Die juristische Presseschau vom 19. Juni 2019: Aus für PKW-Maut / Deckel für Mieten / Geschenke für das Schwie­ger­kind

19.06.2019

Der EuGH urteilt gegen die deutsche PKW-Maut. Außerdem in der Presseschau: Berliner Senat beschließt Mietendeckel, der BGH bejaht einen Rückforderungsanspruch von vormaligen "Schwiegereltern" und eine Verwechslung beim Drogenvortest.

Thema des Tages

EuGH zu PKW-Maut: Die als Infrastrukturabgabe geplante deutsche PKW-Maut verstößt gegen Unionsrecht. Der Europäische Gerichtshof stellte Verstöße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs sowie eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit durch die Mautregelung fest. Deren wirtschaftliche Last liege durch die gleichzeitige Änderung der PKW-Steuer praktisch ausschließlich bei Fahrern aus anderen EU-Staaten. Berichte zur Entscheidung bringen SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), FAZ (Hendrik Wieduwilt u.a.), tagesschau.de (Klaus Hempel) sowie das Hbl (Daniel Delhaes) in einem Titelthema. Die Doktorandin Linda Karl erklärt auf lto.de die Argumentation des Generalanwalts, der im Februar eine Diskriminierung von EU-Ausländern wegen des Fehlens einer für eine Diskriminierung erforderlichen "Vergleichsgröße" noch verneint hatte.

Nach Michael Bauchmüller (SZ) ist die Entscheidung "keine Niederlage Deutschlands, sondern eine der CSU", deren Welt "mitunter recht klein" sei. Einer "besseren, intelligenten Lösung", Kosten für die Nutzung von Infrastruktur auch geltend zu machen, stehe das Urteil jedenfalls nicht entgegen. Vorschläge für solche Inanspruchnahmen nach dem Verursacherprinzip enthält der Kommentar von Ingo Arzt (taz). Kerstin Schwenn (FAZ) ist der Ansicht, dass die deutsche Regelung "auch an ihrer Plumpheit gescheitert" sei. Nutzergebühren seien absehbar, gerade angesichts der Herausforderungen des Klimawandels. Für Reinhard Müller (FAZ) war die Maut "eine populistische Schnapsidee".

Rechtspolitik

Mietendeckel: Der Berliner Senat hat die Einführung des sogenannten Mietendeckels beschlossen, der die Mieten von mehr als anderthalb Millionen Wohnungen der Hauptstadt fünf Jahre einfriert und zudem Mietobergrenzen festlegen soll. U.a. das Hbl (Silke Kersting) berichtet, die taz-Berlin (Erik Peter) geht auch auf die Beiträge der Berliner Koalitionsparteien an der erzielten Einigung ein. spiegel.de (Michael Kröger) gibt einen Überblick zu den wichtigsten Regelungen des Deckels. Rechtsanwalt Michael Selk (community.beck.de) meldet Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden Inkrafttretens an.

Für Henrike Roßbach (SZ) ist das Vorhaben "eine Verzweiflungstat angesichts eines weitgehend selbst verschuldeten Desasters". Zacharias Zacharakis (zeit.de) hält es dagegen für "das richtige Instrument zur richtigen Zeit". Angesichts der katastrophalen Wohnungssituation in der Stadt sei der "brachiale und in Deutschland einzigartige Eingriff" notwendig und richtig.

Polizeigesetze und Sicherheit: Der SWR RadioReportRecht (Peggy Fiebig/Bernd Wolf) beschreibt den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz als Beginn einer "veränderten Sicherheitslage" mit der Folge immer weiter reichender polizeilicher Ermittlungsbefugnisse und untersucht, inwiefern die propagierte präventive Gefahrenabwehr tatsächlich zu mehr Sicherheit führen kann.

Studienplatzverteilung: Im Jahr 2017 erklärte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis bei der Verteilung von Medizinstudienplätzen für verfassungswidrig. Ein neuer Staatsvertrag hat die Verteilung nun neu geregelt, er tritt nach Zustimmung der noch ausstehenden Landtage voraussichtlich mit dem neuen Jahr in Kraft. Für den FAZ-Einspruch rekapitulieren Daniel Wolff und Patrick Zimmermann, Akademischer Rat und studentische Hilfskraft, die zugrundeliegende Entscheidung und stellen die Neuregelung vor.

Dienstpflicht: In einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil der FAZ spricht sich Günter Krings (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, gegen die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Menschen aus. Sie stünde im Widerspruch zum freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes und wäre auch volkswirtschaftlich problematisch.

Justiz

BGH zu Schwiegerelterngeschenk: Ein im Vertrauen auf den dauerhaften Bestand der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Tochter gemachtes größeres elterliches Geldgeschenk kann vom Ex-Partner zurückgefordert werden. Dies entschied zugunsten der schenkenden Eltern der Bundesgerichtshof. Wie schon die Vorinstanzen, erkannten auch die Bundesrichter einen Anspruch wegen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage, schreibt lto.de über das Urteil, das nach Einschätzung einer zitierten Familienrechtlerin die Rechtsprechung zu Rückforderungsansprüchen bei Schwiegerelternschenkungen nach Scheitern der Ehe fortführt. Berichte bringen auch SZ (Wolfgang Janisch), taz.de (Christian Rath) und Hbl (Frank Drost/Matthias Streit).

