Der BGH erschwert die Eigenbedarfskündigung. Außerdem in der Presseschau: Entwurf zum NetzDG geändert, Gesetz zur "Gender Pay Gap" vor Beschluss, Urteil im S&K-Prozess ergangen und zweifelhafte Ermittlungen gegen Recep Tayyip Erdoğan.
Thema des Tages
BGH zu Eigenbedarfskündigung: In gleich zwei Urteilen hat der Bundesgerichtshof die Rechte von Mietern bei Eigenbedarfskündigungen gestärkt. Der erste Fall betraf eine Kündigung wegen beruflich motivierten Eigenbedarfs. Die Vermieterin wollte die zu Wohnzwecken vermietete Wohnung wegen ausschließlich beruflichem Nutzungsinteresse kündigen. Der BGH hat hier ein Grundsatzurteil getroffen und die Voraussetzungen für die beruflich bedingte Eigenbedarfskündigung geklärt. Während früher ein berechtigtes Interesse ausreichend war, muss der Vermieter nun einen Nachteil von einigem Gewicht nachweisen, etwa die Entstehung erheblicher wirtschaftlicher Einbußen. Im zweiten Urteil hat der BGH eine "besondere Darlegungslast" für den Fall statuiert, dass die wegen Eigenbedarfs gekündigte Wohnung nachträglich anderweitig vermietet wird. Hier hatte der Vermieter die Kündigung der Wohnung mit dem angeblichen Einzug eines Hausmeisters begründet und die Wohnung im Nachhinein an eine andere Familie vermietet. Die vorgetragene Begründung reichte dem BGH nicht, sodass er den Fall an die Vorinstanz verwies. Die FAZ (Corinna Budras/Michael Psotta) und taz (Christian Rath) besprechen den ersten Fall, während die SZ (Wolfgang Janisch) und swr.de (Klaus Hempel/Max Bauer) beide Urteile aufgreifen.
Wolfgang Janisch (SZ) erinnert an den sozialen Kern des Mietrechts und zeigt rechtshistorisch auf, dass der Miete ein dinglicher Charakter zugesprochen worden sei. In Zeiten knappen Wohnraums sei die Rückbesinnung auf das soziale Mietrecht dringlicher denn je. Corinna Budras (FAZ) mahnt dagegen, dass eine Kündigung zu beruflichen Nutzungszwecken möglich bleiben müsse.
Rechtspolitik
NetzDG: Die taz (Christian Rath) stellt die Modifikationen des geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes dar. Zum einen soll nun auf den Upload-Filter verzichtet werden, sodass soziale Netzwerke nicht mehr verpflichtet würden, das Wiedereinstellen rechtswidriger Inhalte zu verhindern. Des Weiteren werden mehr Delikte von der Löschpflicht erfasst. Schließlich sollen Nutzer künftig einen Auskunftsanspruch gegenüber der Plattform haben. Der Mediendienst muss allerdings lediglich den Namen, also auch ein mögliches Pseudonym, nicht jedoch die IP-Adresse herausgeben. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Frederik Ferreau befasst sich auf juwiss.de mit der Gesetzgebungskompetenz zur Regulierung der vom NetzDG erfassten Materie. Er hält den Entwurf für formell verfassungswidrig, weil er auch die Gefahrenabwehr für den Meinungsbildungsprozess betrifft, die Ländersache ist.
Entgelttransparenzgesetz: Das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen soll an diesem Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden und damit zur Schließung der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern beitragen. Danach können Beschäftigte in Betrieben ab 200 Mitarbeitern Auskunft über die Vergütung gleichwertiger Positionen verlangen. Die taz (Simone Schmollack) und die SZ (Constanze von Bullion) fassen die geplanten Regelungen und die Reaktionen auf den Entwurf zusammen.
Jana Anzlinger (taz) kritisiert das Gesetz als wenig wirkungsvoll, weil es keinerlei staatliche Sanktionen für ungleiche Bezahlung vorsehe.
BKA-Gesetz: Rechtsprofessor Dieter Kugelmann diskutiert anlässlich der BKA-Gesetznovelle auf verfassungsblog.de die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Sicherheitsarchitektur. Änderungen der Zuständigkeiten und Organisationen auf dem Gebiet der Sicherheit berührten die grundgesetzliche Kompetenzordnung und das informationelle Trennungsgebot. Der Föderalismus solle in seiner freiheitssichernden Funktion der Zentralisierung entgegenwirken.
Alterspräsident: Die taz (Pascal Beucker/ Anna Lehmann) gibt die Reaktionen auf den Vorstoß der Koalitionsfraktionen wieder, die Bestimmung des Alterspräsidenten statt nach Lebens- künftig nach Dienstjahren vorzunehmen. Trotz einer möglichen Eröffnung des künftigen Bundestags durch einen AfD-Politiker wollen die Grünen die bisherige Regelung nicht zum Ende der Legislaturperiode aufgeben. Die Linke habe sich noch nicht festgelegt.
