Die juristische Presseschau vom 20. März 2019: Drohnen und Völ­ker­recht / Abschie­bungen und Sozial­stan­dards / Kam­mer­ge­richt und Über­las­tung

20.03.2019

OVG fordert Bundesregierung zu Völkerrechtsdurchsetzung auf. Außerdem in der Presseschau: niedrigere Sozialstandards in anderen Ländern verhindern nicht Abschiebungen von Asylbewerbern und Berliner Kammergericht stellt Überlastung fest.

Thema des Tages

OVG NRW zu US-Drohnen: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hat der Bundesregierung aufgegeben, künftig dafür Sorge zu tragen, dass vom Luftwaffenstützpunkt Ramstein aus gesteuerte US-Kampfdrohnen bei ihren Einsätzen kein Völkerrecht verletzen. Eine Prüfungspflicht ergebe sich aus der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben, so lto.de (Maximilian Amos) über die durch Klage dreier jemenitischer Staatsbürger zustande gekommene Entscheidung. Es gebe "gewichtige Anhaltspunkte" dafür, dass die von Ramstein aus begleiteten Drohneneinsätze "zumindest teilweise gegen das Völkerrecht verstoßen". Berichte zur Entscheidung bringen auch FAZ (Reiner Burger), SZ (Christian Wernicke) und lawblog.de (Udo Vetter).

In einem Kommentar zeigt sich Nikolas Busse (FAZ) verwundert über das "Selbstvertrauen" deutscher Richter, die glaubten, "beurteilen zu können, ob ein bewaffneter Konflikt im fernen Jemen dem Völkerrecht entspricht oder nicht". Es sei "lebensfremd", anzunehmen, dass die Regierung "Auskunft in Washington" über die Einzelheiten vom Drohneneinsätzen erhalte.

Rechtspolitik

Geordnete Rückkehr: Das im Bundesministerium des Innern erarbeitete "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" soll das deutsche Abschiebungswesen effizienter machen, der Entwurf befindet sich zur Zeit in der Ressortabstimmung. lto.de (Christian Rath) kommt aufgrund einer vertieften Analyse des Entwurfs zu dem Schluss, dass bei einer verfassungskonformen Auslegung der vorgesehenen Strafvorschriften zu Beeinträchtigungen von Abschiebungen kaum mehr praktisch denkbare Anwendungsmöglichkeiten verbleiben. Eine derart "symbolische Gesetzgebung" unterscheide sich zwar von den Zuständen "etwa in Ungarn oder Italien". Gleichwohl sei es problematisch, wenn der Eindruck erweckt werde, "dass Einschränkungen und Einschüchterungen der Zivilgesellschaft legitime Mittel der Migrationspolitik sein können".

Urheberrechtsreform: Ein FAZ-Einspruch-Podcast (Hendrik Wieduwilt/Constantin van Lijnden) befasst sich mit der nach wie vor umstrittenen EU-Urheberrechtsreform und legt dabei besonderes Gewicht auf die Problematik sogenannter Upload-Filter. Auf netzpolitik.org unternimmt Joe McNamee, früherer Geschäftsführer von "European Digital Rights", eine ausführliche Analyse der möglichen Auswirkungen von Art. 13 der geplanten Richtlinie. Der Autor begrüßt, dass Künstlern durch die Reform bessere Möglichkeiten der eigenen Rechtsdurchsetzung gegeben werden sollen, bezweifelt aber, dass dieser Zweck mit den im Entwurf vorgesehenen Mitteln erreicht werden kann. Die SZ (Andreas Zielcke) interviewt im Feuilleton Rechtsprofessor Reto Hilty zum rechtlichen Gehalt des geplanten Art. 13, zu dessen wahrscheinlichen Konsequenzen und möglichen Alternativen.

EU-Rechtsstaatlichkeit: In einem Gastbeitrag für die FAZ schlagen der belgische Außenminister Didier Reynders, Michael Roth (SPD) Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Stef Blok, Außenminister der Niederlande, die Etablierung eines "neuen Mechanismus" zur fortwährenden Diskussion über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedstaaten vor.

