Die juristische Presseschau vom 20. Januar 2021: Län­gerer Lock­down / Fort­schritt im NSU-Ver­fahren / AfD als Ver­dachts­fall?

20.01.2021

Die nächste Lockdown-Verlängerung ist beschlossen. Die BAW hat ihren Schriftsatz zum NSU-Urteil des OLG München fertig. Während ein AfD-Landesverband gegen seine LfV-Einstufung vorgeht, bereitet das BfV die Beobachtung der Partei vor.

Thema des Tages

Corona – Beschränkungen: Angesichts weiterhin besorgniserregender Infektionszahlen haben sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder politisch auf eine Verlängerung des akutellen Lockdowns bis zum 14. Februar verständigt. Damit bleiben Schulen und Kitas zunächst weiterhin geschlossen, schreibt etwa die SZ (Constanze von Bullion u.a.). Neu eingeführt werden soll die Pflicht, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften medizinische Masken* zu tragen. Eine ausführliche Übersicht der Beschlüsse bringt zeit.de (Tilman Steffen).

In der "ideologisch aufgeheizten Debatte" über die Angemessenheit dieser Beschränkungen oder gar härterer Maßnahmen plädiert Donata Riedel (Hbl) "für einen flächendeckenden Cooldown". Aktuell bleibe nur der Weg umfassender Kontaktbeschränkungen, perspektivisch sollten sich alle Betroffenen darauf einstellen, dass mit der Wiedereröffnung von Restaurant usw. "kaum vor Ostern" gerechnet werden könne.

Rechtspolitik

Kinderrechte ins Grundgesetz: Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Miriam Lemmert setzt auf JuWissBlog ihre Analyse der beabsichtigten Grundgesetzergänzung in Sachen Kinderrechte fort. Dem Entwurf könne zugutegehalten werden, Kinder und ihre Rechte im Grundgesetz mehr als bislang sichtbar machen zu wollen. Durch den sich aufdrängenden Eindruck einer "Verfassungslyrik" drohe dieses Anliegen jedoch zu versanden.

Wettbewerbsregister: Bei öffentlichen Aufträgen im Wert von mehr als 30.000 Euro soll künftig eine Abfrage der anbietenden Firma in einem öffentlichen Wettbewerbsregister verpflichtend sein. Für den Recht und Steuern-Teil der FAZ stellt Rechtsanwalt Florian Huerkamp Inhalt und Funktionsweise des Registers vor, in dem unternehmensbezogene Straftaten wie Betrug und Steuerhinterziehung vermerkt sein sollen.

"Migrantenquote" Berlin: Die Berliner Pläne, die Beschäftigungsstruktur der Verwaltung über eine sogenannte "Migrantenquote" diverser zu gestalten, erfordern nach der Analyse der taz (Christian Rath) eine Änderung der Landesverfassung. Soweit die Integrationssenatorin davon ausgehe, dass eine Bevorzugung von Bewerbern wegen der Herkunft nur dann unzulässig sei, wenn dieses Merkmal die "Mehrheitsgesellschaft" betreffe, sei an die zurückliegenden Debatten über die Gleichstellung von Frauen im öffentlichen Dienst zu erinnern. Diese seien durch explizite Gleichstellungsaufträge in den Verfassungstexten, in der Verfassung von Berlin etwa in Art. 10, gelöst worden. Pläne und Kritik werden nun auch von der taz (Susanne Memarnia/Ralf Pauli) breiter vorgestellt. Ralf Pauli (taz) hält eine "die Vielfalt der Gesellschaft" abbildende Quote für "überfällig". Die Kritik an der Idee erinnere an jene gegenüber dem "jahrzehntelangen Versuch, das Gleichstellungsgebot zwischen Mann und Frau aus dem Grundgesetz Wirklichkeit werden zu lassen". Wie jener Kritik mangele es der jetzigen an diskussionswürdigen Alternativen.

Whistleblower: Gegenüber dem Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) die Inhalte des geplanten "Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen" dargelegt. Potentielle Whistleblower sollten ohne Furcht vor arbeitsrechtlichen Repressalien Missstände aufdecken dürfen, gleichzeitig würde die Weitergabe unrichtiger Informationen geldbußenbewehrt.

Autonomes Fahren: In einer dem Hbl (Daniel Delhaes) vorliegenden Stellungnahme widerspricht das Bundesjustizministerium der Datenübermittlungsregelung eines im Verkehrsministerium erarbeiteten Gesetzentwurfs, der autonome Fahrsysteme fördern will. Die beanstandete Regelung sehe vor, dass Positionsdaten autonom fahrender Fahrzeuge auf Anfrage dem Kraftfahrt-Bundesamt und im Weiteren auch Sicherheitsbehörden übermittelt würden. Nun sei zweifelhaft, ob das Gesetzeswerk noch in der laufenden Legislaturperiode vollendet werden könne.

Corona – Home Office: Rechtsprofessor Michael Kubiciel kritisiert im FAZ-Einspruch die im aktuellen Entwurf des Bundesarbeitsministeriums zum Recht auf Arbeiten im sogenannten Home Office enthaltene "prozedurale Regulierung" als widersprüchlich. Die Regelung, nach der Arbeitgeber die Pflicht hätten, ihren Beschäftigten eine Ablehnung des geäußerten Wunsches nach Home Office zumindest zu begründen, diene weder der Pandemiebekämpfung noch wahre sie die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs. Nach jüngsten Pläne des Ministeriums kann Arbeitgebern, die ihren Angestellten die Arbeit daheim ohne wichtigen Grund verweigern, auch ein Bußgeld auferlegt werden. Über den Entwurf einer entsprechenden Rechtsverordnung berichtet die FAZ (Dietrich Creutzburg/Julia Löhr).

Justiz

BGH – NSU: Nach den Revisionen von Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Andre E. und Holger G. hat nun auch die Bundesanwaltschaft ihre Antragsschrift zum NSU-Verfahren an den Bundesgerichtshof übersandt. Nach den Berichten von SZ (Annette Ramelsberger) und swr.de (Frank Bräutigam) dürfte dabei die Bestätigung des Schuldspruches gegenüber der Hauptangeklagten sowie eine Aufhebung im Falle Andre E.s beantragt worden sein. Letzterer Beitrag beschreibt im Übrigen das weitere Verfahren und geht davon aus, dass mit einer Entscheidung nicht vor Ende des Jahres zu rechnen sei. In einem Kommentar bezeichnet Annette Ramelsberger (SZ) eine Verurteilung Andre E.s als "vierten Mann des NSU" als das mutmaßliche Ziel der Bundesanwaltschaft. Zwar sei ein neuer NSU-Prozess "nichts, was man sich herbeisehnt", er könnte allerdings "nötig sein, um das Kapitel NSU zu schließen und ein wenig die Bitterkeit zu vertreiben".

LVerfG BB – AfD-Beobachtung: Wie angekündigt, setzt sich der brandenburgische AfD-Landesverband in zwei nun anhängig gemachten Verfahren gegen die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz des Landes zur Wehr. Hierzu ist eine Organklage beim Landesverfassungsgericht erhoben worden und zusätzlich eine Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam, so LTO (Hasso Suliak), der beide Klageschriften vorliegen. Durch das verfassungsrechtliche Verfahren solle auch der Landesregierung untersagt werden, der Partei vermeintlich rufschädigende Positionen zuzuordnen. Auf verwaltungsgerichtlichem Wege solle die Verbreitung des entsprechenden Verfassungsschutzberichtes untersagt werden. Als inhaltlich mitverantwortlich für die jetzigen Klagen benennt der Beitrag den Bundestagsabgeordneten Roman Reusch, Mitglied im brandenburgischen Landesvorstand und ehemals Oberstaatsanwalt in Berlin.

zeit.de (Paul Middelhoff/Tilman Steffen) berichtet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz offenbar kurz davor stehe, die gesamte Partei zum sogenannten Verdachtsfall zu erklären und entsprechende Beobachtungsmaßnahmen einzuleiten. Für diesen Fall plane die AfD eine Klage am Verwaltungsgericht Köln.

BGH – ausländische Armeeangehörige: Der Bundesgerichtshof hat in dem Revisionsfall eines früheren Oberleutnants der afghanischen Armee, der wegen Misshandlungen von Talibankämpfern vom Oberlandesgericht München zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, grundsätzlich Ausführungen zur Strafverfolgung ausländischer Kriegsverbrechen in Deutschland angekündigt. Bei der für den 28. Januar geplanten Entscheidung werde er sich somit auch zur Frage einer möglichen Immunität für Armeeangehörige äußern, schreibt LTO zur Mitteilung.

OLG Frankfurt/M. zu § 219a StGB: Die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche bleibt bestehen. Mit den Informationen ihres Internetauftritts verstoße Hänel auch gegen die neue Fassung von § 219a Strafgesetzbuch, befand das Oberlandesgericht Frankfurt/M. und verwarf die von der Ärztin erhobene Revision, so LTO. spiegel.de schreibt, dass Hänel nunmehr eine Verfassungsbeschwerde plane.

BayVGH zu Corona/Alkoholverbot: Das coronabedingte Verbot, Alkohol im öffentlichen Raum zu konsumieren, ist nach einem Eilbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vorläufig außer Vollzug gesetzt worden. Das in § 28a Infektionsschutzgesetz ermöglichte Alkoholverbot sei auf bestimmte öffentliche Plätze beschränkt, gibt LTO die Begründung des Gerichts wieder.

