Die Videoüberwachung des eigenen Grundstücks findet ihre Grenzen im Datenschutzrecht, so der EuGH. Außerdem in der Presseschau: Das Bundeskabinett hat Tarifeinheit und Frauenquote beschlossen, die Bundesanwaltschaft ermittelt wieder wegen des Oktoberfest-Attentats 1980, Telekom-Aktionäre können auf Entschädigung hoffen und warum ein Reisender am Flughafen ein Foto hätte löschen müssen.
Thema des Tages
EuGH zur privaten Videoüberwachung: Private müssen sich an Vorgaben des europäischen Datenschutzrechts halten, wenn sie – etwa aus Furcht vor Einbrechern – Aufnahmen mit Überwachungskameras anfertigen. Das heißt: eine Interessensabwägung ist erforderlich und Kameras müssen gekennzeichnet werden. Das hat der Europäische Gerichtshof anlässlich einer Auslegungsfrage zur EU-Datenschutzrichtlinie entschieden. Die Richtlinie sieht zwar auch eine Ausnahme für die Datenverarbeitung von einer natürlichen Person zu persönlichen oder familiären Zwecken vor. Die Ausnahme ist aber nach dem Urteil des EuGH eng auszulegen und gilt nicht, wenn sich Videoüberwachung auf einen Bereich außerhalb der Privatsphäre richtet. Die FAZ (Reinhard Müller) und lto.de stellen das Urteil vor.
Datenschutzexperte Carlo Piltz (delegedata.de) weist darauf hin, dass mit dem Urteil die öffentliche Videoüberwachung durch Private "nicht per se verboten" ist; Udo Vetter (lawblog.de) merkt an, dass aus Verstößen gegen das Datenschutzrecht im Strafprozess kein Verwertungsverbot erwachsen muss. Heribert Prantl (SZ) hält das Urteil des EuGH für "lasch", weil letztlich niemand kontrollieren könne, wie der Blick der Kameras schweift. Außerdem lasse das Urteile klare Richt- und Leitlinien vermissen, wann die private Überwachung öffentlicher Räume zulässig ist und wann nicht. Der Anwalt Axel Spies (blog.beck.de) verweist schließlich darauf, dass Dashcams an Windschutzscheiben ähnliche Fragen aufwerfen.
Rechtspolitik
Tarifeinheit und Frauenquote beschlossen: Die Bundesregierung hat die gesetzlichen Regelungen zur Tarifeinheit und zur Frauenquote auf den Weg gebracht. Mit der Tarifeinheit will die Regierung Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften im selben Betrieb verhindern, wie es sie bei der Deutschen Bahn in diesem Jahr gab. Im Streitfall soll nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb gelten. Das Gesetz zur Frauenquote sieht Sanktionen vor für den Fall, dass mitbestimmungspflichtige Konzerne bei Neubesetzungen im Aufsichtsrat nicht mindestens einen Frauenanteil von 30 Prozent erreichen. Auch kleinere Unternehmen und der öffentliche Dienst sollen den Frauenanteil in ihren Chefetagen erhöhen und regelmäßig über ihre Fortschritte berichten. lto.de und zeit.de stellen die beiden Reformen vor, ebenso die Beiträge der FAZ (Joachim Jahn) und die taz (Heide Oestreich) jeweils zur Frauenquote sowie die FAZ (Dietrich Creutzburg), die Welt (Stefan von Borstel) und die taz (Pascal Beucker) zur Tarifeinheit.
Dorothea Siems (Welt) nimmt die beiden Gesetzesvorhaben zum Anlass, die Bundesregierung generell dafür zu kritisieren, individuelle Freiheitsrechte immer mehr einzuschränken und die Wirtschaft zu sehr zu regulieren. Im Interview auf handelsblatt.com (Jens Hagen) erklären der Präsident der Pilotenvereinigung Cockpit Ilja Schulz und sein Anwalt Gerhart Baum, warum sie die Vorschriften zur Tarifeinheit für verfassungswidrig halten. Sie seien eine "massive Einschränkung des Streikrechts"; es werde "gezielt Rechtsunsicherheit geschaffen, um kleine Gewerkschaften zu schwächen".
