Vor dem OLG Stuttgart findet der erste Prozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch statt – kein alltägliches Verfahren. Außerdem in der Presseschau BVerfG-Plenum zum Katastrophennotstand, Liebesverbot für Lehrer in Rheinland-Pfalz, keine BAG-Entscheidung zur Immunität, Klägerkartelle, Pussy Riot verurteilt – und warum es sich steuerrechtlich vielleicht bald ausgepokert hat.
OLG Stuttgart – Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Montags-taz bringt ein Dossier zum Kongo-Kriegsverbrecherprozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart. In einem Editorial beschreibt Dominic Johnson die Bedeutung des Prozesses – er öffne "in Deutschland eine Tür zur Weltjustiz". Bianca Schmolze und Dominic Johnson beschreiben den Prozessverlauf, Dominic Johnson fasst die Anklage zusammen. Christian Rath geht daneben der Frage nach, warum die Bundesanwaltschaft nur so selten überhaupt Anklage nach dem Völkerstrafgesetzbuch erhebt. Simone Schlindwein befasst sich mit den Beweisproblemen der Ermittlern: Kaum jemand vor Ort wolle aussagen, weil dies das Leben kosten könne.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Unternehmensstrafrecht: Der Justizminister von Nordrhein-Westfalen fordert im Interview mit dem Spiegel (Barbara Schmid) vor dem Hintergrund des Steuer-Streits mit der Schweiz die Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Nur so könne wirksam der Gewinn aus illegalen Geschäften abgeschöpft werden.
Bußgeld für Schulschwänzer-Eltern: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will Eltern von Schulschwänzern künftig mit Bußgeldern zu Leibe rücken, meldet knapp die Montags-taz.
Anja Maier (Montags-taz) wirft ihr vor, damit das Thema gründlich zu verfehlen – der Staat sei nicht Erziehungsberechtigter für seine Bürger; der Kern des Problems sei in den Bildungsinstitutionen zu suchen.
Liebesverbot: Rheinland-Pfalz will Liebesbeziehungen zwischen Lehrern und Schülern ausnahmslos verbieten. Dies kritisiert Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) jedenfalls soweit es Beziehungen zwischen Volljährigen betrifft: Hier kippe "die Idee ins möglicherweise Verfassungswidrige und, schlimmer, ins Lächerliche".
Weitere Themen – Justiz
BVerfG zum Bundeswehreinsatz im Inneren: Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat die Rechtsprechung des Ersten Senats korrigiert und will im Rahmen des so genannten Katastrophennotstands auch einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren zulassen. Über den am Freitag veröffentlichten Beschluss berichten ausführlich die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) und Samstags-taz (Christian Rath). Die Samstags-SZ dokumentiert zudem Auszüge aus der abweichenden Meinung des Richters Reinhard Gaier, die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) beleuchtet den zugrundeliegenden Streit um das Luftsicherheitsgesetz. Die FTD (Thomas Steinmann) analysiert die "weitreichenden Folgen" des Karlsruher Dictums.
Heribert Prantl (Samstags-SZ) geißelt die Entscheidung als "Katastrophen-Beschluss" und zeiht das Gericht der Verfassungs-Umdeutung. Dies sei ein "unerhörter Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik und ihres Verfassungsgerichts." Reinhard Müller (Samstags-FAZ) betont den Ausnahmecharakter des zulässigen Bundeswehreinsatzes und hält die Entscheidung für schlüssig. Christian Rath (Samstags-taz) meint, dass sich das Gericht "einmal mehr als 'Herr der Verfassung', denn als 'Hüter der Verfassung' verstanden hat" und fragt, wie lange die in der Entscheidung gesetzten Grenzen wohl diesmal halten. Max Steinbeis (verfassungsblog.de) geht die Karlsruher Richter noch deutlicher an: "Wieder kickt das Gericht Jahrzehnte politischer Deliberation beiseite und installiert stattdessen das, was es selber für vernünftig hält" – ein "Maß an judicial activism, das keine Grenze zu kennen scheint".
Die Reaktion der politischen Parteien auf das Urteil dokumentiert die Samstags-taz (Kai Lohre).
