Die Expertenanhörung zum NetzDG-Entwurf fördert wenig Positives zutage. Außerdem in der Presseschau: Puma gegen Adidas, Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung der Immunität Frauke Petrys und ein Rückblick auf Helmut Kohl und das Recht.
Thema des Tages
NetzDG: Der von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betriebene Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes hat bei der Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages "massive Kritik" erfahren, fasst das Hbl (Dietmar Neuerer) die Sitzung zusammen. Sowohl Vertreter der Digitalwirtschaft als auch Journalisten-Verbände zeigten sich wenig angetan. Die Vereinigung Reporter ohne Grenzen halte den Entwurf für ungeeignet im Vorgehen gegen Hasskriminalität und strafbare Inhalte, sie mache einen unverhältnismäßigen Eingriff in Presse- und Meinungsfreiheit geltend. Daneben sei auch eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gerügt worden. Für den Entwurf habe sich der Deutsche Richterbund ausgesprochen. In den Worten seines Vertreters sei das "klare Signal" der Politik gelobt worden. Nach dem Bericht von spiegel.de (Fabian Reinbold) sprachen sich acht von insgesamt zehn Sachverständigen gegen den Entwurf aus und attestierten ihm Verfassungswidrigkeit. Dies sei ein außergewöhnliches Ergebnis angesichts der üblichen Praxis, Experten einzuladen, "die nicht allzu kritisch mit den eigenen Plänen umspringen". Der Entwurf könne nun auf eine allseits gebilligte Kernforderung, die Benennung eines jeweils in Deutschland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten, reduziert werden.
Rechtspolitik
Staatstrojaner: Nach Informationen von netzpolitik.org (Andre Meister) soll der Bundestag noch am Ende dieser Woche über den Einsatz sogenannter Staatstrojaner beschließen. Die entsprechenden Bestimmungen seien in einem Gesetzentwurf zum Fahrverbot als Nebenstrafe "versteckt" worden, die verfassungsrechtlichen Probleme habe der aktuelle Entwurf jedoch nicht beseitigt.
Verbrauchertag: Auf dem Deutschen Verbrauchertag in Berlin lieferten sich die Spitzenkandidaten der Koalitionsparteien ein zeitversetztes Rededuell, das vom Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) beschrieben wird. Die Kanzlerin lobte die Zuordnung des Verbraucherschutzes zum Justizministerium, der SPD-Vorsitzende Martin Schulz warb für die Einführung der sogenannten Musterfeststellungsklage.
Musterfeststellungsklage/VW: Gegenüber dem Hbl (Heiko Anger) hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) für die Musterfeststellungsklage geworben, durch die ein Verband in einer Klage die Interessen zahlreicher Verbraucher vertreten könne. Die Notwendigkeit zeige sich, so der Minister, gerade in der bislang unnachgiebigen Position des VW-Konzerns zur Frage einer etwaigen Verlängerung der Verjährung bei der Geltendmachung von Ansprüchen wegen der Abgas-Affäre. Um verlorengegangenes Vertrauen seiner Kunden zurückzugewinnen, solle der Auto-Hersteller auch nach Ablauf dieses Jahres auf die Verjährungseinrede verzichten und nacherfüllen.
Pflegekinder: Wegen Bedenken bezüglich der Rechte leiblicher Eltern, deren Kinder leichter in Pflegefamilien überführt werden sollten, hat die CDU die Unterstützung für eine vom Bundesfamilienministerium betriebene Reform verweigert. Bei anderen Teilen des Entwurfs des "Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen", etwa zur verbesserten Heimaufsicht, hätten die Koalitionspartner dagegen eine Einigung erzielt, berichtet die Welt (Sabine Menkens).
DNA-Spuren: Auf der ab dem morgigen Mittwoch tagenden Justizministerkonferenz wird ein Gesetzentwurf der baden-württembergischen Landesregierung zur Einführung der sogenannten DNA-Phänotypisierung diskutiert, schreibt die taz (Christian Rath) auf einer Schwerpunktseite. Mit diesem Verfahren könnten sichergestellte DNA-Spuren auch hinsichtlich äußerer Merkmale wie Haut- oder Haarfarbe ausgewertet werden. Justizminister Maas hält ein entsprechendes Gesetz für "denkbar". In einem zweiten Text vergleicht die taz (Christian Rath) die Leistungsfähigkeit von genetischem Fingerabdruck (Identifizierung) und DNA-Phänotypisierung. Schließlich stellt die taz (Christian Rath) die Situation im Vorreiterland Niederlande dar, wo die DNA-Phänotypisierung etwa zehn Mal pro Jahr auf gesetzlicher Grundlage genutzt werde.
