Am morgigen Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das Gesetz zum Betreuungsgeld, von seinen Gegnern auch "Herdprämie" genannt. Wie steht es um die Erfolgsaussichten der Klage? Außerdem in der Presseschau: Ein Gesetz soll die Weltraumtheorie des BND sichern, der überraschende Insolvenzantrag von Thomas Middelhoff, wie es rechtlich um Baby-Blogs steht und warum Argentinien Justin Bieber will.
Thema des Tages
BVerfG – Betreuungsgeld: Am morgigen Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das Betreuungsgeld. Dabei wird es "um die heikle Frage gehen, ob das Betreuungsbild überkommene Rollenbilder zementiert und Frauen an den Herd binden will", wie die Montags-taz (Christian Rath) schreibt. Das SPD-regierte Hamburg hatte 2013 Normenkontrollklage beim BVerfG erhoben. Hamburg rügt die Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes; außerdem dürfe der Bund ein Gesetz zum Betreuungsgeld gar nicht schaffen.
Christian Rath (Montags-taz) glaubt nicht an den Erfolg der Klage. Das Betreuungsgeld sei zwar die "unnötigste Sozialleistung", die es in Deutschland gibt. Aber das Parlament habe das Recht, "dumme Gesetze" zu beschließen. Heribert Prantl schreibt in der Samstags-SZ: Karlsruhe habe der Emanzipation verfassungsrechtlich den Weg geebnet, etwa mit der Verwerfung des Letztentscheidungsrechts des Ehemannes – nun stehe eine weitere historische Leitentscheidung zur Gleichberechtigung an, und das Gericht werde kaum etwas Gutes am Gesetz finden. Auch Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tagesspiegel) sieht bessere Chancen für die Klage: Tatsächlich bestünden an der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes erhebliche Zweifel.
Die Verteidigung für das Gesetz liege pikanterweise nun in der Hand des SPD-geführten Familienministeriums. Das Ministerium schickt einen Staatssekretär, der damals die Klage gegen das Gesetz vorbereitet hatte. Hierauf weist u.a. ein umfassendes Stück in der FAS (Corinna Budras – Kurzmeldung auf faz.net) hin.
Rechtspolitik
"Weltraumgesetz" für BND: Nach anhaltender Kritik, auch im NSA-Untersuchungsausschuss, plant die Bundesregierung die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die Überwachung von Telefonaten und E-Mails im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst. Das meldet der Spiegel. Der BND selbst hatte seine Aktivitäten auf Grundlage der sogenannten Weltraumtheorie für rechtmäßig erklärt: Die Daten, die über Satelliten gingen, würden quasi im rechtsfreien (Welt)Raum abgeschöpft.
Berufsverbot bei Depression: Der Focus (Ulrike Demmer u.a. – Zusammenfassung auf focus.de) berichtet über die politische Diskussion, für bestimmte Berufsgruppen wie die der Piloten, Busfahrer oder Polizisten ein Berufsverbot bei Depressionen zu schaffen. Geschützt sei die Berufsausübung von Art. 12 des Grundgesetzes, der aber Beschränkungen zulasse. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) etwa halte ein Verbot für denkbar.
Einbruchskriminalität bekämpfen: CDU-Bundestagsabgeordneter Volker Kauder will sich laut Welt am Sonntag (Jochen Gaugele) um eine "bessere Bekämpfung der Einbruchskriminalität" bemühen und regt dafür eine Verschärfung des Strafrechts an sowie etwa steuerliche Anreize, die eigene Wohnung einbruchssicher zu renovieren.
Prostituiertenschutzgesetz: Der Spiegel erläutert knapp zahlreiche vom Bundesfamilienministerium (SPD) geplante weitere Verschärfungen im Entwurf zum sogenannten Prostituiertenschutzgesetz. Unter anderem sollen Bordellbetreiber mindestens 21 Jahre alt sein und "zuverlässig", um eine Erlaubnis zu erhalten. An der Zuverlässigkeit fehlte es etwa, wenn sie in den letzten zehn Jahren Mitglied eines Rockerklubs gewesen seien. Weiter solle ein jederzeitiges behördliches Betretensrecht auch für Wohnungsbordelle gelten.