BGH zu Bankgebühren: Banken sind grundsätzlich berechtigt, von ihren Kunden Entgelte für das Abheben und Einzahlen von Geld am Bankschalter zu erheben. Dies gelte jedoch nur für tatsächlich angefallene Kosten, entschied der Bundesgerichtshof in einem von lto.de, Welt (Karsten Seibel) und Hbl (Frank Drost) berichteten Urteil. Die Berechtigung der Höhe der von der beklagten Sparkasse verlangten Gebühren muss nun noch einmal vom Oberlandesgericht München geprüft werden.

BGH zu Verdachtsberichterstattung: Das jüngst veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs zur Haftbarkeit eines Fernsehsenders für unsorgfältige Recherchen aus dem April wird nun auch von internet-law.de (Thomas Stadler) besprochen. Der Autor findet es bemerkenswert, dass der BGH die Haftung des beklagten MDR auch auf die von Uploadern des fraglichen Beitrags verursachten Persönlichkeitsrechtsverletzungen ausgeweitet hat.

LG Frankfurt zu Bild-Entschädigung: Wegen schwerwiegender Verletzungen der Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung und journalistischer Sorgfaltspflichten hat das Landgericht Frankfurt/M. den Axel-Springer-Verlag zu einer Entschädigung von 110.000 Euro verurteilt. Empfänger ist der siegreiche Kläger, den die Bild-Zeitung in einer Artikelreihe der örtlichen Regionalausgabe als "schlimmsten Vorgesetzten Deutschlands" bezeichnet hatte. Offenbar stützten sich die Vorwürfe gegen den Behördenleiter allein auf Tagebuchaufzeichnungen einer Mitarbeiterin, schreibt lto.de.

LG Bremen zu Gorch Fock-Ausdockung: In einem Bericht zur nach wie verworrenen Situation der Finanzierung des Segelschulschiffes Gorch Fock teilt die Welt (Christian Schweppe) mit, dass das Landgericht Bremen eine vom Bund beantragte einstweilige Anordnung zur Herausgabe des Schiffs wegen mangelnder Eilbedürftigkeit abgelehnt hat. Die Antragsgegnerin, eine Werft, mache die für den kommenden Freitag geplante Ausdockung des Schiffs von der Zahlung mehrerer Millionen Euro abhängig.

LG Bonn – Cum-Ex-Deals: Voraussichtlich im Herbst beginnt am Landgericht Bonn der erste Strafprozess zu sogenannten Cum-Ex-Deals. Den beiden Angeklagten wird eine Schadenssumme von 440 Millionen Euro zur Last gelegt, berichtet die SZ (Klaus Ott/Jan Willmroth). Gleichzeitig hätten beide aber auch durch umfangreiche Einlassungen die Arbeit der Ermittler vorangetrieben.

LG Hamburg – Elbchaussee-Ausschreitungen: Das am Landgericht Hamburg geführte Verfahren zu G20-Ausschreitungen in der Elbchaussee wird vorerst weitergeführt. Das Gericht verwarf einen von der Staatsanwaltschaft gestellten Befangenheitsantrag, berichtet die taz-Nord (Katharina Schipkowski).

AG Riesa zu Drohnen-Abschuss: Der Abschuss einer über seinem Grundstück schwebenden Drohne mit einem Luftgewehr kann gemäß den Notstandsregelungen gerechtfertigt sein. Das Amtsgericht Riesa hat den Schützen in einem nun veröffentlichten Urteil vom April vom Vorwurf der Sachbeschädigung freigesprochen, meldet lto.de.

AG Deggendorf zu Abschiebung: Unter anderem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte hat das Amtsgericht Deggendorf eine aus Sierra Leone stammende Frau zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die abgelehnte Asylbewerberin hatte sich vor einem Jahr in schwangerem Zustand handgreiflich gegen ihre Abschiebung nach Italien gewehrt, schreibt die taz (Anna Lehmann).

VG Wiesbaden – BKA-Ermittlungen: netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet, dass die Organisation FragdenStaat.de beim Verwaltungsgericht Wiesbaden die Herausgabe einer bei Ermittlungen in der sogenannten Prepper-Szene sichergestellten "Feindesliste" erreichen will. Das beklagte Bundeskriminalamt habe dies bislang unter Verweis auf Datenschutzgründe verweigert.

GBA – Mordfall Walter Lübcke: Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts zur Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke schließen nun die Möglichkeit mehrerer Täter nicht aus, weiß die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) zu berichten. Ausführliche Berichte zur Biographie des bisherigen Hauptverdächtigen Stephan E. finden sich bei Zeit (Kai Biermann u.a.), Welt (Christina Brause u.a.), taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde), FAZ (Helene Bubrowski) sowie in einer Seite Drei-Reportage der SZ (Ronen Steinke u.a.). Das Hbl (Moritz Koch) porträtiert Generalbundesanwalt Peter Frank.