Wie Der Spiegel und die Montags-FAZ (Heike Schmoll) melden, fordert der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Günter Krings (CDU) nun eine Änderung des Grundgesetzes, um die Entscheidung über entsprechende Einsätze in Eilfällen auch an den Verteidigungsminister delegieren zu können. Dagegen sehe Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) "keinen gesetzlichen Handlungsbedarf".
BAG – Immunität-Prozess geplatzt: Der Musterprozess um die Reichweite der diplomatischen Immunität vor dem Bundesarbeitsgericht ist geplatzt. Der Beklagte sei inzwischen aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden, so dass dem Gericht nun die Zuständigkeit fehle, so die Montags-taz (Manuela Heim). Hintergrund war die jahrelange Ausbeutung einer Haushaltshilfe durch einen Angestellten der saudischen Botschaft in Berlin.
OVG Greifswald zu Heiligendamm-Demoverbot: Das Verbot des Sternmarschs auf das Gelände des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007 war rechtswidrig. Das hat nach einem Bericht der Montags-taz (Christian Rath) nun das Oberverwaltungsgericht Greifswald entschieden. Die Polizei habe ein "völlig einseitiges Sicherheitskonzept" vertreten.
Anklage gegen Zschäpe: Der Spiegel (Sven Röbel/Holger Stark) dokumentiert die unerwartet schwierige Beweislage hinsichtlich der bevorstehenden Anklage der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe.
Die Montags-SZ (Hans Leyendecker) weiß derweil von einem Antrag der Staatsanwaltschaft zur Fortsetzung der Untersuchungshaft Zschäpes zu berichten. Die Staatsanwaltschaft wolle ihre Vorwürfe um die Beteiligung der mutmaßlichen Terroristin an zehn der NSU-Morde erweitern. Mit Fertigstellung der Anklage werde für Oktober gerechnet.
Hans Leyendecker (Montags-SZ) meint, diese Anklage werde "kein leichtes Unterfangen" – die Beteiligung Zschäpes an den Morden müsse erst einmal bewiesen werden.
Iran-Sanktionen & Deutsche Bank: US-amerikanische Staatsanwälte ermitteln nach Berichten von Montags-SZ (Alexander Hagelüken/Nikolaus Piper) und Die Welt (Sebastian Jost) gegen die Deutsche Bank, weil diese gegen die internationalen Iran-Sanktionen verstoßen haben soll.
Nikolaus Piper (Montags-SZ) meint, man solle sich über die Rigorosität der US-Ermittler freuen – Finanzsanktionen seien besonders wirksam, müssten aber auch durchgesetzt werden.
Keine Anklage gegen Doping-Ärzte: Wie Der Spiegel meldet, hat die Freiburger Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Mannschaftsärzte des ehemaligen "Team Telekom/T-Mobile" nach mehr als fünf Jahren eingestellt. Auch die Montags-SZ (SID) berichtet und meint: "Der Doping-Verdacht bleibt."
Verschwundene Peggy Knobloch: In ihrem Wochenend-Teil rekonstruiert die Samstags-SZ (Hans Holzhaider) den Fall der 2001 verschwundenen neunjährigen Peggy Knobloch und den Prozess gegen den später verurteilten geistig behinderten Ulvi Kulac, der die Tat zunächst gestanden, dieses Geständnis aber später widerrufen hatte – und die Zweifel, die das Verfahrens an seiner Schuld hätten aufkommen lassen.
LG Hannover – Lena-Prozess: Unter der Überschrift "Das vermeidbare Verbrechen" beschäftigt sich die Montags-SZ (Charlotte Frank) mit dem heute vor dem Landgericht (LG) Hannover beginnenden Prozess um den Tod der im März in Emden vergewaltigten getöteten elfjährigen Lena. Der Angeklagte 18-jährige habe zuvor mehrmals vor sich selbst gewarnt. Auch bild.de berichtet.
Rundfunkbeitrag-Klage: Nun stellt auch die Samstags-SZ (Heribert Prantl) die Klage des "jungen Juristen" Ermano Geuer gegen den neuen Rundfunkstaatsvertrag und den einheitlichen Rundfunkbeitrag vor. Dieser hat beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof Popularklage eingereicht. Prantl erwartet ein Verfahren, auf das ganz Deutschland schaut.
