Gegen einen Bundespolizisten wird wegen Misshandlungen im Dienst ermittelt. Braucht die Polizei einen Polizeibeauftragten? Außerdem in der Presseschau: erfolgreich gegen Vorratsdatenspeicherung klagen, mögliche Lösungen für Flüchtlingsproblematik, Pro und Contra zur Tarifeinheit, angeklagte Deutsch-Banker äußern sich zu Anklage und schlechte Publicity für Superstar.
Thema des Tages
StA Hannover – Polizeigewalt: spiegel.de (Jörg Diehl) bringt Einzelheiten zu den über das Wochenende bekanntgewordenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover gegen einen Bundespolizisten. Der Beamte soll auf der Wache im Hauptbahnhof der niedersächsischen Landeshauptstadt zwei Flüchtlinge misshandelt und erniedrigt haben. Bilder der Taten seien im Anschluss mit verhöhnenden Kommentaren an Kollegen versendet worden. Die Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic (Grüne) sehe sich in ihrer Forderung nach Einrichtung eines Polizeibeauftragten auf Bundesebene bestätigt. Eine solch unabhängige Institution beuge der Gefahr "abgeschotteter Räume" in polizeilichen Dienststellen vor. Über positive Erfahrungen zu einem solchen Amt in Rheinland-Pfalz schreibt die taz (Konrad Litschko).
Die Berichte von SZ (Thomas Hahn), FAZ (Reinhard Bingener, Online-Version) und taz (Reimar Paul) gehen auch auf den Stand der Ermittlungen wegen der im vergangenen Jahr bekanntgewordenen Übergriffe in einer Flüchtlingsunterkunft in Burbach ein. Hierzu habe die Staatsanwaltschaft Siegen mitgeteilt, dass gegen 50 Beschuldigte, u.a. zwei Bedienstete der Bezirksregierung Arnsberg, ermittelt würde. Wegen des Umfangs dieser Ermittlungen sei mit einem zeitnahen Abschluss noch nicht zu rechnen.
Christian Bommarius (Berliner Zeitung) betont, dass über die Aufklärung eines Folterskandals hinaus auch "das Menschenbild auf deutschen Polizeiwachen" einer Aufklärung bedürfe. Dass "alle Mitwisser monatelang geschwiegen, also die Folter des Kollegen vertuscht haben", mache den Fall zu einem "alarmierenden Ereignis".
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Nun unterzieht auch Thomas Stadler (internet-law.de) den geplanten Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung einer gründlichen inhaltlichen Prüfung.
Die taz (Christian Rath) untersucht die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Vorgehens gegen die Neuregelung. Die "punktuellen Vorgaben" des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 erfülle der jetzige Entwurf wohl, wenngleich zu beachten sei, dass das Gericht "im Lauf der Zeit recht oft seine Maßstäbe" ändere. Dagegen sei die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom April 2014 zur entsprechenden EU-Richtlinie strenger. Viele der im Urteil gesammelten Kritikpunkte seien allerdings im Entwurf berücksichtigt worden.
EU-Flüchtlingspolitik: In der Einschätzung der SZ (Ronen Steinke) lässt sich ein EU-Plan zu einem unter Mandat der Vereinten Nationen stehenden Militäreinsatz gegen sogenannte Schlepper im Mittelmeer mit dem Wortlaut der UN-Charta in Einklang bringen. Die notwendige Bedrohung der internationalen Sicherheit sei bereits vor mehr als 20 Jahren auf Migrationsbewegungen angewendet worden. Auf Bestreben kleinerer, im UN-Sicherheitsrat einflussloser Länder sei anerkannt worden, dass zwar nicht die Flüchtlinge selbst, vielmehr deren Ankunft im Zielland Destabilisierungen und damit indirekt auch Bedrohungen für den Weltfrieden auslösen könnten. Diese Interpretation erlaube es Großmächten, "militärisches Eingreifen in ihrem Sinne zu sanktionieren."
Dominic Johnson (taz) behauptet im Leitartikel der Zeitung, dass sowohl ein militärisches Vorgehen als auch die Bekämpfung vermeintlicher Fluchtursachen durch Entwicklungspolitik an der Realität vorbeigingen. Es sei vielmehr anzuerkennen, dass sowohl "Flucht vor unzumutbaren Lebensverhältnissen" als auch "Auswandern zur Gewinnung von Zukunftsperspektiven" zum Recht auf Freizügigkeit gehörten. Als "Kern der Freiheitsrechte" und damit explizit europäischer Wert sei es dieses Recht auch von Europa zu respektieren.
