Die juristische Presseschau vom 4. August 2017: "Jugend rettet" unter Ver­dacht / Ver­zicht auf Anwalts­ge­bühren kann legal sein / Kon­f­likt um pol­ni­schen Urwald

04.08.2017

Justiz

EGMR zu Gefährder-Abschiebung: Die SZ (Wolfgang Janisch) analysiert die Anordnung vorläufiger Maßnahmen (Rule 39) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall eines Russen, der aus Deutschland als Gefährder gemäß § 58a Aufenthaltsgesetz abgeschoben werden soll. Der EGMR mache von diesem Instrument nur sehr selten Gebrauch, meist bei Angehörigen von besonders verletztlichen Gruppen. Ein Veto aus Straßburg habe also etwas zu bedeuten.

BGH zu Verzicht auf Anwaltsgebühren: Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten eine kostenlose Erstberatung anbietet, verstößt damit nicht gegen anwaltliches Gebührenrecht. Dies entschied laut lto.de der Bundesgerichtshof in einem Urteil von Ende Juli. Da das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz keine bestimmte Gebühr für die Erstberatung vorsehe, gebe es auch keine Mindestgebühr, die beachtet werden müsse. 

OVG Berlin zu Böhmermann-Presseauskunft: Das Kanzleramt muss einem Journalisten Auskunft geben, ob die Kanzlerin im Fall Böhmermann die Rechtsansicht des Auswärtigen Amtes kannte, bevor sie sich selbst äußerte. Dem presserechtlichen Auskunftsanpruch stünden weder der Schutz der exekutiven Eigenverantwortung noch von außenpolitischen Interessen gegenüber, entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg laut lto.de.

BGH zu Schmerzensgeld: Nachdem die Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs im September 2016 den Vorstoß des 2. BGH-Strafsenats zur Neuausrichtung des Schmerzensgelds abgelehnt hatten, wendet der 2. Strafsenat nun in vielen zwischenzeitlich liegen gebliebenen Adhäsionsverfahren die alte Rechtslage an. blog.burhoff.de (Detlef Burhoff) spricht von "Aufräumarbeiten" und zitiert ausführlich aus einem entsprechenden Beschluss vom Mai.

BFH zu Freimaurerloge: community.beck.de (Claus Koss) analysiert die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, dass Freimaurerlogen nicht gemeinnützig sein können, da sie keine Frauen zum "Tempeldienst" zulassen. Der Vergleich mit Männergesangsvereinen gehe fehl, da diese nach außen wirken. Den Freimaurern wird vorgeschlagen für ihre karitativen nach außen gerichteten Tätigkeiten ein Hilfswerk zu gründen, das dann auch gemeinnützig sein könne.

Stephan Radomsky (SZ) hält das BFH-Urteil für richtig, konsequent und angemessen. Er nimmt das Urteil zum Anlass für grundsätzliche Kritik am Gesetzgeber, der geistig noch in den 1960er-Jahren stecke und regelmäßig vom Bundesverfassungsgericht korrigiert werden müsse, etwa bei der Gleichstellung eingetragener Partnerschaften oder der Erbschaftsteuer für Firmenerben.

EuGH/BGH zu Zertifizierung: Das Grund- und Menschenrechte-Blog (Carolijn Terwindt/Marie Miermeister) untersucht, wie die Rechtsprechung von EuGH und BGH zur Haftung des TüV Rheinland im Brustimplantatefall auf andere Konstellationen übertragbar ist, etwa die Haftung europäischer Zertifizierung für einen Fabrikbrand in Pakistan. Auch dort könne ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter angenommen werden.

OLG München – NSU: Gisela Friedrichsen (Welt) bilanziert die Rolle der Nebenkläger-Anwälte im NSU-Prozess. Manche hätten sinnvolle Erkenntnisse beigesteuert, andere den Prozess nur als Bühne zur Diffamierung des Rechtsstaats missbraucht. Der Prozess habe aber keine Hinweise auf weitere Personen erbracht, die neben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe an der Planung der NSU-Morde beteiligt waren. Dabei werde von der Justiz auch niemand gedeckt.

Die FAZ (Karin Truscheit) greift aus den Plädoyers der letzten Tage die Ausführungen der Bundesanwaltschaft zur Helfer-Rolle Ralf Wohllebens heraus. Sie schildert auch, dass Zschäpe nicht alleinige Kassenwartin des NSU gewesen sein könne. Zschäpes neue Anwälte hätten sich bei den BAW-Plädoyers nur wenige Notizen gemacht.

GenStA Frankfurt/M. – Cum-Ex: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main wird bald die erste Anklage im Zusammenhang mit steuerhinterziehenden Cum-Ex-Manövern erheben, so eine Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn) und ein Bericht der FAZ (Corinna Budras). Angeklagt werden soll der Rechtsanwalt Hanno Berger, Erfinder der dubiosen Börsengeschäfte rund um den Dividendenstichtag. Berger habe sich allerdings schon vor Jahren in die Schweiz abgesetzt.

LG Duisburg – Loveparade: Der Strafprozess um die Love-Parade-Katastrophe von 2010 beginnt am 8. Dezember. Das teilte laut spiegel.de das Landgericht Duisburg mit. 111 Verhandlungstage bis zum 20. Dezember 2018 stehen bereits fest.

BVerfG – Verfassungsschutz und Vorratsdaten: In Kooperation mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte haben drei Kläger eine Verfassungsbeschwerde gegen das bayerische Landesverfassungsschutzgesetz eingelegt. Zentraler Punkt der Klage ist laut taz (Christian Rath) die Befugnis des bayerischen Verfassungsschutzes, die Daten der Vorratsdatenspeicherung zu nutzen. Diese Befugnis sei wegen eines Widerspruchs zum Bundesrecht "nichtig", weil das Telekommunikationsgesetz dem Verfassungsschutz keinen Zugang zu den Daten gewähre.

BVerfG – U-Haft gegen G-20-Gegner: Die Anwältin Gabriele Heinecke hat für einen 18-Jährigen, der seit dem 7. Juli in Hamburg wegen Teilnahme an gewalttätigen Protesten in Untersuchungshaft sitzt, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Zuvor hatte das Oberlandesgericht Hamburg eine Entlassung aus der U-Haft abgelehnt. Den Fall schildert die taz (Katharina Schipkowski), die auch einen Überblick über die bisherige Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel in Hamburg gibt.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. August 2017: "Jugend rettet" unter Verdacht / Verzicht auf Anwaltsgebühren kann legal sein / Konflikt um polnischen Urwald . In: Legal Tribune Online, 04.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23795/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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