Streik-Schadensersatz: Die Klage der vom Streik der Vorfeldmitarbeiter im Februar betroffenen Fluglinien, dem Flughafenbetreiber Fraport und der Deutschen Flugsicherung auf Schadensersatz in Höhe von zehn Millionen Euro gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung GdF hat das Arbeitsgericht Frankfurt abgewiesen, berichtet lto.de. Das Verfahren habe grundsätzliche Bedeutung meint Der Spiegel.
Vermögensabgabe grundgesetzkonform: In einem Rechtsgutachten für die Gewerkschaft Verdi kommt Rechtsprofessor Joachim Wieland laut einem Bericht der Samstags-taz (Christian Rath) zu dem Ergebnis, dass eine einmalige Vermögensabgabe nicht gegen das Grundgesetz verstoße. Auch die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) berichtet.
Klägerkartell: Im Zusammenhang mit dem Libor-Skandal plädiert Friedrich Schmidt (FAS) für kollektive Rechtsschutzformen auch in Europa. Die Möglichkeit, in den USA per "class action" bei weit verteilten Schadensposten effektiv gegen die sie verursachenden Unternehmen vorgehen zu können, gleiche die Kräfteverhältnisse aus – weswegen sie von Unternehmen gefürchtet und von Verbraucherschützer geliebt würde.
Costa-Concordia-Nachspiel: Die Havarie der Costa Concordia wird auch ein zivilrechtliches Nachspiel haben: Wie die FAS (Karin Truscheit) berichtet, hat der "amerikanische Schmerzensgeldprofi" John A. Eaves Jr. aus Jackson, Mississippi, schon rund 150 Klagewillige beisammen, in deren Namen er Schmerzensgeldforderungen gegen die Reederei geltend machen will. Die Taktik: Druck aufbauen für eine außergerichtliche Einigung.
Hirntod: Die FAS (Alard von Kittlitz) beschäftigt sich mit dem Hirntod als medizinischem und juristischem Problem. Die Diagnose sei umstritten; die gesetzlichen Regelungen insbesondere auch zu Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit der Hirntoddiagnostik in den Augen mancher lückenhaft.
Vaterschaftsanfechtung: lto.de (Herbert Grziwotz) beschäftigt mit der Frage, ob Behörden nichteheliche Väter zu Vaterschaftstests zwingen und gegebenenfalls die Vaterschaft anfechten dürfen, wenn der Verdacht besteht, dass die Anerkennung missbräuchlich zur Erzielung eines Aufenthaltstitels erfolgt ist. Der Bundesgerichtshof habe die entsprechende Rechtsgrundlage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt; mit einer Entscheidung werde noch in diesem Jahr gerechnet.
Zwangsbehandlung: Der Focus (Petra Hollweg) berichtet über die "bizarren Folgen" der Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs zur psychiatrischen Zwangsbehandlung von nicht einsichtsfähigen Patienten. Das Gericht hatte jüngst entschieden, dass für eine Zwangsbehandlung die gesetzliche Grundlage fehle – das führe nun dazu, dass eigentlich behandlungsbedürftige Patienten nach Hause geschickt würden.
Juristentag macht Verbraucherrecht: Der Deutsche Juristentag will sich bei seinem Treffen im September mit der Reform des Verbraucherrechts auseinandersetzen. Das meldet lto.de.
Argentinien verklagt EU: Wegen spanischer Biodiesel-Einfuhrbeschränkungen verklagt Argentinien die EU vor der Welthandelsorganisation WTO. Das meldet knapp die FTD.
Meinungsfreiheit im Arbeitskampf: Im Arbeitskampf kann es auch mal etwas deftiger zur Sache gehen. Das hat jetzt in zweiter Instanz das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschieden und Äußerungen, dass die Arbeitgeberin "betrüge" und "bescheiße" als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen. internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet knapp und verlinkt die Pressemitteilung des Gerichts.
Gefängnis-Studie: Nun stellt auch die Samstags-taz (Kai Schlieter) die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zu Gewalt in Gefängnissen vor.
Udo Vetter (lawblog.de) kritisiert den niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann (CDU), der mit Bezug auf die Studie gesagt habe, ein Gefängnis sei eben "kein Mädchenpensionat". Die Bestrafung beschränke sich auf die Freiheitsentziehung; der Staat müsse Gewalt in Gefängnissen so gut es gehe verhindern.