Suizidhilfe: Till Schwarze und Frida Thurm (zeit.de) befassen sich mit dem Thema Suizidhilfe, dem diesbezüglich geltenden Strafrecht und den im Sommer im Bundestag zur Diskussion stehenden Gesetzentwürfen zur Regelung von Suizidhilfe. Dabei sehen sie das Selbstbestimmungsrecht als zentralen Punkt: "Die Abgeordneten verhandeln über eine der wichtigsten Grundlagen für unser Selbstverständnis als Menschen."
Sigmar Gabriel zum Freihandel: Mit dem Focus (Andreas Niesmann/Ulrich Reitz – Zusammenfassung auf focus.de) spricht Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) über das Freihandelsabkommen TTIP, warum er es befürwortet und dass er sich eine öffentliche Schiedsgerichtsbarkeit vorstellt mit ordentlichen Berufsrichtern und zweiter Instanz, Datenökonomie und Freiheitsrechten.
Racial Profiling: Die Menschenrechtlerin Petra Follmar-Otto spricht im Montags-taz-Interview (Imre Balzer) über Racial Profiling, also die gezielte Polizeikontrollen wegen äußerer Merkmale wie der Hautfarbe. Übergeordnetes Recht verbiete zwar Racial Profiling. Aber das Bundespolizeigesetz sehe anlasslose Kontrollen vor – und fördere damit eine diskriminierende Kontrollpraxis. Die primäre Verantwortung für ein "Rassismusproblem der Polizei" sieht Follmar-Otto beim Gesetzgeber.
Datenschutzrecht: Die Bedeutung des Datenschutzrechts ruft Gerhart Baum (FDP), Bundesinnenminister zwischen 1978 und 1982, in der Montags-FAZ in Erinnerung. Angesichts technischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen appelliert Baum unter anderem an die Politk, die geplante EU-Datenschutzgrundverordnung als "Magna Charta des Datenschutzrechts" nicht zu verwässern. Wachsendes Datensammeln und -auswerten, Internet der Dinge, Smart Cars – Baum unterstreicht mit vielen Beispielen die Relevanz des Themas.
Justiz
Middelhof – Justizvollzug: Anlässlich der aktuellen Diskussion um die engmaschige nächtliche Überwachung des in einer Essener Justizvollzugsanstalt untergebrachten Untersuchungshäftlings Thomas Middelhoff trägt der Spiegel (Matthias Bartsch u.a. – Zusammenfassung auf spiegel.de) die Fakten des Falles zusammen und erläutert unterschiedliche Modelle der nächtlichen Suizidprävention in den Bundesländern. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter wolle nun die fachliche Ebene in der Diskussion stärken und habe bereits eine Umfrage in den Ländern gestartet, welche Überwachungsmaßnahmen getroffen würden.
Middelhof – Insolvenzverwaltung: Die FAS (Joachim Jahn) analysiert detailliert die Situation und die Chancen Middelhofs im Insolvenzverfahren, das er aus der Haft heraus gegen sich selbst – noch gerade rechtzeitig – beantragt habe. Er sehe sich Forderungen von insgesamt mehr als 410 Millionen Euro gegenüber, hinzu kämen Millionen-Kosten für sein "hochkarätiges Anwaltsquartett". Sein letzter Strohhalm sei die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung, die unter strengen Voraussetzungen nach einer Wohlverhaltensperiode im Insolvenzverfahren nach fünf oder drei Jahren gewährt werden könne.
Die Insolvenzrechtlerin Petra Heidenfelder schreibt im Handelsblatt: "Der Insolvenzantrag jetzt ist zwar überraschend, aber schlau: Solange der Manager nicht rechtskräftig verurteilt ist, hat er gute Chancen, dass sein Antrag zugelassen wird."