Falsche Gutachten: In einer Reportage beschreibt Zeit (Uta Eisenhardt) eine auffällige Häufung wissenschaftlich fragwürdiger Brandgutachten des Berliner Landeskriminalamts im vergangenen Jahrzehnt. Die Gutachten hätten zahlreiche Verurteilungen, auch in Tötungssachen bewirkt und Betroffene an den Rand ihrer Existenz gebracht.

Recht in der Welt

Großbritannien/EU – Brexit: Die jüngste Drohung des mutmaßlich nächsten britischen Premierministers Boris Johnson, die mit der EU vereinbarte Austrittszahlung seines Landes bis zur Vereinbarung eines besseren Abkommens zurückzuhalten, ist nach Einschätzung der BadZ (Christian Rath) substanzlos. Eine Zahlungspflicht bestehe unabhängig vom Abkommen, beruhe auf Völkerrecht und könne notfalls durch eine Klage der verbleibenden Mitgliedstaaten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag beigetrieben werden.

Spanien – katalanische MdEP: Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat es abgelehnt, die gegen Carles Puigdemont und einen Minister seiner früheren Regionalregierung erlassenen Haftbefehle außer Kraft zu setzen. Nach ihrer Wahl zum EU-Parlament müssten beide nach Madrid, um dort auf die Landesverfassung zu schwören, erläutert die taz (Reiner Wandler). Die Verteidigung berufe sich auf eine Immunität der Parlamentarier und wolle deren Mandatsausübung notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof durchsetzen.

Argentinien – Bischof: In Oran/Argentinien hat ein Strafprozess gegen den früheren Bischof der Stadt begonnen, dem "fortgesetzter schwerer sexueller Missbrauch, begangen von einem Geistlichen einer religiösen Organisation" vorgeworfen wird. Der Angeklagte gelte als früherer Schützling von Papst Franziskus, schreibt die FAZ (Matthias Rüb).

Sonstiges

International Bar Association: In ihrer Kolumne für den FAZ-Einspruch kritisiert Rechtsanwältin Birgit Spießhofer den Wandel der International Bar Association (IBA) von einer reinen Interessenvertretung zu einem "Regulator der globalen Anwaltschaft". Es sei zwar sinnvoll, wenn sich die Organisation transnationaler Themen und ihrer Steuerung annehme. Von einem hierfür erforderlichen "transparenten, partizipativen, demokratischen und repräsentativen Verfahren" sei die IBA jedoch noch weit entfernt.

Politik und Recht: Der FAZ-Einspruch (Katja Gelinsky) hat eine Tagung der "Juristischen Gesellschaft zu Berlin" besucht und gibt das von Robert Seegmüller gehaltene Plädoyer für eine "Wiedergewinnung des Politischen" ausführlich wieder. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen habe sowohl "einen zunehmenden Verlust von Gestaltungsfähigkeit des Gesetzgebers" als auch einen Niedergang der "Bereitschaft des Gesetzgebers zur Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen" ausgemacht und verschiedene Lösungsansätze auf nationaler und internationaler Ebene diskutiert.

Kommissionspräsident: Der Politologe Frank Decker beschreibt für den FAZ-Einspruch das bei der Wahl zum Präsidenten der EU-Kommission verwendete Spitzenkandidatensystem und gelangt nach einer Analyse von dessen Schwächen zur Forderung, den Kommissionspräsidenten direkt wählen zu lassen. Auch Karoline Meta Beisel (SZ) beschreibt in einem Kommentar die anstehende Wahl als Ausdruck des sich neu austarierenden Kräfteverhältnisses der europäischen Institutionen. Die Abgeordneten würden hier noch immer vor allem "das Fortkommen der eigenen Partei" und nicht die tatsächliche Macht des Parlaments im Auge behalten.

Kirchliches Arbeitsrecht: Die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht begrüßt der FAZ-Einspruch (Georg Paul Hefty). "In der multikulturellen Gegenwart und Zukunft" sei es notwendiger denn je, dass der Staat "sich selbst und die Einzelnen vor ungerechtfertigten Anmaßungen" durch arbeitgebende Religionsgemeinschaften schützt.

Legal OS: Das Berliner Start-up Legal OS kann sich nach Bericht des Hbl (Christoph Kapalschinski) über eine millionenschwere Zuwendung des Investors Holtzbrinck Ventures freuen. Legal OS beschäftige sich mit der Automatisierung von Verträgen und wolle mit dem neuen Geld Funktionen ausbauen.

Das Letzte zum Schluss

Der kleine Unterschied: Ein Autofahrer in Lüdenscheid hatte mit Verständnis- oder vielleicht auch anderen Problemen zu kämpfen, als ihn Polizisten zur Abgabe einer Urinprobe aufforderten. Laut lawblog.de (Udo Vetter) brachte der Mann nach einem "ungewöhnlich langen" Aufenthalt im Gebüsch einen mit Sperma gefüllten Becher zurück. Der im Anschluss unternommene Speicheltest fiel negativ aus.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Juni 2019: Aus für PKW-Maut / Deckel für Mieten / Geschenke für das Schwiegerkind . In: Legal Tribune Online, 19.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35989/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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