Die juristische Presseschau vom 18. Juli 2012: BGH gegen Zwangsbehandlung – Bayern gegen Finanzausgleich – Hochschule gegen Turbostudenten

18.07.2012

Der Familiensenat des Bundesgerichtshofes hat seine bisherige Rechtsprechung zur Zwangsbehandlung psychisch Kranker aufgegeben und fordert neue Gesetze. Außerdem in der Presseschau: Bayern klagt einsam gegen den Finanzausgleich, der Kauf der Steuer-CD durch die Finanzbehörden in Nordrhein-Westfalen sorgt weiter für Unruhe, das BverfG entscheidet heute zum AsylbLG und ein Student soll für seinen Studieneifer blechen.

BGH zur Zwangsbehandlung psychisch Kranker: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass es gegenwärtig keine gesetzliche Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung gibt, die den Anforderungen des Grundgesetzes genügt. Die körperliche Unversehrtheit und der Schutz des Patienten sind nach Ansicht des BGH bisher nicht immer gewährleistet gewesen, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). Demnach dürfen psychisch Kranke, die unter der Vormundschaft eines gerichtlich bestellten Betreuers stehen, vorerst nicht gegen ihren Willen ärztlich behandelt werden. Aus Ärzte-Kreisen rege sich Unmut gegenüber den BGH-Beschlüssen, so auch die FAZ (hano). Bis eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen sei, bestehe ein rechtsfreier Raum.

Wolfgang Janisch (SZ) hält den Ärger der Ärzte für verständlich und sieht sie in einem "juristischen Dilemma". Dennoch habe der BGH recht: "Der dürre Paragraf, der es bisher erlaubte, Menschen gegen ihren Willen mit Medikamenten zu behandeln, vermag einen derart gravierenden Eingriff in die Grundrechte der Patienten nicht zu rechtfertigen."

Weitere Themen – Rechtspolitik

Verfassungsrichterwahl: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat am Wochenende mit seiner Forderung für Aufsehen gesorgt, das Wahlverfahren des Bundestages für Verfassungsrichter transparenter zu gestalten. Claudia Kornmeier (lto.de) befasst sich mit den Vorgaben aus Grundgesetz und Bundesverfassungsgerichtsgesetz, wie die Parteien "ihr" Vorschlagsrecht untereinander verteilen und wer Kritik am Verfahren übt.

Steuer-CD: Wenn das geplante Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz ratifiziert würde, blieben alle Steuerhinterzieher, gegen die erst nach Unterzeichnung des Abkommens im September 2011 Ermittlungen aufgenommen worden seien, straffrei, so die taz (Malte Kreutzfeldt). Es berichten auch die FAZ (Reiner Burger) und das Handelsblatt (Holger Alich).

Malte Kreutzfeldt (taz) fordert von der Opposition ein "eindeutiges Nein" zu den Plänen der Regierung – andernfalls würde auch "sie sich zum Schutzpatron der Steuerbetrüger machen." 

Verfassungsschutzbericht: Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor einem Zulauf bei radikalen Salafisten. Nach dem Bericht des Verfassungsschutzes, der an diesem Mittwoch in Berlin vorgestellt wird, sollen sich mittlerweile 3.800 Salafisten in Deutschland aufhalten. Dies berichtet vorab welt.de (Florian Flade/Martin Lutz).

Reform Insolvenzordnung: Die FAZ (Joachim Jahn) beschäftigt sich mit der Reform der Insolvenzordnung, die am heutigen Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden soll.

In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt kommentiert der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks Holger Schwannecke die geplante Beschleunigung des Schuldenerlasses und kritisiert, dass ein für alle Beteiligten sachgerechter Interessenausgleich "anders" aussehe. Die neuen Regelungen würden "die Verantwortungskultur und damit die Unternehmenskultur in Deutschland" verändern – hier werde ein "völlig verqueres Leitbild" vorgegeben.

Weitere Themen - Justiz

BverfG zu AsylbLG: Heute fällt das Bundesverfassungsgericht sein mit Spannung erwartetes Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes. Im Mittelpunkt der verfassungsgerichtlichen Prüfung steht die Frage, wie viel Geld Flüchtlinge für ein menschenwürdiges Leben brauchen. Es berichten vorab die SZ (Roland Preuss) und das Handelsblatt (Maike Freund).

Bayern klagt gegen Länderfinanzausgleich: Das bayerische schwarz-gelbe Landeskabinett hat am Dienstag beschlossen, noch in diesem Jahr Klage einzureichen und die Verfassungskonformität des Länderfinanzausgleichs vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, berichtet die taz (Marlene Halser). Baden-Württemberg und Hessen wollen sich der Klage vorerst nicht anschließen.http://taz.de/Kommentar-Klage-Laenderfinanzausgleich/!97453/

Christian Rath (taz) hält einen Erfolg der Klage zwar nicht für wahrscheinlich, kritisiert aber falsche Signal zum falschen Zeitpunkt: "In einer Zeit, in der alles mit allem verflochten ist und große Probleme nur noch gemeinsam gelöst werden können", seien "solche Entsolidarisierungs-Signale völlig kontraproduktiv."

