Was wollen die Parteien nach den Wahlen justizpolitisch erreichen? Der BGH wartet im Streit um Löschungspflichten bei Falschzitaten auf eine EuGH-Entscheidung. Die Wada vereinbarte mit Tennisprofi Jannik Sinner eine nur kurze Sperre.
Thema des Tages
Justizpolitik im Wahlkampf: Justizpolitik spielt in den Wahlprogrammen der Parteien eine untergeordnete Rolle, analysiert LTO (Hasso Suliak). Während CDU, SPD und Grüne sich für eine Neuauflage eines Paktes für den Rechtsstaat aussprechen, fordert die FDP eine Erprobung von KI-Tools, um die Arbeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften zu erleichtern. Dergleichen findet auch die Union sinnvoll, darüber hinaus spricht sie sich für eine wissenschaftlich fundierte Diskussion über eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters aus. Breiten Raum nehmen rechtspolitische Vorstellungen bei der AfD ein, die sich für eine "Entpolitisierung der Justiz" sowie "effektiven Rechtsschutz für den Bürger" ausspricht. Das BSW fordert eine grundlegende Reform der Strafprozessordnung, die Linke hingegen gibt zu, angesichts des Zeitdrucks beim Verfassen des Wahlprogramms keine konkreten justizpolitischen Forderungen entwickelt zu haben. Gewünscht werde jedenfalls eine Modernisierung der Justiz mit angemessener finanzieller Ausstattung.
Rechtspolitik
Bundestags-Wahlrecht: Auch der SWR-RadioReportRecht (Klaus Hempel/Max Bauer) befasst sich nun mit den Auswirkungen des reformierten Wahlrechts für die anstehende Wahl und erklärt darüber hinaus Ge- und Verbote beim Wahlakt. Selfies oder gar Live-Übertragungen aus der Wahlkabine sind ausdrücklich verboten.
Scheinselbständigkeit und Lehrtätigkeiten: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und CDU/CSU hatte der Bundestag Ende Januar eine "Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten" verabschiedet, der der Bundesrat in der vergangenen Woche zustimmte. Hierdurch erhalten Bildungseinrichtungen, die selbständige Honorarkräfte beschäftigen, Zeit bis zum Ende des nächsten Jahres, um "rechtssichere Beschäftigungsmodelle" zu entwickeln. Die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen ist derweil ausgeschlossen. Dass hiermit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts umgangen werden soll, wurde unlängst von BSG-Präsidentin Christine Fuchsloch kritisiert, schreibt die FAZ (Katja Gelinsky) im Recht und Steuern-Teil. Statt "Insellösungen" zu konstruieren, wäre der Gesetzgeber besser beraten, "eine Gesamtlösung für schutzbedürftige Personen" zu schaffen.
Justiz
BGH – Künast vs. Facebook: Der Bundesgerichtshof hat das Revisions-Verfahren über mögliche Ansprüche der Bundestagsabgeordneten Renate Künast (Grüne) gegen den Facebook-Konzern Meta ausgesetzt. Künast fordert eine proaktive Löschung aller identischen und sinngleichen Memes, die ein Falschzitat Künasts verbreiten. Der BGH will nun aber zunächst eine Entscheidung in einem am Europäischen Gerichtshof anhängigen rumänischen Verfahren um die Haftung eines Online-Marktplatzes abwarten, bei dem Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung streitentscheidend sind. Der BGH legte dem EuGH keine eigenen Fragen vor. Die Berichte von FAZ (Katja Gelinsky), LTO und beck-aktuell fassen den Gang des nun ausgesetzten Verfahrens zusammen und geben Stellungnahmen der Klägerin und der sie unterstützenden Organisation HateAid wieder. Noch vor der Aussetzungsmitteilung berichteten taz (Christian Rath) und zdf.de (Jan Henrich) über die wesentlichen, in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente der Parteien. Entscheidende Frage ist wohl, ob die wechselnden Bildunterschriften (Captions) in den Künast-Falschzitat-Memes eine automatisierte Filterung durch Facebook verhindern und ob Künasts Klage deshalb abgelehnt werden muss.