Onlineapotheken: Dem Hbl (Gregor Waschinski) liegt ein Eckpunktepapier des Gesundheitsministeriums vor, nach dem ausländischen Onlineapotheken künftig Rabattangebote gegenüber deutschen Kunden verboten sein sollen. Die Maßnahme sei weniger eingriffsintensiv als ein Komplettverbot, europarechtliche Bedenken bestünden aber nach wie vor.

Justiz

EuGH zu Abschiebungen: Abschiebungen von Asylbewerbern innerhalb Europas stehen unter dem Vorbehalt, dass den Betreffenden im Zielland keine menschenunwürdige Behandlung droht. Wann dies der Fall ist, müsse im Einzelfall entschieden werden. Ein Abschiebeverbot komme in Frage, wenn Asylbewerber im Zielland noch nicht einmal ihre elementarsten Bedürfnisse wie essen, waschen und wohnen befriedigen könnten, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch) über die auf Vorlage deutscher Gerichte ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Es berichten auch taz (Christian Rath) und swr.de (Bernd Wolf).

Wolfgang Janisch (SZ) bedauert in einem separaten Kommentar, dass der EuGH nurmehr einen niedrigen, "mit Mitmenschlichkeit nicht viel zu tun" habenden Mindeststandard gesetzt habe. Gleichwohl sei die Berufung auf die Menschenwürde beachtlich. Dies erinnere daran, "dass die EU ein Raum der Grundrechte ist". Nach Reinhard Müller (FAZ) haben Asylbewerber "keinen Anspruch auf Aufenthalt in dem großzügigsten Wohlfahrtsstaat". Dabei sei es "schlimm genug", dass menschenunwürdige Zustände für Flüchtlinge "in der EU noch nicht überwunden sind".

EuGH zu Grenzkontrollen: Die ausnahmezustandsbedingte Aufnahme von Grenzkontrollen an EU-Binnengrenzen setzt nach einem von lto.de berichteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs das in der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Rückführungsverfahren nicht außer Kraft. Eine Binnengrenze werde durch die Kontrollen nicht zur Außengrenze. Eine Analyse der Entscheidung und ihrer Konsequenzen unternimmt der Senior Research Fellow Constantin Hruschka auf verfassungsblog.de.

BGH zu ärztlicher Aufklärung: Ende Januar urteilte der Bundesgerichtshof zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht. Ein auch in den unteren Instanzen erfolgloser Kläger hatte vergeblich geltend gemacht, vor dem Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks nicht ausreichend und insbesondere nicht im Einklang mit den aus Beipackzetteln bekannten Häufigkeitsdefinitionen aufgeklärt worden zu sein. Diese entsprächen aber nicht dem üblichen Sprachgebrauch, so der BGH in der von lto.de (Maximilian Amos)
vorgestellten Entscheidung.

BGH – Schwiegereltern-Geschenk: Der Bundesgerichtshof verhandelte zu der Forderung eines Schwiegerelternpaars, dass dem unverheirateten Lebenspartner der eigenen Tochter eine erhebliche Summe für den gemeinsamen Hauskauf des Paares schenkte und das Geld nach dem Scheitern der Beziehung zurückforderte. Dabei zeichnete sich die Begründetheit der Klage ab, berichtet die StZ (Christian Rath). Die Welt (Anja Semmelroch) bringt eine ausführliche Übersicht zum Fall in Frage-und-Antwort-Form.

BVerwG – Einsatzkosten: Vor der am Bundesverwaltungsgericht anstehenden Entscheidung zur Kostentragungspflicht von Fußball-Vereinen bzw. der Deutschen Fußball-Liga bei sogenannten Hochrisikospielen schreibt der Historiker Michael Wolffsohn im FAZ-Einspruch über den Streit. In grundsätzlicher Hinsicht vollziehe der von Bremen vertretene Ansatz "einen Elementarbruch des gedanklichen Staats- und Gesellschaftsvertrages moderner Demokratien", weil er sich der Aufgabe des Schutzes von Bürgern – bzw. der hierdurch entstehenden Kosten – entziehe. Beachtlich sei zudem auch das gemeinschaftsstiftende Element sportlicher Großveranstaltungen.