Korruption im Gesundheitswesen: Die Bundesregierung will im Januar ein Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen auf den Weg bringen. Das meldet das Handelsblatt. Hintergrund des Vorstoßes sei eine Gesetzeslücke, die der Bundesgerichtshof vor zwei Jahren festgestellt hatte: Danach gelte für Kassenärzte bei Korruption nur das Berufsrecht, nicht aber das Strafrecht.
Änderungen im Aufenthaltsrecht: Integrierte Ausländer sollen ein Bleiberecht erhalten, "nicht integrierte" sollen schneller abgeschoben werden. Der Anwalt Wolfram Steckbeck bespricht die Reform auf lto.de. Steckbeck begrüßt die geplante Abschaffung der sogenannten Kettenduldungen, nach der Duldungen immer wieder aufs Neue ausgesprochen wurden.
Beschneidung von Jungen: Zum zweiten Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven legalisiert, fordern einige Verbände erneut, dieses Gesetz zurückzunehmen. Sie kritisieren, dass Jungen kein Recht auf Unversehrtheit haben. Im Raum stehe der Vorschlag, Jungen im religionsmündigen Alter von 14 Jahren selbst entscheiden zu lassen. Die taz (Heide Oestreich) berichtet.
Entrümpelung von EU-Gesetzgebung: Nach Informationen des Handelsblatts (Ruth Berschens) will die neue EU-Kommission die Gesetzgebung entrümpeln und insgesamt 80 von 450 noch nicht beschlossenen Richtlinien und Verordnungen fallen lassen. Das gehe aus einem Papier zum "Arbeitsplan 2015" hervor, den die Kommission kommenden Dienstag verabschieden wolle. Der Bericht zählt einzelne betroffene Regelungen auf.
IStGH – Bertram Schmitt zum Richter gewählt: Die FAZ (Reinhard Müller) stellt Bertram Schmitt vor, der zum Richter am Internationalen Strafgerichtshof gewählt wurde. Schmitt ist derzeit Strafrichter am Bundesgerichtshof und Ersatzrichter bei Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. "Völkermord, Massenvergewaltigungen, Vertreibungen" – der erfahrene Strafrechtler werde in Den Haag in größere Abgründe blicken als bisher, als "Botschafter eines umkämpften Gerichts in einem stark politisierten Umfeld".
Justiz
Bundesanwaltschaft ermittelt zu Oktoberfest-Attentat: Die Bundesanwaltschaft hat 34 Jahre nach dem Anschlag auf das Münchner Oktoberfest die Ermittlungen offiziell wieder aufgenommen. Anlass dafür bietet unter anderem die Aussage einer Zeugin, die nach neuen Erkenntnissen kurz nach dem Attentat Spuren entdeckte, die auf einen weiteren Mitwisser hinweisen. Bei dem Attentat riss eine Bombe 13 Menschen in den Tod. Es berichten focus.de, spiegel.de, die SZ (Wolfgang Janisch u.a.), die taz (Christian Rath/Sabine am Orde), die Welt (Sven Felix Kellerhoff) und die FAZ (Albert Schäffer).
Annette Ramelsberger (SZ) hält die neuen Ermittlungen für überfällig – "um der überlebenden Opfer willen, die immer das Gefühl hatten, es sollte etwas vertuscht werden"; für die Behörde zum Selbstreinigungsprozess, "den die Sicherheitsbehörden in Deutschland bisher nur zaghaft angehen". Es gehe darum, was man alles nicht gesehen habe "in jener Zeit, da der Staat nach rechts Scheuklappen trug". Ähnliche Töne schlägt der Kommentar von Sabine am Orde (taz) an.
BGH zu Telekom-Aktionären: Im Anlegerschutzprozess gegen die Telekom konnten die 17.000 Kläger vor dem Bundesgerichtshof einen Teilerfolg erzielen. Der BGH habe einen schwerwiegenden Fehler über Bilanzfragen im Verkaufsprospekt erkannt, den die Telekom für ihren dritten Börsengang im Jahr 2000 herausgegeben hatte. Die Angaben zum Verkauf einer amerikanischen Tochtergesellschaft seien "objektiv falsch" gewesen. Ob die Telekom schlussendlich die Anleger entschädigen muss, ist noch nicht klar: Das Oberlandesgericht Frankfurt muss über die weiteren Haftungsfragen entscheiden. lto.de, die SZ (Varinia Bernau), das Handelsblatt (L. de la Motte/S. Schier), die Welt (fhs) und die FAZ (Joachim Jahn) berichten.