CAS – Jannik Sinner: Der italienische Tennisprofi Jannik Sinner wird wegen eines Verstoßes gegen Dopingbestimmungen für drei Monate gesperrt. Das ist das Ergebnis eines "case resolution agreements" des Weltranglistenersten mit der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Die Wada akzeptierte Sinners Erklärung, das anabole Steroid Clostebol sei ohne Dopingabsicht lediglich durch Fahrlässigkeit seines Physiotherapeuten bei einer Massage in seinen Körper gelangt. Ursprünglich hatte die Wada Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof CAS gegen den Freispruch Sinners durch die International Tennis Integrity Agency (ITIA) eingelegt. Nach der Einigung zog die Wada nun ihren Einspruch zurück. LTO berichtet.
Gerald Kleffmann (SZ) kommentiert, die Wada habe "einen Vertrauensverlust ganz neuer Dimension geschaffen", dabei aber auch schon im Umgang "mit positiv getesteten chinesischen Schwimmern" eine erstaunliche Resilienz gegenüber Kritik bewiesen. Dennoch habe die Reputation Sinners stark gelitten.
EuGH zu DSGVO-Bußgeldern: In der vergangenen Woche entschied der Europäische Gerichtshof, dass bei der Ermittlung der Obergrenzen von Bußgeldern wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung der Umsatz der gesamten wirtschaftlichen Einheit zugrundegelegt werden kann. Die vom Gericht hierfür angestellte Analogie zum Wettbewerbsrecht erläutert Rechtsanwalt Tim Wybitul vertieft im Recht und Steuern-Teil der FAZ.
BGH zu Ausschluss von Richteramt: Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs umfasst § 41 Nr. 6 Zivilprozessordnung nicht eine Konstellation, in der ein Richter zunächst am Versäumnisurteil eines Landgerichts mitgewirkt hat und dann später als OLG-Richter über eine Berufung gegen dessen Aufrechterhaltung zu befinden hat. Weil der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts hierzu eine andere Ansicht vertritt, fragt der BGH nun aber dort nach, ob an dieser festgehalten werde. Über den entsprechenden Beschluss berichtet beck-aktuell.
BVerwG zu Richterbesoldung am VG: Die unterschiedliche Besoldung von "Richtern am VG" gegenüber "Richtern am FG" begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die höhere Besoldung letztgenannter Gruppe beruht auf dem Umstand, dass Finanzgerichte auf der Ebene von Oberverwaltungsgerichten anzusiedeln seien, so das Bundesverwaltungsgericht laut beck-aktuell. Der Versuch eines Verwaltungsrichters, seine besoldungsrechtliche Einstufung anzugreifen, blieb auch im Wege einer Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos.
OLG München – Umsturzpläne/Reuß: Am 53. Verhandlungstag nahm am Oberlandesgericht München Melanie R., die designierte künftige Gesundheitsministerin der Verschwörergruppe um Heinrich Prinz Reuß, Stellung zu den Anklagevorwürfen. Sie wies hierbei entrüstet zurück, mit "Reichsbürgern, Neonazis, Rechtsextremisten und Holocaustleugnern" gemeinsame Sache gemacht zu haben und beschrieb, dass sie lediglich aus Neugier einer Einladung des Prinzen Reuß gefolgt sei. Von der Planung eines Umsturz sei dort nicht die Rede gewesen. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
OLG München – Militante Antifa/Hanna S.: Über den am heutigen Mittwoch am Oberlandesgericht München beginnenden Strafprozess gegen die Linksextremistin Hanna S. berichtet nun auch beck-aktuell. An 24 Verhandlungstagen muss sich die Angeklagte im Zusammenhang mit organisierten Antifa-Angriffen gegen Rechtsextremisten in Budapest 2023 u.a. gegen den Vorwurf des versuchten Mordes verteidigen. Das OLG hat vorab mitgeteilt, dass der in Frage stehende Angriff auch als gefährliche Körperverletzung eingestuft werden könne.