Meldepflicht: FAZ (Werner Mussler/Manfred Schäfers) und taz (Dario Dietsche) berichten zu Plänen der EU-Kommission, nach denen Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer dazu verpflichtet werden sollen, "potentiell aggressive" Steuersparmodelle an nationale Steuerbehörden zu melden. Entsprechende Pläne zur Ergänzung der Steuertransparenz-Richtlinie würden am morgigen Mittwoch veröffentlicht.
Mietpreisbremse: Die Koalitionsvereinbarungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sehen die Aussetzung landesrechtlicher Verordnungen zur sogenannten Mietpreisbremse vor, berichtet die Welt (Michael Fabricius) in einem größeren Artikel, der darlegt, dass und warum der durch die Bremse beabsichtigte Effekt bislang nicht eingetreten sei.
Justiz
EuGH zu Tarifverträgen: Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer beklagt in einem Gastbeitrag für das Hbl eine "Narretei des Europäischen Gerichtshofs". Im Widerspruch zu seiner Alemo-Herron-Entscheidung aus dem Jahr 2013 habe der EuGH nun im April auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass die Prüfung von Anpassungsmöglichkeiten von Tarifverträgen für Betriebserwerber nationalen Gerichten obliege.
BGH – Raser: In einem Bericht über die richterlich verhängte Untersuchungshaft gegen einen Mönchengladbacher Autofahrer, gegen den nach Beteiligung an einem innerstädtischen Autorennnen wegen Mordes ermittelt wird, teilt die FAZ (Reiner Burger) mit, dass der Bundesgerichtshof am kommenden Donnerstag in einem anderen Fall seine Entscheidung zum Strafmaß gegen zwei Kölner Raser verkünden wird. Die Männer wurden erstinstanzlich wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt. Am morgigen Mittwoch werde sich der Rechtsausschuss des Bundestags mit Gesetzentwürfen zur Strafbarkeit der Beteiligung an sogenannten illegalen Autorennen befassen.
LG Essen – Thomas Middelhoff: Das gegen den Manager Thomas Middelhoff am Landgericht Essen betriebene Verfahren wegen Anstiftung zur Untreue werde aller Voraussicht nach am morgigen Mittwoch eingestellt. Ursprünglich seien Verhandlungstage bis kurz vor Weihnachten angesetzt worden, schreibt die SZ (Klaus Ott) über die "heftige Niederlage" der Staatsanwaltschaft. Bei der angekündigten Entscheidung habe aber auch die angeschlagene Gesundheit Middelhoffs eine Rolle gespielt.
LG Braunschweig zu Stan-Smith-Schuh: Vor dem Landgericht Braunschweig zog der Sportartikelhersteller Puma einen gegen den Konkurrenten Adidas gerichteten Antrag auf einstweilige Verfügung nach entsprechenden Hinweisen des Gerichts zurück. Puma wollte Adidas den Vertrieb eines bestimmten Modells des Sportschuhs "Stan Smith" untersagen lassen, weil dieser das europäische Geschmacksmuster für die Sohle verletze, erläutert die FAZ (Rüdiger Köhn). Zu anderen Schuh-Modellen streiten die Unternehmen in weiteren Verfahren, etwa am Landgericht München.
LG Hannover – VW: Wirtschaftsprofessor Christian Strenger hat gemeinsam mit der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger den kompletten Vorstand und Aufsichtsrat von VW wegen mehrerer Beschlüsse der Hauptversammlung des Automobilherstellers im Jahr 2016 verklagt. Vor dem Landgericht Hannover machen die Kläger geltend, dass neu gewählte Kandidaten im Aufsichtsrat nicht unabhängig genug seien, um zur Aufklärung des Abgasskandals beizutragen, berichtet die FAZ (Carsten Germis) im Unternehmens-Teil. Dies sei mit einer guten Unternehmensführung unvereinbar.
LG Hamburg zu Säure-Angriff: Wegen eines Säure-Angriffs auf seine von ihm getrennt lebende Ehefrau hat das Landgericht Hamburg einen Mann zu gut viereinhalb Jahren Haft verurteilt. spiegel.de (Peter Maxwill) berichtet zur Urteilsverkündung.
AG München zu "Grapscher": In einem nun bekanntgemachten Urteil aus dem Mai hat das Amtsgericht München einen Mann wegen zweifacher sexueller Belästigung zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Nach dem Bericht der FAZ (Karin Truscheit) ist dies eines der ersten Urteile unter Anwendung des § 184i Strafgesetzbuch, der seit November des letzten Jahres gilt.
StA Dresden – Frauke Petry: Der Sächsische Landtag hat den Eingang eines Antrags der Staatsanwaltschaft Dresden auf Aufhebung der Immunität der Abgeordneten und AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry bestätigt. Die Anklagebehörde prüfe bereits seit Februar 2016 den Vorwurf des Meineids im Zusammenhang mit Aussagen Petrys vor dem Landes-Wahlprüfungsausschuss, berichten unter anderem FAZ (Justus Bender/Stefan Locke) und taz (Laura Weigele/Sabine am Orde). Für Heribert Prantl (SZ) kommt das drohende Verfahren "nur zu den schon vorhandenen Malaisen" der von Petry angeführten Partei hinzu.