BAG zu Urlaub bei Elternzeit: Nach von FAZ (Marcus Jung) und spiegel.de gemeldeten Urteilen des Bundesarbeitsgerichts begründen Elternzeit und Sonderurlaub keine durchsetzbaren Urlaubsansprüche. Im Falle einer Elternzeit entstehe der Anspruch zwar, er könne aber unionsrechtlich zulässig durch einseitige Erklärung des Arbeitgebers gekürzt werden, wie Rechtsprofessor Michael Fuhlrott auf lto.de vertiefend erläutert.

KG Berlin zu Überlastung: Eine Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn) meldet eine "mit drastischen Formulierungen" gespickte Begründung des Berliner Kammergerichts zur Entlassung eines mutmaßlichen Schwerverbrechers aus der Untersuchungshaft. Das Berliner Gericht führe die Entlassung auf mangelhafte personelle Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zurück und mache hierfür den Staat verantwortlich. Im Interview mit dem FAZ-Einspruch (Sebastian Huld) äußert sich Bernd Pickel, Präsident des Kammergerichts, zu der Erklärung über seine Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Berliner Justiz. Diese Sorgen gründeten sich nicht nur auf der Personalsituation bei Richtern und im Servicebereich, auch bei der Verfügbarkeit von Räumen bestünde Nachholbedarf.

LAG Ba-Wü zu DSGVO-Auskunftsrechten: Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat den Daimler-Konzern verurteilt, einem Mitarbeiter Daten aus seiner Personalakte sowie Informationen aus internen Ermittlungen offenzulegen. Soweit bekannt, handele es sich hierbei um die erste erfolgreiche Durchsetzung eines Auskunftsrechts aus der Datenschutzgrundverordnung, berichtet die FAZ (Marcus Jung). Der entsprechende Art. 15 der Verordnung entfalte "viel Sprengkraft", kommentiert Marcus Jung (FAZ). Sollte die Entscheidung auch in der Revision Bestand haben, "könnte der Datenschutz die Compliance-Bemühungen vieler Unternehmen zunichtemachen".

VGH Ba-Wü zu Fahrverboten: Nach Meldung von zeit.de hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Stadt Reutlingen aufgefordert, ihren Luftreinhalteplan zu überarbeiten und dabei auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge vorzusehen.

LG Mannheim – Patent-Streit: Das Landgericht Mannheim beschäftigt zur Zeit ein Patent-Streit des Instituts für Rundfunktechnik, das sich wegen angeblicher Übervorteilung eines Patentrechtevermarkters mit Sitz in Italien um die millionenschweren Früchte von Patenten geprellt sieht. Der Rechtsstreit mit einem Anwalt wurde gegen dessen Zahlung von 60 Millionen Euro vergleichsweise beendet. Hiervon seien die jetzigen Parteien aber noch weit entfernt, so das Fazit eines ausführlichen Verhandlungsberichts im Feuilleton der FAZ (Axel Weidemann).

LG Berlin – Kudamm-Raser: Vor dem für den 26. März geplanten Urteil im Verfahren gegen die sogenannten Kudamm-Raser haben die Verteidiger der beiden Angeklagten einen Mord kategorisch ausgeschlossen. Es berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).

StA München II – Abgasaffäre: Nach Informationen des Hbl (Jan Keuchel) gehören zu den Akten der bei der Staatsanwaltschaft München II geführten Ermittlungen zur Abgasaffäre auch zahlreiche Audiodateien. Offensichtlich hat die Ehefrau des im vergangenen Sommer gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassenen Wolfgang Hatz, früherer Entwicklungsvorstand bei Porsche, zahlreiche Telefonate ihres Gatten mit Größen der Autobranche aufgezeichnet.

Influencer: Angesichts bevorstehender Urteile zu möglicher Schleichwerbung durch sogenannte Influencer stellt der SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel, Manuskript der Sendung) dar, warum sich "Social-Media-Sternchen" nicht im rechtsfreiem Raum bewegen.