Einwanderung: Die Welt (Ulrich Exner) befragt die niedersächsische Migrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf (SPD) zur gegenwärtigen Situation von Flüchtlingen in ihrem Bundesland und notwendigen Konsequenzen. Die Landtagsabgeordnete erläutert ihre Forderung nach einer grundlegenden Asylreform und einem Bundesministerium für Einwanderung und Demografische Entwicklung.
Flüchtlingsquote: In einem ausführlichen Beitrag kritisiert der Rechtswissenschaftler Maximilian Pichl (verfassungsblog.de) den Vorschlag, Flüchtlinge in Europa nach einem Quotensystem zu verteilen. Wie schon das nach wie vor geltende Dublin-System vernachlässige der jetzige Vorschlag die Interessen von Migranten. Die Idee einer "mathematischen Bürokratie" blende die komplexe Realität von Migrationsbewegungen aus.
BND/NSA-Datenaustausch: Die Forderung nach Herausgabe von NSA-Suchbegriffen, sogenannten Selektoren, durch den BND bezeichnet Heribert Prantl (SZ) als "nicht unbillig". "Der Aktionsradius der Geheimdienste ist auch kein rechtsfreier Radius". Um dies sicherzustellen, müsse der Bundestag sein Untersuchungs- und Kontrollrecht, gegebenenfalls unter Berücksichtigung berechtigter Geheimschutzinteressen, ausüben.
Tarifeinheit: In einem Gastkommentar für das Handelsblatt spricht sich Ingo Kramer, Präsident der Arbeitgebervereinigung BDA für den Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit aus. Der gegenwärtige Entwurf löse zwar "nicht alle Probleme des Tarifrechts", schaffe aber nach der "überraschenden" Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit".
Dagegen erkennt Stefan von Borstel (Welt) im Leitartikel des Blattes im jetzigen Entwurf nur eine "Scheinlösung". Statt den Arbeitsrichtern Einzelfallentscheidungen zur Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen zu übertragen, täte die Große Koalition besser daran, das "heiße Eisen" Streikrecht zumindest im Bereich der Daseinsvorsorge endlich gesetzlich zu regeln.
Justiz
LG München I – Deutsche Bank: Mit Ausnahme des einstigen Bankchefs Rolf Breuer nutzten alle Angeklagten die Fortsetzung des Deutsche Bank-Verfahrens vor dem Landgericht München I für ausführliche Erklärungen. In diesen wurde der Vorwurf des versuchten Prozessbetruges entschieden zurückgewiesen, schreibt die SZ (Klaus Ott). Die Aussagen der nunmehrigen Angeklagten im damaligen Schadensersatz-Verfahren gegen Leo Kirch und dessen Erben seien vielmehr "nach bestem Wissen und Gewissen" erfolgt. Die Beendigung dieses Verfahrens durch einen Vergleich sei dem anhaltenden Reputationsschaden geschuldet und nicht als Schuldeingeständnis zu verstehen. Einzelheiten zu den Erklärungen der Angeklagten bringt auch die FAZ (Joachim Jahn).
LG Bochum zu Schienenkartell: Das beim Landgericht Bochum gegen sieben Manager des Voestalpine-Konzerns geführte Strafverfahren wegen Beteiligung an einem Schienenkartell zum Nachteil der Deutschen Bahn ist gegen Zahlung von Geldbußen von insgesamt knapp 300.000 Euro eingestellt worden. Nach dem Bericht des Handelsblatts waren die Angeklagten vollumfänglich geständig. Die jetzige Entscheidung bereite ein ab Spätsommer gegen höherrangige Manager des ebenfalls kartellbeteiligten Thyssen-Krupp-Konzerns vor.
LG Frankfurt/O. - Maskenmann: Der vor dem Landgericht Frankfurt/O. geführte, sogenannte Maskenmann-Prozess um aufsehenerregende Raubüberfälle auf Unternehmer im Berliner Umland steht vor dem Abschluss. Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) erklärt, unter welchen Voraussetzungen die von seinem Blatt zusammengetragenen, den Angeklagten mutmaßlich entlastenden Indizien einen Wiedereintritt in die gerichtliche Beweisaufnahme bewirken könnten.