In einem gesonderten Beitrag erinnert Joachim Jahn (FAZ) an das Spezialgesetz, das der Bundestag anlässlich der zu erwartenden Massenklage gegen die Telekom erlassen hatte. Das OLG Frankfurt müsse den Fall nun unter strengem, aber gerechtem Maßstab neu aufrollen. Und womöglich könnte die Anwaltskanzlei in Regress genommen werden, die damals die Unterlagen schrieb.
BVerfG zu Kommunen bei Schulschließung: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Vorschrift in Sachsens Schulgesetz für verfassungswidrig erklärt, wie lto.de meldet. Die dort geregelte Schulnetzplanung auf Kreisebene verstoße gegen das garantierte Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Gemeinden müssten vielmehr mitentscheiden können, wann Schulen geschlossen werden.
BGH zu RSS-Feeds: Zur Pflicht eines Unterlassungsschuldners gehört es einem Urteil des Bundesgerichtshofs zufolge nicht, auf RSS-Feed-Abonnenten einzuwirken, die den strittigen Inhalt vor Abschluss des Unterlassungsvertrages bezogen haben. Ein Unterlassungsschuldner muss auch nicht überprüfen, ob seine Abonnenten den Feed und seine Inhalte zwischenzeitlich auf ihre eigenen Seiten gespiegelt hätten und das Foto so weiterverbreitet worden sei. Den Fall stellt lto.de vor.
BGH zu Ex-CDU-Chef: Der Untreueprozess gegen den früheren rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden Christoph Böhr muss zum Teil neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Landgericht Mainz zurückverwiesen und damit der Revision der Staatsanwaltschaft entsprochen. Das meldet spiegel.de. Das LG wird nun erneut prüfen müssen, ob sich Böhr auch wegen versuchten Betruges strafbar gemacht hat. In der Affäre ging es um Beraterhonorare im Landtagswahlkampf 2005/2006.
BAG zur Verwirkung: Wann verwirken Schmerzensgeldansprüche wegen Mobbings vor Eintritt der Verjährung? Nur unter "ganz besonderen Umständen", wie das Bundesarbeitsgericht entschied. So musste ein Mobbingopfer gegen seinen Arbeitgeber nicht sofort vor Gericht ziehen: Wer mit der Klage warte, verhalte sich grundsätzlich nicht treuwidrig, so das BAG. lto.de berichtet.
Bundesanwaltschaft – Merkel-Handy: Die Bundesanwaltschaft hat der FAZ (Helene Bubrowski – ausführlichere Onlinefassung) zufolge nach eigener Erklärung noch immer keine belastbaren Beweise dafür, dass die NSA das Handy der Bundeskanzlerin abgehört hat. Ein Dokument, das die Spionage belegen sollte und dem Spiegel vorliege, sei laut Generalbundesanwalt Range kein Original.
Bundesanwaltschaft – IS-Helfer: Von einer "noch nicht dagewesenen Verfahrenswelle" gegen Unterstützer der Terrormiliz "Islamischer Staat" spricht der SZ (Wolfgang Janisch) und dem Tagesspiegel (Ursula Knapp) zufolge der Generalbundesanwalt Harald Range. Gegen 83 Beschuldigte seien 46 Verfahren anhängig. Für Range seien die juristischen Mittel des Strafrechts ausreichend.
Recht in der Welt
USA – CIA-Folter: Hat staatlich organisierte Folter durch einen demokratischen Staat rechtliche Folgen? Dieser Frage geht der Strafrechtler Denis Basak anlässlich des CIA-Folterberichts auf lto.de nach. Strafverfolgung sowie Schadensersatz für Opfer sind dem Beitrag zufolge in den USA unwahrscheinlich. Auch mögliche Verfahren in Deutschland nach dem Völkerstrafgesetzbuch werden erläutert. Am Ende seien auch solche Verfahren eher nicht zu erwarten – weil die Staatsraison entscheide.
