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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