Recht in der Welt
Polen – Rechtsstaat: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Oscar Szerkus gibt auf lto.de einen Überblick zu den vor Ort als "gute Veränderungen" der Judikative beworbenen Maßnahmen der polnischen Regierungspartei PiS.
Ungarn – Flüchtling: Ein ungarisches Berufungsgericht hat die Verurteilung eines syrischen Flüchtlings wegen terroristischer Aktivitäten aufgehoben und ein neues Verfahren angeordnet. Dem Mann war vorgeworfen worden, den Sturm auf einen Grenzzaun initiiert zu haben, schreibt die SZ (Cathrin Kahlweit). Nach der jetzigen Entscheidung seien aber sowohl der Ablauf der Aktion als auch die angebliche Rädelsführerschaft des Manns unklar geblieben.
Türkei/Griechenland – Auslieferung: Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hat erklärt, dass die Entscheidung der griechischen Justiz, acht nach angeblicher Beteiligung am Putschversuch gesuchte Soldaten nicht an die Türkei auszuliefern, respektiert würde. Dies meldet die taz.
Sonstiges
Helmut Kohl: Herrschaft gerate "eben auch in der Demokratie leicht an die Grenzen des Rechts", schreibt die FAZ (Reinhard Müller) in einem Rückblick auf rechtliche Auseinandersetzungen des soeben verstorbenen Bundeskanzlers a.D. Helmut Kohl. Dieser habe mehrfach, etwa bei einer Zeugenvernehmung im Strafverfahren gegen den ehemaligen Rüstungsstaatssekretär Holger Pfahls, in der verfassungsrechtlich problematischen Ansetzung von Neuwahlen 1983 und nicht zuletzt durch seinen Umgang mit der CDU-Spendenaffäre, bewiesen, dass er sich wie andere "große" Gestalten "gelegentlich über die für alle geltenden Regeln hinwegsetzen" konnte.
NSA-U-Ausschuss: Eine Woche vor dem Abschlussbericht des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags haben die Oppositionsparteien ihre Sondervoten vorgestellt. Nach ihren Erkenntnissen hätte die Ausschussarbeit eine "anlasslose, massenhafte Überwachung" von NSA und BND in Deutschland zutage gefördert, schreibt die taz (Konrad Litschko).
Fall Amri: Für Bruno Jost, den Berliner Sonderermittler zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz, verfestigt sich der Eindruck von Aktenmanipulationen beim Landeskriminalamt. Dem Innenausschuss des Abgeordnetenhauses berichtete Jost von einem neuerlichen Aktenfund, einer möglichen Strafanzeige gegen Amri, die vom 2. Januar des Jahres stamme. Dies berichtet die FAZ (Mechthild Küpper).
Autonomes Fahren: Dem Hbl (Daniel Delhaes) liegt ein bislang unveröffentlichtes Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesverkehrsministerium zur "Einführung des automatisierten Fahrens" vor. Die Wissenschaftler hätten betont, dass es notwendig sei, "etliche Akzeptanz-, Rechts-, Sicherheits-, Infrastruktur- und Risikofragen zu klären". Vor der Einführung selbst halbautomatisierter Anwendungen müsse eine Haftungsverschiebung zu Lasten der Hersteller und Betreiber erfolgen. Daneben stellt am heutigen Dienstag eine unabhängige Kommission unter Leitung des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio 20 ethische Regeln für das autonome Fahren vor, die der Zeitung gleichfalls vorliegen. Unter anderem werde festgestellt, dass die Schadenshaftung den gleichen Grundsätzen "wie in der übrigen Produkthaftung" unterliege.
Das Letzte zum Schluss
Verdacht: § 160 Abs. 2 Strafprozessordnung beschreibt den Umfang der staatsanwaltschaftlichen Aufklärungspflicht als sowohl be- wie auch entlastende Umstände umfassend. Ganz scharf hingeschaut bei den erstgenannten Umständen hat ein Mitarbeiter der Stuttgarter Abteilung der objektivsten Behörde der Welt in einem Fall, über den lawblog.de (Udo Vetter) und burhoff.blog.de (Detlef Burhoff) berichten. In einem Strafbefehlsverfahren wegen Fahrens ohne Führerschein begründe sich der Verdacht gegen den Angeschuldigten auch durch dessen Verteidigerwahl: der Rechtsanwalt vertrete "bekanntlich fast ausschließlich Mandanten … die über den so genannten Führerscheintourismus Fahrerlaubnisse … erwerben".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Juni 2017: Experten gegen NetzDG / Meineidige Frauke Petry ? / Helmut Kohl und das Recht . In: Legal Tribune Online, 20.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23119/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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