Spanien – Google News macht dicht: Auch das als "Lex Google" verschriene spanische Pendant zum deutschen Leistungsschutzrecht für Presseverleger zeichnet Konsequenzen: Google News macht seinen Dienst dicht. In Spanien seien – wie auch in Deutschland – viele Dinge unklar: etwa, welche Verwertungsgesellschaft die Ansprüche geltend macht und wie hoch die Abgabe ist. Das Gesetz tritt 2015 in Kraft. Es berichten die FAZ (Paul Ingendaay) und die Welt (Ute Müller).
Österreich – Spielsucht: Eine Automatenfirma aus Österreich muss einem Spielsüchtigen fast eine halbe Million Euro verzocktes Geld zurückzahlen. Der Mann hatte den Glücksspielkonzern mit dem Argument verklagt, er sei als Spielsüchtiger nicht geschäftsfähig gewesen. Dem schloss das Gericht sich an: Die durch die Nutzung der Automaten geschlossenen Verträge seien unwirksam. spiegel.de berichtet.
Schweiz – Bankdatendieb: Die Schweizerische Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen den mutmaßlichen Bankdatendieb Herve F. erhoben. Das meldet die Welt. Der ehemalige Angestellte der britischen Großbank HSBC soll Kundendaten unter anderem an französische Behörden geleitet haben. F. habe sich bereits bekannt, die Daten weitergegeben zu haben – um als Informant Regierungen zu helfen, gegen Steuersünder vorzugehen.
Sonstiges
Ausbildungsmission im Irak: Im Januar will die Bundesregierung rund hundert Soldaten in den Irak schicken, um kurdische Peschmergakämpfer im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat auszubilden. Dieses Mandat steht aber laut taz (Tobias Schulze) "auf wackligen Beinen": Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts seien nur Einsätze im Rahmen von "Systemen kollektiver Sicherheit" unter Leitung von UN und Nato zulässig, was hier nicht der Fall sei. Klagen gegen das Mandat seien damit denkbar. Auch die Welt (Thorsten Jungholt) widmet sich dem Mandat aus juristischer Sicht.
Anwalt für Massenklagen: Die FAZ (Joachim Jahn) stellt den Anwalt und "Fachmann für Massenklagen" Andreas Tilp vor, der bereits gegen Porsche, HRE und auch die Telekom im aktuellen Entschädigungsprozess antritt. Tilp sei Experte für das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), das die Durchsetzung in "Mammutprozessen" wie gegen die Telekom erleichtert.
Klimasünder vor Gericht: Neunzig Konzerne verursachen mehr als die Hälfte aller Treibhausgase. Rechtsanwälte und Klimaaktivisten des "Climate Justice Network" wollen die Konzerne aus Kohle- und Ölindustrie für Klimaschäden zur Verantwortung ziehen. Die Anwälte stützen sich laut taz (Bernhard Pötter) auf Grundsätze des internationalen Rechts wie das Verbot, einem anderen Partner Schaden zuzufügen.
Vorstände und Aufsichtsräte: Das Strafverfahren gegen Thomas Middelhoff sollte Vorstände und Aufsichtsräte mahnen, sich an aktienrechtliche und dienstvertragliche Regeln zu halten. Das meint Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer in einem Beitrag für das Handelsblatt, der einige Rechte und Pflichten ebendieser darstellt.
Das Letzte zum Schluss
Testbild am Flughafen: Kontrolleure im Sicherheitsbereich des Münchner Flughafens forderten einen Passagier auf, mit seiner Kamera ein Testfoto zu schießen. Das Problem nur: Die Kamera war voll, und der Passagier hätte dem Testbild eines seiner Fotos opfern müssen. Tat er nicht – und verpasste seinen Flug. Er wollte daraufhin feststellen lassen, dass die Kontrollmaßnahme rechtswidrig war. Ohne Erfolg: Die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit wiegen schwerer, auch wenn die Kamera voll ist: "Kameras sind nicht immer Kameras", so die Richterin am VG. heise Foto berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Dezember 2014: Videoüberwachung hat Grenzen – Telekom-Aktionäre dürfen hoffen – Ermittlungen zu Oktoberfest-Attentat . In: Legal Tribune Online, 12.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14093/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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