StA Bochum - Thomas Middelhoff: Nach Bericht der SZ (Uwe Ritzer/Georg Wellmann, Online-Version) verhandeln rund 50 Gläubiger Thomas Middelhoffs gegenwärtig mit einem Insolvenzverwalter über ihre Forderungen. Es bestehe der Verdacht, dass der verurteilte Manager durch Vermögensübertragungen, sogenannte Asset Protection, einen beträchtlichen Teil seines Vermögens dem unmittelbaren Zugriff der Gläubiger entzogen. In diesem Zusammenhang ermittle die Staatsanwaltschaft Bochum gegen ihn wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung.
Recht in der Welt
Frankreich – Banlieue-Unruhen: Vor zehn Jahren löste der Unfalltod zweier Jugendlicher in einer Pariser Vorstadt wochenlange Unruhen aus. Die Verstorbenen flüchteten vor Polizisten. Diese wurden nun vom Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung freigesprochen, berichtet die FAZ (Michaela Wiegel). Dem jetzigen Verfahren sind jahrelange Auseinandersetzungen über die tatsächliche Eröffnung vorausgegangen.
Russland – Extremismus/NGOs: Ein russischer Straftatbestand bestraft die Verbreitung extremistischer Inhalte u.a. auch über das Internet, ohne das fragliche Tatbestandsmerkmal genauer zu definieren. Menschenrechtsaktivisten im Land beklagen die scheinbar willkürliche Anwendung des Gesetzes, schreibt die SZ (Julian Hans).
Ein weiteres Gesetz zur Einschüchterung tatsächlicher oder vermeintlicher oppositioneller Umtriebe steht nach Darstellung der FAZ (Friedrich Schmidt) unmittelbar vor seiner Verabschiedung. Nach diesem Vorhaben könnten ausländische oder internationale Nichtregierungsorganisationen durch Bestimmung des Justizministeriums als "unerwünscht" gekennzeichnet und damit weitgehenden Einschränkungen ihrer Aktivitäten unterwerfen werden.
USA – Polizeiausrüstung: US-Präsident Barack Obama hat durch eine präsidiale Anordnung verfügt, dass der Polizei des Landes nicht mehr militärische Ausrüstung zur Verfügung gestellt wird. Die Entscheidung beruhe auf Empfehlungen einer Kommission, die nach mehreren Unruhen im vergangenen Jahr berufen wurde, berichtet spiegel.de.
Sonstiges
In dubio pro reo: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt erläutert Strafverteidiger Klaus Volk einen der "wichtigsten Rechtsgrundsätze des Strafprozesses". Um "in dubio pro reo" anzuwenden, bedürfe es Zweifel seitens des Gerichts. Diese Zweifel wiederum müssten vernünftig, d.h. ohne überspannte Anforderungen an die Wahrheit, sein.
Gefängnis: Für Hannelore Crolly (Welt) drängt sich nach einem besuchsweisen Aufenthalt in der JVA Mannheim nicht der Eindruck auf, dass "es unseren Häftlingen wirklich zu gut" gehe.
Heimarbeit: Ein neues niederländisches Gesetz gibt ab Juli Arbeitnehmern einen Anspruch, ihre Arbeit auch von daheim erledigen zu können. Aus diesem Anlass stellt das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) die hierzulande geltende Rechtslage zum sogenannten Home Office dar. Grundsätzlich könnten Arbeitgeber aufgrund ihres Direktionsrechts die Arbeitsorganisation nach eigenen Vorstellungen bestimmen. Der Wunsch, eigene Arbeit im Home Office zu erbringen, sei dagegen nur im Ausnahmefall, etwa wenn dies bereits anderen Kollegen genehmigt worden ist, durchsetzbar.
Das Letzte zum Schluss
Superstar: Eben noch auf großer Showbühne erfolgreich, droht dem Gewinner der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" ein um einiges unangenehmerer Auftritt. Wie focus.de schreibt, steht das preisgekrönte Talent "Severino" vor einer Verurteilung wegen Betruges. Gemeinsam mit Komplizen soll der Sänger mehrere Rentnerinnen um deren Erspartes gebracht haben, Komplizen seien bereits verurteilt worden. Für den denkbaren Täter-Opfer-Ausgleich ist indes gesorgt. Sein Preisgeld für den Gewinn der Show dürfe der 28-jährige nach Angaben von RTL in jedem Fall behalten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2015: Polizeibeauftragter gegen Polizeigewalt – Lösungen für Flüchtlinge – Deutsch-Banker zu Vorwürfen . In: Legal Tribune Online, 19.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15560/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag