Die juristische Presseschau vom 19. November 2019: Ver­g­leicht sich VW? / Ver­kehr­s­un­fall und Mord? / Neuer Ärger für Scheuer?

19.11.2019

Das OLG Braunschweig wirbt im VW-Musterfeststellungsverfahren für einen Vergleich. Außerdem in der heutigen Presseschau: ein Verkehrsunfall in München wird von der StA als Mordfall behandelt und der BRH erhebt Vorwürfe wegen der PKW-Maut.

Thema des Tages

OLG Braunschweig – Musterfeststellung VW: Am zweiten Verhandlungstag zum Musterfeststellungsverfahren wegen des Diesel-Skandals hat das Oberlandesgericht Braunschweig die Parteien eindringlich aufgefordert, in "ernsthafte Vergleichsverhandlungen" einzutreten. Das Gericht habe eine Frist bis zum Ende des Jahres gesetzt, um mitzuteilen, ob ein Vergleich in Frage komme, berichten FAZ (Carsten Germis) und Hbl (Frank M. Drost). Hierbei könnten auch Mediatoren des Gerichts in Anspruch genommen werden. In ersten Stellungnahmen hätten sowohl der beklagte VW-Konzern als auch der klagende Verbraucherzentrale Bundesverband ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisiert. In einer vorläufigen Einschätzung habe das Gericht ferner mitgeteilt, dass möglichen Schadensersatzansprüchen von VW-Kunden auch Nutzungsentschädigungen entgegen stünden.

In einem weiteren Beitrag macht das Hbl (Frank M. Drost) auf ein Vorhaben des Bundesjustizministeriums aufmerksam, durch das Verbraucher, die an erfolgreichen Musterfeststellungsklagen teilgenommen haben, schneller zu ihrem Geld kommen sollen. Statt eines weiteren Gerichtsverfahrens solle bereits die Anrufung der Universalschlichtungsstelle des Bundes die individuelle Anspruchshöhe unter Berufung auf das Musterurteil verbindlich festlegen können. Kritiker monierten, dass betroffene Unternehmen zur Teilnahme an der Schlichtung nicht verpflichtet seien.

In einem separaten Kommentar meint Frank M. Drost (Hbl), dass der Ruf der Musterfeststellungsklage schlechter sei, "als es gerechtfertigt wäre". Die Ermahnungen des OLG belegten das Druckpotential für Verbraucher, gleiches gelte für die geplante Schlichtungsstelle.

Rechtspolitik

ePrivacy-Verordnung: netzpolitik.org (Ingo Dachwitz/Alexander Fanta) wirft einen vertieften, kritischen Blick auf den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen im Rat der EU zur ePrivacy-Verordnung. Hier stehe zu befürchten, dass der ursprüngliche Zweck des Vorhabens – wirksamer Schutz vor kommerzieller Überwachung im Netz – verwässert werde.

EU-Erweiterung: Über den Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die bisherige Praxis der EU-Erweiterung zu reformieren, berichten FAZ (Michaela Wiegel/Thomas Gutschker), SZ (Matthias Kolb/Nadia Pantel) und taz (Eric Bonse). Nach dem Vorschlag sollten Beitrittsverhandlungen nach "Etappen" organisiert werden, deren jeweils nächste erst nach Vollendung der letzten in Angriff genommen werde. Der in einem Papier dargelegte Vorschlag führe den Rechtsstaat als erste Etappe auf.

Justiz

BVerfG zu Hartz-IV-Sanktionen: Die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff bezeichnet auf verfassungsblog.de den gegen das Hartz-IV-Sanktionen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Beginn des Monats erhobenen Vorwurf, in ihm sei das Grundrecht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde "zur Disposition gesetzgeberischer Eingriffe gestellt" oder gar "der Abwägung preisgegeben" worden, als "neben der Sache" liegend. Tatsächlich hätte das Gericht "abwägend Bedingungen" identifiziert, "unter denen eine Kürzung der Grundsicherungsleistungen die Menschenwürde gerade nicht tangiert". Die Welt (Kathrin Spoerr) interviewt Ralph Boes, der als Leistungsempfänger das Urteil erstritten hat, zu seinen Beweggründen.

BVerwG zu Hintergrundtreffen: Die SZ (Ronen Steinke) wirft einen Blick auf die nun veröffentlichte Begründung des Mitte September verkündeten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zu Hintergrundtreffen des Bundesnachrichtendienstes mit Journalisten. Das Gericht hatte die Praxis zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber die Auswahl der Journalisten an sachgerechte Kriterien geknüpft. Soweit Auskünfte verweigert würden, müsse dies im Einzelfall begründet werden, eine pauschale Berufung auf Geheimhaltungsinteressen sei nicht zulässig.