BVerfG – Organklage wegen des Oktoberfestattentates: Mit dem von der Bundestagsfraktion der Grünen initiierten Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung wegen der Herausgabe von Informationen über V-Leute im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat befasst sich ausführlich Albert Schäffer (Samstags-FAZ).
Durchsuchungen nach German Wings-Unglück: Thomas Darnstädt (Spiegel) erläutert, warum die Durchsuchungen von Arztpraxen im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft zum Absturz der German Wings-Maschine rechtlich fragwürdig seien und dass die Wahrheitssuche im Strafprozess kein Selbstzweck und Staatsanwälte nicht die investigative Abteil der Welt-Presse seien. Hier gebe schon kein förmliches Ermittlungsverfahren, da gegen niemanden einen Anfangsverdacht vorliege – laut Düsseldorfer Staatsanwaltschaft auch nicht gegen Verantwortliche bei Lufthansa oder German Wings. Die Staatsanwaltschaft sei vielmehr im Rahmen eines sogenannten Todesermittlungsverfahrens tätig, und dabei stünden indes nicht grundrechtsintensive Maßnahmen wie etwa Durchsuchungen zu ihrer Verfügung. Weiter zeichnet Darnstädt nach, wie die Ermittler in den Arztpraxen mit den Beschlüssen Druck ausgeübt hätten, alle Patientenunterlagen des Kopiloten herauszugeben.
VG Stuttgart – Schwarzer Donnerstag: Voraussichtlich ab Oktober wird das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage von sieben Personen gegen das Land Baden-Württemberg wegen des eskalierten Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten am 30. September 2010 verhandeln. Dazu lto.de.
LG Frankfurt a.M. – Korruption bei Fraport-Ausbau: Ein Lehrstück darüber, wie Korruption funktioniert, trage sich derzeit vor dem Landgericht Frankfurt am Main zu, so Corinna Budras (FAS) in einer ganzseitigen Reportage. Dabei gehe es um Schmiergeldzahlungen in Höhe von sechs Millionen Euro, die anlässlich des Ausbaus der "Cargo City Süd" des Flughafens Frankfurt Main gezahlt worden seien. Aufgeflogen sei der Fall, nachdem einer der heute fünf Angeklagten einen Mitangeklagten auf Zahlung von zwei Millionen Euro Schmiergeld – "Beraterprovision" – verklagt hatte; das Zivilverfahren sei aber mit einem außergerichtliche Vergleich über 800.000 Euro beendet worden.
AG Köln zu Klagemauer-Demonstrant: Seit 1990 demonstriert vor dem Kölner Dom ein früherer Hauptschullehrer mit einer "Klagemauer" gegen die Politik Israels. Weil er dabei auch Fotos von verstümmelten Kindern zeigte, hat das Amtsgericht Köln den Mann nun wegen Verstoßes gegen den Jugendschutz zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Montags-taz (Roland Kaufhold) berichtet.
Neuer Interpol-Chef: Mit dem neuen Generalsekretär von Interpol, Jürgen Stock, Jurist und langjähriger Vize-Präsident des Bundeskriminalamtes, spricht der Spiegel (J. Schmitt/A. Ulrich) über dessen Arbeit und Pläne für Interpol, die unterschätzen Gefahren der Internet-Kriminalität und warum das Internet so attraktiv für Verbrecher ist.
Weitere Stimme zum Kopftuch-Beschluss des BVerfG: Den Vorwurf an das Bundesverfassungsgericht, mit dem jüngsten Kopftuch-Beschluss der Unterdrückung muslimischer Frauen Vorschub zu leisten, hält Rudolf Steinberg (FAS) für Unsinn. Bereits im ersten Kopftuchurteil von 2003 sei darauf verwiesen worden, dass das Tragen eines Kopftuches auf einer Vielzahl von Gründen beruhen könne. Steinberg sieht beide Entscheidungen vielmehr als Beiträge zur Verhandlung über "die objektiven Voraussetzungen der Wünschbarkeit und Machbarkeit des Zusammenlebens von Einheimischen und Fremden, über die Möglichkeit, dem anderen zu trauen", wie es der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Winfried Hassemer 2003 ausgedrückt habe.