OLG Hamm zu absoluter Fahruntüchtigkeit auf E-Scootern: Wer mit einem Blutalkohol-Wert von mehr als 1,1 Promille auf einem E-Scooter unterwegs ist, muss grundsätzlich als absolut fahruntüchtig eingestuft werden. Angesichts der gesetzgeberischen Wertung hat ein solcher Verkehrsverstoß damit auch den Entzug der Fahrerlaubnis zur Folge. Dies stellte das Oberlandesgericht Hamm in einem Beschluss vom Januar klar. beck-aktuell berichtet.
OLG Braunschweig zu PushTAN-Freigabe: Auch in der am Oberlandesgericht Braunschweig eingelegten Berufung blieb eine Bankkundin mit dem Versuch erfolglos, einen Schaden durch betrügerische Abbuchungen von ihrer Bank ersetzt zu bekommen. Die Klägerin hatte einem vermeintlichen Bankmitarbeiter mehrere Freigaben mittels des PushTAN-Verfahrens erteilt und so einen grundsätzlich vorhandenen Ersatzanspruch durch eigene leichtsinnige Pflichtwidrigkeit verloren. Über die Entscheidung berichten LTO und beck-aktuell.
LAG RhPf zu Arbeitszeugnis: Die vergleichsweise vereinbarte Erteilung eines Arbeitszeugnisses kann mit einer Zwangsvollstreckung erzwungen werden. Dies stellte das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz laut spiegel.de klar. Entgegen der Ansicht des früheren Arbeitgeber sind die im Vergleich vereinbarten Formulierungen auch hinreichend bestimmt.
LG Berlin I zu Wachmann in Kriegsgefangenenlager: Ein erst im Oktober am Landgericht Berlin I eröffnetes Hauptverfahren gegen einen früheren Wachmann in einem deutschen Kriegsgefangenenlager für Sowjetsoldaten in der damaligen Sowjetunion ist Ende Dezember nach dem Tod des 101-jährigen Angeklagten eingestellt worden. Die taz (Klaus Hillenbrand) schreibt, dass keine weiteren Ermittlungsverfahren gegen Wachmänner in Kriegsgefangenenlagern anhängig sind. Von 5,7 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen starben 3,3 Mio. in deutschen Lagern. Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg geht seit 2022 davon aus, dass die Morde in diesen Lagern mit den Verbrechen in NS-KZs vergleichbar sind.
LG Bielefeld – Erschossener Ex-Boxer: Wegen der Tötung des ehemaligen deutschen Profiboxers Besar Nimani muss sich der 34-jährige Hüseyin A. am Landgericht Bielefeld verantworten. Nimani wurde im März 2024 in der Bielefelder Fußgängerzone erschossen. Die Familie des Opfers nimmt an, dass der Streit ursprünglich entstand, weil Nimani nicht duldete, dass in dem von ihm nun betriebenen Kiosk gedealt wird. Nimani, der sich bedroht fühlte, habe sich an die Polizei gewandt, sei aber nicht ernst genommen worden. Im Prozess geht es vor allem um die Frage, ob nur Hüseyin A. geschossen hat oder auch ein weiterer Tatbeteiligter, schreibt die FAZ (Antea Obinja).
LG Düsseldorf – Klimaprotest/Flughafen-Blockade: Der Düsseldorfer Flughafen fordert am örtlichen Landgericht von neun Mitgliedern der "Letzten Generation" knapp 50.000 Euro Schadensersatz. Hierdurch sollen Start- und Landegebühren ersetzt werden, die infolge einer Blockade des Flughafens im Juli 2023 entfielen, so beck-aktuell.
Staatsschutzverfahren Ba-Wü: Auch Baden-Württemberg soll demnächst eine Zentralstelle für Terror- und Staatsschutzverfahren bekommen. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart soll ein entsprechendes Zentrum geschaffen werden, so Justizministerin Marion Gentges (CDU) laut LTO. Das Land will damit dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen und Sachsen folgen.