LG Hamburg – WhatsApp-Krankschreibung: Das Start-up AU-Schein.de stellt Arbeitnehmern nach wenigen Klicks eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus und stellt diese dann per WhatsApp zu. Gegen diese mit dem Slogan "100 Prozent gültiger AU-Schein" beworbene Praxis hat die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs nun eine Klage beim Landgericht Hamburg erhoben. spiegel.de berichtet.

ArbG Berlin – Ministeriumsmitarbeiterin: zeit.de (Alexander Fröhlich/Fatina Keilani)  berichtet über eine am Arbeitsgericht Berlin verhandelte, brisante Kündigungsschutzklage. Einer Assistentin des Staatssekretärs im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, wurde gekündigt, weil sie bei ihrer Sicherheitsüberprüfung verschwiegen habe, mit einem brandenburgischen Neonazi liiert zu sein. Gegen den mittlerweile mit der Klägerin Verheirateten liefen bereits jahrelang Ermittlungen wegen der Beteiligung an rechtsextremen Ausschreitungen in Jüterbog.

AG Würzburg zu Epileptiker: Wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs hat das Amtsgericht Würzburg einen 32-Jährigen zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Mann hatte während eines epileptischen Anfalls mit überhöhter Geschwindigkeit auf einem Feldweg eine Frau angefahren und getötet, schreibt die FAZ (Karin Truscheit). Seine Erkrankung habe er bei Wiedererteilung seines Führerscheins aber verschwiegen, daher verhängte das Gericht nun auch ein lebenslanges Fahrverbot.

AG Bühl zu RyanAir-Tickets: Nach einem der FAZ (Timo Kotowski) vorliegenden Teilurteil des Amtsgerichts Bühl muss die Fluglinie RyanAir offenlegen, welcher Anteil ihrer Ticketpreise auf Steuern und Gebühren entfällt. Erstritten habe die Entscheidung der Rechtsdienstleister Right-Now, dessen nächstes Ziel die bislang von RyanAir verweigerte Erstattung eben dieser Kosten bei nicht angetretenen Flügen sei.

StA München I – Tödlicher Verkehrsunfall: In der vergangenen Freitagnacht wurde ein 14-Jähriger in München von einem Auto angefahren und tödlich verletzt. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt nun wegen Mordes und mehrfachen Mordversuches, schreibt die FAZ (Karin Truscheit). lawblog.de (Udo Vetter) macht darauf aufmerksam, dass der Verwertung einer existierenden Aufnahme eines Dashcam-Videos eines unbeteiligten Verkehrsteilnehmers keine Bedenken entgegenstehen. "Ein eventueller Verstoß gegen den Datenschutz spielt im Strafverfahren jedenfalls so lange keine Rolle, wie die Polizei ihn nicht selbst zu verantworten hat". In der SZ (Stephan Handel) werden die Unterschiede zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie die nun in Frage kommenden Merkmale erklärt.

Hans Holzhaider (SZ) fragt in einem Kommentar, ob die Bezeichnung "Mörder" angemessen ist für Autofahrer, "die rücksichtslos das Leben anderer (und ihr eigenes) auf Spiel setzen". Weil der für die Annahme eines bedingten Vorsatzes erforderliche Nachweis einer "billigenden Inkaufnahme" nur selten mit der notwendigen Sicherheit erbracht werden könne, lohne der Rückgriff auf den im Oktober 2017 eingeführten Paragrafen 315d Strafgesetzbuch. Trotz "Ansatzpunkten für juristische Spitzfindigkeiten" weise die Norm "einen rationalen Mittelweg" zwischen verharmlosender Fahrlässigkeit und "der Brandmarkung des Täters als Mörder".

StA Bremerhaven – Museumsschiffe: Weil das in Bremerhaven beheimatete Deutsche Schifffahrtmuseum in seiner Obhut befindliche Schiffe verrotten lasse, hat eine Anwältin gegen die Leitung des Museums Anzeige wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung erstattet. Über den Fall berichtet die taz-Nord (Reimar Paul).

Reinhard Gaier: Im lto-Podcast (Peggy Fiebig) spricht der frühere Verfassungsrichter Reinhard Gaier über seine jetzige Tätigkeit als Schlichter bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, aber auch seinen beruflichen Werdegang und seine noch immer ausgeübte akademische Tätigkeit.