Die FDT (Jens Tartler) erläutert ausführlich die verschiedenen Mechanismen der Umverteilung.

Neonazi-Untersuchungsausschuss: Spiegel.de (Julia Jüttner) schildert ausführlich die Befragung des einstigen Vize-Präsidenten des Thüringer Landesverfassungsschutzes Peter-Jörg Nocken vor dem Erfurter Untersuchungsausschuss. Der Ausschuss soll mögliche Verfehlungen bei der Suche nach den NSU-Terroristen aufdecken. Es berichtet ebenfalls die SZ (Christiane Kohl).

Aktienrecht beim BVerfG: Auf der Seite Recht und Steuern beschäftigt sich die FAZ (Christoph H. Seibt/Bernward Wollenschläger) mit zwei "bemerkenswerten" Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zum Aktienrecht.

BGH zur Aktiengesellschaft: Lto.de berichtet von einem Urteil des Bundesgerichtshofes, wonach die Wiederbestellung eines Vorstandsmitgliedes für höchstens fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung auch ohne besondere Gründe zulässig ist. Die Möglichkeit der Wiederbestellung sei sowohl nach der Gesetzgebungsgeschichte als auch nach Sinn und Zweck des § 84 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) zulässig, so der BGH.

BGH - Unterbilanzhaftung: Die Rechtsanwätin Sabine Pittrof bespricht für das handelsblatt.blog eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum so genannten existenzvernichtenden Eingriff und der Unterbilanzhaftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern. Aus Sicht der Praxis sei das Urteil zu begrüßen, weil es klare Verhältnisse schaffe.

OLG Schleswig-Holstein zu Handyverträgen: Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat Klauseln in mobilcom-debite-Handyveträgen für nichtig erklärt, die Kunden zu "Strafzahlungen" und einer "Pfandgebühr" für die Nichtnutzung ihres Handys verpflichtet hatten, berichtet lawblog.de (Udo Vetter).

Paragraph 175 StGB: In einer ausführlichen Reportage schildert die SZ (Susanne Höll) den bewegenden Kampf zweier Männer für die Rehabilitation von Homosexuellen. Beide standen während der Nachkriegszeit auf verschiedenen Seiten – der eine als Richter, der andere als Opfer.

Justizministerin zu China: Im Gespräch mit der Welt (Thorsten Jungholt) bilanziert Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den seit 1999 währenden Rechtsstaatsdialog mit China und äußert sich zu dem Fall des Deutschen Nils Jennrich, der wegen des Vorwurfs eines Steuervergehens seit dreieinhalb Monaten in Peking inhaftiert ist. Die Haftbedingungen seien "inakzeptabel" und entsprächen nicht den international gültigen Mindeststandards, so die Justizministerin.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Rumänien – Rechtsstaatlichkeit gefährdert: Die Europäische Kommission hält die Rechtsstaatlichkeit in Rumänien für ernsthaft gefährdet und will die Umsetzung von Reformen stärker als bisher überwachen, berichtet die SZ (Cerstin Gammelin). Dies gehe aus dem Entwurf des jährlichen Fortschrittsberichts hervor, den die Kommission am Mittwoch vorlegen werde und der entscheidend sei für den Beitritt des Landes zum Schengen-Raum. Laut FAZ (Nikolas Busse/Reinhard Veser) hat der rumänische Premier im Streit mit der EU-Kommission bereits eingelenkt und Zugeständnisse versprochen.

Klaus Brill (SZ) sieht in dem Bericht der Kommission einen "harschen Tadel" für die politische Klasse Rumäniens und kommentiert, so heftig sei "noch selten ein EU-Mitgliedsland getadelt worden".

Syrien - Bewaffneter Konflikt: Nach einem Bericht der FTD (Stefan Schaaf) hat das Internationale Komitee des Roten Kreuz den Konflikt in Syrien nun als "nicht internationalen bewaffneten Konflikt" eingestuft. Damit gelte in Syrien das humanitäre Völkerrecht. Für ein Anklage des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor dem Internationalen Strafgerichtshof sei damit der erste Schritt getan, die Einleitung von Ermittlungen erfordere aber einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates.

Das letzte zum Schluss

Turbostudent klagt: Wie die taz (Bernd Kramer) berichtet, klagt eine private Hochschule gegen einen ehemaligen Studenten auf Zahlung von Studiengebühren. Der Student hatte statt der vorgesehen elf Semester nur vier benötigt. Am Mittwoch wird das Amtsgericht Arnsberg darüber entscheiden, ob der Student die Gebühren für das komplette Studium entrichten muss.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lp

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Juli 2012: BGH gegen Zwangsbehandlung – Bayern gegen Finanzausgleich – Hochschule gegen Turbostudenten . In: Legal Tribune Online, 18.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6639/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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