Recht in der Welt
Italien – Giorgia Meloni vs. Brian Molko: In Turin ist der Sänger der britischen Rock-Band Placebo, Brian Molko, wegen Verleumdung und Missachtung der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angeklagt worden. Bei einem Konzert soll der Sänger die Politikerin u.a. als "Faschistin" und "Rassistin" bezeichnet haben, so bild.de. Ihm drohe nun eine Geldstrafe bis zu 5.000 Euro.
Nicaragua – Verfassung: Ende Januar beschloss die Nationalversammlung Nicaraguas umfangreiche Verfassungsänderungen, deren Kern der legalisierte Vorrang der exekutiven Gewalt – repräsentiert durch den Präsidenten und die "Co-Präsidentschaft" seiner Ehefrau – gegenüber den anderen staatlichen Gewalten ist. Die Doktoranden Matteo Paolanti und Francesco Saccoliti beschreiben auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die neuen Bestimmungen und unternehmen einen kurzen Abriß der jüngeren politischen Geschichte des Landes.
Juristische Ausbildung
Legal Tech: Der Lehrbeauftragte Florian Skupin stellt auf beck-aktuell Erkenntnisse eines aktuellen Workshops von Studierenden der Bucerius Law School und der Uni Bayreuth zum Einsatz von Legal Tech-Tools in der juristischen Ausbildung vor. So soll die Vermittlung von "Digital Literacy" in der Ausbildung verankert werden. Im Rahmen einer stärkeren Vernetzung von Lehre und Praxis soll mehr bewusst gemacht werden, welche Legal Tech-Kompetenzen in der Praxis erforderlich sind.
Sonstiges
Desinformation: Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) beschreibt im FAZ-Einspruch die Wirkmächtigkeit von Desinformationskampagnen auf Social Media-Kanälen wie TikTok. Weil gerade die junge Generation die App häufig als Hauptinformationsquelle benutzt, sei es umso wichtiger, Zugang zu Daten über das Nutzungsverhalten zu erlangen, um die hinter "Desinformation und antiwestlichen Narrativen" stehenden Mechanismen zu verstehen. Hierzu biete die DSA-Verordnung eine sinnvolle Handhabe, die ungeachtet von Angriffen wie jüngst des US-Vizepräsidenten J.D. Vance zur Anwendung kommen müssen.
Verurteilter Rechtsanwalt: bild.de (Til Biermann) schreibt über Rechtsanwalt Markus Roscher, der nach eigener Darstellung wegen einer Beleidigung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu 60 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt wurde. In der Folge habe die Kreispolizeibehörde eine Prüfung seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit eingeleitet und auch die zuständige Rechtsanwaltskammer ihm vermittelt, dass eine weitere, 90 Tagessätze überschreitende Verurteilung seine Zulassung gefährde.
Umweltenergierecht: LTO-Karriere (Franziska Kring) interviewt Markus Ehrmann, der nach 25 Jahren anwaltlicher Tätigkeit nun als neuer Co-Leiter des Forschungsgebiets Europäisches und Internationales Klimaschutzrecht zur Stiftung Umweltenergierecht wechselt, und befragt ihn nach den Gründen seiner beruflichen Neuausrichtung. Der Experte gibt zudem Prognosen über das anstehende Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zum Klimaschutz und zur Zukunft des Völkerrechts ab.
Grundsteuer: Die Rechtsanwälte Andreas Klaus und Jonathan Storz beschreiben auf beck-aktuell, welche Rechtsbehelfe gegen Grundsteuer-Bescheide ratsam sind. Angesichts der vielfachen offenen Fragen zur Grundsteuer sei grundsätzlich von guten Erfolgschancen auszugehen.
Das Letzte zum Schluss
Pfandtourismus: Bayerische Flaschenpfandsammler haben ein Reiseziel entdeckt: wie bild.de (Charlotte Mahncke) schreibt, steuern sie österreichische Leergutannahmestellen an, nachdem beim Nachbarn das Pfand für Mehrwegflaschen mehr als verdoppelt wurde. In einem Fall soll "ein ganzer Anhänger mit Leergut über die Grenze gerollt" sein.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 19. Februar 2025: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56626 (abgerufen am: 18.03.2025 )
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