Recht in der Welt

USA – Donald Trump: Nach einer vorläufigen Entscheidung des Obersten Gerichts der USA muss die für Donald Trump tätige Buchhalterfirma die Steuererklärungen des Präsidenten nun doch nicht einem Ausschuss des Repräsentantenhauses übergeben. Eine anderslautende Entscheidung eines Berufungsgerichts ist damit ausgesetzt, bis sich die Verfassungsrichter über das weitere Handeln verständigt hätten, berichtet spiegel.de.

China/Hongkong – Vermummungsverbot: Ein Gericht in Hongkong hat das von der örtlichen Regierung Anfang Oktober verhängte Vermummungsverbot für verfassungswidrig erklärt, berichtet die SZ (Lea Deuber). Die vermeintliche Rechtsgrundlage des Verbots, ein Gesetz aus Kolonialzeiten, wahre kein Gleichgewicht zwischen den Eingriffen in die im Grundgesetz der Sonderverwaltungszone garantierten Rechte der Bürger und den gesellschaftlichen Zielen der Maßnahme. Nach dem separaten Kommentar von Lea Deuber (SZ) sollte die Entscheidung "der Regierung eine Warnung sein". Wolle die Stadt weiterhin als internationaler Standort wahrgenommen werden, "muss sie Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit ihrer Bürger schützen".

Indien – Moschee/Tempel: In der vergangenen Woche entschied der indische Supreme Court, dass auf dem Boden einer 1992 von Hindu-Fanatikern zerstörten Moschee ein seit langem geforderter hinduistischer Tempel gebaut werden darf. Im Gegenzug erhielten die Muslime das Recht, "an prominenter Stelle" des betroffenen Ortes eine neue Moschee zu bauen. Das Feuilleton der FAZ (Martin Kämpchen) erläutert die Entscheidung und die historischen Hintergründe der ganz Indien bewegenden Auseinandersetzung.

Sonstiges

PKW-Maut: Nach einem der SZ (Markus Balser) vorliegenden Bericht des Bundesrechnungshofs hat das von Andreas Scheuer (CSU) angeführte Bundesverkehrsministerium bei den Vorbereitungen für die letztlich gescheiterte PKW-Maut gegen Haushalts- und Vergaberecht verstoßen und zudem auch den Bundestag nicht ausreichend informiert. Nach dem Bericht sei nach dem Zuschlag mit den erfolgreichen Bieterfirmen weiterverhandelt worden. Dies könnte Klagen der unterlegenen Firmen nach sich ziehen. In einem Porträt des Ministers schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt), dass dieser den Bericht "in sämtlichen Punkten zurückgewiesen" hätte.

Managed Legal Services: Die neunte Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession befasste sich mit neuen Entwicklungen im Rechtsmarkt und deren Auswirkungen auf die anwaltliche Tätigkeit, vor allem im Verhältnis zu Rechtsabteilungen von Unternehmen. Der ausführliche Bericht von lto.de (Anja Hall) bemerkt dabei auch die Schwierigkeiten, die titelgebenden "Managed Legal Services" zu definieren. Ein Tagungsbericht findet sich auch im Hbl (Heike Anger).

Finanzpolitik: Im FAZ-Einspruch räsoniert der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof zu den "Leitgedanken" der von der Europäischen Zentralbank nicht de jure, dafür aber de facto betriebenen Finanzpolitik und ihrer Auswirkung auf das Leben kommender Generationen.

Republik: Aus Anlass der gegenwärtigen Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der Hohenzollern-Familie über etwaige Rückübertragungen an die Nachkommen des letzten deutschen Kaisers untersucht Juniorprofessor Nils Schaks auf verfassungsblog.de das Grundgesetz nach dessen "republikanischen Gehalt". Die Verfassung gewähre "einzelnen Familien oder Privatpersonen keinerlei Sonderstellung allein aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen". Zur Wahrung des republikanischen Prinzips müsse der "Fortgeltung oder Entstehung von Privilegien" entgegen getreten werden.

Das Letzte zum Schluss

Breaking Bad reloaded: Die Serie "Breaking Bad" ist schon vor einiger Zeit ausgelaufen, sie inspiriert aber anscheinend immer noch. Nach einer Meldung von spiegel.de wurden an der US-amerikanischen Henderson State University zwei Professorin wegen des Verdachts der Herstellung eines für die Droge Crystal Meth wichtigen Bestandteils festgenommen. Die Hochschullehrer gerieten in Verdacht, nachdem an der Uni ein auffälliger Geruch gemeldet wurde.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. November 2019: Vergleicht sich VW? / Verkehrsunfall und Mord? / Neuer Ärger für Scheuer? . In: Legal Tribune Online, 19.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38759/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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