Recht in der Welt

Schweiz – Wirtschaftsspionage: Ein deutscher Anwalt muss sich gemeinsam mit zwei Mitangeklagten ab der kommenden Woche wegen Wirtschaftsspionage und Geheimnisverrats vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Der Anwalt war als Vertreter des deutschen Unternehmers Erwin Müller in dessen Schadensersatzverfahren gegen eine Schweizer Bank an Dokumente zu Cum-Ex-Deals gelangt. Dies bildet die Grundlage des jetzigen Verfahrens, zu dem die Verteidigung ein zeit.de (Karsten Polke-Majewski) vorliegendes Rechtsgutachten renommierter Rechtsprofessoren vorgelegt hat.

Israel – Justizministerin: Die Welt (Gil Yaron) berichtet über einen umstrittenen Wahlwerbespot der israelischen Justizministerin Ajelet Schaked. Die als Hardlinerin bekannte Politikerin gelte als Kritikerin des vermeintlichen juristischen Aktivismus des Obersten Gerichtshofs. Sie plane grundlegende Änderungen bei Ernennungen von Richtern und die Außerkraftsetzung von Entscheidungen zur Widerrechtlichkeit von Gesetzen.

USA – Bayer: Ein Gericht in San Francisco/USA hat in einem Teilurteil festgestellt, dass ein Glyphosat enthaltendes Pflanzenschutzmittel die Krebserkrankung eines Musterklägers wesentlich begünstigt hat. Im weiteren Verfahren müsse nun geklärt werden, ob der mittlerweile zum Bayer-Konzern gehörende Hersteller Monsanto über Risiken täuschte. Dies meldet spiegel.de.

Juristische Ausbildung

E-Examen: Rechtsreferendare in Sachsen-Anhalt werden ab dem 1. April ihre Examensklausuren am Rechner schreiben. Rechtsprofessor Michael Beurskens zählt im FAZ-Einspruch Vor- und Nachteile eines solchen E-Examens auf und beschreibt technische und rechtliche Probleme.

Sonstiges

Anschlagsvideo: tagesschau.de (Julian Köster-Eiserfunke) legt dar, dass das Teilen des Videos des Terroranschlags von Christchurch/Neuseeland nach deutschem Recht strafbar ist.

Parlamentsöffentlichkeit: Der FAZ-Einspruch (Jochen Zenthöfer) problematisiert, dass der Besuch einer Plenarsitzung des Bundestags nach dem Online-Auftritt des Parlaments nur zeitlich begrenzt möglich ist. Bei Nachtsitzungen sei somit die grundgesetzlich normierte Parlamentsöffentlichkeit gefährdet.

Polarisierung: Für den FAZ-Einspruch untersucht Rechtsprofessor Karl-Heinz Ladeur, inwiefern jüdisches Rechtsverständnis, bereits vor-staatlich begründet, dazu beitragen könnte, die Polarisierung in Politik und Gesellschaft zu überwinden.

Sexualstrafrecht: In einem zweiten Teil eines Beitrags zu Entwicklungen des Sexualstrafrechts beschreibt Rechtsprofessorin Elisa Hoven im FAZ-Einspruch den scheinbaren Trend des sogenannten Stealthings, bei dem während des Geschlechtsverkehrs das Kondom unauffällig entfernt wird. Eine hierzu jüngst erfolgte amtsgerichtliche Verurteilung erkannte einen sexuellen Übergriffs, nicht jedoch eine Vergewaltigung. Diese Ansicht sei "gut vertretbar", treffe jedoch den Unrechtskern der Handlung nicht. Es sei "nur eine Frage der Zeit", bis bei der nächsten Reform auch derartige Fälle von Täuschungen des Sexualpartners auf der Agenda stehen.

Das Letzte zum Schluss

Hauptstadt: Wer glaubt, in der Hauptstadt den funktionierenden Teil des Landes verlassen zu haben, wird sich durch diese Meldung von bild.de bestätigt sehen. Nachdem ein Rohrbruch eine Justizvollzugsanstalt mit offenem Vollzug im Stadteil Spandau lahmlegte, durften sich die Freigänger über eine Nacht außerhalb von Mauern freuen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. März 2019: Drohnen und Völkerrecht / Abschiebungen und Sozialstandards / Kammergericht und Überlastung . In: Legal Tribune Online, 20.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34465/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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