Recht in der Welt
USA/GB – Deutsche Bank vergleicht sich: Wie die Samstags-taz (Alena Poth) schreibt, wird ein Vergleich zwischen der Deutschen Bank und US-amerikanischen und britischen Ermittlungsbehörden noch im April zustande kommen. Inhalt des Vergleichs seien die Zahlung einer Rekordsumme in Höhe von 1,4 Milliarden Euro Strafe und ein Schuldeingeständnis bezüglich Libor-Zinsmanipulationen seitens einer britischen DB-Tochter. Die Hintergründe schildert ausführlich die Samstags-FAZ (Markus Frühauf); auch das Handelsblatt (Laura de la Motte) berichtet.
Griechenland – EZB kritisiert Zwangsräumungsschutz: Die Europäische Zentralbank hat laut Montags-FAZ Kritik an einem geplanten Gesetz der griechischen Regierung geübt. Es soll verschuldete Immobilienbesitzer vor Zwangsräumungen bewahren. Das Gesetz schieße übers Ziel hinaus, weil eventuell auch solvente Schuldner ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen würden, so die Kritik der EZB.
Sonstiges
Unterhaltsrecht: Unter dem Titel "Aufstand der Entrechteten" setzt sich Sabine Menkens (Welt am Sonntag) mit den Konflikten bei getrenntlebenden Eltern auseinander. Dass eine gleichberechtigte Sorge ausgeübt werde, sei, so Menkens, im Gesetz nicht vorgesehen; auch Melderecht und Steuerrecht sei der Status "gemeinsam erziehend" fremd. Daher setzten sich zahlreiche Väter-Lobbyisten dafür ein, mehr Betreuungszeit eingeräumt und mit weniger Unterhaltszahlungen belastet zu werden.
Baby-Blogs: Der Rechtsanwalt Tobias Schäfer spricht mit Deutschlandradio Kultur (Ute Welty) über die juristische Bewertung von "Baby-Blogs" stolzer Eltern und sonstige Posts von Fotos oder Informationen der eigenen Kinder in sozialen Medien. Kindeswohl und Persönlichkeitsrechte stünden dabei im Fokus, Gerichtsentscheidungen zur Klärung von Haftungsfragen gebe es noch nicht.
Reparationszahlungen: Unter dem Titel "Eine absurd hohe Summe!" befasst sich der Junior-Rechtsprofessor Jasper Finke im Focus mit der griechischen Forderung nach Reparationszahlungen. Die Frage sei im Verhältnis zu Griechenland rechtlich nicht abschließend geklärt. Die Höhe der Ansprüche sei aber schwierig zu bestimmen. Das Institut stamme aus einer Zeit, in der das Recht zum Krieg noch galt und sollte als Ausgleich für Kriegskosten dienen. Möglich wären nun Anerkennungszahlungen für Opfer und Investitionen; die geforderte Summe von über 270 Milliarden Euro sei jedoch unvernünftig hoch angesetzt und die Hürden für eine erforderlich Einigung.*
Das Letzte zum Schluss
Argentinien jagt Bieber: Muss Justin Bieber zittern? Oder gibt es am Ende nur reichlich PR für den Popstar? Die argentinische Justiz will Justin Bieber vor Gericht ziehen. Der will offenbar nicht – und jetzt hat Argentinien Interpol eingeschaltet. Bieber soll einen Security 2013 angewiesen haben, "gewaltsam gegen einen Fotografen vorzugehen", wie spiegel.de schreibt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
* Anm. d. Red.: Auf Hinweis des Verfassers wurde klargestellt, dass er die Summe nicht als "absurd hoch" ansieht, wohl aber aus den genannten Gründen als unvernünftig hoch. Geändert am 14.04.2015, 11:11.
Die juristische Presseschau vom 11. bis 13. April 2015: Betreuungsgeld vor dem BVerfG – Gesetz für Daten aus Weltraum – Middelhoff stellt Insolvenzantrag . In: Legal Tribune Online, 13.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15209/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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