Pascal Beucker (taz) kommentiert, dass beide Varianten aufgrund der begrenzten Bedeutung des Alterspräsidenten möglich seien, die Wahl jedoch aus demokratischen Erwägungen getroffen werden sollte.
Demokratie: Rechtsprofessor Hans Hugo Klein stellt in der FAZ einen Forderungskatalog vor, mit dem er den Bestand der Demokratie sichern möchte. Dazu gehört die Beschränkung der Unionskompetenzen, die Reform des Wahlrechts hin zu einem Grabenwahlrecht, die Begrenzung der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Disziplinierung sozialer Medien.
Bundestagsmandate: Torsten Krauel (Welt) geht auf das Problem der wachsenden Zahl von Bundestagssitzen ein, die aufgrund der Überhang- und Ausgleichsmandate auf bis zu 700 steigen kann und auf eine unzureichende Umsetzung einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zurückgeht. Derzeit fehle jedoch der politische Wille zu einer wirksamen Begrenzung.
Justiz
BGH – Neue Senate: Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) kritisiert, dass am Bundesgerichtshof trotz steigender Richterzahlen keine neuen Senate geschaffen werden. Dahinter vermutet er die Umgehung der "Rutschklausel", berichtet die FAZ (Helene Bubrowski/Stefan Locke). Diese besagt, dass neue Strafsenate ausschließlich in Leipzig gebildet werden und für jeden neuen Zivilsenat in Karlsruhe ein bestehender Strafsenat nach Leipzig "rutschen" soll. Weder der Bundesjustizminister noch die Vorsitzenden Richter am BGH hielten die Schaffung neuer Senate für notwendig.
LG Frankfurt am Main zu S&K: Wie erwartet sind die beiden Gründer der Immobiliengruppe S&K, Stephan Schäfer und Jonas Köller, wegen besonders schwerer Untreue zu Haftstrafen von achteinhalb Jahren verurteilt worden. Damit ging einer der umfangreichsten Wirtschaftsprozesse der jüngeren Geschichte zu Ende, der 100 Verhandlungstage umfasste und wegen eines Deals zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung beendet werden konnte. Unter anderem die FAZ (Marcus Jung), die SZ (Markus Zydra) und Hbl (Katharina Schneider u.a.) beschäftigen sich noch einmal mit den Vorwürfen und geben die Urteilsbegründung wieder, in der den Angeklagten die Geständnisse und die lange Dauer der Untersuchungshaft zugute gehalten wurden.
Marcus Jung (FAZ) kommentiert, dass die "Freiheit auf Raten" juristisch richtig sei, auch wenn sie als falsch empfunden werde.
BAG zu Kündigung auf Verlagen des BR: Rechtsanwalt Alexander Maximilian Kossakowski bespricht auf dem Handelsblatt-Rechtsboard das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das die Kündigung einer Arbeitnehmerin bestätigt hatte, die der Betriebsrat wegen betriebsstörenden Verhaltens verlangt und im kollektivrechtlichen Prozess rechtskräftig erstritten hatte. Die Entscheidung im Beschlussverfahren soll präjudizielle Wirkung im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess entfalten, wenn der Arbeitnehmer zuvor angehört worden ist, was vorliegend geschehen war.
BFH zu außergewöhnlichen Belastungen: Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet, hat der Bundesfinanzhof die Absetzbarkeit von Kosten als außergewöhnliche Belastungen erleichtert. Die Grenze zur unzumutbaren Belastung bemisst sich nach einem bestimmten Prozentsatz des Einkommens, der mit höheren Einkünften steigt. Der BFH habe nun entschieden, dass der höhere Prozentsatz nur auf den Anteil angewendet wird, der die jeweilige Einkommensgrenze übersteigt.
GBA – türkische Spionage: Wie die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) und spiegel.de (Jörg Diehl u.a.) berichten, werden auch deutsche Politiker, unter anderem Michelle Müntefering (SPD), auf der Spionage-Liste des türkischen Geheimdienstes MIT geführt und in die Nähe der Gülen-Bewegung gerückt.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert, dass der Generalbundesanwalt wegen Spionage lediglich "gegen unbekannt" ermittele, denn die Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes seien sehr wohl bekannt.
StA Darmstadt – Erdoğan: Unter anderem die Staatsanwaltschaft Darmstadt prüft, ob wegen der Nazi-Vergleiche Erdoğans ein Anfangsverdacht wegen Beleidigung oder Volksverhetzung vorliegt. Wie die BZ (Christian Bommarius) erklärt, kann Erdoğan in Deutschland nicht verfolgt werden, da er aufgrund des Völkergewohnheitsrechts absolute Immunität in Deutschland genieße.