LSG Thüringen zu Corona/Computer: Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat das Landessozialgericht Thüringen festgestellt, dass das beklagte Jobcenter die Anschaffungskosten eines internetfähigen Rechners für die Tochter einer Leistungsempfängerin unter den gegenwärtigen Pandemieumständen ausnahmsweise übernehmen muss. Das berichtet LTO über den nun veröffentlichten Beschluss von vor zwei Wochen. Der Bericht der FAZ (Marcus Jung) macht darauf aufmerksam, dass die obersten Sozialgerichte bei der Frage einer coronabedingten zusätzlichen Unterstützung für Leistungsempfänger bislang keine einheitliche Linie vertreten.

LG Berlin – Vergewaltigung: Wegen vierfacher Vergewaltigung ist ein 33-Jähriger am Landgericht Berlin angeklagt. Der Mann soll seine ihm unbekannten Tatopfer bei nächtlichen Autofahrten überrumpelt haben. Die Welt (Anna Kröning) berichtet von der zeugenschaftlichen Vernehmung einer australischen Touristin, die dem Angeklagten ebenfalls eine Vergewaltigung vorwirft und zugleich Mängel der polizeilichen Beweisaufnahme geltend macht. Diese hätten schließlich auch dazu geführt, dass ihr Fall nicht zum Teil der nun verhandelten Anklage wurde.

Recht in der Welt

USA – Trump und Twitter: In einem Gastbeitrag für netzpolitik.org zeigt sich Julia Reda, ehemalige Europaabgeordnete der Piraten, verwundert über die jüngste Kritik der Bundeskanzlerin an der Entscheidung der Plattform Twitter, den Account von Donald Trump zu sperren. Die Mitteilungen Trumps wären bei einer Beurteilung nach den Maßstäben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in Deutschland wohl ebenfalls als Aufruf zur Gewalt eingestuft worden. Die Entscheidung und ihre rechtlichen Impilkationen waren auch Thema des zehnten Presserechtsforums, von dem die FAZ (Corinna Budras) in ihrem Recht und Steuern-Teil berichtet.

USA – Donald Trump: Vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten bringt zeit.de (Adrian Pohr) eine Übersicht zu laufenden und drohenden gegen den bis zum heutigen Mittwoch amtierenden Donald Trump. Anhängig seien bereits Ermittlungen wegen Versicherungsbetruges durch seine Firma, die Trump Organization. Eine denkbare Selbst-Begnadigung schütze auch nur vor Anklagen auf Bundesebene.

Thailand – Majestätsbeleidigung: Zu 43 Jahren Haft wegen Majestätsbeleidigung ist eine frühere thailändische Beamtin verurteilt worden. Die Frau hatte Audiodateien eines Regimekritikers auf Facebook und YouTube hochgeladen. Weil sie sich geständig zeigte, sei ihr die Hälfte der ursprünglich veranschlagten Strafe erlassen worden. Über das Urteil berichten SZ (Arne Perras) und taz (Sven Hansen).

Sonstiges

Freiwilliges Beschäftigungsende: Endet eine Beschäftigung, fragen sich Arbeitnehmer, ob ihnen eine Abfindung zusteht. Gleichermaßen sind Arbeitgeber daran interessiert, abwanderungswilligen Kräften den beruflichen Neustart nicht auch noch mit einer solchen Abfindung zu versüßen. Wie sich diese unterschiedlichen Interessenlagen rechtssicher miteinander verbinden lassen, verrät Rechtsanwalt Stephan Vielmeier auf LTO-Karriere.

Corona – Zwangsquarantäne: Das sächsische Gesundheitsministerium eröffnet in der nächsten Woche einen Gewahrsam für Verweigerer von Coronaquarantänen. Das Ministerium berufe sich zur Möglichkeit der zwangsweisen Unterbringung auf § 30 Infektionsschutzgesetzes, schreibt die taz (Konrad Litschko) und führt geplante Einrichtungen in anderen Bundesländern auf. Einen verfassungsrechtlichen Befund der Rechtsgrundlage liefert Rechtsprofessor Christoph Gusy auf dem Verfassungblog. Soweit die Quaräntepflicht zwangsweise durchgesetzt würde, sei sie als Freiheitsentziehung verfahrenstechnisch geregelt und zudem auch von einem Unterbindungsgewahrsam zu unterscheiden.

Das Letzte zum Schluss

Reality Show: Am heutigen Mittwoch endet aller Voraussicht nach die Präsidentschaft Donald Trumps, die Vereinigten Staaten halten aber bereits das nächste Realitydrama bereit. Offenbar steht die Ehe zwischen Kim Kardashian und Kanye West vor dem Aus, die FAZ (Christiane Heil) nennt die zu lösenden Konfliktpunkte bei der anstehenden Scheidung: Kinder, Vermögen, Stolz.


* geändert am Tag des Erscheinens, 21.29 h.

 

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lto/mpi

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Januar 2021: Längerer Lockdown / Fortschritt im NSU-Verfahren / AfD als Verdachtsfall? . In: Legal Tribune Online, 20.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44037/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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