Fileshare-Pranger: Mit dem von einer Abmahn-Kanzlei erwogenen "Fileshare-Pranger" beschäftigt sich nun auch lawblog.de (Udo Vetter) und hält eine entsprechendes Vorgehen gegenüber Privatpersonen für klar rechtswidrig.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Russland – Pussy Riot: Die drei Mitglieder der politischen Band Pussy Riot sind in Moskau wegen ihres Auftritts in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche im Februar zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. In ihrem Bericht spekuliert die Samstags-taz (Klaus-Helge Donath), dass die eigentlich erfahrene Richterin absichtlich Verfahrensfehler gemacht haben könnte, um in der Berufung ein milderes Urteil zu ermöglichen. Das erwarten Berichten der Montags-SZ und zeit.de zufolge auch russische Medien. Die FAS (Michael Jürgs) dokumentiert unter der Überschrift "Keine Reue" Auszüge aus den Schlussplädoyers der Angeklagten.
Klaus-Helge Donath (Samstags-taz) meint, das Urteil offenbare gerade durch seine Härte die Schwäche des Kreml. Julian Hans (Samstags-SZ) sieht in dem Urteil "Putins Abschiedsbrief an den Westen". Michael Ludwig (Montags-FAZ) sieht in dem Prozess dagegen einen Erfolg Putins: Ihm sei es so gelungen, die Gläubigen gegen die politische Opposition aufzuwiegeln.
Der Spiegel führt über das Urteil und seine Folgen ein Gespräch mit dem russischen Blogger und Anwalt Alexej Nawalny, einem "der populärsten Oppositionsführer". Wie die FTD (André Ballin) weiß, holt die russische Justiz derweil zum nächsten Schlag aus: gegen die Unterstützer von Pussy Riot, unter anderem den oppositionellen Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow.
Schweden/Großbritannien – Assange: Die Montags-taz (Reinhard Wolff) berichtet über die Gründe der schwedischen Justiz, Assange keine Nichtauslieferungsgarantie in die USA zu gewähren. Schweden sei ein Rechtsstaat und Assange erhalte keine Sonderbehandlung, durch die die Unabhängigkeit der Justiz in Frage gestellt werde.
Großbritannien – Pranger für Steuerhinterzieher: Mit harten Bandagen kämpft die britische Regierung gegen Steuerhinterzieher und schreckt auch vor einem Online-Pranger nicht zurück. Darüber berichtet die Samstags-SZ (Andreas Oldag).
Großbritannien – Bankenberatung: Die Samstags-FAZ (Bettina Schulz) schildert die Auswirkungen des harten Vorgehens der amerikanischen Behörden gegen britische Banken. Erwartete Strafzahlungen führten zu großem juristischen Beratungsbedarf – ein "Bonanza für Anwälte".
Sonstiges
Ein Jahr Staatsanwalt: Die FAS (Sarah Engel) führt ein Interview mit dem Juristen und Buchautor Robert Pragst. Dieser hat über seine einjährige Tätigkeit bei der Berliner Staatsanwaltschaft ein Buch geschrieben.
Quacksalber: Wie die Justiz historisch mit naturwissenschaftlich zweifelhaften Heilbehandlungen umgegangen ist und heute noch umgeht, erzählt Martin Rath auf lto.de in einer seiner "Rechtsgeschichten".
Totale Überwachung: Die Technikphilosophin Jutta Weber beschäftigt sich in einer "Außenansicht" für die Montags-SZ mit technikfixierter Sicherheitspolitik – diese habe militärstrategische Wurzeln und münde in der totalen Überwachung.
Das Letzte zum Schluss
Ausgepokert? Die Frage, ob Poker mehr mit Glück oder Können zu tun hat, wird wohl tatsächlich bald ihre juristische Klärung finden – und zwar vor dem Finanzgericht Köln. Dort wehrt sich einem Bericht des Spiegel (Kurzversion auch auf spiegel.de) zufolge ein Pokerspieler gegen die Nachforderungen des Finanzamts – sein Argument: Glücksspiel sei steuerfrei. Das Finanzamt geht hingegen von einer gewerblichen Tätigkeit aus: Der Profispieler nutze "persönliche Fertigkeiten und ein tieferes Spielverständnis".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. August 2012: . In: Legal Tribune Online, 20.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6876 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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