OLG München – NSU: Wie unter anderem die FAZ (Karin Truscheit) berichtet, hat das Oberlandesgericht München die Befangenheitsanträge von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben abgelehnt. Wegen der Anträge ist das Verfahren für fast drei Wochen unterbrochen worden. Auslöser war die Fristsetzung des Vorsitzenden Manfred Götzl für die letzten Beweisanträge. zeit.de (Tom Sundermann) greift noch einmal den Konflikt zwischen Zschäpe und ihren Altverteidigern auf.
Gerhard Strate: Das Hbl (Thomas Tuma/Volker Votsmeier) führt ein Gespräch mit Strafverteidiger Gerhard Strate, der unter anderem Gustl Mollath verteidigte und Ferdinand Piëch in der VW-Affäre beriet. Thematisiert werden die Dieselaffäre, das Verhältnis des Strafverteidigers zu den Mandanten sowie die Verteidigung in Wirtschaftsprozessen.
StA Stuttgart – Cyberkriminalität: Bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wird eine eigene Abteilung für Cyberkriminalität eingerichtet. Wie lto.de (Marcel Schneider) berichtet, sollen Fälle mit hohen Geldbeträgen sowie aus dem Feld der Organisierten Kriminalität den Schwerpunkt bilden. Dadurch werde die Verfolgung solcher Straftaten höher gewichtet.
Recht in der Welt
EU – Europäische Integration: Anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten und des anstehenden Brexit befasst sich Rechtsprofessor Frank Schorkopf in einem Gastbeitrag für die FAZ mit dem europäischen Integrationsprozess. Der Brexit stelle eine Zäsur im bisherigen Integrationsprozess dar, mache ein "weiter so" unmöglich und zwinge die Europäische Union, ein neues kollektives Subjekt auszuhandeln. Auch die Zuschreibung einer Führungsrolle für Deutschland werde das Gefüge der EU verändern.
Frankreich – Loi Rana Plaza: Frankreich hat in der Loi Rana Plaza menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen festgelegt. Rechtsanwalt David Krebs stellt auf verfassungsblog.de die Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts vor, die hierzu ergangen ist.
Indien – Islamrechtliche Scheidung: Die Zeit (Jan Ross) porträtiert die Inderin Shayara Bano, die vor dem Obersten Gerichtshof in Neu-Delhi gegen das muslimische Scheidungsverfahren wegen Verfassungswidrigkeit klagt. Nach dem sogenannten dreifachen Talak können Männer islamrechtlichen Personenstands eine gültige Scheidung herbeiführen, indem sie dreimal das Wort Talak (Scheidung) wiederholen. Islamische Verbände treten für den Erhalt des Verfahrens ein, die Reform des Familienrechts gestalte sich im Land insgesamt schwierig.
Türkei – Deniz Yücel: Wie die Welt berichtet, haben Anwälte des Journalisten Deniz Yücel beim türkischen Verfassungsgericht seine Freilassung aus der Untersuchungshaft beantragt. Die Aussichten seien allerdings ungewiss, da das Verfassungsgericht seit dem Putschversuch über keinen einzigen Antrag auf Aufhebung der Untersuchungshaft entschieden hat.
Sonstiges
Infrastrukturprojekte: Bundesverwaltungsrichter Jürgen Vormeier und Unternehmensberater Uwe Hitschfeld schlagen in der FAZ vor, die Akzeptanz für enteignende Infrastrukturmaßnahmen durch eine positive Belegung des Vorgangs zu steigern. Statt des Begriffs der Entschädigung für einen Verlust solle die Belohnung für einen Dienst an der Allgemeinheit in den Vordergrund rücken.
Stalking: Die Zeit (Kerstin Bund) schildert den Fall eines männlichen Stalking-Opfers, dem weder eine Kontaktsperre noch die Verurteilung der Täterin wegen Nachstellung geholfen habe, da sie sich hiervon nicht abschrecken ließ.
Wahlkampf ausländischer Politiker/Doppelte Staatsangehörigkeit: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) diskutiert mit dem Politikwissenschaftler Rainer Bauböck die Frage nach der Zulässigkeit von Wahlwerbung ausländischer Politiker sowie den Einfluss der doppelten Staatsbürgerschaft.
Das Letzte zum Schluss
Bibliophile Schadensregulierung: Den Fall einer ungewöhnlichen Reue schildert die SZ. Ein Mann aus dem US-amerikanischen Great Falls hat der Stadtbibliothek nach ganzen 25 Jahren ein gestohlenes Buch zurückgebracht. Die Ausgabe des von ihm geliebten Romans ließ er restaurieren und vom Autor signieren, weil der Diebstahl ihn nicht losließ.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. März 2017: BGH erschwert Eigenbedarfskündigung / Keine neuen Senate beim BGH / Urteil im S&K-Prozess . In: Legal Tribune Online, 30.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22464/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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