Muss Facebook aktiv nach Hass-Postings im Zusammenhang mit dem Merkel-Selfie suchen? Außerdem in der Presseschau: Flüchtlinge haben keinen Anspruch auf Visa zur Einreise in die EU und Fischer äußert sich zur Besoldung von Wendt.
Thema des Tages
LG Würzburg zu Merkel-Selfie: Das Landgericht Würzburg hat den Antrag des Syrers Anas Modamani, dessen Selfie mit Angela Merkel für Hasspropaganda im Netz missbraucht wird, auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen der Komplexität des Problems abgelehnt. Mit dem Antrag wollte Modamani erreichen, dass Facebook aktiv nach den verleumderischen Postings suchen muss, statt sie nur auf Mitteilung hin zu löschen. Entscheidend dabei sei, ob dies technisch ohne zu großen Aufwand realisierbar und damit zuzumuten ist. Das müsse von Sachverständigen geklärt werden, was im Eilverfahren nicht möglich sei, erläutert die taz (Christian Rath). Es berichten auch netzpolitik.org (Constanze Kurz), die SZ (Claudia Henzler) und die FAZ (Marcus Jung).
Nach Einschätzung von Jost Müller-Neuhof (Tsp) kann sich Facebook jedoch nicht auf der Entscheidung ausruhen, weil das Würzburger Gericht darauf hingewiesen habe, dass von Betroffenen schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht verlangt werden könne, jede Netz-Fundstelle nachzuweisen. Jannis Brühl (SZ) merkt an, dass es längst Software gibt, die verbotene Inhalte filtern könne. Da deren Einsatz Facebooks Weltklasse-Programmierern möglich sein müsste, kommt er zu dem Ergebnis, dass die Richter in Würzburg auf Facebook hereingefallen seien.
Neue Gesetze: Das Hbl (Dana Heide/Dietmar Neuerer) nimmt die Entscheidung zum Anlass, einen Überblick über den Stand der Gesetzgebungsbemühungen zum Umgang mit rechtswidrigen Inhalten in sozialen Netzwerken zu geben.
Rechtspolitik
Schiedsgerichtsordnung: Seit März gilt die neue Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer, durch die sich die Anforderungen an die Gestaltung von Schiedsvereinbarungen erhöht haben. Was sich im Einzelnen geändert hat, erklärt der Rechtsanwalt Philipp Schütt in der FAZ.
Bundeswehr im Inneren: In der Simulation eines Anti-Terror-Einsatzes, die sechs Bundesländer noch bis zum morgigen Donnerstag gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsministerium durchspielen, ist die Bundeswehr erstmals für einen derartigen Einsatz im Inneren eingeplant. Solche gemeinsamen Übungen seien ein Kompromiss, geboren aus der im vergangenen Jahr am Widerstand der Sozialdemokraten gescheiterten Grundgesetzänderung, schreibt die SZ (Christoph Hickmann/Ronen Steinke). In einem gesonderten Kommentar erklärt Ronen Steinke (SZ), dass die Bundeswehr bei der Terrorbekämpfung im Inland nichts verloren habe, weil dies zu einer Erhöhung der Dschihadisten zu völkerrechtlich gleichrangigen Subjekten beitrage und die Polizei zudem besser für Terrorlagen gerüstet sei.
Videoüberwachung: Ein ausführlicher Beitrag auf netzpolitik.org (Tomas Rudl) setzt sich mit den rechtlichen und faktischen Problemen einer flächendeckenden Videoüberwachung auseinander, über deren Einführung das Bundestagsplenum am kommenden Donnerstag abstimmen soll.
Nebeneinkünfte von Bundesrichtern: Viele Bundesrichter bessern ihr Gehalt ganz beträchtlich durch Nebeneinkünfte auf. Da dies Zweifel an ihrem Arbeitsschwerpunkt und der richterlichen Unabhängigkeit zulässt, hat sich der Präsident des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff, dafür ausgesprochen, dass der Gesetzgeber die gesamte Vortragstätigkeit von Bundesrichtern der Genehmigungspflicht unterstellt. Bisher müssen solche Tätigkeiten dem Gerichtspräsidenten lediglich angezeigt werden, schildert die FAZ (Helene Bubrowski) die Lage.
Justiz
EuGH zu humanitären Visa: Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom gestrigen Dienstag sind die EU-Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, von Krieg und Verfolgung Betroffenen humanitäre Visa für die Einreise in die EU auszustellen, weil EU-Recht auf derartige Fallkonstellationen nicht anwendbar sei. Es berichten die taz (Christian Rath), die SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de (Tanja Podolski). Nach Meinung von Jost Müller-Neuhof (Tsp) zeigt die Entscheidung, dass Grund- und Menschenrechte nicht alleine Antwort auf politische Grundprobleme geben könnten. Katharina Schuler (zeit.de) findet die Entscheidung aus praktischen Gründen begrüßenswert, spricht sich jedoch dafür aus, Alternativen, beispielsweise Flüchtlingskontingente, voranzubringen.
EuGH – Beweislastverteilung: Die Rechtsanwälte Tobias Lenz und Mike Weitzel nehmen auf lto.de Stellung zu den Schlussanträgen in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, das die Auslegung der Produkthaftungsrichtlinie in Bezug auf die Beweislastverteilung bei fehlerhaften Medizinprodukten betrifft.
EuG zu Paketzusteller-Übernahme: Das Europäische Gericht hat die Untersagung der Übernahme des Paketzustellers TNT Express N.V. durch den US-amerikanischen Logistikkonzern United Parcel Service Inc. (UPS) für nichtig erklärt. Auf lto.de begrüßt der Rechtsanwalt Christian Karbaum diese Entscheidung, durch die der Rang des rechtlichen Gehörs und der Verteidigungsrechte von Zusammenschlussparteien in Fusionskontrollverfahren gestärkt werde.
BGH zu Automatisierungssoftware: In der FAZ beschäftigt sich der Rechtsanwalt Andreas Lober mit den Folgen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Oktober 2016, nach der die Herstellung von nicht autorisierter Automatisierungssoftware (sogenannte "Cheatbots") die Urheberrechte eines Spieleentwicklers verletzt. Auch ein Vorgehen gegen Meinungsroboter ("Social Bots") lasse sich auf diese Rechtsprechung stützen.
OLG München – NSU-Prozess: Wie die SZ (Wiebke Ramm) berichtet, ist im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München mit einem baldigen Ende der Beweisaufnahme zu rechnen. Einen Urteilstermin gebe es aber noch nicht.
OLG Dresden – Gruppe Freital: Über den Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht Dresden gegen acht Mitglieder der sogenannten Gruppe Freital, denen die Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung, versuchter Mord und weitere Delikte vorgeworfen werden, berichten die SZ (Annette Ramelsberger), die FAZ (Stefan Locke) und die taz (Konrad Litschko). Konrad Litschko (taz) stellt den Prozess in den Zusammenhang mit weiteren Verfahren gegen mutmaßliche rechtsterroristische Vereinigungen.
LG Köln – Förderschüler: Vor dem Landgericht Köln klagt ein ehemaliger Förderschüler gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Schmerzensgeld sowie Schadensersatz in Höhe von knapp 40.000 Euro, weil er unfreiwillig eine Förderschule besuchen musste. Deutschland habe sich 2009 mit der Unterzeichnung der UN-Konvention für Behindertenrechte dazu verpflichtet, jedem Kind den Besuch einer allgemeinen Schule zu ermöglichen, berichtet die SZ (Paul Munzinger/Jan Bielicki).
StA Wuppertal – Betverbot: Die Schulleitung des Johannes-Rau-Ganztagsgymnasiums gab der Lehrerschaft auf, bei auffälligem Beten muslimischer Schüler einzugreifen. Bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf sei darum eine Anzeige gegen das Gymnasium eingegangen, schreibt zeit.de (Lukas Koschnitzke).
Recht in der Welt
USA – Einreisestopps: Die nach dem Vorbild von US-Präsident Donald Trump nun auch von AfD-Politikern geforderten Verbote für Muslime, nach Deutschland einzureisen, untersucht die Privatdozentin Anna Katharina Mangold auf verfassungsblog.de aus Perspektive des Grundgesetzes.
USA – Spionage: Nach Enthüllungen von Wikileaks koordiniert der US-Geheimdienst CIA vom amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main aus die Cyberspionage für Europa. Die Enthüllungen sind Gegenstand von Berichten auf netzpolitik.org (Lennart Mühlenmeier) und spiegel.de (Michael Sontheimer).
Sonstiges
Rainer Wendt: Nun äußerst sich auch Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Kolumne auf zeit.de zu der Affäre um die Besoldung des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Wie die SZ (Detlef Esslinger) berichtet, werden Polizeigewerkschaftler auch in Hessen und Rheinland-Pfalz vom Land bezahlt. Das rheinland-pfälzische Innenministerium äußerte sich zum Fehlen einer entsprechenden Rechtsgrundlage.
Kündigung für außerdienstliches Verhalten: Anlässlich der Verwicklung des Lizenzspielers Kevin Großkreutz in eine Schlägerei außerhalb seiner Dienstzeit, die letztlich zur Folge hatte, dass sich der VfB Stuttgart von ihm trennte, befasst sich der Rechtsanwalt Rouven Schwab auf lto.de mit der Frage, wann solches Verhalten eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt.
Rehabilitierung Homosexueller: Ein ausführlicher Beitrag der FAZ (Alexander Haneke) widmet sich der Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland nach § 175 Strafgesetzbuch in der bis 1969 geltenden Fassung, der die "Unzucht" unter Männern unter Strafe stellte, und thematisiert den schleppenden Prozess der Rehabilitierung von Verurteilten.
Das Letzte zum Schluss
Facebook vs. BBC: Über Widersprüche in Facebooks Löschpraxis weiß zeit.de (Patrick Beuth) zu berichten. So kam es dazu, dass Journalisten der BBC, die dazu recherchierten, ob Facebook kinderpornografisches Material löscht, für die Übersendung des einschlägigen Materials vom Netzwerk mit einer Anzeige belegt wurden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. März 2017: Facebook und Merkel-Selfie / EU und Flüchtlingsvisa / Fischer und Wendt . In: Legal Tribune Online, 08.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22262/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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